Donnerstag, 18. April 2024

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Die kühnen Konzepte der Quantenbiologie
Qubits im Kopf

Das menschliche Gehirn - ein verkappter Quantencomputer? Essentielle Mechanismen der Natur, die man bislang völlig übersehen hat? Es sind höchst spekulative Hypothesen, mit denen die Quantenbiologie arbeitet. Wenn sie sich in Experimenten bestätigen sollten, wäre dies eine wissenschaftliche Revolution.

Von Frank Grotelüschen | 16.05.2021
Visualisierung von Messergebnissen auf einem Computermonitor im Labor der Uni Ulm
"Quantenwabern" auf dem Monitor im Labor der Universität Ulm. Gibt es bislang unerkannte "spukhafte" Quanteneffekte bei biologischen Prozessen? (Frank Grotelüschen/Dlf)
Die Quantenphysik fordert unsere Vorstellungskraft aufs Äußerste heraus: Teilchen können an zwei Orten gleichzeitig sein oder mit ihren Artgenossen in einer spukhaften Verbindung stehen. Eigentlich sollten diese merkwürdigen Gesetze nur im Mikrokosmos gelten, in der Welt der Atome und Moleküle – so die gängige Lehrmeinung. Doch manche Fachleute gehen davon aus, dass Quanteneffekte auch fürs Leben zentral sind – bei der Fotosynthese im Blattgrün, beim Orientierungssinn von Zugvögeln oder sogar für die Denkprozesse in unserem Gehirn, das womöglich wie ein Quantencomputer funktioniert.

Paradigmenwechsel oder reine Forscher-Phantasie?

Um ihre Thesen zu prüfen, haben diverse Forschungsteams nun aufwändige Experimente aufgesetzt. Sollten sie gelingen, dürften sie einen Paradigmenwechsel in Biologie und Hirnforschung nach sich ziehen – grundlegende Naturprozesse würden ganz anders ablaufen als gedacht. Doch die Versuche stoßen auf Skepsis: Viele Fachleute halten sie für vergebens und sind überzeugt: Quanteneffekte sind viel zu schwach und zu flüchtig, als dass sie fürs Leben eine nennenswerte Rolle spielen könnten.
Manuskript in voller Länge:
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Universität Ulm, ein Büro im Institut für Theoretische Physik.
"Ich bin Professor. Ich habe eine Lebensstelle, mir kann nichts passieren. Meine Pflicht ist es eigentlich auch, etwas Spekulatives zu verfolgen und eben nicht nur den ausgetretenen Pfad weiter auszutreten."
Martin Plenio sitzt vor seinem Rechner. Auf dem Bildschirm: ein grün-blaues Muster, an den Rändern zittert und wabert es, kaum wahrnehmbar.
"Man muss auch mal versuchen, etwas aufregendes Neues zu machen."
Quantenkosmos - Die Sippschaft von Schrödingers Katze Das wohl prominenteste Sinnbild der absurden Quantenwelt ist Schrödingers Katze – ein Gedankenexperiment, bei dem das arme Tier zugleich lebendig und tot ist. Doch nun konnte ein internationales Forschungsteam diese Kuriosität sogar noch steigern.
Das Wabern auf dem Bildschirm wäre das Neue: Quanteneffekte. Bekannt ist, dass sie Atome und Elementarteilchen regieren, also die Welt der Physik. Prägen sie womöglich auch das Leben? Die These polarisiert.
"Viele Dinge sind am Anfang belächelt worden und haben sich am Ende als richtig herausgestellt."
Wegbereiter Werner Heisenberg
Juni 1925. Werner Heisenberg, gerade 23 Jahre alt, erholt sich auf Helgoland von seinem Heuschnupfen. In der Abgeschiedenheit der Insel glückt ihm ein wissenschaftlicher Durchbruch: Er findet die mathematischen Formeln der Quantenmechanik - ein Paradigmenwechsel in der Physik.
Werner Heisenberg - er entwickelte die Heisenbergsche Unschärferelation und erhielt 1932 den Nobelpreis für Physik.
Werner Heisenberg - er entwickelte die Heisenbergsche Unschärferelation und erhielt 1932 den Nobelpreis für Physik. (picture alliance / Georg Goebel)
"Die Quantenphysik kommt zum Tragen, wenn Materie im Größenbereich von Atomen, Molekülen und darunter beschrieben wird", erklärt Michael Thorwart, Quantenphysiker von der Universität Hamburg. "Die Quantenphysik beschreibt Eigenschaften und dynamische Vorgänge mit besonderen Begriffen, die vollständig anders sind als jene, die man in der klassischen Physik verwendet. Die haben häufig keine intuitive Entsprechung in der klassischen Physik."
Quantenphysik auch in der belebten Natur?
Ein Atom kann Welle sein und zugleich Teilchen. Kann sich, bestimmt vom Zufall, an zwei Orten gleichzeitig aufhalten. Und kann mit anderen Quanten verbunden sein durch eine spukhafte Fernwirkung. Ein verwirrendes Regelwerk, unanschaulich, kontraintuitiv, dennoch nahezu perfekt.
Zwei Menschen geben sich die Hände
Quantenverschränkung - seltsame Regeln der Quantenphysik
Physiker der TU Delft sind zuversichtlich: Ihr Experiment zur Quantenverschränkung wird eine seit 80 Jahren andauernde Diskussion beenden. Angestoßen hatte sie Albert Einstein. Der Nobelpreisträger hielt manche Phänomene der Quantenphysik für zu absurd, um wahr zu sein – doch sie sind es tatsächlich, sagen die niederländischen Forscher.
Bald nach Heisenbergs Geniestreich kamen andere Quanten-Pioniere auf eine verwegene Idee – allen voran Heisenbergs Mitstreiter Pascual Jordan. Michael Thorwart:
"Bereits 1932 postulierte er, dass die Frage, was die belebte Natur zum Leben bringt, durch die Gesetze der Quantenphysik beantwortet werden kann."
Jordans Hypothese: Die Quantenphysik prägt nicht nur die Welt der kleinsten Teilchen, sondern auch das Verhalten von Biomolekülen, dem Spielmaterial des Lebens. Dieses Verhalten pflanzt sich dann fort auf Zellen, Organe – und schließlich auf den ganzen Körper.
"Er nannte das die Verstärker-Theorie. Er zog sogar eine Verbindung zwischen Quantenphysik und Psychologie."
Pascual Jordan (1902-1980)
Pascual Jordan (1902-1980) (Uni Göttingen)
Krude Thesen verschrecken die Fachwelt
Pascual Jordan war Mitglied in der NSDAP, er sympathisierte mit den Nazis. Dort fand seine These einigen Anklang. Thorwart:
"Er formulierte sogar, dass das Führerprinzip ein zentrales Prinzip der Biologie des Lebens sei und jede lebende Zelle ein Steuerungszentrum als diktatorische Autorität habe. Solche abstrusen Ansätze sind zum Glück heute Geschichte."
Krude Thesen, die dafür sorgten, dass die Fachwelt lieber die Finger ließ von der zu Grunde liegenden Frage: Kann es sein, dass Quantenphänomene die elementaren Prozesse des Lebens bestimmen? Ist die Biologie in Wirklichkeit eine Quantenbiologie? Eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Denn in der Regel sind Quantenphänomene extrem fragil und können sich nur dort entfalten, wo Quantenteilchen von der Außenwelt isoliert sind, etwa im Vakuum.
Wiederauferstehung einer Hypothese
Dennoch haben manche Forscher den Faden wieder aufgenommen. Sie vermuten Quanteneffekte hinter den verschiedensten Lebensprozessen – bei der Fotosynthese im Blattgrün, beim Orientierungssinn von Zugvögeln oder im menschlichen Gehirn, das womöglich wie ein Quantencomputer funktioniert. Den Aufbruch markierte vor 13 Jahren ein Fachartikel im renommierten Fachmagazin NATURE.
2007. Der Ulmer Physiker Martin Plenio sitzt wieder mal in einem Meeting.
"Und da meinte jemand: Oh, da hat es diesen Artikel gegeben, es passiert Quanten-Computing in Biologie. Da habe ich gedacht: Okay, ist bestimmt falsch."
"Wellenartige Dynamik" bei der Fotosynthese
Der Artikel stammt von der Gruppe des Chemikers Graham Fleming im kalifornischen Berkeley. Das Team experimentiert mit einer noch jungen Messmethode – ultrakurze Laserblitze, mit denen sich extrem schnelle Prozesse wie die Fotosynthese in Superzeitlupe beobachten lassen.
"Damit hat man fotosynthetische Komplexe genau angeschaut. Und hat damals Signale gefunden, die oszilliert haben. Daraus hat man geschlossen, dass dort eine wellenartige Dynamik stattfinden muss. Und wellenartige Dynamik spricht immer für quantenmechanische Phänomene."
Eine Pflanze in der Natur
Forschungsprojekt zur künstlichen Fotosynthese
Den Prozess der Fotosynthese künstlich nachstellen – und das effizient: Wenn das gelingt, könnte man mit Sonnenenergie in großen Mengen Wasserstoff gewinnen. Forscher aus Deutschland und den USA sind diesem Traum nähergekommen.
Aus Sonnenlicht wird in Pflanzen chemische Energie. Das Licht befreit elektrische Ladungen aus dem Molekülverbund im Chlorophyll, dem Blattgrün. Diese Ladungen bewegen sich dann rasend schnell zu anderen Stellen im Molekül, um dort die Energie für die Bildung von Kohlenhydraten bereitzustellen.
Lichtenergie im Schwingungsgleichklang
Seit Jahrzehnten rätselt die Fachwelt darüber, warum die Fotosynthese so effektiv abläuft: Wie schafft es die Natur, Elektronen so schnell weiterzutransportieren, dass die Energie auch tatsächlich chemisch genutzt werden kann? Fleming und sein Team präsentieren 2007 mit ihrem Artikel einen neuen Lösungsansatz: Sie wollen beobachtet haben, dass sich Quantenphänomene nicht nur im ersten Augenblick zeigen, wenn das Licht auf das Blattgrün trifft. Sondern dass das Quantenverhalten viel länger andauert und dadurch auch die anschließenden Prozesse bestimmt: Laut Fleming läuft die Energie des Lichtteilchens kohärent, quasi im Schwingungsgleichklang durch den Molekülkomplex – ein typisches Quantenverhalten. Martin Plenio ist fasziniert und beschließt, in den neuen Forschungszweig einzusteigen – die Quantenbiologie.
"Und dann haben wir einiges entdeckt. Die Grundaussage ist: Ja, in diesen fotosynthetischen Komplexen gibt es Quantenkohärenz und Quantendynamik, und die spielt eine Rolle für den Transport. Das kann man verkürzt so sagen."
Licht und Schatten zeichnen sich am Freitag an satt grünen Blätter ab.
Die Nutzung des Sonnenlichts durch Fotosynthese ist Grundlage für die meisten biologischen Prozesse auf der Erde. (dpa/picture alliance/Arno Burgi)
Erklärung für die Effizienz der Fotosynthese?
Bildlich gesprochen kann die Energie des Lichtteilchens auf seinem Weg durch den Molekülkomplex allen möglichen Pfaden gleichzeitig folgen, statt sich mühsam den kürzesten zu suchen. Doch das scheint nicht alles zu sein:
"In diesen Transportprozessen und auch später in der Ladungstrennung ist es ganz wichtig, dass das Protein, also dieser Hintergrund, auf dem dieser Transport stattfindet, kein starrer Körper ist, der sich überhaupt nicht bewegt. Sondern dass er fluktuiert und sozusagen selber schwingt."
Und zwar quantenmäßig schwingt – unbestimmt und zufällig. Plenio:
"Wenn wir an einem Deich sind, und die Welle kommt an, und der Deich ist hoch genug, dann geht die Welle nicht drüber. Wenn der Deich aber die Höhe hin und wieder variiert, und wenn er gerade mal tiefer sitzt, dann kann die Welle drüber."
Widerspruch von Fachkollegen
Stimmt die Theorie, wäre klarer, warum die Fotosynthese derart effektiv abläuft. Doch es gibt Widerspruch. Auch Michael Thorwart liest 2007 das NATURE-Paper von Graham Fleming, der die Quantenkohärenz bei der Fotosynthese beobachtet haben will:
"Ich war wie alle ein Stück weit fasziniert. Ich war zunächst mal von den Messergebnissen überzeugt und auch von der Interpretation. Es ist ja eine sehr verlockende Interpretation, die zu spektakulären Ergebnissen hätte führen können."
Thorwart ist Theoretiker. Mit einer Computersimulation versucht sein Team das neue Phänomen nachzuvollziehen. 2011 liegt das Resultat vor. Es ist ernüchternd:
"Unsere numerischen Berechnungen konnten die Experimente nicht reproduzieren und nicht erklären. Das hat dazu geführt, dass der Editor von einem Journal, in dem wir die Ergebnisse veröffentlichen wollten, uns geschrieben hat: Ihre Ergebnisse stimmen nicht mit dem Experiment überein. Deshalb muss die Theorie falsch sein."
Quanteneffekte nur im Moment der Lichtaufnahme?
Doch Thorwart glaubt an sein Modell – und überzeugt ein Experimental-Team, die Versuche von 2007 zu wiederholen und kritisch zu prüfen. Das Ergebnis:
"Wir haben herausgefunden, dass die beobachteten Signale eindeutig gewöhnlichen Schwingungskohärenzen der Moleküle zugeordnet werden können. Ordinäre Schwingungen kommen überall in der Molekülphysik vor und können durchaus durch die Gesetze der klassischen Physik erklärt werden."
