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"Die Kosovaren werden nicht mehr lange warten"

Werner Hoyer, außenpolitischer Sprecher der FDP, rechnet damit, dass sich die EU auf eine einseitige Unabhängigkeitserklärung des Kosovo einstellen muss. Europa dürfe in dieser Frage nicht auseinanderfallen wie ein Hühnerhaufen. "Das wäre eine Katastrophe zum Start des Ratifikationsprozesses für den neuen Vertrag", sagte Hoyer mit Blick auf den in Lissabon unterzeichneten EU-Reformvertrag.

Moderation: Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Die Tinte unter dem Reformvertrag ist in Lissabon kaum getrocknet, da treffen sich die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union heute in Brüssel wieder. Das weitere Vorgehen der Union im Kosovo steht im Mittelpunkt des Gipfels. Am Telefon ist Werner Hoyer, stellvertretender Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion, ehemaliger Staatsminister im Auswärtigen Amt. Guten Tag!

    Werner Hoyer: Guten Tag Herr Heinemann.

    Heinemann: Herr Hoyer, rechnen Sie mit einer gemeinsamen Position und wenn ja, wie könnte die aussehen?

    Hoyer: Ich hoffe sehr, obwohl ich bis zum letzten Moment wohl zweifeln werde, denn einige Nationen sind ja in besonderer Weise von dem Thema Kosovo und Serbien betroffen und sind in alten Verbindungen verstrickt, die möglicherweise es ihnen sehr schwer machen werden mitzumachen. Ich hoffe man wird einen Weg finden.

    Heinemann: Welche Nationen sind das?

    Hoyer: Es geht um Griechenland, es geht um Zypern. Ich glaube die Probleme, die auch Spanien hat, werden sich vielleicht ausräumen lassen. Aber für Griechenland und Zypern wird es ausgesprochen schwierig, und ich hoffe man wird Wege finden, diesen Staaten die Sache zu erleichtern.

    Heinemann: Spanien wegen des Baskenlandes?

    Hoyer: Spanien wegen des Baskenlandes und insgesamt der auch separatistischen Bestrebungen, die es in dem Lande gibt. Aber ich glaube, in Spanien sieht man, dass die Situation um das frühere Jugoslawien doch eine völlig andere Qualität hat als die Besorgnisse um Katalonien oder das Baskenland.

    Heinemann: Und wie sollte diese gemeinsame Position dann aussehen?

    Hoyer: Nun, wir müssen uns ja wohl darauf einrichten, dass die Kosovaren nicht mehr allzu lange warten werden mit einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung, und ich bin sicher, dass die Ankündigungen der Vereinigten Staaten umgesetzt werden, dass man sehr schnell mit der Anerkennung dieser Unabhängigkeit folgen wird. Es wird dann darauf ankommen, ob Europa, was sich jetzt gerade wieder eine neue Rechtsgrundlage durch den neuen Verfassungsvertrag geben will, nun diesmal in der Lage sein wird, die gemeinsamen Instrumente auch zu nutzen, oder ob Europa wieder auseinander fällt wie ein Hühnerhaufen. Das wäre eine Katastrophe zum Start des Ratifikationsprozesses für den neuen Vertrag.

    Heinemann: Und im Hühnerhaufenfall sollte die Bundesregierung dann einseitig anerkennen?

    Hoyer: Nein. Die Bundesregierung sollte und wird - da bin ich ganz sicher - in jedem Fall gemeinsam mit den europäischen Partnern handeln. Es wäre nur gut, wenn es alle wären und wenn ein oder zwei davon nicht in der Lage sind, mit einem Ja mitzustimmen, ist es ja immer noch besser sie enthalten sich, als dass sie den Prozess blockieren.

    Heinemann: Herr Hoyer, wie viel Zuckerbrot sollte die EU Serbien anbieten und mit welcher Peitsche drohen?

    Hoyer: Ich glaube, dass man mit Peitsche nicht viel ausrichten kann und mit Zuckerbrot vorsichtig sein muss, weil die Perspektive einer Mitgliedschaft in der Europäischen Union - übrigens in sehr weiter Zukunft erst - das ist keine Prämie für Wohlverhalten in der Kosovo-Frage, sondern das ist eine Option, die dann gegeben ist, wenn Serbien Mitgliedsschaftsvoraussetzungen erfüllt, wie sie jedes andere neue Mitglied auch erfüllen muss. Da ist man weit von entfernt, aber die Perspektive Europäische Union ist für die Bürgerinnen und Bürger in Serbien außerordentlich wichtig und reizvoll. Die Nationalisten in Serbien - und man wird ja bei den Wahlen jetzt sehen, wer die Oberhand hat -, sie sind bereit, diese europäische Perspektive zu verschenken, nachdem man bereits vor zehn Jahren durch das unglaubliche Fehlverhalten in der Kosovo-Frage den Kosovo faktisch verloren hat. Das wäre eine Tragödie für Europa und für Serbien.

