Durak: An der Universität von Birzeit lehrt Professorin Helga Baumgarten, und sie lebt in Ostjerusalem, das nicht weit entfernt ist. Frau Baumgarten, was haben Sie denn von den Vorgängen in Birzeit heute erfahren können?
Baumgarten: Wir haben heute morgen zunächst über die Presse, dann über Telefonanrufe von Kollegen und Studenten erfahren, dass die Armee nun in die Stadt Birzeit einmarschiert ist. Die Stadt ist unter Ausgangssperre, und die Armee geht von Haus zu Haus, macht Hausdurchsuchungen, führt Verhaftungen durch, und ich habe mit einigen Leuten gesprochen, die in Birzeit sind und darauf warten, bis die Armee kommt. Alle haben natürlich Angst, dass in Birzeit ähnliche Zerstörungen durchgeführt werden, wie die Armee das schon in Ramallah gemacht hat. Man muss nun einfach abwarten, wie sich die Situation entwickeln wird. Die Universität, die außerhalb der Stadt Birzeit liegt, ist bisher noch nicht von der Armee betreten worden. Nach Auskunft der Wächter der Universität am Haupteingangstor sei eine Armeepatrouille gekommen und habe ihnen gesagt, ihr seid etwas später dran. Wir warten also noch auf das, was auf die Universität in Birzeit noch zukommen wird.
Durak: Wie muss man sich diese Stadt vorstellen? Sie sagen, die Universität liegt etwas außerhalb. Ist das eine echte Studentenstadt unter normalen Verhältnissen? Eine Art Campus?
Baumgarten: Nun, die Universität selbst ist ein regelrechter Campus, ähnlich wie die Modelle in den USA. Sie liegt, wie gesagt, etwa 2 km außerhalb der Stadt Birzeit. In der Stadt Birzeit, die eher einem deutschen Dorf entspricht, war - historisch gesehen - die Universität mit ihren historischen Gebäuden gelegen. Im Laufe der ersten Intifada, nachdem die Universität jahrelang geschlossen war, wurde von der israelischen Besatzung damals nur eine Öffnung der Universität unter der Bedingung erlaubt, dass alle Institute in den neuen Campus verlegt werden. Seit der Wiedereröffnung der Universität 1992 läuft der Lehrbetrieb ausschließlich auf diesem Campus ab. In der Stadt Birzeit wohnen jedoch eine ganze Reihe von Professoren und Professorinnen, und dort wohnen vor allem auch sehr viele Studenten.
Durak: Inwieweit haben denn die Vorgänge der letzten Wochen und Monate die Diskussion unter Studenten und den Lehrkräften bestimmt?
Baumgarten: Nun, ich denke, es herrscht hier eine weitgehende Übereinstimmung zwischen Studenten und Lehrkörper, dass wir eine Situation erreicht haben, wo eine Beendigung der israelischen Besatzung, die immerhin schon 35 Jahre andauert, die einzige Möglichkeit ist, der Lösung eines Konfliktes nahe zu kommen. Und die Katastrophe, die sich vor unseren Augen jetzt abspielt, ist dass wir eine israelische Regierung haben, nämlich die Regierung unter Scharon, die alles Andere als bereit ist, diese widerrechtliche Besatzung, die sämtliche international bestehende Verträge ständig verletzt, zu beenden. Das ist die eigentliche Tragödie, und die furchtbaren Entwicklungen in den letzten Tagen und Wochen zeigen eben, dass Scharon bereit ist, die enorme Macht der israelischen Armee brutal gegen eine gesamte Zivilbevölkerung einzusetzen, angeblich um gegen eine Terrorinfrastruktur vorzugehen. In Wirklichkeit aber, wie z.B. das Bild in Ramallah zeigt, wird die gesamte staatliche Infrastruktur vernichtet. Es sind vor allem Nichtregierungsorganisationen, nicht zuletzt auch Menschenrechtsorganisationen brutal angegriffen worden. Man hat Computereinrichtungen zerstört, Disketten zerschlagen, Festplatten mitgenommen. Das ganze Land bietet eigentlich ein Bild der Zerstörung. Die Bevölkerung lebt in einer Situation, die wahrscheinlich nicht mehr lange aufrecht zu erhalten ist. Es geht langsam mit den Nahrungsmitteln zu Ende. Keiner kann arbeiten. Das ganze Land ist zum Stillstand gekommen, und die rein physischen Zerstörungen kann man zum Teil ja am Fernsehen miterleben. Die Altstadt in Nablos sieht aus wie deutsche Städte nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Flüchtlingslager in Dschenin sind nicht zu beschreiben, und wir haben noch nicht einmal die letzten Bilder, da bis dato die internationale Presse nicht zugelassen ist und z.B. Dschenin noch nicht beschreiben kann.
