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Die Kunst der Komödie

Der große italienische Dramatiker, Autor und Komödiant Eduardo de Filippo (1900-1984) ist eine der berühmtesten Figuren des italienischen Theaters. In Deutschland wurde er dagegen fast vergessen – bis ihn Roberto Ciulli vom Theater an der Ruhr wieder ausgegraben hat. Dort kamen in geballter Form gleich drei Stücke von Eduardo de Filippo hintereinander zur Aufführung.

Von Dorothea Marcus | 17.12.2007
    Eduardo de Filippo ist nicht nur einer der berühmtesten Altmeister des italienischen Theaters, sondern auch der Begründer des italienischen Neorealismus. Filmregisseure wie Fellini oder Visconti haben von seinem kargen Theater gelernt, dass er einst mit seinen Geschwistern in Neapel gründete und mit selbstgeschriebenen Komödien bestückte. Aber warum sollte man im Jahr 2007 einen Italiener der Nachkriegszeit wiederentdecken? Der Dramaturg Helmut Schäfer:

    "Ich glaube, dass er in der Lage ist, die mafiöse Struktur von Gesellschaften heute zu beschreiben. Auch wenn das nicht unmittelbar politisch ist, sondern komödiantisch aufgelöst gleichzeitig das erzählt, was wir heute ganz selbstverständlich hinnehmen: Betrug, Bestechung, Korruption. Er erzählt weiter über das Theater, dass es nur lebt, wenn der Glaube an Theater vorhanden ist. Die Kunst der Komödie besteht im Leben. Und weil das so ist, muss man an das Theater glauben, weil man da sehen kann, was man im Leben nicht sieht."

    Tatsächlich verschwimmen in Filippos Komödien ständig Theaterfantasie und Wirklichkeit, verstricken sich die Figuren in Gedankengebäude und wissen nicht mehr, wie sie ihnen entfliehen sollen. In "Verrückt" von 1922 verliebt sich der Manager einer erfolglosen Theatergruppe in die Frau eines Grafen. Um einen Skandal zu vermeiden, stellt er sich geisteskrank und vergisst, dass er sich eigentlich in einer Probe seiner eigenen Schauspielkompanie befindet. Oder bildet er sich das auch nur ein?
    Ciulli hat die Wirklichkeitsebenen noch stärker verschoben, als es Filippo angelegt hat. Zum Schluss essen die Schauspieler, die die Schauspieler spielen, Spaghettiberge und sprechen den Liebestext von Manager und Gräfin noch einmal konzeptuell durch - während der Manager einsam und orientierungslos in den Zuschauerraum irrt. Niemand kann entscheiden, was hier Theaterprobe oder Lebensabbild ist.

    Auch in "Gespenster" weiß die Hauptfigur nicht, dass der Geist in seinem Haus in Wirklichkeit der reale Liebhaber seiner Frau ist, der ihn jahrelang als spukender Schatten begleitet hat. Oder will er es einfach nicht wissen? Das Theater wird hier zweideutig als Wirklichkeitsflucht und poetischer Rettungsanker gefeiert. Im berühmtesten Stück, der "Kunst der Komödie" von 1964, weiß auch der Zuschauer bis zum Schluss nicht, ob die Stadtbürger, die sich beim theaterfeindlichen Präfekten vorstellen, vom Theaterdirektor vorbeigeschickte Schauspieler oder wirklich Amtsarzt, Apotheker und Lehrerin sind.

    Provozierende Kargheit herrscht auf Ciullis drei Bühnenbildern: Tische, Stühle, Bänke. Über der Bühne ist eine Leine gespannt, auf der absurde Requisiten vorbeigefahren werden und geisterhaft wieder verschwinden: Vogelkäfige, Schafsmasken, Strumpfhosen, die manchmal zu schwarzen Schatten vor dem Fenster werden. In "Verrückt" ist der einfache Aufbau noch von klapprigen Maschinenkonstruktionen eingerahmt: zuweilen treten die Schauspieler in die Pedale, bis eine Wasserfontäne spritzt oder eine Melodie erklingt.

    Ciullis schafft in seinem Inszenierungsmarathon, Charme und Sinnlichkeit italienischer Filme mit der spröden Melancholie von Tschechow-Dramen zu verbinden - und dabei geradezu anachronistisch reizarm zu bleiben. Und dennoch kann es unversehens passieren, dass man selbst nicht mehr weiß, was Theater und was Leben ist und zu lachen beginnt, während die Lehrerin in der Kunst der Komödie naiv erzählt, wie ihr nichts anderes übrig blieb, als ein Kind in den Abgrund zu werfen. Traurigkeit liegt unter jeder Komik, in jedem Lachen liegt ein Weinen. Und so führt Ciulli das Theater auf seine Ursprünge zurück in einer Zeit, in der es entweder an Kürzungen oder Reizüberflutung leidet. Aber Theaterkrisen gab es auch schon bei Filippo:

    "Gestern abend konnten wir nicht spielen...kein Publikum. Die Theaterkrise...furchtbar... überall dasselbe... Ah, für die Krise des Theaters gibt es nur einen Grund... Mangel an relevanten Texten. Das Publikum interessiert sich nicht für die Texte relevanter Autoren...Gelaber ohne jeden Witz... Stimmen Sie mir zu aus Gefälligkeit oder aus Überzeugung? Aus Gefälligkeit... Lacht."

    Mit geradezu unbeirrbarer Frechheit zeigt Ciulli seine betont einfachen Theatermittel her, mit denen er sich schon seit über 25 Jahren gegen den konventionellen Stadttheaterbetrieb stellt. Während seine Inszenierung in den letzten zwei Jahren allerdings zunehmend düster und müde wirkten, scheinen die alten Filippo-Komödien wie eine Verjüngungskur zu wirken: trotz mancher Längen sind die fünf Stunden Filippo das überzeugende Plädoyer für ein komisches und trotzdem tiefgehendes Theater der Armut, das mit einfachsten Mitteln das Leben in Träume verwandeln kann.