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Die Linke
"Eine Partei braucht ein klares Profil"

Der frühere Linken-Vorsitzende Klaus Ernst hat im Deutschlandfunk seine Partei aufgefordert, eine Regierungsbeteiligung anzustreben. Gerade mit der SPD und den Grünen gebe es inhaltlich viele Übereinstimmungen. Ein etwaiges linkes Bündnis nütze allen potentiellen Koalitionspartnern - und schärfe auch für den Wähler die Profile.

Klaus Ernst im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 28.05.2016
    Klaus Ernst (Die Linke) spricht am 28.01.2016 im Plenarsaal im Bundestag in Berlin.
    Klaus Ernst (Die Linke) spricht im Plenarsaal im Bundestag in Berlin. (dpa / picture alliance / Michael Kappeler)
    Ernst sagte im Deutschlandfunk, die Linke sollte sich im Bund für eine Zusammenarbeit mit SPD und Grünen öffnen. Mit beiden Parteien gebe es viele Gemeinsamkeiten, etwa in der Renten-, Gesundheits- und Arbeitsmarktpolitik. Durch ihren Machtanspruch könnte ein solches linkes Bündnis auch dazu beitragen, den Einfluss rechtspopulistischer Parteien wie der AfD zurückzudrängen.
    Die Linke kommt am Vormittag in Magdeburg zu einem zweitägigen Parteitag zusammen. Die knapp 600 Delegierten wollen über den Kurs bis zur Bundestagswahl im kommenden Jahr beraten. Außerdem stellen sich die beiden Vorsitzenden Kipping und Riexinger zur Wiederwahl.

    Das Interview in voller Länge:
    Jürgen Zurheide: Zunächst einmal guten Morgen, Herr Ernst!
    Klaus Ernst: Guten Morgen!
    Zurheide: Herr Ernst, wie fit sind Sie heute Morgen?
    Ernst: Ich bin schon fit! Wer zum Parteitag geht, der hat ja auch Adrenalin, und das ist bei mir schon da.
    Zurheide: Und wenn der Deutschlandfunk anruft, dann sind Sie noch fitter.
    Ernst: Dann muss ich noch fitter sein!
    Zurheide: Ernsthaft: Wie fanden Sie die Bemerkung von Gregor Gysi?
    Ernst: Da müssen wir jetzt unterscheiden von dem, was er gesagt hat und wie er es gesagt hat. Natürlich ist es, dass er öffentlich diese Kritik sagt, wenn man Verantwortung für die Partei hat, wie die Vorsitzenden der Partei oder auch die Fraktionsführung, dann findet man das natürlich nicht gut, wenn öffentlich solche Kritik von einem doch für die Partei sehr wichtigen Menschen geübt wird. Das nervt, und ich habe ein Interview gelesen von jemandem, wo ich gedacht habe, mein Gott, natürlich nervt es, warum kann man das nicht zu geben. Sowas nervt natürlich. Das ist die eine Sache. Insofern ist es natürlich nicht sehr gut, weil eine Partei, die nach außen zerstritten erscheint, und es erscheint sie, sie ist in der Regel bei den Bürgern und bei den Wählern nicht sehr im guten Ruf, sage ich jetzt mal, um es vorsichtig zu sagen. Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist natürlich – um die muss man sich natürlich auch kümmern –, das ist die inhaltliche Seite, und da geht es weniger um die Frage saft- und kraftlos, und es ist eben richtig gesagt, und es bezieht sich ja nicht auf die Partei, sondern auf eine Partei, die keinen Machtanspruch stellt, also eigentlich nicht regieren will, zumindest auf Bundesebene, und das müssen wir besprechen. Das, glaube ich, ist das, was die Partei jetzt auch tun muss."
    "Eine Partei braucht ein klares Profil"
    Zurheide: Wie sehen Sie das – sollte die Linke prinzipiell sagen, wir sind die Protestpartei und wir haben die reine Lehre oder geht es eben auch um die Frage, wenn ich Ziele habe, dann will ich sie auch durchsetzen, zumindest in Teilen, das heißt es ja immer, wenn ich nicht eine absolute Mehrheit habe, und da sind alle im Moment sehr weit von entfernt?
