Lange: Über viele Jahre galt Leo Kirch als äußerst gewiefter Taktiker in Geschäftsfragen. Die Leute von ARD und ZDF, die mit ihm über die Sport- und Filmrechte verhandeln mussten, können ein Lied davon singen. Aber jetzt hat ihn offenbar die Fortune verlassen. Der Münchener Medientycoon ist finanziell klamm. Mit fünf bis sechs Milliarden Euro soll er verschuldet sein, und bis zum Herbst sind Zahlungen von etwa 3,4 Milliarden Euro fällig. Er braucht also dringend frisches Geld, aber die Kreditgeber, allen voran die Deutsche Bank, zieren sich jetzt. Da gibt es auch Verträge mit den Medienkonzernen Springer und Murdoch, die für ihn teuer werden könnten. Es wird also eng für Leo Kirch. Wie eng, das wollen wir nun mit Axel Zerdeck besprechen. Er ist Professor für Ökonomie und Kommunikation an der Freien Universität Berlin. Der allgemeine Eindruck, der zur Zeit rüber kommt, ist der, dass Leo Kirch im Moment das Wasser nicht nur bis zum Hals steht, sondern noch etwas höher. Ist das so?
Zerdeck: Die interessante Frage ist: Ist dieser allgemeine Eindruck von Kirch gewollt oder nicht? Denn dieser Eindruck ist ja interessanterweise - im Unterschied zu vielen anderen Situationen, die wir früher hatten - nicht durch Mitteilungen von Dritten, sondern nach überwiegender Auffassung doch von Kirch bzw. Leuten aus dem Kirch-Konzern selbst lanciert, die möglicherweise damit eine bestimmte Strategie verfolgen, nämlich auf diesem Wege, d.h. die Aufmerksamkeit auf ökonomische Probleme dafür zu sorgen, dass möglicherweise bestimmte geschäftliche Aktionen Dritter oder irgendwelcher Partner weniger wahrscheinlich werden. Konkret: Das Problem, das dahinter steht, ist ja nicht die konkrete Höhe der Schulden. Das ist bei Unternehmen normal, dass sie Verbindlichkeiten haben. Diesen Verbindlichkeiten steht genauso normal gegenüber der Wert der Filmrechte, der Fernsehrrechte oder der Unternehmensanteile. Und was sich verschoben hat, ist die Bewertung der Unternehmensteile. Kirch hat relativ teuer in einigen Bereichen eingekauft. Durch die Börsenentwicklung sind einige seiner Unternehmensbeteiligungen weniger Wert geworden. Und jetzt sagen sich die Banken - auch relativ normal -, wir haben mehr Kredite gegeben, als unsere Absicherung möglicherweise entspricht. Und das macht ihn jetzt verwundbar für Strategien von Murdoch, Springer oder auch andere.
Lange: Damit haben Sie die drei Akteure schon genannt, die Leo Kirch gegenüberstehen. Haben sie jetzt eine Art zufällige Interessengemeinschaft gegen Kirch, oder kocht jeder seine eigene Suppe?
Zerdeck: Ich glaube, dass es beides ist. Die jeweils eigene Suppe besteht natürlich darin - wobei man das natürlich nicht moralisch bewerten muss, sondern es ist ein normaler Vorgang innerhalb der Medienwirtschaft -, dass sie ihre eigenen Interessen darin sehen, die Gelegenheit zu nutzen, die jeweils eigenen Unternehmen ökonomisch stärker abzusichern und sich größere Anteile auf die Zukunft damit zu verschaffen. Und umgekehrt, wenn es denn irgendwie geht, Kirch mit den schlechten Risiken sitzen zu lassen. Denn das Gemeinsame an der Strategie derer, die jetzt beteiligt sind, ist, dass sie natürlich die Gelegenheit nutzen, um Kirch möglichst viel von den Dingen sozusagen abzuschnappen oder wegzukaufen, die sie selber für attraktiv halten, und umgekehrt Kirch möglichst auf denjenigen Rechten sitzen zu lassen, die für andere weniger attraktiv erscheinen. Das ist der Grund, warum die Springer-Beteiligung oder auch die Formel 1-Rechte von den Partnern oder anderen jetzt gerne übernommen würden. Und es ist interessant, dass Kirch zwar generell ein Interesse daran hat, dass seine Schwierigkeiten insgesamt gelöst werden, aber genau umgekehrte Interessen über den konkreten Vorgang hat, d.h. Kirch will natürlich möglichst die guten Teile behalten, oder wenn schon, dann zu besonders guten Preisen abgeben und nicht auf den schlechten Risiken sitzen bleiben.
Lange: Aber ein Interesse, den Leo Kirch in den Ruin zu treiben, hat im Grunde keiner?
