Gerner: Gesundheitsministerin Ulla Schmidt will morgen im Parlament einen Stopp für Beitragserhöhungen bei den gesetzlichen Kassen durchdrücken. Viele wehrten sich gestern allerdings mit dem Versuch, die Beiträge vor Torschluss noch im Eilverfahren zu erhöhen. Die Anzahl der Kassen soll radikal zusammengestrichen werden, die Ausgaben für Ärzte und Krankenhäuser eingefroren werden. Eiszeit also. Die Dialogbereitschaft scheint nicht besonders groß zu sein, zumal Teile der Ärzteschaft damit drohen, ihre Praxen vorübergehend zu schließen. Und auf die Straße gehen wollen sie nächste Woche auch. Der Dumme wäre also einmal mehr der Patient. Am Telefon Friedrich Wilhelm Schwartz, Mitglied im Sachverständigenrat für das Gesundheitswesen. Herr Schwartz, haben Sie Verständnis dafür, dass die Kassen jetzt vor Torschluss noch einmal die Beiträge erhöhen wollen?
Schwartz: Man muss ja sehen, dass die Krankenkassen das nicht aus Jux und Tollerei tun und auch nicht tun dürfen. Sie unterliegen ja der Aufsicht, und die Aufsichtsbehörde muss das prüfen. Die Lage – die Finanzlage – verschiedener Kassen ist nicht einfach, und das ist ja seit Beginn des Jahres bekannt. Es gab auch die regierungsamtlich verbreitete Zuversicht, dass es sich zum Jahresende verbessern wird. Das ist nicht eingetreten.
Gerner: Werden die denn durchkommen – die Kassen – jetzt mit ihren Anträgen?
Schwartz: Also, wenn die Rechnungsgrundlagen das erzwingen, die Verwaltungsbeiräte zugestimmt haben, die Aufsichtsbehörden – das ist im Bund das Bundesversicherungsamt, im Land ist es die zuständige Landesregierung – nichts dagegen sagen, dann ist das rechtmäßig. Und dann kommen sie durch, solange kein Gesetz dagegensteht.
Gerner: Dann kann ja eigentlich Ulla Schmidt ihr Ziel, die Kassenbeiträge zu stabilisieren, schon nicht mehr erreichen.
Schwartz: Nun, das ist ja nur, nachdem, was ich weiß, eine Gruppe von Betriebskrankenkassen und einige wenige andere. Das ist die Minderheit der Kassen. Die Betriebskassen haben natürlich das besondere Problem gehabt – oder einzelne –, dass sie im Laufe des Jahres Wechsler bekommen haben mit ungünstigen Risiken mit niedrigen Beiträgen, und die sind in einer besonderen Lage.
Gerner: Der Gesetzentwurf hat ja trotzdem noch ein Hintertürchen für Beitragserhöhungen offen, nämlich dann, wenn die Leistungsfähigkeit der Kassen -der großen Kassen vor allen Dingen, wie BARMER und AOK‘s - gefährdet ist. Danach sieht es ja fast aus. Ich lese heute morgen in der Zeitung, dass jede zweite Kasse sich über Bankkredite nur noch am Leben erhalten kann.
Schwartz: Ja, das ist das Problem, das sich ja andeutete, dass wir eben eine Schieflage haben. Die Aufgaben sind zu 95 Prozent gesetzlich vorgeschrieben, da haben sie überhaupt keinen Spielraum. Und die anderen brechen weg, das deutete sich ja allerdings seit mehreren Jahren an. Der Anstieg der Beiträge ist ja nicht so sehr ein Ausdruck explodierender Kosten, wenn man mal den Korridor der allgemein wirtschaftlichen Entwicklung als Maßstab nimmt, sondern sie sind eben vor allen Dingen Ausdruck der seit langem schrumpfenden Einnahmen. Und das ist jetzt durch verschiedene regierungsseitige Eingriffe in den letzten Jahren noch verschärft worden. Und das rächt sich jetzt.
