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"Die Leute denken alle an Neuwahlen"

Illegale Abhörmanöver, windige Geschäfte: Luxemburgs Geheimdienst steht in der Kritik und mit ihm Regierungschef Juncker. Wegen Untätigkeit droht ihm gar das politisch Aus. Marc Thill von der Tageszeitung "Luxemburger Wort" glaubt dennoch, Juncker werde die Affäre überstehen.

Marc Thill im Gespräch mit Peter Kapern | 10.07.2013
    Peter Kapern: Manchmal sind es die Regierungschefs ganz kleiner Länder, die sich durch ihre Arbeit besonders großes Ansehen verschaffen, zum Beispiel Jean-Claude Juncker, der Ministerpräsident Luxemburgs. Seit 18 Jahren regiert er das Großherzogtum und seit vielen Jahren gehört er zu den wichtigsten Europapolitikern. Jetzt könnte die Ära Juncker zu Ende gehen wegen einer Geheimdienstaffäre. Heute debattiert das Luxemburger Parlament darüber, und es wird tatsächlich für möglich gehalten, dass Juncker seinen Rücktritt erklärt – nach 18 Jahren. Das beinahe Unfassbare erklären soll uns nun Marc Thill, der Chef vom Dienst der Tageszeitung "Luxemburger Wort". Guten Morgen, Herr Thill!

    Marc Thill: Guten Morgen!

    Kapern: Herr Thill, Jean-Claude Juncker könnte über eine Geheimdienstaffäre stolpern. Lässt sich den Hörern außerhalb Luxemburgs kurz und bündig erklären, worum es bei dieser Affäre geht und ging?

    Thill: Ja. Es geht um eine Affäre, die eigentlich schon fünf Jahre zurückliegt, wo seit fünf Jahren im Geheimdienst Unregelmäßigkeiten passiert sind. Es gab auch Karteien von Personen, Listen mit Personen, die älter als 20, 30 Jahre sind, wo Observierungen stattgefunden haben, die nicht vernichtet wurden. Es gab Handel mit Autos innerhalb dieses Geheimdienstes, es gab auch Sachen, die sie gemacht haben, die eigentlich nicht ihre Aufgabe waren. Das heißt, sie haben ins juristische Milieu reingearbeitet, wo die Justiz hätte arbeiten müssen und nicht sie. Es gab dann ja auch diese Bommeleeer-Affäre. Wie Sie wissen, handelt es sich dabei um eine Attentatserie, die nie gelöst wurde und wo auch sie irgendwie immer wieder mitgearbeitet haben, um dort Leute zu entlasten oder zu belasten. Und insofern – es gab eigentlich Unregelmäßigkeiten.

    Kapern: Der Geheimdienst soll ja sogar Gespräche mit dem Ministerpräsidenten aufgezeichnet haben. Was genau wird denn Jean-Claude Juncker jetzt eigentlich vorgeworfen? Was soll er da falsch gemacht haben?

    Thill: Ich denke, man wirft ihm eigentlich vor, dass er die Kontrolle über den Geheimdienst nicht hatte, dass der Geheimdienst sein Eigenleben führte, und das ist für einen Staat ja eigentlich sehr gefährlich.

    Kapern: Nun hat es einen Untersuchungsausschuss gegeben im Luxemburger Parlament. Der hat einen Bericht vorgelegt, und in diesem Bericht wird Jean-Claude Juncker die Verantwortung für das Aus-dem-Ruder-laufen des Geheimdienstes gegeben, und sogar der Koalitionspartner von Jean-Claude Junckers Christlich-Sozialer Volkspartei, die Sozialdemokraten, haben diesem Bericht des Untersuchungsausschusses zugestimmt. Das müsste doch nach Adam Riese eigentlich das sofortige Ende einer Koalition mit sich bringen?

    Thill: Ja. Ich denke, da haben Sie recht. Es ist so, dass wir heute in der Zeitung ein Interview haben mit dem Präsidenten der Koalitionspartei, also der Sozialistischen Partei, und der sagt auch, dass er eine starke Geste, ein "mea culpa" von Juncker heute im Parlament erwartet und dass sie von dieser Geste Junckers abhängig machen, wie sie sich nach eventuellen Neuwahlen dann verhalten werden im Zuge einer neuen Regierungsbildung.

    Kapern: Das heißt, Sie halten es noch nicht für ausgemacht, dass Jean-Claude Juncker heute seinen Rücktritt erklärt?

    Thill: Schwer zu sagen. Ich denke, er hat sich zwei Stunden Redezeit gefragt im Parlament. Er wird zu dem Bericht, der heute dann vorgetragen wird und über den auch abgestimmt wird, schon seine Meinung dazu sagen. Was dann danach passiert, ob er dann selbst die Initiative ergreift, oder ob er es zur Abstimmung kommen lässt, das ist eigentlich schwer abzuschätzen.

    Kapern: Sie haben eben den Begriff Neuwahlen benutzt. Ist das das wahrscheinlichste Szenario, dass es in Luxemburg bald Neuwahlen gibt?

    Thill: Ja. Die Leute denken alle an Neuwahlen. Auch in den politischen Kulissen natürlich wird von Neuwahlen geredet. Es wird manchmal der Begriff benutzt "Neubeginn" – Neubeginn jetzt sofort oder Neubeginn nach Neuwahlen im Oktober kann das bedeuten. Aber in einer Umfrage, die vor anderthalb Wochen gemacht wurde, waren trotzdem nicht alle dieser Meinung. Das heißt, da waren trotzdem 54 Prozent der Befragten gegen Neuwahlen und auch 63 Prozent der Befragten gegen einen Rücktritt des Premierministers.

    Kapern: Sollte er sehr wohl zurücktreten, Jean-Claude Juncker, heute oder sollte ihm vom Parlament kein Vertrauen ausgesprochen werden, wäre das ihrer Meinung nach das Ende seiner politischen Karriere?

    Thill: Nein, das denke ich nicht. Ich denke, dass er wiederkehren wird und dass er sich einer Neuwahl auch stellen wird. Das hat sein Parteipräsident ja auch schon gesagt. Es wurden ja schon Personen genannt, unter anderem die EU-Kommissarin Viviane Reding als mögliche Nachfolgerin. Aber ich denke, er wird noch mal den Wahlkampf aufnehmen, und ich denke auch, dass er bei weitem noch mehr Zuspruch - nicht mehr Zuspruch als vorher vielleicht, aber noch viel Zuspruch in der Bevölkerung hat.

    Kapern: Das heißt, es ist wahrscheinlich, dass der neue Ministerpräsident in Luxemburg nach Neuwahlen dann genauso heißt wie der alte?

    Thill: Das ist nicht auszuschließen.

    Kapern: Marc Thill war das, der Chef vom Dienst der Luxemburger Zeitung "Luxemburger Wort". Herr Thill, vielen Dank für die Auskünfte. Danke, dass Sie uns die Geschehnisse in Luxemburg erklärt haben.

    Thill: Ja, vielen Dank auch.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.