    Ernst: Also eine Partei braucht ein klares Profil, und ich denke, die Linke hat auch ein Profil. Dieses Profil, was wir haben, was die Flüchtlingsfrage angeht, offensichtlich nicht eins, das von allen geteilt wird, die bisher in unserer Partei als Wähler aufgetreten sind. Das ist Sachsen-Anhalt, das müssen wir einfach sehen. Auf der anderen Seite, neben diesem klaren Profil, braucht eine Partei ganz klar einen Machtanspruch, und ich fordere den auch immer ein. Ich habe dazu ja auch einiges gesagt und geschrieben. Deswegen will ich das auch noch mal erläutern: Beim gegenwärtigen Aufstieg der Rechtspopulisten in ganz Europa, wir haben den auch von der AfD, auch deshalb, weil es im linken Spektrum, sage ich jetzt mal – also auch bei Sozialdemokraten und auch bei Grünen –, keinen Anspruch gibt, wieder tatsächlich das umsetzen zu wollen, was man eigentlich programmatisch verlautbart. Das hätte man ja nur in einem linken Bündnis, und selbst da ist es für 2017 eher fraglich, aber prinzipiell hätte man es nur miteinander. Eigentlich bräuchte die SPD keinen Kanzlerkandidaten aufstellen. Die Debatte darüber ist sinnlos. Es würde ein Vizekanzler reichen, weil die große Koalition dann fortgesetzt wird. Andere Möglichkeiten mit den Grünen möglicherweise auch, aber erst mal hat die Partei selber keinen Machtanspruch. Die SPD wenn sie das nicht will, und dass wir das auch so machen, halte ich für absurd, und es gibt verschiedene Punkte, wo ich durchaus Überschneidungen sehe und so ein Bündnis erfolgreich sein könnte. Ich will mal sagen, die erste Frage ist die, wie ist es mit der Sozialpolitik. Also, da geht es um die Frage der Rente. Das Rentenniveau sinkt, die Sozialdemokraten, wir, auch die Grünen sagen, geht eigentlich nicht, wir bräuchten wieder eine vernünftige umlagefinanzierte Rente, wir bräuchten ein anderes System möglicherweise, damit wir das alle einzahlen, auch die Beamten, auch die Selbstständigen, auch die Abgeordneten und so weiter. Also da sind wir uns eigentlich relativ einig. Dasselbe wäre bei der Frage der Gesundheit, da geht es in Richtung Bürgerversicherung, also weg mit der Zwei-Klassen-Medizin, sondern in eine Richtung, dass wir sagen, alle haben eine vernünftige gesetzliche Krankenversicherung mit ausreichendem Niveau, und wir machen dieses wahnsinnige Modell einer privaten Versicherung, die das dasselbe System abdecken soll, wie die gesetzliche Versicherung. Das machen wir so nicht mehr. Wäre für die Bürger von großem Vorteil.
    Ohne linkes Bündnis "treibt man die AfD in Europa geradezu nach vorne"
    Zurheide: So, jetzt habe ich Sie die ganze Zeit da reden lassen, und das ist auch gut und wichtig, nur ich frage, Sie haben über die SPD gesprochen, was die alles nicht will – inwieweit ist die Linke bereit, Teil eines solchen möglichen Bündnisses zu sein? Das ist ja die Frage, die jetzt auf diesem Parteitag vor allen Dingen ganz besonders im Vordergrund steht und die Sie mehr mitbestimmen können, denn das heißt – und ich habe es vorhin schon mal gesagt, ich wiederhole es – keiner wird eine absolute Mehrheit kriegen, auch die CDU nicht. Also wird es Kompromisse brauchen. Punkt. Da kann ich sagen, ich mache die reine Lehre oder ich mache Kompromisse. Ist die Linke ausreichend kompromissfähig und bereit, um sowas überhaupt nur anzudenken?
    Ernst: Richtig, genau darum geht es. Ich habe gerade versucht, eben diese Kompromisse aufzuzeigen. Wenn ich die Programmatik der Parteien ansehe, gibt es sehr, sehr, sehr viele Überschneidungspunkte. Übrigens auch noch bei der Verteilungspolitik, also die Frage der Besteuerung, bei der Regulierung der Arbeit, Leiharbeit, Befristung. Da sind Grüne, Sozialdemokraten und wir uns näher als die SPD mit der CDU. So, wenn man also so ein Bündnis ausschließt, wenn wir das Bündnis ausschließen, dann treiben wir geradezu die SPD in die Hände der CDU/CSU, und es bleibt der Stillstand, und dieser Stillstand, den wir auch in Österreich verfolgen können – der hat dort ja zu Verhältnissen geführt, die hätten Sie sich vor Kurzem gar nicht vorstellen können, dass da tatsächlich ein Rechtspopulist dieser Art Präsident einer Republik werden könnte in der Europäischen Union, unglaublich. So, deshalb glaube ich, wir müssen diese Debatte führen, deshalb hat Gysi inhaltlich in dieser Frage recht. Ich unterstütze diese Position inhaltlich absolut, und ich sage, wir müssen uns öffnen für ein linkes Bündnis. Da muss man natürlich Kompromisse machen, aber worin bestehen denn die Kompromisse. Sie bestehen doch nur darin, dass man nicht seine Maximalpositionen erreicht, aber einen Teil davon erreichen muss. Dann macht so ein Bündnis Sinn, und dann ist es besser, in einem Bündnis zu sein mit den vernünftigen Positionen, die ich gerade genannt habe – bei der Rente, bei der Gesundheit und so weiter –, dort richtige Dinge durchzusetzen. Dann wird man auch wieder attraktiv für die Wähler, denn nicht nur die Linken haben ja Probleme mit ihren Umfragen oder mit ihren Wahlergebnissen. Die Sozialdemokraten ja bitte schön genauso, und die Grünen – wenn ich nach Rheinland-Pfalz schaue – auch. Also bitte, so ein Bündnis würde in einem sogenannten linken Spektrum allen nützen, und es würde vor allen Dingen eins bedeuten: Es würde wieder die Politikfähigkeit eines linken Lagers nach außen sichtbar machen. Die gibt es zurzeit ja kaum, sondern wenn es dieses linke Bündnis nicht gibt, dann treibt man eigentlich sozusagen die AfD und ähnliche in Europa geradezu nach vorne.
    "Man muss das breite Spektrum in der Partei wieder abbilden"
    Zurheide: So, letzter Punkt, da muss ich jetzt zwischengehen, weil wir gleich auf die Nachrichten zulaufen: Wie sieht das aus mit dem Führungspersonal, was Sie anbieten? Wenn wir Frau Wagenknecht auf der einen Seite haben, Herrn Bartsch auf der anderen Seite – wir haben gerade den Begriff vom Wagenknartsch wieder mal gehört –, schaffen die beiden das zusammen oder stehen die nicht am Ende für zwei völlig unterschiedliche Konzepte?
    Ernst: Sie stehen für unterschiedliche Konzepte, das ist richtig, und entscheidend ist, dass man jetzt die Kompromisse in der Partei oder die Linie in der Partei oder in der Fraktion in diesem Fall, nicht nur zwischen diesen beiden Lagern abspricht und damit ein Stück weit an Profil auch verliert, sondern unser Spektrum in der Partei ist ja viel, viel größer als das, das die beiden verkörpern. Deshalb – und das ist so ein bisschen das, was ich kritisch anmerken möchte –, ist es notwendig, dass man dieses breite Spektrum in der Partei auch wieder abbildet, und dass man dieses breite Spektrum in der Partei nicht ausschließt …
    "Breitere Beteiligung auch von neuen Gesichtern"
    Zurheide: Was heißt das konkret, Herr Ernst? Was heißt das konkret?
    Ernst: Das heißt zum Beispiel, würde ich sagen, dass man zur Kenntnis nehmen muss, dass sich in der Partei und in der Fraktion nicht die gesamte Partei in diesen beiden Personen wiederfindet. Da gibt es zum Beispiel – ich sage es mal deutlich – auch einen Gewerkschaftsflügel in dieser Partei, der momentan von Bernd Riexinger aus meiner Sicht gut verkörpert wird, was die Bundespartei angeht, aber ich merke schon auch, dass es in Richtung der Fraktion eher ein Stück weit zurückgeht durch diese Absprachen, die es gibt. Da würde ich mir wünschen, eine breitere Beteiligung auch von neuen Gesichtern, die zum Beispiel affin zu Arbeitnehmerpositionen sind, die kommen mir momentan ein bisschen zu kurz.
    Zurheide: Klaus Ernst war das von der Linken vor dem linken Parteitag mit seinen Einschätzungen, mit seinen Ansichten hier bei uns im Deutschlandfunk. Ich bedanke mich um 7:29 Uhr für das Gespräch. Herzlichen Dank, Herr Ernst, auf Wiederhören!
    Ernst: Nichts zu danken! Danke! Tschüß!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.