Durak: Zurück zur Universität. Wie ist denn ein Lehrbetrieb unter solchen Umständen überhaupt möglich?
Baumgarten: Nun, der Lehrbetrieb in Birzeit ist am Tag vor der israelischen Wiederbesetzung der palästinensischen Gebiete zu Ende gegangen. Ich war noch am Donnerstag, den 29. März in der Universität. Wir bekamen dann die ersten Meldungen, dass internationale Organisationen Ramallah verlassen sollten. In der Universität ist relativ schnell eine Panik ausgebrochen. Alle hatten Angst, dass die israelische Armee angreifen würde. Nachmittags hatte ich noch ein Magisterseminar in Ramallah mit sehr wenigen Studenten, die es noch wagten zu kommen. Dann kam ein Anruf eines europäischen Vertretungsbüros, die mir sagten, wenn ich noch aus Ramallah raus wollte, müsste ich sofort kommen, das sei die letzte Möglichkeit. Eine Verbindung zwischen Ramallah und Jerusalem gibt es seither nicht. Der Lehrbetrieb ist also seit dieser Zeit nicht mehr im Gange, und das betrifft sämtliche Universitäten und auch alle Schulen in der Westbank.
Durak: Vielen Dank für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio
Baumgarten: Wir haben heute morgen zunächst über die Presse, dann über Telefonanrufe von Kollegen und Studenten erfahren, dass die Armee nun in die Stadt Birzeit einmarschiert ist. Die Stadt ist unter Ausgangssperre, und die Armee geht von Haus zu Haus, macht Hausdurchsuchungen, führt Verhaftungen durch, und ich habe mit einigen Leuten gesprochen, die in Birzeit sind und darauf warten, bis die Armee kommt. Alle haben natürlich Angst, dass in Birzeit ähnliche Zerstörungen durchgeführt werden, wie die Armee das schon in Ramallah gemacht hat. Man muss nun einfach abwarten, wie sich die Situation entwickeln wird. Die Universität, die außerhalb der Stadt Birzeit liegt, ist bisher noch nicht von der Armee betreten worden. Nach Auskunft der Wächter der Universität am Haupteingangstor sei eine Armeepatrouille gekommen und habe ihnen gesagt, ihr seid etwas später dran. Wir warten also noch auf das, was auf die Universität in Birzeit noch zukommen wird.
Durak: Wie muss man sich diese Stadt vorstellen? Sie sagen, die Universität liegt etwas außerhalb. Ist das eine echte Studentenstadt unter normalen Verhältnissen? Eine Art Campus?
Baumgarten: Nun, die Universität selbst ist ein regelrechter Campus, ähnlich wie die Modelle in den USA. Sie liegt, wie gesagt, etwa 2 km außerhalb der Stadt Birzeit. In der Stadt Birzeit, die eher einem deutschen Dorf entspricht, war - historisch gesehen - die Universität mit ihren historischen Gebäuden gelegen. Im Laufe der ersten Intifada, nachdem die Universität jahrelang geschlossen war, wurde von der israelischen Besatzung damals nur eine Öffnung der Universität unter der Bedingung erlaubt, dass alle Institute in den neuen Campus verlegt werden. Seit der Wiedereröffnung der Universität 1992 läuft der Lehrbetrieb ausschließlich auf diesem Campus ab. In der Stadt Birzeit wohnen jedoch eine ganze Reihe von Professoren und Professorinnen, und dort wohnen vor allem auch sehr viele Studenten.
