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Die Kirchen in Deutschland und der 9. November

Weder beim Judenboykott im April 1933, noch bei den Nürnberger Rassegesetzen und schon gar nicht beim Novemberpogrom 1938 konnten sich die Kirchen zu einem öffentlichen Protest durchringen. Schuldbekenntnisse folgen erst später und zu unterschiedlichen Zeiten in Ost und West.

Von Wolfram Nagel |
    Sehr viel später als die Kirchen im Westen haben sich die evangelischen Kirchen in Ostdeutschland mit ihrem Anteil an den Verbrechen der Nationalsozialisten befasst.
    Vor allem Dresden galt als Hochburg der Deutschen Christen.

    "''Beispielsweise ist es ja so, dass in dem Bischofskreuz, das unser Landesbischof Bohl jetzt trägt, auch der Name des Bischofs Friedrich Koch mit drin ist. Und es gab oftmals Bestrebungen, man sollte es raus gravieren. Also löschen.""

    Friedrich Coch war der 1933 von den Nazis inthronisierter Landesbischof, sagt Christoph Münchow. Der emeritierte Theologe gehörte bis vor wenigen Jahren zur Leitung der sächsischen Landeskirche. Heute engagiert er sich in der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit.

    "Es ist immer auch wieder gesagt worden, auch von Landesbischof Hahn, der1947 das Amt übernehmen konnte, das muss drin bleiben, es ist eine Erinnerung an uns, dass wir diese schlimme Zeit nicht vergessen. Und schauen, was ist für uns heute nötig zu tun."

    Sehr viel später als die Kirchen im Westen haben sich die evangelischen Kirchen in Ostdeutschland mit ihrem Anteil an den Verbrechen der Nationalsozialisten befasst. Das habe vor allem am Kampf des SED-Staates gegen die evangelische Kirche in den frühen 1950er-Jahren gelegen, sagt Münchow. Ein offenes Schuldbekenntnis hätte den Verfechtern des Staats-Atheismus neue Munition gegen die Kirche geliefert. So wurde auch die eigene Beteiligung an der Judenverfolgung verdrängt:

    "Viele von denjenigen, die sich dort unrühmlich hervor getan haben, also auch bei der Verspottung von Mitarbeitern der jüdischen Gemeinde in Dresden, einschließlich des Rabbiners und andere schreckliche Dinge, die da passiert sind, dass das getaufte Christen waren. Ein Teil von ihnen war inzwischen aus der Kirche ausgetreten. Aber wir müssen uns dem stellen, es waren Christen, die das mitgemacht haben, auch wenn sie jetzt der Nazi-Ideologie angehörten und sich teilweise auch vom Christentum los gesagt hatten."

    Es waren zunächst Persönlichkeiten wie Präses Lothar Kreyssig, die sich der unrühmlichen Nazivergangenheit ihrer Kirche stellten. Wie der von den Nazis aus der Dresdner Frauenkirche vertriebene Superintendent Hugo Hahn war Kreyssig ein Mann der Bekennenden Kirche in Sachsen. 1958 gründete der Jurist in Brandenburg die Aktion Sühnezeichen.

    "Kreyssig war ja bis zu seinem Wegzug von Flöha dann nach Brandenburg Präsident der Synode der Bekennenden Kirche, während die Braune Synode gar nicht mehr tagte. Und insofern ist ein relativ breites Bewusstsein da gewesen für die Geschichte nach 1933, die für unsere Landeskirche sehr sehr beschwerlich ist."

    Erst in den 1960er-Jahren habe sich die evangelische Kirche in Ostdeutschland zu deutlichen Schuldbekenntnissen durchgerungen. Bei den runden Jahrestagen des Novemberpogroms 1968 und 1978 habe es dann auch offizielle Gedenkstunden gegeben, so Christoph Münchow.

    "1988, da hat die Landessynode ein sehr selbstkritisches Wort über das Verhältnis zwischen Christen und Juden verfasst. Und ist dabei auch auf die Geschichte der sächsischen Landeskirche eingegangen. 1988 ist dann auch die Gedenktafel an der Dresdner Kreuzkirche enthüllt worden als ein Mahnmal und als ein Erinnerungszeichen, und zwar auch mit einem sehr selbstkritischen Akzent. Die ersten Worte sind: 'In Trauer und Scham gedenken wir'."

    "Wir schwiegen, als ihre Gotteshäuser verbrannt, als Juden entrechtet, vertrieben und ermordet wurden...wir bitten um Vergebung und Schalom."