Demnach spielt die Quantenphysik nur im allerersten Moment eine Rolle, dem Moment der Lichtaufnahme. Sobald die Energie über den Molekülkomplex transportiert wird, bricht die Kohärenz zusammen, verlieren sich die Quanteneigenschaften in den Weiten des Moleküls. Thorwart:
"Wir haben inzwischen ein geschlossenes Bild und haben die Sichtweise aus diesem 2007-Papier in NATURE wieder zurechtgerückt. Mittlerweile ist diese Interpretation des Experiments, die sicherlich durch uns mit angestoßen wurde, bei den allermeisten Wissenschaftlern akzeptiert."
Tunnelprozesse bei der Ladungstrennung
Martin Plenio lässt sich nicht entmutigen:
"Wenn man etwas Neues macht, gibt es immer Leute, die das nicht glauben und eine negative Meinung haben. Davon sollte man sich aber nicht so sehr beeinflussen lassen. Solange man das nicht rein spekulativ betrachtet, sondern in gute Wissenschaft messbar verifizierbar formuliert, ist das völlig in Ordnung."
Vielleicht sind die Quantenphänomene gar nicht so sehr für den Transport zentral, dafür aber bei einem anderen Schritt – der Ladungstrennung im Reaktionszentrum des Molekülkomplexes.
"Dort finden wirklich Tunnelprozesse, also quantenmechanische Prozesse statt. Das ist eigentlich der Punkt, denke ich, wo wirklich Quantenmechanik eine ganz essentielle Rolle spielt, um diese Ladungstrennung effizient zu gestalten. Sodass sie schnell stabil wird, sodass wir die Energie aus diesem Elektron herausholen können."
Ein neues Gebäude für eine neue Forschungsrichtung
Eine Hypothese, die es zu untermauern gilt – und zwar durch Experimente in einem nagelneuen Gebäude.
"So, jetzt machen wir mal auf."
Das Zentrum für Quanten-Biowissenschaften der Uni Ulm. Manche Büros sind schon bezogen, andere stehen noch leer, warten auf den letzten Anstrich.
"Und dann gehen wir in den Keller. Da sind nämlich die hochspezifischen Labore, mit denen wir hier neue Experimente realisieren wollen. Hier um die Ecke links."
Plenio steuert einen Raum an, in dem ein weiterer, kleinerer Raum steckt, das eigentliche Labor.
"A room in a room heißt das. Eine Hülle drum herum. Und in diese Raumhülle hinein ist ein weiterer Raum gebaut, sodass man mehr Abschirmung bekommt. Elektromagnetische Felder, Schwingungen, Temperatur. Einfach alles."
Raum-in-Raum-Labor an der Universität Um 
Raum-in-Raum-Labor des Quantenbiologie-Projektes an der Universität Ulm (Frank Grotelüschen/Dlf)
Außenwelt wird perfekt abgeschirmt
Innen steht noch nicht viel, die Versuchsapparaturen kommen erst noch. Platziert werden sie auf einen 26-Tonnen-Betonklotz. Als sich Plenio draufstellt, zischt es: Der Klotz lagert auf Luftfedern, die Vibrationen abfangen – Schritte, Kleinstbeben, Erschütterungen von der Straßenbahn. Dann zeigt der Physiker auf die Wände. In ihnen stecken Stromspulen, die Magnetfelder abschirmen.
"Die Temperatur ist auf 0,3 Kelvin stabilisiert. Und es hat eine gewisse Schall-Absorption. Wenn wir die Tür zu machen, dann wird es sehr komisch still hier, stiller als normal."
Ein Labor, perfekt abgeschirmt gegenüber der Außenwelt. Denn sollte es die Quanteneffekte wirklich geben, werden sie äußerst schwach sein.
"Je genauer wir die Natur untersuchen wollen, desto mehr müssen wir Störquellen von außen unterdrücken, beseitigen, ausgleichen. Denn nur dann sehen wir noch diese ganz, ganz feinen Signale, die wir wirklich uns anschauen wollen."
Zehn Jahre zur Überprüfung der Hypothesen
Im Laufe dieses Jahres sollen die Versuche starten. Plenios Vision:
"In zehn Jahren sollten wir geklärt haben, dass diese Prozesse so stattfinden oder eben nicht. Wenn sich tatsächlich diese Prozesse als wahr herausstellen, wird der große Schub natürlich in die Richtung gehen: Wie können wir das nutzen, um bessere Medizin zu machen? Wie können wir das nutzen, um detaillierter physiologische Prozesse zu verstehen und wie wir sie beeinflussen können? Das wäre eine sehr aufregende Zeit."
Prof. Martin Plenio von der Universität Ulm steht in seinem Quantenbiologie-Labor vor einem Experimentier-Tisch
Prof. Martin Plenio von der Universität Ulm in seinem Quantenbiologie-Labor (Frank Grotelüschen/Dlf)
Die skeptischen Fachleute sind nicht die einzigen, mit denen sich Martin Plenio auseinandersetzen muss. Denn da wäre noch eine andere Fraktion – Quantenmediziner und Wunderheiler.
Mühsame Abgrenzung zu Esoterikern
"Ja, das gibt natürlich dem Feld manchmal einen schlechten Namen, weil das mit dieser Esoterik in Verbindung gebracht wird, wo eben nicht wissenschaftlich vorgegangen wird. Da wird einfach so nach dem Motto argumentiert: Wir verstehen das Gehirn nicht, wir verstehen die Quantenmechanik nicht – na ja, da müssen die beiden Sachen ja etwas miteinander zu tun haben! Und das ist ein ganz, ganz schlechter Ansatz."
Eine Quantenphysik, die eine mystische Verbindung herstellt zwischen Mensch und Kosmos: Für Martin Plenio ist das barer Unsinn:
"Ich bekomme hin und wieder E-Mails oder auch Telefonanrufe von Leuten, die ganz begeistert sind, dass ich jetzt Quantenbiologie mache oder Quantenmedizin oder solche Dinge. Aber ich versuche, diesen Menschen dann zu erklären, was der Unterschied in unseren Ansätzen ist. Aber ich denke, in der Regel komme ich nicht wirklich damit durch."
Das Wunder der Zugvögel-Navigation
Universität Oldenburg. Seit Jahren befasst sich der Biologe Henrik Mouritsen mit einem alten Rätsel.
"Wenn ein Zugvogel einmal nach Afrika geflogen ist und zurück, dann hat er eine Präzision von Zentimetern über 10.000 Kilometer. Das kann GPS nicht. Deswegen ist es schon erstaunlich, wie ein Vogel mit einem Gehirn, das weniger als ein Gramm wiegt, so präzise den Weg nach Afrika finden kann."
Wie schaffen es Zugvögel, sich derart präzise zu orientieren? Der Stand von Sonne und Sternen, prägnante Landmarken – all das hilft den Tieren dabei. Manche Vögel aber nutzen auch etwas anderes – das Magnetfeld der Erde.
"Das Magnetfeld ist hauptsächlich für deren Kompass wichtig, wenn sie nachts fliegen und keine Sonneninformationen haben. Wir beschäftigen uns mit nachtziehenden Singvogelarten hauptsächlich. Rotkehlchen ist eine. Mönchsgrasmücke ist eine andere."
Magnetkristall-Hypothese "scheint tot zu sein"
Lange glaubte die Fachwelt, dass winzige Magnetkristalle im Schnabel der Tiere hinter dem Magnetsinn stecken.
"Diese Hypothese scheint tot zu sein. Da gibt es ein Paper von einer Nachwuchsgruppe aus Wien. Die hat gezeigt, dass das, was man geglaubt hat, die Kristalle waren, das sind in Wirklichkeit Makrophagen."
Kein innerer Kompass also, sondern Immunzellen. Offenbar muss der Magnetsinn der Tiere anders funktionieren. Henrik Mouritsen vermutet ein exotisches Quantenphänomen: Im Auge der Vögel sitzt ein Protein namens Cryptochrom. Fällt ein wenig Licht darauf – es reicht das von den Sternen – werden zwei Elektronen kurzzeitig zu winzigen Stabmagneten; ein Quanteneffekt.
Quanteneffekt mit Sternenlicht?
Je nach Richtung des Erdmagnetfelds richten sich die beiden Elektronen-Magneten unterschiedlich zueinander aus. Das beeinflusst eine biochemische Reaktion. Und die lässt den Vogel letztlich die Himmelsrichtung erkennen. Erste Indizien legen nahe, dass etwas an der Sache dran ist, meint Mouritsen. So verschwindet der Magnetsinn, wenn den Vögeln die Augen abgedeckt werden:
"Und dann weiß man auch, dass Radiofrequenz-Felder einen Einfluss auf die magnetische Kompass-Fähigkeit der Zugvögel haben – das kann es stören. Und das kann man quantenmechanisch erklären, warum das so sein sollte."
Henrik Mouritsen in den neu eingerichteten Räumen des QuantumBirds-Projektes an der Universität Oldenburg
Der Biologe Henrik Mouritsen leitet das QuantumBirds-Projekt (Frank Grotelüschen/Dlf)
Das "QuantumBirds"-Projekt
Nur: Bewiesen ist die These damit noch nicht. Um sie zu prüfen, hat Mouritsen mit einem Chemie-Team aus Oxford ein Projekt aufgelegt. Der Name: "QuantumBirds".
"Unter anderem haben wir erfolgreich dieses Molekül, das wir in Verdacht haben, in Bakterienkulturen gemacht und isoliert. Und jetzt kann man direkt an diesen Molekülen sehen, was passiert: Wie verhält sich dieses Molekül, wenn man das Magnetfeld ändert und wenn man Licht darauf scheint und so weiter."
Dazu kommen Experimente mit Rotkehlchen. Sie finden in einem besonderen Gebäude statt.
"Dieses Gebäude gibt es nur einmal in der Welt. Und das ist hier."
Die Wände sind mit Aluminium verkleidet, eine Abschirmung gegen elektromagnetische Wellen.
"Sie können also hier nicht ihr Mobiltelefon nutzen zum Beispiel."
Magnetfeld-Manipulationen im Metallgitter
In einem der Räume steht ein Metallgitter, groß wie ein Kinderzimmer. In seinem Inneren lassen sich auf Knopfdruck Magnetfelder produzieren.
"Jetzt kann man spezifisch sehen, wie Vögel im Verhalten auf diese magnetischen Stimuli reagieren. Und wir können sicher sein, dass von außen nicht irgendwas Unkontrollierbares kommt."
Henrik Mouritsen greift nach einem Ding, das aussieht wie ein umgedrehter Lampenschirm:
"Das ist ein Plastiktrichter, wo drin man dieses kratzsensitive Papier entlang der Kante hier legt. Dann kann man einen Schutz draufmachen, dass die Vögel nicht rausfliegen. Dann lässt man die da drin eine Stunde sitzen. Und dann haben sie in der Stunde gezeigt, in welche Richtung sie in dieser Nacht fliegen wollten."
Kratzspuren der Versuchsvögel zeigen bevorzugte Startrichtung
Im Herbst würden die Kratzspuren für gewöhnlich nach Südwesten zeigen, dorthin wollen die Vögel ziehen. Doch im Alugestell lässt sich das Erdmagnetfeld quasi ausschalten und durch ein künstliches ersetzen. Und es gibt kleine Störsender, sie schicken Radiowellen in den Alukäfig. Auf diese Radiowellen kommt es an: Sie sollen den Quantenkompass im Vogelauge direkt beeinflussen.
"Wenn man das Magnetfeld dreht, dreht sich die Stelle, wo die Kratzer sind. Und wenn man Radiofrequenz-Störungen dazugibt, kann es sein, dass es dazu führt, dass die komplett zufällig gekratzt haben, in keine bestimmte Richtung gehüpft sind."
Henrik Mouritsen vom QuantumBirds-Projekt hält einen beschichteten Plastiktrichter in der Hand. 
In dem beschichteten Plastiktrichter lässt sich ablesen, in welche Richtung die Vögel sich orientiert haben (Frank Grotelüschen/Dlf)
Artenschutz mit umprogrammiertem Quantenkompass?
Wenn sich die Rotkehlchen tatsächlich per Quantenkompass orientieren, könnten die Erkenntnisse irgendwann dem Artenschutz nützen. Ein Quantenkompass ließe sich per Radiowellen und künstlichem Magnetfeld so umprogrammieren, dass sie statt ins Verderben zu fliegen eine neue, für sie lebenswerte Region ansteuern, sagt Mouritsen – und hofft auf handfeste Resultate in fünf Jahren:
"Wir sehen Magnetfeld-Effekte, so viel kann ich sagen. Wir hoffen zeigen zu können, dass es einen quantenmechanischen Sinn in der Biologie gibt. Wenn das der Fall ist, wäre das das erste Sinnessystem in der Biologie, wo das notwendig ist."
Lithium-Varianten mit erstaunlichen Unterschieden
"Vor sieben Jahren fing ich an, mich damit zu beschäftigen. Ich wollte wissen, warum Lithium derart effizient ist bei der Behandlung von bipolaren Störungen. Freunde und Familienangehörige von mir leiden an dieser psychischen Erkrankung. Und darum wollte ich soviel wie möglich über Lithium erfahren."
An sich befasst sich Matthew Fisher an der University of California mit Festkörpern und Supraleitern. Doch 2013 beschäftigt ihn eine ganz andere Frage: Macht es einen Unterschied, wenn man psychische Erkrankungen mit zwei verschiedenen Varianten von Lithium behandelt – dem häufigen Lithium-7 und dem seltenen Lithium-6? Lithium-7 besitzt im Atomkern ein Neutron mehr als Lithium-6. Chemisch sollten beide identisch sein. Doch in der 80er Jahren brachten Versuche an Ratten ein überraschendes Ergebnis:
"Die Wirkung der beiden Isotope auf die Ratten war höchst unterschiedlich. Ich wollte wissen warum – sollte es daran liegen, dass die Atomkerne einen unterschiedlichen Spin besitzen? Und das brachte mich dazu, ganz allgemein über die Rolle des Kernspins in der Biologie nachzudenken, nicht bloß bei Lithium."
Kernspin-Auswirkungen im Gehirn?
Atomkerne besitzen einen Spin, eine Art Eigendrall. Bildlich gesprochen können sie sich entweder links oder aber rechts herum drehen – oder auch beides gleichzeitig, eine verrückte Folge der Quantenphysik. Das Interessante: Kernspins sind vergleichsweise stabil und lassen sich nicht so schnell aus dem Takt bringen. Dadurch könnten sie selbst in der unruhigen Umgebung einer Zelle ihre Quanteneigenschaften behalten. Das bringt Matthew Fisher auf eine Idee:
"Stellen wir uns vor, Kernspins sind bei kognitiven Prozessen im Gehirn beteiligt. In einer Art von Quantenprozess. Was ich mich manchmal frage: Sind wir in Wirklichkeit Quantencomputer?"
Qubits im Kopf - das Projekt "QuantumBrain"
Eine abstrus klingende Vorstellung. Dann nämlich hätten wir buchstäblich Qubits im Kopf, die Pendants der Bits in einem gewöhnlichen Rechner. Um der Sache nachzugehen, ruft Fisher ein Projekt namens "Quantum Brain" ins Leben, finanziert durch eine private Stiftung. Das zentrale Problem: Woraus könnten die organischen Qubits bestehen? Mathew Fisher:
"Das kann nur das Phosphoratom sein. Sein Kernspin ist sehr gut abgeschirmt gegenüber der Außenwelt. Und weitere Überlegungen führten dazu, dass es sich um ein Konglomerat aus Kalzium und Phosphor handeln müsste."
Mitochondrien als biologische Quantencomputer?
Einzig in diesen Zusammenballungen aus Kalzium und Phosphat wären die Kernspins so stabil, dass sie als Recheneinheiten fungieren könnten. Nur: Wo genau soll es sie geben? Bei dieser Frage kommt Physiker Fisher zunächst nicht weiter. Bis er Unterstützung aus Deutschland bekommt, von der TU München. Hier hat der Biologe Tobias Fromme einen Artikel zum Thema Quantenbiologie gelesen – und ist hellhörig geworden:
"Dort wurde Matthew Fisher aufgeführt mit seiner Hypothese. Und da stand ein für meinen Geschmack Unsinn darüber, wo dieses Kalziumphosphat, in welchen Nervenzellen, ausgetauscht wird. Da habe ich Matthew Fisher eine E-Mail geschrieben, hab ihm gesagt, ich glaube, ich weiß es besser, nämlich in Mitochondrien. So kam der Kontakt zustande. Und über die Monate ist eine Kooperation draus geworden, sodass ich jetzt Teil des Quantum Brain Projects bin und auch darüber finanziert bin."
Tobias Fromme sitzt im "Quantum Brain"-Labor der TU München vor einem Arbeitstisch, auf dem links das Mikroskop steht
Tobias Fromme im "Quantum Brain"-Labor der TU München (Frank Grotelüschen/Dlf)
Auf der Suche nach verschränkten Phosphor-Atomen
Mitochondrien sind winzige Zellorganellen, die Kraftwerke der Zelle. Hier könnte es Zusammenballungen aus Kalziumphosphat geben, die als Qubits fungieren. Um als winzige Recheneinheiten zu fungieren, müssten sie miteinander verschaltet sein – und zwar über den quantenmechanischen Prozess der Verschränkung, von Albert Einstein einst als spukhafte Fernwirkung verspottet. Nach Anzeichen dieser Verschränkung sucht Tobias Fromme in seinem Labor. Tobias Fromme:
"Mitochondrien teilen sich ständig und verteilen dadurch das Kalziumphosphat auf verschiedene Partikel oder sogar auf verschiedene Zellen. Sodass diese verschränkten Phosphoratome am Ende an unterschiedlichen Stellen im Körper rauskommen können. Und das ist das interessante Phänomen."