Gerner: Jetzt hat sich ja binnen weniger Tage, Herr Schwartz, eine Protestfront aufgebaut. Die Ärzte drohen mit Schließungen ihrer Praxen. Dürfen die das überhaupt? Schwartz: Nun ja, die Ärzte sind ja freie Unternehmer, und das Risiko nimmt ihnen niemand ab. Also, sie sind zwar andererseits Mitglied in dieser Zwangskörperschaft ‚Kassenärztliche Vereinigung‘, aber nur mit der Maßgabe, dass sie dann mit den Kassen abrechnen dürfen. Aber sie sind für ihr wirtschaftliches Überleben selbst verantwortlich, und selbstverständlich können sie ihre Praxis zumachen, wenn sie meinen, dass sie nicht anders über die Runde kommen.
Gerner: Nun, ist das Konzept von Ulla Schmidt möglicherweise nicht mit heißer Nadel gestrickt? Beiträge und Ärztehonorare sollen eingefroren werden. Sehen Sie auf der anderen Seite, dass der Kostenexplosion ein Riegel vorgeschoben wird?
Schwartz: Nein, wir haben ja eine Kostenexplosion – eine Ausgabenexpolosion – nur in ganz wenigen Bereichen beobachtet in den letzten eineinhalb Jahren, das waren die Arzneimittel, das sind bestimmte Bereiche der Hilfsmittel, das sind die Kosten für das Rettungswesen. Es sind eigentlich nicht die ärztlichen Leistungen, die explodiert sind, das muss man gerechterweise sagen; die hatten ja sowieso nur Wachstumsvorgaben von etwa 0,8 Prozent. Die Ärzte sind gut weggekommen; Es gab eigentlich Sondervereinbarungen mit einzelnen Kassen, dass man kann sagen könnte, das System blieb auch für die Ärzte leistbar. Aber da ist eben nicht sehr viel Luft drin. Für die Krankenhäuser sieht es ähnlich aus. Und von daher bleibt eben die Diagnose: Die Krankenversicherung hat – gesamtwirtschaftlich betrachtet, wenn man also von einzelnen Fehlentwicklungen absieht – insgesamt ein Einnahmeproblem, nicht das Problem insgesamt explodierender Ausgaben. Daran kann man nicht vorbeireden. Und deshalb muss eben eine sogenannte Hartz-Runde, oder was immer dann auch kommen wird, die eine Konsolidierung der Krankenversicherung sich vornimmt, grundsätzlich an die Einnahmenproblematik ran. Sie muss an andere Einkommensquellen denken. Das heißt, das alte Bismarcksche System steht wirklich auf dem Prüfstand.
Gerner: Herr Schwartz, gestern gab es eine Studie. Da hieß es: Falsche Diagnose bei jeder zweiten Röntgenuntersuchung in Deutschland. Jede dritte Röntgenuntersuchung sein gar überflüssig. Enthält das Konzept von Ulla Schmidt irgend etwas, was angetan ist, dies zu ändern – bzw. was müsste überhaupt geschehen, um die Effizienz – es wird immer alles teurer bei den Kassen, aber die Effizienz kommt da nicht mit?
Schwartz: Ja, Effizienz heißt ja Missverhältnis von wirtschaftlichem Einsatz zum medizinischen Nutzen. Das gibt es dort, wo wir zu hohe Preise haben, ich erwähnte das schon – im technischen Bereich, im pharmazeutischen Bereich. Aber wir haben natürlich auch Bereiche von Überdiagnostik, von Überversorgung. Aber leider Gottes – das hat ja die Studie des Rates vor einiger Zeit festgestellt – haben wir auch Bereiche von Unterversorgung - denken wir an Rehabilitation, denken wir an Prävention, an komplexer Versorgung schwieriger chronischer Kranker. Und da hat das System leider Nachholbedarf. Würden wir jetzt Überversorgung abbauen und saldieren mit Auffüllung von Unterversorgung, dann sind dort keine zusätzlichen Milliarden zu holen. Das muss man einfach feststellen.
Gerner: Um zusätzliche Milliarden zu holen: Könnte man nicht einfach überlegen, die Grenze, bis zu der Einkommen als Pflichtversicherte gelten sollen, einfach auf breite Grundlage erheblich zu erhöhen? Damit würde man sich doch einen erheblichen finanziellen Rahmen schaffen.
Schwartz: Die Überlegungen müssen grundsätzlicher sein: Gehen wir in Richtung einer allgemeinen Volksversicherung oder werden bestimmte Bereiche, die heute noch von der Krankenversicherung übernommen werden, privatisiert, zum Beispiel die Versorgung bei leichten Erkrankungen – oder eine Art private Pflichtversicherung für Unfälle, insbesondere Kraftfahrzeugunfälle. Das sind alles Überlegungen. Nun, man muss allerdings sagen: Die Einbeziehung etwa der Beamten und anderer Bevölkerungsteile löst nicht schon von vornherein das Krankenversicherungs-problem. Es müssten dann auch entsprechend hohe Beitagsanteile mitkommen. Das muss alles überdacht werden.
Gerner: Herr Schwartz, vielleicht können Sie mir eines erklären: Eigentlich in so einer Situation ist ja Solidarität unter den Beitragszahlenden gefragt. Das deutsche System fordert aber eher das Gegenteil, wenn ich das richtig sehe. Reiche werden belohnt, indem sie die Möglichkeit haben, zur in der Regel billigeren Privatkasse zu wechseln. Muss man da nicht umdenken?
Schwartz: Das ist in der Tat eine Besonderheit des deutschen Systems im europäischen Vergleich. Nun muss man sich aber auch sagen: Man kann auch ein Fragezeichen da anmelden, dass sehr Wohlhabende in den gesetzlichen Krankenversicherungen sind und zum Beispiel der Oberstudienrat im Angestelltenstatus den selben Beitrag zahlt wie der Einkommensmillionär, weil ja die Beiträge noch oben dann immer gleich bleiben. Da gibt es ein Verteilungsproblem in der Bevölkerung. Man muss auch darüber nachdenken: Wie ist die sogenannte Friedensgrenze zwischen gesetzlicher Krankenversicherung und der PKV zu sehen? Man muss aber darauf achten, dass man jetzt nicht die PKV-Versicherten aushungert, denn deren Beiträge sind ja in den letzten Jahren auch zum Teil zweistellig explodiert, so dass die Regierung – das haben viele vergessen – der PKV eine Vorschrift zum Aufbau eines Altersfinanzierungsstopps verordnen musste.
Gerner: Herr Schwartz, ich frage Sie jetzt nicht nach der Abkürzung, die Sie eben benutzt haben. Statt dessen eine kurze Abschlussfrage mit der Bitte um eine kurze Antwort: Werden 2003 die Kassenbeiträge sich erhöhen, und ist eine ‚16‘ vor dem Komma, wie von der CDU angedeutet, realistisch in Bälde?
Schwartz: Die 16 sehe ich noch nicht, aber Beitragsanhebungen drohen in der Tat. Und das Zweite, was in diesem Jahr noch thematisiert werden wird, ist eine Anhebung der Beiträge für die Pflegeversicherung.
Gerner: Friedrich Wilhelm Schwartz war das, Mitglied im Sachverständigenrat für das Gesundheitswesen.
Link: Interview als RealAudio
Schwartz: Man muss ja sehen, dass die Krankenkassen das nicht aus Jux und Tollerei tun und auch nicht tun dürfen. Sie unterliegen ja der Aufsicht, und die Aufsichtsbehörde muss das prüfen. Die Lage – die Finanzlage – verschiedener Kassen ist nicht einfach, und das ist ja seit Beginn des Jahres bekannt. Es gab auch die regierungsamtlich verbreitete Zuversicht, dass es sich zum Jahresende verbessern wird. Das ist nicht eingetreten.
Gerner: Werden die denn durchkommen – die Kassen – jetzt mit ihren Anträgen?
Schwartz: Also, wenn die Rechnungsgrundlagen das erzwingen, die Verwaltungsbeiräte zugestimmt haben, die Aufsichtsbehörden – das ist im Bund das Bundesversicherungsamt, im Land ist es die zuständige Landesregierung – nichts dagegen sagen, dann ist das rechtmäßig. Und dann kommen sie durch, solange kein Gesetz dagegensteht.
Gerner: Dann kann ja eigentlich Ulla Schmidt ihr Ziel, die Kassenbeiträge zu stabilisieren, schon nicht mehr erreichen.
Schwartz: Nun, das ist ja nur, nachdem, was ich weiß, eine Gruppe von Betriebskrankenkassen und einige wenige andere. Das ist die Minderheit der Kassen. Die Betriebskassen haben natürlich das besondere Problem gehabt – oder einzelne –, dass sie im Laufe des Jahres Wechsler bekommen haben mit ungünstigen Risiken mit niedrigen Beiträgen, und die sind in einer besonderen Lage.
Gerner: Der Gesetzentwurf hat ja trotzdem noch ein Hintertürchen für Beitragserhöhungen offen, nämlich dann, wenn die Leistungsfähigkeit der Kassen -der großen Kassen vor allen Dingen, wie BARMER und AOK‘s - gefährdet ist. Danach sieht es ja fast aus. Ich lese heute morgen in der Zeitung, dass jede zweite Kasse sich über Bankkredite nur noch am Leben erhalten kann.
Schwartz: Ja, das ist das Problem, das sich ja andeutete, dass wir eben eine Schieflage haben. Die Aufgaben sind zu 95 Prozent gesetzlich vorgeschrieben, da haben sie überhaupt keinen Spielraum. Und die anderen brechen weg, das deutete sich ja allerdings seit mehreren Jahren an. Der Anstieg der Beiträge ist ja nicht so sehr ein Ausdruck explodierender Kosten, wenn man mal den Korridor der allgemein wirtschaftlichen Entwicklung als Maßstab nimmt, sondern sie sind eben vor allen Dingen Ausdruck der seit langem schrumpfenden Einnahmen. Und das ist jetzt durch verschiedene regierungsseitige Eingriffe in den letzten Jahren noch verschärft worden. Und das rächt sich jetzt.
Gerner: Jetzt hat sich ja binnen weniger Tage, Herr Schwartz, eine Protestfront aufgebaut. Die Ärzte drohen mit Schließungen ihrer Praxen. Dürfen die das überhaupt? Schwartz: Nun ja, die Ärzte sind ja freie Unternehmer, und das Risiko nimmt ihnen niemand ab. Also, sie sind zwar andererseits Mitglied in dieser Zwangskörperschaft ‚Kassenärztliche Vereinigung‘, aber nur mit der Maßgabe, dass sie dann mit den Kassen abrechnen dürfen. Aber sie sind für ihr wirtschaftliches Überleben selbst verantwortlich, und selbstverständlich können sie ihre Praxis zumachen, wenn sie meinen, dass sie nicht anders über die Runde kommen.
Gerner: Nun, ist das Konzept von Ulla Schmidt möglicherweise nicht mit heißer Nadel gestrickt? Beiträge und Ärztehonorare sollen eingefroren werden. Sehen Sie auf der anderen Seite, dass der Kostenexplosion ein Riegel vorgeschoben wird?
Schwartz: Nein, wir haben ja eine Kostenexplosion – eine Ausgabenexpolosion – nur in ganz wenigen Bereichen beobachtet in den letzten eineinhalb Jahren, das waren die Arzneimittel, das sind bestimmte Bereiche der Hilfsmittel, das sind die Kosten für das Rettungswesen. Es sind eigentlich nicht die ärztlichen Leistungen, die explodiert sind, das muss man gerechterweise sagen; die hatten ja sowieso nur Wachstumsvorgaben von etwa 0,8 Prozent. Die Ärzte sind gut weggekommen; Es gab eigentlich Sondervereinbarungen mit einzelnen Kassen, dass man kann sagen könnte, das System blieb auch für die Ärzte leistbar. Aber da ist eben nicht sehr viel Luft drin. Für die Krankenhäuser sieht es ähnlich aus. Und von daher bleibt eben die Diagnose: Die Krankenversicherung hat – gesamtwirtschaftlich betrachtet, wenn man also von einzelnen Fehlentwicklungen absieht – insgesamt ein Einnahmeproblem, nicht das Problem insgesamt explodierender Ausgaben. Daran kann man nicht vorbeireden. Und deshalb muss eben eine sogenannte Hartz-Runde, oder was immer dann auch kommen wird, die eine Konsolidierung der Krankenversicherung sich vornimmt, grundsätzlich an die Einnahmenproblematik ran. Sie muss an andere Einkommensquellen denken. Das heißt, das alte Bismarcksche System steht wirklich auf dem Prüfstand.
Gerner: Herr Schwartz, gestern gab es eine Studie. Da hieß es: Falsche Diagnose bei jeder zweiten Röntgenuntersuchung in Deutschland. Jede dritte Röntgenuntersuchung sein gar überflüssig. Enthält das Konzept von Ulla Schmidt irgend etwas, was angetan ist, dies zu ändern – bzw. was müsste überhaupt geschehen, um die Effizienz – es wird immer alles teurer bei den Kassen, aber die Effizienz kommt da nicht mit?