    Vor allem Dresden galt als Hochburg der Deutschen Christen. Seit Sommer 1933 führte der nationalsozialistische Bischof Friedrich Coch die sächsische Landeskirche im Schulterschluss mit Gauleiter Martin Mutschmann. Die so genannte Braune Synode trug SA-Uniform. Die Frauenkirche war Deutscher Dom, geschmückt mit Hakenkreuzfahnen. Sehr bald wurde der staatliche Arierparagraf in das Kirchenrecht übernommen. Theologen wie Walter Grundmann machten den Antisemitismus zur Kirchendoktrin.

    "Walter Grundmann hat dann vor allem eben sehr stark für eine Germanisierung des Christentums sich ausgesprochen in den 28 Thesen zur sächsischen Volkskirche und dann war er nicht mehr in Sachsen, sondern hat in Eisenach dieses Institut zur Erforschung des Judentums und seines Einflusses auf die christlichen Kirchen geleitet."

    Das im Frühjahr 1939 gegründete Entjudungsinstitut säuberte Evangelien und Gesangbücher. Das Alte Testament, die hebräische Bibel, sollte völlig verschwinden, wie das jüdische Volk insgesamt. Selbst Mitglieder der Bekennenden Kirche folgten oftmals der Nazipropaganda von der jüdisch-bolschewistischen Bedrohung, sagt der Historiker Clemens Vollnhals vom Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung an der TU Dresden:

    "Dass die Juden das Unglück Deutschlands seien, ist eine Einstellung, die weit in die Bekennende Kirche hinein reichte."

    Allerdings habe sich die Bekennende Kirche gegen die Übernahme des Arierparagrafen und die Entlassung von Pfarrern mit jüdischen Wurzeln gewehrt. Auch eine Umdeutung und antisemitische Verkürzung neutestamentlicher Texte lehnte sie ab.

    "Der Umdeutung von Jesus zum Arier, wie es bei den Deutschen Christen üblich war, hier hat die Bekennende Kirche sich große Verdienste erworben. Aber wenn es um die Verteidigung der jüdischen Mitbürger ging, so schwieg sie als gesamte Formation doch, was nicht heißt, dass es nicht einzelne, kritische klare Stimmen gab."

    Neben Dietrich Bonhoeffer oder Martin Niemöller leisteten vor allem auch protestantische Frauen wie Elisabeth Schmitz, Marga Meusel oder Katharina Staritz Widerstand gegen die NS-Rassenpolitik.

    "Die schon Mitte der 30er-Jahre das Unrecht und die Unmoral der NS-Judenpolitik klar erkannten und die Kirche zum Handeln aufforderten, ohne damit auf viel Gehör zu stoßen."

    Weder beim Judenboykott im April 1933, noch bei den Nürnberger Rassegesetzen und schon gar nicht beim Novemberpogrom 1938 konnten sich die Kirchen zu einem öffentlichen Protest durchringen – weder die evangelische noch die Katholische Kirche. Erst als die eigenen Verwandten in den Gaskammern der Euthanasieanstalten verschwanden, gab es zaghaften Widerspruch. Doch die gebrandmarkten und deportierten Juden wurden selten betrauert.

    "Bis zu diesem Punkt, dass die Deutsche-Christen-Kirchen, unter ihnen auch die Sächsische 1941, die Einführung des Judensterns empathisch begrüßten und unter Bezug auf Martin Luther gesagt haben, die Kennzeichnung der Juden als der geborenen Welt- und Reichsfeinde sei zwingend geboten und rassejüdische Christen, so das Zitat, hätten nun keinen Platz und kein Recht mehr in der deutschen evangelischen Kirche."

    Es dauerte Jahrzehnte, bis sich die Kirchen nach dem Krieg mit den in Deutschland wieder gegründeten jüdischen Gemeinden anfreunden konnten. Selbst das immer wieder zitierte Stuttgarter Schuldbekenntnis vom Oktober 1945 sei halbherzig gewesen, sagt der Historiker Clemens Vollnhals.

    "Gerade das Spezifikum des Holocaust, des millionenfachen Mordes an den Juden, ist ja im Schuldbekenntnis gar nicht konkret benannt worden als Schuld der Kirche."

    Völkische Theologen wie Walter Grundmann überstanden die Nachkriegszeit weitgehend unbeschadet. In der DDR galt er bis zu seiner Emeritierung 1975 als anerkannter Lehrer an kirchlichen Hochschulen. Ein Kapitel der jüngsten Kirchengeschichte, das erst seit wenigen Jahren aufgearbeitet wird.