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"Die Leute hatten Insiderinformationen"

Der zyprische Parlamentsabgeordnete Christos Messis glaubt, dass Freunde und Verwandte von Regierungsvertretern ihr Geld aus Zypern gebracht haben, bevor mit der Troika die Zwangsabgabe beschlossen wurde. Zu Spekulationen über einen Euroaustritt des Landes sagt er: "Wir schließen das nicht aus."

Christos Messis im Gespräch mit Silvia Engels | 03.04.2013
    Silvia Engels: Am Telefon begrüße ich Christos Messis, er sitzt für die kommunistische Partei im Parlament von Zypern. Bis Mai 2011 stellte seine Partei die Regierung in Nikosia, seither ist sie in der Opposition. Die konservativen Parteien stellen derzeit die Mehrheit im Parlament, auch Präsident Nikos Anastasiades gehört dem konservativen Lager an. Guten Morgen, Herr Messis.

    Christos Messis: Guten Morgen! Viele Grüße nach Deutschland!

    Engels: Sehr gerne! Grüße zurück! – Seit vergangenem Donnerstag haben ja bei Ihnen die Banken wieder geöffnet. Wie nehmen Sie denn derzeit die Stimmung wahr?

    Messis: Ja! Lassen Sie mich erst mal sagen, dass meine Partei AKEL, die Fraktion, keine kommunistische Fraktion ist. Sie ist als kommunistische Partei mit beteiligt als Mehrheit, aber es ist eine breitere Fraktion, in die auch andere politische Kräfte außerhalb der kommunistischen Partei mit einwirken.

    Engels: Gut! Dann steigen wir direkt vielleicht damit ein. Wie stehen Sie denn zu dem Reformprogramm?

    Messis: Wie bekannt, sind wir mit dem ganzen Rettungspaket überhaupt nicht einverstanden. Wir haben von Anfang an nach dem 15. März, nach der letzten Eurogruppe, darauf hingewiesen und gesagt, dass wir uns von dieser Abmachung mit der Troika zurückziehen müssen und einen anderen Weg suchen.

    Engels: Gestern ist ja nun der Finanzminister zurückgetreten. Das war einer der maßgeblich Verantwortlichen, die diese Vereinbarung mit der EU ausgehandelt haben. Sehen Sie damit also den Anfang vom Ende, dass sich Zypern noch an dieses Reform-Rettungspaket hält?

    Messis: Das kann ich im Moment nicht sagen. Die Situation ist so hier auf Zypern: Im Moment gelten die Beschränkungen für den Kapitalverkehr der Banken durch die Zentralbank noch. Das sind sehr viele Einschränkungen, auch mit Bargeld, was man überhaupt von den Banken abheben kann. Nicht über 300 Euro kann man aus der Bank nehmen. Die meisten Geschäfte haben ihre Angestellten nicht bezahlt deswegen. Es ist ein wenig chaotisch. Aber auf der anderen Seite benimmt sich das Volk sehr diszipliniert. Der Schock ist noch dabei. Das sage ich, weil ich will Ihnen die Atmosphäre bringen, und in dieser Atmosphäre ist auch der Finanzminister zurückgetreten. Es ist nicht klar, warum er das getan hat. Ich meine damit, mittlerweile hat er offiziell gesagt, dass es sein kann, dass sein Name in den Untersuchungsgremien und Komitees kommen wird, weil er war der Vorsitzende der Laiki-Bank, die Bank, die schon geschlossen ist. Er war der Vorsitzende in dieser Zeit, in der all diese Probleme mit der Laiki-Bank gekommen sind. Auf der anderen Seite, wie Sie auch sehr richtig gesagt haben: Er war der Minister, der mit der Eurogruppe die Verhandlungen geführt hat. Nun ist es also ein bisschen schwierig zu wissen, ob da was ist und warum er genau zurückgetreten ist.

    Engels: Am Wochenende hatten ja nun auch Medien berichtet, dass vor den Beschlüssen zur Bankensanierung trotz der geschlossenen Banken Gelder von insgesamt 700 Millionen Euro von Unternehmen ins Ausland geflossen seien, auch Politiker werden zum Teil mit in die Verantwortung dafür genommen, das ist noch nicht bewiesen. Welche Erkenntnisse haben Sie denn über diesen Zusammenhang?

    Messis: Ich möchte das vielleicht etwas richtiger ausdrücken. Es sind zwei Sachen. Das eine: Es wurde eine Liste herausgegeben von Leuten und damit auch Politikern, die ihren Schulden verschrieben waren. Auf der anderen Seite war eine andere Liste, ist eine andere Liste, etwas größer. Darauf sind verschiedene Firmen, die Geld in den letzten Tagen vor der Abmachung, vor den Verhandlungen am 15. März in der Eurogruppe, aus dem Land herausgebracht haben. Und das ist natürlich eine Sache, wo man sich denken kann, dass jemand Insiderinformationen von innerhalb der Regierung hat. Das Problem dabei ist: Eine von diesen Firmen ist die Firma von dem Vater des Schwiegersohnes des Präsidenten. Das ist natürlich eine nicht so glückliche Sache. Es waren aber wie gesagt keine Politiker daran beteiligt, dass die diese Gelder aus dem Land rausgenommen haben.

    Engels: Aber Sie halten es für bewiesen, dass dieses Geld tatsächlich abgeflossen ist. Wie kann das denn sein, wenn doch eigentlich die Banken geschlossen waren?

    Messis: Ja, da haben Sie recht. Alles beides ist passiert. Da sind Schulden, die man abgeschrieben hat, und die Frage stellt sich, warum schreibt jemand denn die Schulden ab. Und auf der anderen Seite waren diese 700 Millionen, ob noch etwas mehr oder etwas weniger, das kann man nicht sagen im Moment, aber das ist eine Tatsache. Die Leute hatten Insiderinformationen, die Leute hatten Informationen, die dann dazu geführt haben, dieses Geld herauszunehmen. Es gibt natürlich auf der anderen Seite auch noch Leute, die ihre normalen Geschäfte gehabt haben, und deswegen haben sie dieses Geld vielleicht benutzt. Das werden wir bald wissen, denke ich, da gibt es schon ein Untersuchungskomitee aus sehr, sehr guten Richtern. Auf der anderen Seite hat die Staatsanwaltschaft alle diese Informationen und es ist auch auf dem Weg, das Ganze zu untersuchen. Und das Dritte, was hier noch untersucht wird, das ist die Firma Alvarez & Marsal, die in der Zentralbank und an den Banken eine Untersuchung gemacht haben. Die ist zu Ende, die hat man gestern, glaube ich, gestern oder vorgestern an den Staatsanwalt gegeben: Was ist in diesem letzten Jahr passiert, warum wir in der Situation sind, in der wir heute sind. Ich meine damit die Bankenprobleme, die wir haben.

    Engels: Dann der letzte Ausblick von Ihnen vielleicht. Sie haben selber gesagt, Sie sind nicht mit dem Kurs der Regierung einverstanden. Rechnen Sie damit, dass die Regierung Ihren Forderungen nachkommt, oder ob dieser Kurs durchgehalten wird?

    Messis: Es ist noch zu früh, das zu beantworten. Es ist ungefähr so: Wir sind jetzt schon in einem öffentlichen Dialog miteinander in den politischen Parteien. Wir sind die zweitgrößte Partei natürlich, deswegen haben wir auch diese Rolle übernommen. Wir wollen durch diesen Dialog zu einem Ergebnis kommen, wo natürlich dieses Ergebnis auch die Mehrheit konzentriert. Und wenn wir so weit sind und wenn ein anderer Weg da tatsächlich als besserer vorzuschlagen ist, dann werden wir das auch tun. Wenn dann die Regierung das akzeptiert und davon überzeugt ist oder nicht, das ist eine andere Geschichte. Und wenn das auch noch weitergeht, und nehmen wir an, dass die Regierung nicht überzeugt ist – wie Sie wissen, Zypern ist nicht wie die Bundesrepublik, Zypern ist eine Präsidentenrepublik, das heißt, das Parlament und die Regierung sind zwei verschiedene Behörden. Und eventuell man könnte es durchs Parlament zu einem Referendum bringen, oder zu etwas, das kann ich im Moment nicht sagen, was alles anderes passieren könnte. Aber das ist das Ende des Weges, was ich jetzt Ihnen beschrieben habe.

    Engels: Wären Sie denn für ein Referendum über die Vereinbarung mit der EU?

    Messis: Können Sie wiederholen?

    Engels: Wären Sie denn für ein Referendum über die Vereinbarung mit der EU?

    Messis: Im Moment gibt es keinen Grund. Im Moment, warum sollte man dafür oder dagegen sein? Wenn wir das Rettungspaket mit der Troika nicht mehr wollen, nehmen wir es so an, was ist die andere Richtung? Vorige Woche haben wir andere Richtungen vorgeschlagen, und eine davon wäre eine Staatsanleihe von einem dritten Land etc., Selbstfinanzierung. Da ist schon sehr viel gesagt worden. Im Moment sieht es nicht danach aus, das ist nicht so einfach. Deswegen muss erst einmal wie gesagt ein Dialog zu Ende sein, eine Untersuchung gemacht werden, was sind die Auswege. Es könnte vielleicht sein, dass Zypern vom Euro zurücktritt und wieder zurück zum zyprischen Pfund kommt. Es wäre eine von den Möglichkeiten, die wir untersuchen möchten. Aber wir sind so weit nicht klar, wir sind noch in der Mitte des Meeres.

    Engels: Das heißt, Sie möchten aber auch nicht ausschließen, dass Ihre Partei sich dafür ausspricht, eine eigene Währung wieder in Zypern einzuführen?

    Messis: Ja, richtig. Wir schließen das nicht aus. Aber im Moment sind wir entweder dafür, oder dagegen. Das Ganze muss mit sehr viel Präzision und sehr ernsthaft untersucht werden. Wir haben schon einen Termin von Wissenschaftlern und Finanzleuten, die sich damit sehr, sehr intensiv beschäftigen. Wir wollen die Ergebnisse bald haben, und diese Ergebnisse werden auch in diesen offenen Dialog mitgebracht, damit die Diskussionen weiterlaufen.

    Engels: Wir sprachen mit Christos Messis, er ist derzeit oppositioneller Abgeordneter im Parlament von Zypern. Vielen Dank für das Gespräch heute Früh.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.