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"Die Kontrollen haben offensichtlich versagt"

Schriftliche Unterlagen müssten genau ausgewertet werden, sagt der Vorstandsvorsitzender vom Bund ökologischer Lebensmittelwirtschaft Felix zu Löwenstein. Nur durch "investigative Kontrolle am Schreibtisch" könne man dem kriminellen Betrug bei Freiland- und Bio-Eierproduzenten vorbeugen.

Felix zu Löwenstein im Gespräch mit Silvia Engels | 26.02.2013
    Silvia Engels: Es gibt mehrere Arten, wie in Deutschland Hühner für die Eierproduktion gehalten werden dürfen. Bodenhaltung in sogenannten Volieren mit bis zu 18 Tieren zusammen ist eine Variante. Dazu kommt die Freilandhaltung, bei der muss den Hennen zusätzlich ein Auslauf angeboten werden. Und dann gibt es die biologische Freilandhaltung. Bei der muss neben einem größeren Auslauf den Tieren auch Biofutter gegeben werden. Doch nun ist offenbar auch in diesem Bereich betrogen worden. Mehr Hennen als erlaubt wurden in Freiland- und Biohaltung pro Quadratmeter gehalten.

    Am Telefon ist nun Felix zu Löwenstein, er ist Vorstandsvorsitzender vom Bund ökologischer Lebensmittelwirtschaft. Das ist der Spitzenverband landwirtschaftlicher Erzeuger, Verarbeiter und Händler ökologischer Lebensmittel in Deutschland. Bekannte Bioproduzenten wie Bioland, Demeter oder Naturland sind Mitglieder. Guten Morgen, Herr zu Löwenstein.

    Felix zu Löwenstein: Guten Morgen.

    Engels: Ihr Dachverband ist ja nur zum Teil betroffen, weil nur ein Teil der in Verdacht stehenden Höfe auch Biolandwirtschaft betreibt. Dennoch: Haben einige Ihrer Mitglieder schon Anhaltspunkte für breiteren Betrug speziell beim Bio-Ei?

    Löwenstein: Nein. Das Problem ist ja: Wir reden im Moment über noch nicht abgeschlossene staatsanwaltschaftliche Ermittlungen. Das heißt, es liegen uns weder Namen vor, noch sagt uns die Staatsanwaltschaft, was genau da passiert ist. Sie haben gerade eben, oder in dem Beitrag war gerade eben zu hören, es seien Eier falsch deklariert worden. Das muss man vielleicht noch mal ein bisschen klarer machen.

    Es sind nicht Eier falsch deklariert worden, die Bio-Eier sind schon Bio-Eier. Nur diejenigen, die Bio-Eier hergestellt haben, haben sich offenbar nicht an die Vorschriften gehalten und genauso wie die konventionellen auch mehr Hühner gehalten pro Quadratmeter, als sie hätten halten dürfen.

    Engels: Na aber dann ist doch ein Bio-Ei kein Bio-Ei mehr, denn ein Kriterium ist ja nicht nur der Weg der Futtervergabe, sondern auch die Haltung der Tiere.

    Löwenstein: Ja, das ist völlig richtig. – Genau, völlig richtig. Was mir in den letzten Stunden begegnet ist, sind Leute, die gesagt haben, offenbar sind Hühner aus konventionellen, Eier aus konventionellen Ställen rübergeschafft worden in Bioställe. Davon weiß ich noch nichts. Das wollte ich nur noch sagen damit.

    Engels: Sie sagen natürlich zurecht, dass derzeit noch Ermittlungen laufen. Der neue niedersächsische Landwirtschaftsminister Meyer erwägt aber, die betroffenen Höfe öffentlich zu nennen. Würden Sie einen solchen Schritt begrüßen? Das wurde bislang ja nicht gemacht.

    Löwenstein: Natürlich müssen die öffentlich genannt werden, aber erst dann, wenn die Ermittlungen abgeschlossen sind und klar ist, dass sich jemand was zuschulden hat kommen lassen. Das meint der Minister natürlich auch nicht, dass man einen Betrieb nennen kann, gegen den ermittelt wird. Das wäre ja gegen jedes Recht und Gesetz. Man kann ja nur jemand nennen, von dem man weiß, dass er schuldig ist.

    Engels: Eben im Beitrag haben wir auch Beispiele dafür gehört, dass möglicherweise das Kontrollsystem versagt hat. Eine Kontrolle am Schreibtisch, so war die Bundesverbraucherschutzministerin zu vernehmen, würde halt nicht ausreichen und auch Kontrollen von Werten über Futter, was gegeben wurde, hätten möglicherweise schon Hinweise geben können, dass da zu viele Hühner gehalten werden. Ist das Problem die Kontrolle?

    Löwenstein: Die Aussagen der Ministerin auf der einen Seite und des Staatsanwalts auf der anderen haben ja gezeigt, wie kompliziert die Sache ist. Der Staatsanwalt hat nämlich zurecht gesagt, sie können sich gar nicht in eine Herde stellen und die Tiere zählen. Um hinter jemand zu kommen, der an dieser Stelle betrügt, müssen Sie genau das tun, was die Ministerin gemeint hat, was man nicht tun muss. Das muss man am Schreibtisch machen. Sie müssen die schriftlichen Unterlagen auswerten, schauen, wie viele Tiere hat der geliefert bekommen, wie viele Eier sind da erzeugt worden, wie viel Futter ist verbraucht worden.

    Und das Schwierige wird – deswegen ermittelt ja die Staatsanwaltschaft schon seit eineinhalb Jahren -, wenn da jemand wirklich kriminell handelt, das heißt Belege unterschlägt, mit dem Lieferanten der Junghennen zusammen in betrügerischer Absicht Belege doppelt ausstellt, oder nur einen Teil ausstellt, den Rest unterm Tisch verschwinden lässt. Dann wird es halt schlimm. Die Kontrollen haben offensichtlich versagt, aber wie gesagt: Ganz einfach ist es nicht.

    Das, worüber jetzt gesprochen werden muss, ist die Frage, wie können wir die Kontrollen investigativer gestalten, also so gestalten, dass sie mit dem kriminellen Handeln von den Leuten zurechtkommen. Nur da muss man auch sagen: Kontrollen werden auch in Zukunft nie verhindern können, wenn jemand kriminell handelt, dass er das tun kann. Man kann immer nur jedes Mal, wenn so etwas vorgekommen ist, die Kontrollen anpassen, so wie die Dopingkontrolle immer den neuen Dopingmitteln angepasst wird, von denen man merkt, dass sie auf den Markt kommen.

    Engels: Aber auch einzelne Biobauern beklagen fast, dass sie eigentlich nie einmal überraschend kontrolliert werden, und die großen Bioproduzenten, die Sie vertreten, werben ja nun gerade vielfach damit, dass sie in ihren Kontrollen über die gesetzlich vorgegebenen Standards hinausgehen würden. Was kann man noch mehr in diesem Bereich tun, oder machen Sie nicht genug?

    Löwenstein: Die Kontrolldichte ist es in dem Fall nicht. Diese großen Hühnerbetriebe werden ja sogar viermal jährlich kontrolliert und davon dreimal unangekündigt. Also daran kann es nicht liegen. Es ist die Frage, wie wird es gemacht, werden zum Beispiel Crosschecks gemacht, nennt man das. Das heißt, dass nicht nur auf dem Betrieb selber kontrolliert wird, sondern dass gegenkontrolliert wird auf dem liefernden Junghennenbetrieb. Also dass die Kontrollen hier nicht funktioniert haben, ist ja eindeutig, das sieht man ja am Resultat. Aber die Kontrolldichte ist nicht das, was erhöht werden muss. Es muss nicht in dieser Frage mehr im Stall kontrolliert werden, sondern es müssen die Kontrollen am Schreibtisch investigativer gemacht werden.

    Engels: Das heißt, schlauere Kontrollen, dass man genauer die Futtermengen kontrolliert, die ja Rückschlüsse zulassen, wie viele Tiere damit gefüttert werden, und beziehungsweise diese Zulieferer. Das ist Ihr Appell?

    Löwenstein: So ist es. Am Ende ist natürlich der Kontrolleur nie der Staatsanwalt. Der Staatsanwalt kann Computer beschlagnahmen und Akten beschlagnahmen, solche Sachen kann ja ein Kontrolleur nicht. Aber der Kontrolleur kann nur die Wahrscheinlichkeit, entdeckt zu werden, höher machen, und das ist die Aufgabe, die jetzt zu erfüllen ist, und die muss erfüllt werden, wie auch im Beitrag zurecht gesagt worden ist. Es ist ja furchtbar für all die ordentlich arbeitenden, mit Herzblut hinter der Sache stehenden Tausenden Betriebe, die ein Vertrauen aufbauen, das dann irgendwelche Leute, die mehr Hühner in den Stall tun, um noch ein paar Mark mehr zu machen, dann vernichten.

    Engels: Die Nachfrage nach Bioprodukten ist in den vergangenen Jahren so stark angestiegen, dass Experten schon länger warnen, dass es wahrscheinlich zu Betrügereien kommen müsse, weil die seriös produzierenden Biolandwirte gar nicht so viel Menge beisteuern könnten. Haben sie recht?

    Löwenstein: Natürlich ist es so, dass je mehr die einheimische Erzeugung und der einheimische Verbrauch auseinanderklaffen, desto mehr Druck gibt es da im Markt. Und überhaupt ist es so – und das betrifft nicht nur die Landwirtschaft: Wo immer man durch Betrug Geld verdienen kann, finden sich dann auch irgendwann Betrüger. Aber mir ist auch wichtig zu sagen: Wir machen ja nicht Ökolandbau, um irgendeine Marktnische zu bedienen; wir müssen ja die Landwirtschaft umbauen zu etwas Ökologischem, weil das, was heute konventionell stattfindet – und das stimmt insbesondere für die industrielle Hühnerhaltung -, ist nicht zukunftsfähig.

    Wenn in Niedersachsen 60 Prozent der Trinkwasserbrunnen über den Nitratwert hinaus verseucht sind, dann hat das ja mit dieser Tierhaltung zu tun, und das ist nur ein Beispiel. Das heißt, wir müssen weitermachen, die Landwirtschaft umzubauen zu etwas Ökologischem, und wenn irgendwo Fehlentwicklungen auftauchen, wenn irgendwo Betrügereien auftauchen, dann muss man dagegen arbeiten. Aber man darf nicht aufhören, weiterzumachen, weder wir als Landwirte noch die Verbraucher, die es diesen Landwirten möglich machen, eine ökologische Landwirtschaft zu betreiben.

    Engels: Müssten dann aber auch aufgrund der von Ihnen genannten Probleme nicht die Mitglieder in Ihrem Verband, von Bioland über Demeter, sich generell von Großanbietern trennen?

    Löwenstein: Sie haben recht. Ich muss noch mal dazu sagen: Wir wissen ja nach wie vor nichts über die konkreten Fälle, weil die Staatsanwaltschaft das ja noch nicht veröffentlicht. Aber wenn das so ist, was man da hört, dann gehen wir davon aus, dass die großen Strukturen betroffen sind, und da halte ich es tatsächlich für denkbar, dass in der Hühnerhaltung, auch in der ökologischen, die Hühnerhaltung zu sehr in die großen Strukturen hineingerutscht ist, also auch in Unternehmen, die auf der einen Seite Bio machen, aber auf der anderen Seite auch konventionelle Ställe halten und wo dann diese Überzeugung, dass das, was man da tut, mehr ist als nur Geld verdienen, nicht wirklich verankert ist.

    Das ist eine Diskussion, der wir uns stellen müssen und die auch schon ganz heftig in unseren Reihen stattfindet. Ich habe gestern in den Nachrichten einen Biobauern gehört, der gesagt hat, es ist doch gut, wenn jetzt mal die faulen Pflaumen vom Baum fallen, lasst uns ruhig ordentlich schütteln. Das finde ich eine ganz gute Haltung.

    Engels: Felix zu Löwenstein vom Bund ökologischer Lebensmittelwirtschaft. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen.

    Löwenstein: Danke Ihnen!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.