Zerdeck: Das ist die interessanteste Geschichte. Das scheint funktioniert zu haben, und zwar als Strategie von Kirch selbst. Was ich dabei übrigens vernünftig und schön finde, es gab lange Zeit - man kann sogar ziemlich konkret sagen, bis vor einem halben Jahr, als das Ganze losging - eine relativ klare Position, dass Kirch das relativ unbeliebteste Medienunternehmen innerhalb Deutschlands war, jedenfalls wenn man außerhalb von Bayern schaute, und wenn man sich die überwiegenden Teile der Medienunternehmen außerhalb von Kirch anschaute. Die Strategie ist zumindest insoweit aufgegangen, als jetzt viele genau überlegen, was die Alternative wäre und deswegen sagen, lieber Kirch, der überlebt, wenn auch eingeschränkt, als Murdoch, der anstelle von Kirch die Geschicke der bisherigen Unternehmen, die Kirch gehören, auf eine andere Weise, vielleicht mit größerem Nachdruck und weniger Blick auf das, was man deutsche Interessen nennt, verfolgen würde.
Lange: Nun wird ja eine nationale Lösung beschworen, um gerade diesen britisch-australischen Medientycoon, Robert Murdoch, fernzuhalten. Was wäre denn so schlimm daran, wenn Murdoch hierzulande über Kirch noch stärker Fuß fassen könnte?
Zerdeck: Das ist ein interessanter Punkt. Es gibt mehrere Ebenen, die unterschiedlich starkes Gewicht dabei haben. Zunächst kann man als normaler, globalisierungsorientierter Mensch sagen, Deutschland ist ein Exportland, das davon abhängig ist, dass auch andere ausländische Unternehmen in Deutschland investieren, also im Prinzip ist überhaupt nichts schlimm dabei. Aber interessanterweise werden auch in anderen Ländern Medien als besonders sensibel betrachtet, und ich glaube, dass es sich lohnt, drei Ebenen dabei zu unterscheiden: Die erste Ebene besteht darin, dass man generell ausländischen Unternehmen eher unterstellt, dass sie sich auf eine andere, möglicherweise schädlichere Weise in die jeweils eigene nationale Politik einmischen - das ist übrigens der Grund, warum in den USA Murdoch erst einsteigen konnte, nachdem er einen amerikanischen Pass hatte. So lange er noch Australier bzw. Bürger des Britischen Commonwealth war, durfte er in den USA die Medienunternehmen nicht übernehmen, das heißt es ist eine Regelung, die dort stärker verankert ist. Die zweite Ebene: Menschen, die außerhalb der jeweiligen Community leben, verhalten sich normalerweise so, dass sie weniger Bindung an die entsprechende, in diesem Fall deutsche Fernseh- oder - wenn wir an Springer denken - Lesergemeinschaft haben. Das macht die Leute vor Ort etwas misstrauisch. Die dritte Ebene ist die spannendste. Natürlich sind all diejenigen, die glauben, dass sie an der Rettung von Kirch beitragen können, zum Beispiel die Parteien, möglicherweise in der Annahme, dass sie dadurch mit einer freundlichen Behandlung in der zukünftigen journalistischen Aktivität vom Kirch-Unternehmen rechnen können.
Lange: Vielen Dank für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio
Zerdeck: Die interessante Frage ist: Ist dieser allgemeine Eindruck von Kirch gewollt oder nicht? Denn dieser Eindruck ist ja interessanterweise - im Unterschied zu vielen anderen Situationen, die wir früher hatten - nicht durch Mitteilungen von Dritten, sondern nach überwiegender Auffassung doch von Kirch bzw. Leuten aus dem Kirch-Konzern selbst lanciert, die möglicherweise damit eine bestimmte Strategie verfolgen, nämlich auf diesem Wege, d.h. die Aufmerksamkeit auf ökonomische Probleme dafür zu sorgen, dass möglicherweise bestimmte geschäftliche Aktionen Dritter oder irgendwelcher Partner weniger wahrscheinlich werden. Konkret: Das Problem, das dahinter steht, ist ja nicht die konkrete Höhe der Schulden. Das ist bei Unternehmen normal, dass sie Verbindlichkeiten haben. Diesen Verbindlichkeiten steht genauso normal gegenüber der Wert der Filmrechte, der Fernsehrrechte oder der Unternehmensanteile. Und was sich verschoben hat, ist die Bewertung der Unternehmensteile. Kirch hat relativ teuer in einigen Bereichen eingekauft. Durch die Börsenentwicklung sind einige seiner Unternehmensbeteiligungen weniger Wert geworden. Und jetzt sagen sich die Banken - auch relativ normal -, wir haben mehr Kredite gegeben, als unsere Absicherung möglicherweise entspricht. Und das macht ihn jetzt verwundbar für Strategien von Murdoch, Springer oder auch andere.
Lange: Damit haben Sie die drei Akteure schon genannt, die Leo Kirch gegenüberstehen. Haben sie jetzt eine Art zufällige Interessengemeinschaft gegen Kirch, oder kocht jeder seine eigene Suppe?
Zerdeck: Ich glaube, dass es beides ist. Die jeweils eigene Suppe besteht natürlich darin - wobei man das natürlich nicht moralisch bewerten muss, sondern es ist ein normaler Vorgang innerhalb der Medienwirtschaft -, dass sie ihre eigenen Interessen darin sehen, die Gelegenheit zu nutzen, die jeweils eigenen Unternehmen ökonomisch stärker abzusichern und sich größere Anteile auf die Zukunft damit zu verschaffen. Und umgekehrt, wenn es denn irgendwie geht, Kirch mit den schlechten Risiken sitzen zu lassen. Denn das Gemeinsame an der Strategie derer, die jetzt beteiligt sind, ist, dass sie natürlich die Gelegenheit nutzen, um Kirch möglichst viel von den Dingen sozusagen abzuschnappen oder wegzukaufen, die sie selber für attraktiv halten, und umgekehrt Kirch möglichst auf denjenigen Rechten sitzen zu lassen, die für andere weniger attraktiv erscheinen. Das ist der Grund, warum die Springer-Beteiligung oder auch die Formel 1-Rechte von den Partnern oder anderen jetzt gerne übernommen würden. Und es ist interessant, dass Kirch zwar generell ein Interesse daran hat, dass seine Schwierigkeiten insgesamt gelöst werden, aber genau umgekehrte Interessen über den konkreten Vorgang hat, d.h. Kirch will natürlich möglichst die guten Teile behalten, oder wenn schon, dann zu besonders guten Preisen abgeben und nicht auf den schlechten Risiken sitzen bleiben.
Lange: Aber ein Interesse, den Leo Kirch in den Ruin zu treiben, hat im Grunde keiner?
Zerdeck: Das ist die interessanteste Geschichte. Das scheint funktioniert zu haben, und zwar als Strategie von Kirch selbst. Was ich dabei übrigens vernünftig und schön finde, es gab lange Zeit - man kann sogar ziemlich konkret sagen, bis vor einem halben Jahr, als das Ganze losging - eine relativ klare Position, dass Kirch das relativ unbeliebteste Medienunternehmen innerhalb Deutschlands war, jedenfalls wenn man außerhalb von Bayern schaute, und wenn man sich die überwiegenden Teile der Medienunternehmen außerhalb von Kirch anschaute. Die Strategie ist zumindest insoweit aufgegangen, als jetzt viele genau überlegen, was die Alternative wäre und deswegen sagen, lieber Kirch, der überlebt, wenn auch eingeschränkt, als Murdoch, der anstelle von Kirch die Geschicke der bisherigen Unternehmen, die Kirch gehören, auf eine andere Weise, vielleicht mit größerem Nachdruck und weniger Blick auf das, was man deutsche Interessen nennt, verfolgen würde.
Lange: Nun wird ja eine nationale Lösung beschworen, um gerade diesen britisch-australischen Medientycoon, Robert Murdoch, fernzuhalten. Was wäre denn so schlimm daran, wenn Murdoch hierzulande über Kirch noch stärker Fuß fassen könnte?
Zerdeck: Das ist ein interessanter Punkt. Es gibt mehrere Ebenen, die unterschiedlich starkes Gewicht dabei haben. Zunächst kann man als normaler, globalisierungsorientierter Mensch sagen, Deutschland ist ein Exportland, das davon abhängig ist, dass auch andere ausländische Unternehmen in Deutschland investieren, also im Prinzip ist überhaupt nichts schlimm dabei. Aber interessanterweise werden auch in anderen Ländern Medien als besonders sensibel betrachtet, und ich glaube, dass es sich lohnt, drei Ebenen dabei zu unterscheiden: Die erste Ebene besteht darin, dass man generell ausländischen Unternehmen eher unterstellt, dass sie sich auf eine andere, möglicherweise schädlichere Weise in die jeweils eigene nationale Politik einmischen - das ist übrigens der Grund, warum in den USA Murdoch erst einsteigen konnte, nachdem er einen amerikanischen Pass hatte. So lange er noch Australier bzw. Bürger des Britischen Commonwealth war, durfte er in den USA die Medienunternehmen nicht übernehmen, das heißt es ist eine Regelung, die dort stärker verankert ist. Die zweite Ebene: Menschen, die außerhalb der jeweiligen Community leben, verhalten sich normalerweise so, dass sie weniger Bindung an die entsprechende, in diesem Fall deutsche Fernseh- oder - wenn wir an Springer denken - Lesergemeinschaft haben. Das macht die Leute vor Ort etwas misstrauisch. Die dritte Ebene ist die spannendste. Natürlich sind all diejenigen, die glauben, dass sie an der Rettung von Kirch beitragen können, zum Beispiel die Parteien, möglicherweise in der Annahme, dass sie dadurch mit einer freundlichen Behandlung in der zukünftigen journalistischen Aktivität vom Kirch-Unternehmen rechnen können.
Lange: Vielen Dank für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio