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"Die kommende Zeit wird sehr gefährlich"

Nach dem Tod Osama Bin Ladens rechnet der pakistanische Journalist Ahmed Rashid mit Vergeltungsanschlägen der El Kaida. Daher seien nun vor allem bessere Beziehungen zwischen den USA, Pakistan und Afghanistan vonnöten.

Ahmed Rashid im Gespräch mit Christoph Heinemann | 06.05.2011
    Christoph Heinemann: Pakistan hat den USA mit Konsequenzen gedroht, sollte es auf seinem Hoheitsgebiet einen weiteren nicht autorisierten Angriff auf Terrorverdächtige geben. Die Streitkräfte erklärten, in diesem Fall würden die Beziehungen zu Washington auf den Prüfstand gestellt. Hintergrund dieser Erklärung könnte a) ein schlechtes Gewissen sein und b) die Stimmung im Land. Die Truppen und die Regierung ernten heftige Kritik dafür, dass sie die Verletzung ihres Hoheitsgebiets duldeten. Wir haben vor der Sendung Ahmed Rashid erreicht, er ist pakistanischer Journalist, einer der besten Kenner der Lage in Pakistan und Afghanistan. Ich habe Ahmed Rashid gefragt, ob er es für möglich hält, dass Bin Laden in einem pakistanischen Wohngebiet lebte, ohne dass staatliche Stellen davon wussten?

    Ahmed Rashid: Nein, das glaube ich nicht. Irgendjemand muss davon gewusst haben, Leute innerhalb des Militärs oder der Geheimdienste. Oder militante pakistanische Gruppen, die ihn gedeckt haben, und die über Kontakte in die staatliche Führung oder in einige Geheimdienste verfügen. Bin Laden hat sechs Jahre lang in diesem Haus gelebt. Überlegen Sie einmal: die Versorgung, Kommunikation, Betreuung, das Kommen und Gehen, das muss von irgendjemandem überwacht worden sein. Das heißt nicht unbedingt, dass man der Regierung die Schuld dafür zuweisen sollte. Es kann sich eben um Leute handeln, die nicht unter der Kontrolle der Regierung stehen. Es gibt eine große Gruppe pensionierter Armee-Offiziere oder von Offizieren des Geheimdienstes ISI, die diesen Extremisten sehr nahestehen.

    Heinemann: Ist Pakistan für die USA noch ein verlässlicher Partner?

    Rashid: Ich glaube nicht, dass die Vereinigten Staaten Pakistan als einen verlässlichen Partner betrachten. Aber ich glaube auch nicht, dass es zu einem Bruch kommen wird, oder dass sie Pakistan nicht als Verbündeten behandeln werden. Pakistan ist Atommacht und ein sehr instabiler Staat. Es verfügt über eine gewaltige Armee, und die ist großer Provokationen fähig, etwa im Konflikt mit Indien. Das Letzte, was die USA wollen, ist es, Pakistan aufzugeben oder das Land oder den eigenen Einfluss in Pakistan zu verlieren. Aber natürlich wird es einen gewaltigen Druck geben, vom Kongress, von der Presse, von europäischer Seite: Jeder möchte wissen: was hatte Bin Laden dort zu suchen, und wer wusste, dass er sich dort aufhielt?

    Heinemann: Jüngsten Berichten zufolge breitet sich in Pakistan eine antiamerikanische Stimmung aus. Wird diese durch die Aktion gegen Bin Laden weiter zunehmen?

    Rashid: Leider ja. Es sei denn, die Regierung und das Militär versuchen, der Öffentlichkeit bestimmte Dinge beizubringen und die öffentliche Stimmung in eine neue Richtung zu lenken. Im Augenblick kritisieren viele Politiker und Militärs die Amerikaner dafür, dass sie Pakistans Souveränität verletzt haben, das heißt, diesen Schlag in Pakistan ohne Genehmigung durchgeführt zu haben. Das ist aber nicht das Thema. Viele wichtiger für die meisten Leute ist die Antwort auf die Frage, was Bin Laden dort gemacht hat. Die Frage der Souveränität ist zweirangig. So werden die Prioritäten in Pakistan verdreht. Die Medien beteiligen sich daran und die Geheimdienste unterstützen sie dabei. Also: Wir sollten gegenwärtig nicht über die Frage der Souveränität diskutieren, sondern klären, wer Fehler gemacht hat, als Bin Laden gefasst werden sollte.

    Heinemann: Hat Präsident Obama richtig entschieden, als er anordnete, Bin Laden auszuschalten?

    Rashid: Seit 2001 sagen die Amerikaner: Wenn sie ihn finden und wo immer das sein mag, werden sie ihn töten. Das wussten wir und darin haben wir ja auch schon Erfahrung: Die USA haben Drohnen benutzt, um Leute zu töten und Ziele in Pakistan anzugreifen. Und viele dieser Drohnen wurden ohne pakistanische Genehmigung eingesetzt. Jeder wusste, dass Obama so handeln würde.

    Heinemann: In Washington und New York waren begeisterte, Fahnen schwenkende Menschen zu sehen. Wie wirken diese Bilder in der islamischen Welt?

    Rashid: Die Gefühle brechen aus: Wir haben andererseits islamische Gruppen wie die Hamas im Nahen Osten und auch pakistanische gesehen, die Bin Laden einen Märtyrer genannt haben und für ihn beten. Das sind die beiden Extreme. Ich verstehe, dass die Amerikaner seinen Tod feiern. Aber vielleicht ist dies ja auch ein Augenblick des Nachdenkens, der Sorge und einer raschen Entscheidung darüber, was die Regierungen jetzt tun werden.

    Heinemann: Wenn man überlegt, dass er offenbar unbewaffnet getötet wurde, der Leichnam wurde auf See bestattet, glauben Sie, dass der El Kaida-Gründer ein Märtyrer wird?

    Rashid: Natürlich hat das viele Menschen in der muslimischen Welt aufgebracht, dass er nicht beerdigt, sondern ins Wasser geworfen wurde. Bis jetzt haben wir noch keine Fotos seines Leichnams gesehen. Es gibt bereits die ersten Verschwörungstheorien, dass nicht er, sondern ein anderer, der ihm ähnlich sah, getötet wurde. Und dass Bin Laden weiter am Leben ist und in die Berge geflohen ist. Diese Art Theorien wird es weiterhin geben.

    Heinemann: Bereitet El Kaida einen Gegenschlag vor?

    Rashid: Ja, ich bin sicher, dass es terroristische Anschläge in der ganzen Welt als Rache für seien Tod geben wird. Die kommende Zeit wird sehr gefährlich.

    Heinemann: Der afghanische Präsident Hamid Karsai hat gesagt, die USA sollten den Kampf gegen den Terrorismus auf Pakistan und weniger auf Afghanistan konzentrieren. Stimmen Sie ihm zu?

    Rashid: Ein besseres Bündnis mit Pakistan ist vonnöten, bessere amerikanisch-pakistanische Beziehungen. Sicherlich sollten die USA nicht in Pakistan Krieg führen, so wie sie es in Afghanistan tun. Wir brauchen eine bessere Zusammenarbeit und Planung zwischen beiden Staaten, und vielleicht, dass Afghanistan so schnell wie möglich befriedet wird.

    Heinemann: Hat die Tötung Bin Ladens Auswirkungen auf die Lage in Afghanistan?

    Rashid: Das wird es den Taliban erleichtern, mit Präsident Karsai und den Amerikanern zu reden. Es gibt bereits Gespräche zwischen Karsai, den Amerikanern und den Taliban, das wissen wir. Das Problem war bisher, dass die Amerikaner darauf bestanden haben, dass die Taliban von El Kaida abrücken oder diese Verbindung aufgeben. Jetzt, wo Bin Laden tot ist, wird es einfacher. Den Taliban wird es helfen, mit Karsai und den Amerikanern zu verhandeln.

    Heinemann: Der pakistanische Journalist Ahmed Rashid. Zuletzt erschien in deutscher Sprache sein Buch "Sturz ins Chaos. Pakistan, Afghanistan und die Rückkehr der Taliban".