Durak: Inwieweit haben denn die Vorgänge der letzten Wochen und Monate die Diskussion unter Studenten und den Lehrkräften bestimmt?
Baumgarten: Nun, ich denke, es herrscht hier eine weitgehende Übereinstimmung zwischen Studenten und Lehrkörper, dass wir eine Situation erreicht haben, wo eine Beendigung der israelischen Besatzung, die immerhin schon 35 Jahre andauert, die einzige Möglichkeit ist, der Lösung eines Konfliktes nahe zu kommen. Und die Katastrophe, die sich vor unseren Augen jetzt abspielt, ist dass wir eine israelische Regierung haben, nämlich die Regierung unter Scharon, die alles Andere als bereit ist, diese widerrechtliche Besatzung, die sämtliche international bestehende Verträge ständig verletzt, zu beenden. Das ist die eigentliche Tragödie, und die furchtbaren Entwicklungen in den letzten Tagen und Wochen zeigen eben, dass Scharon bereit ist, die enorme Macht der israelischen Armee brutal gegen eine gesamte Zivilbevölkerung einzusetzen, angeblich um gegen eine Terrorinfrastruktur vorzugehen. In Wirklichkeit aber, wie z.B. das Bild in Ramallah zeigt, wird die gesamte staatliche Infrastruktur vernichtet. Es sind vor allem Nichtregierungsorganisationen, nicht zuletzt auch Menschenrechtsorganisationen brutal angegriffen worden. Man hat Computereinrichtungen zerstört, Disketten zerschlagen, Festplatten mitgenommen. Das ganze Land bietet eigentlich ein Bild der Zerstörung. Die Bevölkerung lebt in einer Situation, die wahrscheinlich nicht mehr lange aufrecht zu erhalten ist. Es geht langsam mit den Nahrungsmitteln zu Ende. Keiner kann arbeiten. Das ganze Land ist zum Stillstand gekommen, und die rein physischen Zerstörungen kann man zum Teil ja am Fernsehen miterleben. Die Altstadt in Nablos sieht aus wie deutsche Städte nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Flüchtlingslager in Dschenin sind nicht zu beschreiben, und wir haben noch nicht einmal die letzten Bilder, da bis dato die internationale Presse nicht zugelassen ist und z.B. Dschenin noch nicht beschreiben kann.
Durak: Zurück zur Universität. Wie ist denn ein Lehrbetrieb unter solchen Umständen überhaupt möglich?
Baumgarten: Nun, der Lehrbetrieb in Birzeit ist am Tag vor der israelischen Wiederbesetzung der palästinensischen Gebiete zu Ende gegangen. Ich war noch am Donnerstag, den 29. März in der Universität. Wir bekamen dann die ersten Meldungen, dass internationale Organisationen Ramallah verlassen sollten. In der Universität ist relativ schnell eine Panik ausgebrochen. Alle hatten Angst, dass die israelische Armee angreifen würde. Nachmittags hatte ich noch ein Magisterseminar in Ramallah mit sehr wenigen Studenten, die es noch wagten zu kommen. Dann kam ein Anruf eines europäischen Vertretungsbüros, die mir sagten, wenn ich noch aus Ramallah raus wollte, müsste ich sofort kommen, das sei die letzte Möglichkeit. Eine Verbindung zwischen Ramallah und Jerusalem gibt es seither nicht. Der Lehrbetrieb ist also seit dieser Zeit nicht mehr im Gange, und das betrifft sämtliche Universitäten und auch alle Schulen in der Westbank.
Durak: Vielen Dank für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio