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"Die Kirche muss sich konkret einschalten"

Vor dem Beginn des 96. Deutsche Katholikentags in Saarbrücken hat Joachim Wiemeyer, Professor für Christliche Gesellschaftslehre in Bochum, auf das Engagement der Katholiken für Gerechtigkeit hingewiesen. Die Kirche müsse sich bei diesem Thema konkret einschalten, meinte Wiemeyer. Allerdings könne ein Katholikentag keine detaillierten Lösungen für soziale Probleme liefern.

Moderation: Silvia Engels |
    Silvia Engels: In Saarbrücken beginnt heute der 96. Deutsche Katholikentag, das größte Forum der deutschen katholischen Laien. Die Überschrift lautet "Gerechtigkeit vor Gottes Angesicht" und die Veranstalter haben schon im Vorfeld betont, dass sich diese Gerechtigkeit auch auf die soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit in der Gesellschaft beziehen soll.

    Am Telefon ist nun Joachim Wiemeyer. Er ist Professor für christliche Gesellschaftslehre an der Universität Bochum. Guten Tag!

    Prof. Dr. Joachim Wiemeyer: Guten Tag Frau Engels!

    Engels: Greifen denn nun die katholischen Laien mit dieser Gerechtigkeitsdebatte ein überfälliges Thema auf, in dem die offiziellen Kirchen bislang zu schweigsam waren?

    Wiemeyer: Die Katholikentage haben immer schon die Frage der Gerechtigkeit aufgegriffen, aber es ist interessant, dass Papst Benedikt ja in seiner Antritts-Enzyklika vor allem diese Weltverantwortung der Christen besonders betont hat. Deswegen ist es richtig, dass dieses Thema Gerechtigkeit auch für diese Welt jetzt Gegenstand des Katholikentages ist.

    Engels: Wie konkret wird es denn Ihrer Ansicht nach zugehen auf dem Katholikentag? Wird man da neue Stimmen zur Hartz-IV-Debatte hören oder der ja auch immer noch schwelende Streit um möglicherweise überhöhte Vorstandsgehälter? Wird es um solche Themen gehen, oder sollte sich da die Kirche doch etwas zurückhalten?

    Wiemeyer: Dieser Katholikentag ist ein Dialogforum auch mit politischen Parteien, mit gesellschaftlichen Gruppen, so dass diese Positionen dort auch deutlich bei den Podiumsdiskussionen und Veranstaltungen angesprochen werden. Ich selbst nehme an einem Forum teil, das sich mit der Zukunft der Arbeitswelt beschäftigen wird. In anderen Foren geht es um die Gerechtigkeit für Migrationskinder, ein ganz großes Thema gerade angesichts der Bildungschancen in unserer Gesellschaft.

    Engels: Welche Möglichkeiten hat denn da der Katholik oder die katholische Kirche auch als Institution, dort einzuwirken?

    Wiemeyer: Die Kirche arbeitet ja auf verschiedenen Wegen in diesem Feld. Sie arbeitet in der Praxis mit der Caritas, mit vielen auch sozial Benachteiligten. Sie führt Dialoge mit den Politikern, was auch die Bischöfe machen. Wir versuchen, an die Medien heranzutreten. Und es gibt ebenso katholische Verbände, die sowohl hier in der Praxis tätig sind wie dann auch gegenüber der Gesellschaft, gegenüber der Politik sich artikulieren. Natürlich können Sie fragen: Finden diese Angebote der Kirche, diese Rückfragen auch in der Politik immer Gehör? Die Kirche ist natürlich gesellschaftlich nur eine Stimme unter anderen. Es gibt andere gesellschaftliche Gruppen, die zum Teil andere Positionen in solchen Fragen beziehen.

    Engels: Nun sollte vielleicht auf der anderen Seite die Kirche auch nicht ihr Licht unter den Scheffel stellen. Könnte sie nicht noch stärker um Gehör gerade bei den Verantwortlichen drängen?

    Wiemeyer: Die Kirche kann sicherlich um Gehör bitten und auf die Probleme hinweisen, etwa den Skandal der lang anhaltenden Arbeitslosigkeit in unserem Land. Aber es ist natürlich dann für die Kirche schwierig, wirklich ganz detaillierte Problemlösungsvorschläge vorzuweisen, denn wir haben ja vielfach auch große Konfliktlagen. Denken Sie nur an das Feld des Niedriglohnsektors, wenn man sagt, man kann durch niedrige Löhne mehr Arbeitsplätze schaffen, aber andererseits jemand damit nicht mehr eine Familie ernähren kann.

    Engels: Das heißt, da sollte man auch als Kirche nicht zu konkret werden. Auf der anderen Seite ist es ja das, was viele katholische Laien auch gerade verlangen, dass sich die Kirche konkret einschaltet.

    Wiemeyer: Die Kirche muss sich konkret einschalten, aber dafür ist notwendig, was hier auf dem Katholikentag auch geschieht, dass Fachleute aus Gebieten der Wirtschaft und anderen Bereichen der Praxis dort sind, damit man dann zu konkreten Lösungsansätzen kommt. Ein Katholikentag kann aber solche Lösungsansätze im Detail nicht bieten, sondern die Aufmerksamkeit auf diese gesellschaftlichen Verhältnisse und sozialen Probleme lenken.

    Engels: Blicken wir noch einmal auf den Katholikentag generell. Im Vergleich zu früheren Veranstaltungen sind ja dieses Mal Kritiker wie Hans Küng oder Eugen Drewermann nicht geladen. Wie interpretieren Sie dieses Zeichen? Ist da vielleicht die Kritikfähigkeit gegenüber der offiziellen Kirche etwas in den Hintergrund getreten?

    Wiemeyer: Ich glaube es ist einmal der Schwerpunkt, der in Saarbrücken ist: der Ort mit Gerechtigkeit. Auch die europäische Dimension spielt eine Rolle. Es sind gesellschaftliche Fragen dort. Sie haben natürlich Recht, dass diese innerkirchlichen Streitthemen, die man etwa von früheren Katholikentagen kennt, auch dem ökumenischen Kirchentag, wie weit geht man bei der Ökumene, nicht so stark im Blickpunkt dieses Katholikentages sind.

    Engels: Ist das ein genereller Trend oder die Ausnahme?

    Wiemeyer: Nein, das ist keine Ausnahme. Man wird weiterhin auch innerkirchlich umstrittene Fragen diskutieren. Es sind ja auch diese Fragen thematisiert, die sich etwa auf die Schließung von Pfarreien, auf die Finanzkrise der Kirche und diese Konsequenzen beziehen. Es sind heute zum Teil aber andere Fragen mehr in den Schwerpunkt gerückt.

    Engels: Joachim Wiemeyer, Professor für christliche Gesellschaftslehre an der Universität Bochum. Ich bedanke mich für das Gespräch.

    Wiemeyer: Vielen Dank Frau Engels!