Unsichtbarer Taktstock zur Zell-Koordination?
Können zwei Phosphoratome auch dann noch in quantenmechanischer Verbindung stehen, wenn sie auf verschiedene Zellen verteilt wurden? Um das zu klären, markiert Fromme Mitochondrien und Zellen mit unterschiedlichen Farben und beobachtet ihr Verhalten mit einem Mikroskop. Dabei will er die Zellen dazu bringen, Kalzium auszustoßen. Das Kalkül: Sollten die Zellen verschränkt sein, könnten sie sich quasi über einen Geheimkanal absprechen und das Kalzium gleichzeitig abgeben, dirigiert von einem unsichtbaren Taktstock.
"Wenn wir dafür sorgen, dass bestimmte Gruppen von Zellen alle verschränktes Kalziumphosphat enthalten, würde man danach schauen, ob genau diese Gruppe synchroner, also alle nach präzise drei Sekunden feuern, statt verteilt über ein, zwei, drei Sekunden."
Mitochondrien-Mikroskop im Labor des "Quantum Brain"-Projektes an der TU München
Mitochondrien-Mikroskop im Labor des "Quantum Brain"-Projektes (Frank Grotelüschen/Dlf)
Was zumindest ein erstes Indiz dafür wäre, dass an der Sache etwas dran ist. Auf erste Ergebnisse hofft Fromme noch in diesem Jahr.
Bislang übersehener Signalverarbeitungs-Mechanismus?
"Da sagen natürlich viele Kollegen: Bis ihr mir diese Evidenz auf den Tisch legt, ist das alles nur eine Blase. Wir wollen ausdrücklich schauen, ob es heiße Luft ist oder nicht. Denn wenn wir die Evidenz finden, und das mag man so unwahrscheinlich finden, wie man möchte, ist es extrem wichtig. Da würde eine Tür aufgehen für ein komplett neues Forschungsfeld. Man hätte einen Signalverarbeitungs-Mechanismus in unseren Zellen übersehen, der schon immer da war."
Waldbeeren in Schweden
Wie die Quantentheorie die Welt neu erklärt Nachdem Biologen lange dachten, sie könnten die bizarren Gesetze des Mikrokosmos getrost vernachlässigen, reift nun die Einsicht, dass Phänomene aus der Quantenwelt ihnen Antworten auf große offene Fragen liefern könnten. In ihrem Buch "Der Quantenbeat des Lebens" beschreiben Jim Al-Khalili und Johnjoe McFadden diesen Paradigmenwechsel.
Matthew Fisher: "Das ist kein einfacher Weg, den wir eingeschlagen haben. Das Gehirn ist kompliziert, Quantenmechanik ist kompliziert, und wir wissen schlicht nicht, was bei unserem Projekt herauskommt."
Michael Thorwart aus Hamburg: "Matthew Fisher ist ein sehr vorsichtiger Wissenschaftler, sehr seriöser Wissenschaftler. Er geht sehr vorsichtig vor, sehr umsichtig vor. Er bezeichnet seine Konzepte selbst als bestenfalls hochspekulativ. Und es ist interessant, was dabei herauskommt."
Viele offene Fragen - und sehr wackeliges Terrain
Sollte Fisher richtig liegen, dürfte das Fragen aufwerfen: Steuern die Qubits unser Denken? Entstehen Geistesblitze durch Quantenfluktuationen? Und formt sich der freie Wille aus den Zufallsschwankungen einiger Kalziumphosphat-Klümpchen? Spekulationen, von denen Matthew Fisher nichts wissen will:
"Fängt man an zu fragen, wie sich das auf unser Bewusstsein auswirkt, begibt man sich auf wackeliges Terrain. Uns interessiert vielmehr etwas anderes, nämlich welchen Einfluss Quantenprozesse auf die Sinneswahrnehmung haben könnten. Über das Bewusstsein zu sprechen, ist sehr spekulativ."
Und die selbsternannten Quantenheiler? Sollte es die Qubits im Kopf oder sonst wo im Nervensystem tatsächlich geben – wären ihre Methoden mit einem Mal wissenschaftlich belegt? Wohl kaum. Denn wie diese Qubits mit denen anderer Menschen oder mit dem ganzen Kosmos in Verbindung treten sollen, könnte weder Matthew Fisher erklären noch ein anderer seriöser Forscher. Fisher:
"Was Quantenheilung angeht, sind Wissenschaftler sehr skeptisch. Und diese Skepsis überträgt sich bei manchen dann leider auch auf unsere Forschung."