    Heinemann: Aber lenkt man mit so vagen Visionen oder In-Aussicht-Stellung einer Mitgliedschaft, wie Sie sie jetzt formuliert haben, nicht eher Wasser auf die Mühlen der Nationalisten?

    Hoyer: Ja. Trotzdem muss man vorsichtig sein, weil man darf eine Perspektive bis hin zur Mitgliedschaft nicht unrealistisch gestalten. Wenn man dann eines Tages nicht in der Lage ist zu liefern, weil Serbien ganz offenbar die Voraussetzungen noch nicht hat oder noch sehr lange brauchen wird, dann wird man große Frustrationen auslösen. Also ich denke, für Europa wäre es ein großer Gewinn, wenn Serbien eines Tages die Voraussetzungen schafft, Mitglied zu werden. Dann können sie es auch. Sie sind jetzt gegenwärtig in der Situation, dass sie Gefahr laufen, ihre Mitgliedsschaftsoption, ihre theoretische Möglichkeit schon zu verspielen, und das wäre nicht gut.

    Heinemann: Und an dem Punkt würden Sie auf keinen Fall einem unabhängigen Kosovo zustimmen?

    Hoyer: Mit der Unabhängigkeit des Kosovo kann das nichts zu tun haben. Wir können die Zukunft des Kosovo nicht dauerhaft davon abhängig machen, ob in Serbien die Nationalisten das Ruder in der Hand haben oder nicht.

    Heinemann: Albtraum der Serben wäre, wenn sich die Kosovaren eines Tages mit Albanien zusammenschließen wollten. Wie kann man das verhindern?

    Hoyer: Indem man auf Vernunft setzt. Ich sehe natürlich auch immer die Gefahr, dass es Leute gibt - und in Zeiten, wo Nationalisten überall wieder das Wort schwingen, besteht die Gefahr natürlich auch dort -, dass das ethnische Aufbrechen von Strukturen weitergeht. Es gibt da Gefahren für Mazedonien, ich glaube mal gar nicht so sehr die große Lust in Albanien. Es würde zu einer wesentlichen weiteren Destabilisierung des Balkans führen. Deswegen muss man zur Vernunft mahnen.

    Ich bin der Überzeugung, dass die wesentlichen Kräfte, die es gegenwärtig im Kosovo gibt, auch keine Lust haben, sich von Tirana regieren zu lassen, aber ausschließen kann man diese Möglichkeit natürlich nicht. Das ist natürlich der Punkt, den man sehen muss, wenn man nun die Kosovaren noch lange hinhält oder gar verprellt, denn wir haben ihnen doch in den letzten Jahren, insbesondere die Amerikaner haben ihnen in den letzten Jahren Zusagen gemacht, die die Kosovaren irgendwann auch einfordern werden.

    Heinemann: Ist das gerade von Ihnen formulierte Prinzip Hoffnung eine tragfähige Grundlage für Politik auf dem Balkan?

    Hoyer: Das wäre ein bisschen zu wenig. Deswegen muss man konkret daran arbeiten, dass es auch tatsächlich so kommt. Auf diesem geschundenen Teil unseres Kontinents wird man denke ich die Menschen nur vom Nationalismus und vom Separatismus abbringen können, wenn man ihnen eine gute Perspektive verschafft, das heißt insbesondere eine wirtschaftliche Perspektive für die Menschen. Die bedarf im Kosovo wie in anderen Teilen, insbesondere auch in Serbien dringendst der Verbesserung. Man muss sich doch einmal ansehen, was aus den verschiedenen Teilen des früheren Jugoslawien geworden ist, wie die Menschen in Slowenien, in Kroatien innerhalb weniger Jahre ihre Einkommenssituation vervielfacht haben, auf Dollar-Basis pro Jahr, während in Serbien eigentlich seit 15 Jahren Stillstand herrscht. Das ist für die Menschen schlimm. Wir sollten vielleicht sogar den jungen Menschen in Serbien mehr die Möglichkeit geben, die Attraktivität des europäischen Modells sich vor Ort anzugucken. Es ist ja so, dass wir aufgrund der Visa-Situation für Serben kaum die Möglichkeit haben, Serben nach Westeuropa einzuladen.