Schwartz: Ja, Effizienz heißt ja Missverhältnis von wirtschaftlichem Einsatz zum medizinischen Nutzen. Das gibt es dort, wo wir zu hohe Preise haben, ich erwähnte das schon – im technischen Bereich, im pharmazeutischen Bereich. Aber wir haben natürlich auch Bereiche von Überdiagnostik, von Überversorgung. Aber leider Gottes – das hat ja die Studie des Rates vor einiger Zeit festgestellt – haben wir auch Bereiche von Unterversorgung - denken wir an Rehabilitation, denken wir an Prävention, an komplexer Versorgung schwieriger chronischer Kranker. Und da hat das System leider Nachholbedarf. Würden wir jetzt Überversorgung abbauen und saldieren mit Auffüllung von Unterversorgung, dann sind dort keine zusätzlichen Milliarden zu holen. Das muss man einfach feststellen.
Gerner: Um zusätzliche Milliarden zu holen: Könnte man nicht einfach überlegen, die Grenze, bis zu der Einkommen als Pflichtversicherte gelten sollen, einfach auf breite Grundlage erheblich zu erhöhen? Damit würde man sich doch einen erheblichen finanziellen Rahmen schaffen.
Schwartz: Die Überlegungen müssen grundsätzlicher sein: Gehen wir in Richtung einer allgemeinen Volksversicherung oder werden bestimmte Bereiche, die heute noch von der Krankenversicherung übernommen werden, privatisiert, zum Beispiel die Versorgung bei leichten Erkrankungen – oder eine Art private Pflichtversicherung für Unfälle, insbesondere Kraftfahrzeugunfälle. Das sind alles Überlegungen. Nun, man muss allerdings sagen: Die Einbeziehung etwa der Beamten und anderer Bevölkerungsteile löst nicht schon von vornherein das Krankenversicherungs-problem. Es müssten dann auch entsprechend hohe Beitagsanteile mitkommen. Das muss alles überdacht werden.
Gerner: Herr Schwartz, vielleicht können Sie mir eines erklären: Eigentlich in so einer Situation ist ja Solidarität unter den Beitragszahlenden gefragt. Das deutsche System fordert aber eher das Gegenteil, wenn ich das richtig sehe. Reiche werden belohnt, indem sie die Möglichkeit haben, zur in der Regel billigeren Privatkasse zu wechseln. Muss man da nicht umdenken?
Schwartz: Das ist in der Tat eine Besonderheit des deutschen Systems im europäischen Vergleich. Nun muss man sich aber auch sagen: Man kann auch ein Fragezeichen da anmelden, dass sehr Wohlhabende in den gesetzlichen Krankenversicherungen sind und zum Beispiel der Oberstudienrat im Angestelltenstatus den selben Beitrag zahlt wie der Einkommensmillionär, weil ja die Beiträge noch oben dann immer gleich bleiben. Da gibt es ein Verteilungsproblem in der Bevölkerung. Man muss auch darüber nachdenken: Wie ist die sogenannte Friedensgrenze zwischen gesetzlicher Krankenversicherung und der PKV zu sehen? Man muss aber darauf achten, dass man jetzt nicht die PKV-Versicherten aushungert, denn deren Beiträge sind ja in den letzten Jahren auch zum Teil zweistellig explodiert, so dass die Regierung – das haben viele vergessen – der PKV eine Vorschrift zum Aufbau eines Altersfinanzierungsstopps verordnen musste.
Gerner: Herr Schwartz, ich frage Sie jetzt nicht nach der Abkürzung, die Sie eben benutzt haben. Statt dessen eine kurze Abschlussfrage mit der Bitte um eine kurze Antwort: Werden 2003 die Kassenbeiträge sich erhöhen, und ist eine ‚16‘ vor dem Komma, wie von der CDU angedeutet, realistisch in Bälde?
Schwartz: Die 16 sehe ich noch nicht, aber Beitragsanhebungen drohen in der Tat. Und das Zweite, was in diesem Jahr noch thematisiert werden wird, ist eine Anhebung der Beiträge für die Pflegeversicherung.
Gerner: Friedrich Wilhelm Schwartz war das, Mitglied im Sachverständigenrat für das Gesundheitswesen.
Link: Interview als RealAudio