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"Die Linke muss sich entscheiden, ob sie regierungsfähige Partei sein will"

Der thüringische SPD-Vorsitzende Christoph Matschie hat nach den Landtagswahlen im kommenden Jahr eine rot-rote Koalition unter Führung der Linkspartei ausgeschlossen. Matschie sagte, die Linke betreibe im Bund Radikalopposition. Deshalb sei es für die SPD nicht verantwortbar, einen Ministerpräsidenten der Partei mitzuwählen.

Christoph Matschie im Gespräch mit Stefan Heinlein |
    Stefan Heinlein: Auch gut eine Woche nach dem politischen Desaster in Hessen sitzt der Schock noch immer tief bei der SPD. Mühsam versucht die Berliner Parteiführung, die Scherben des gescheiterten Experimentes in Hessen zusammenzukehren. Parteichef Müntefering will kräftig helfen. Er sichert dem neuen unbekannten SPD-Spitzenmann Thorsten Schäfer-Gümbel seine volle Unterstützung zu. Nach den wahrscheinlichen Neuwahlen in Hessen Anfang Januar folgen im Sommer drei weitere Landtagswahlen: im Saarland, in Sachsen und in Thüringen. Hier wie dort gibt es rot/rote Gedankenspiele, etwa bei dem SPD-Partei- und -Fraktionsvorsitzenden in Thüringen. Christoph Matschie plant den Wechsel in Erfurt mit der Linkspartei, aber nur unter der Führung der SPD. - Guten Morgen, Herr Matschie.

    Christoph Matschie: Guten Morgen, Herr Heinlein.

    Heinlein: Eine kalte Dusche für Sie zu Beginn dieser Woche. Der linke Spitzenkandidat Bodo Ramelow will nun selber das Amt des Ministerpräsidenten, wenn seine Partei im Ergebnis vorne liegt. Haben Sie diese Nachricht schon verdaut?

    Matschie: Ja. Natürlich habe ich diese Nachricht gehört. Für uns ist das Ziel klar. Wir wollen versuchen, bei der Landtagswahl im nächsten Jahr stärkste politische Kraft zu werden. Ich halte das auch für möglich. In den Umfragen liegen wir im Moment zwar hinten, aber viele Wähler sind noch nicht entschieden und bei der letzten Bundestagswahl war die SPD deutlich stärkste Kraft in Thüringen und bei den letzten Kommunalwahlen haben wir hier fast alle großen Städte gewonnen. Also die Ausgangssituation ist gar nicht so schlecht.

    Heinlein: Bleibt es denn für Sie dabei, eine Koalition mit der Linkspartei nur, wenn die SPD den Ministerpräsidenten stellt?

    Matschie: Wir haben bisher keine Koalitionsaussage gemacht. Das werden wir auch nicht tun. Ich halte allerdings eine Koalition mit der Linkspartei für eine denkbare Option. Das geht aber nur, wenn die SPD den Ministerpräsidenten stellen kann. Ich bin überzeugt: eine Partei, die im Bund nicht regierungsfähig ist - und das ist Die Linke nicht -, die kann in den Ländern auch keinen Ministerpräsidenten stellen, egal ob in Thüringen oder in einem anderen Bundesland.

    Heinlein: Ist das ein Wahlversprechen, Herr Matschie?

    Matschie: Wir haben diese Frage sehr intensiv diskutiert, Herr Heinlein, und haben innerhalb der SPD einen Mitgliederentscheid gemacht, der ist sehr klar ausgegangen. Hier ist die SPD entschieden.

    Heinlein: Ist das ein Wahlversprechen, Herr Matschie?

    Matschie: Das ist eine klare Positionierung der Thüringer SPD. Wir haben das lange diskutiert. Wir haben einen Mitgliederentscheid gemacht und über 70 Prozent der Mitglieder haben sich für diese Position ausgesprochen. Ich denke, das ist eine verantwortliche Position, mit der man vor dem Wahlkampf und nach der Wahl auch agieren kann.

    Heinlein: Sie waren, Herr Matschie, sehr optimistisch gerade in Ihren Aussagen, was Ihre Wahlchancen anbelangt. Doch blickt man auf 2004, da schafften Sie 14,5 Prozent. Die Linken hatten fast das Doppelte. Ist es da nicht eine Illusion zu sagen, wir wollen den Wechsel, aber nur unter unserer Führung?

    Matschie: Nein, Herr Heinlein. Das ist aus meiner Überzeugung keine Illusion. Das Wahlergebnis 2004 war sehr schlecht. Damals war die SPD insgesamt auf einem historischen Tiefstand angekommen. Nur ein Jahr später bei der Bundestagswahl war die SPD in Thüringen schon wieder stärkste Kraft. Daran kann man sehen: die Wähler in Thüringen sind sehr schnell bereit, sich auch wieder neu und anders zu entscheiden. Sie sind nicht festgelegt auf eine Partei. Deshalb wird es darauf ankommen, jetzt einen überzeugenden Wahlkampf zu machen, Menschen zu gewinnen. Viele wollen einen Wechsel in Thüringen. Sie wollen Dieter Althaus nicht mehr. Aber viele von denen wollen auch keinen Ministerpräsidenten der Linken und deshalb, glaube ich, ist unsere Position sehr überzeugend.

    Heinlein: Bodo Ramelow von der Linkspartei ist aber sehr selbstbewusst. Am Wochenende erklärte er in der ARD-Sendung Anne Will:

    O-Ton Bodo Ramelow: Wir liegen seit Monaten deutlich über 30 Prozent. Die SPD würde sich erholen, wenn sie mal in die Richtung käme.

    Heinlein: Der linke Spitzenkandidat in Thüringen Bodo Ramelow. - Herr Matschie, hat es Sie überrascht, dass nun die Linkspartei selber den Ministerpräsidenten stellen will?

    Matschie: Nein, das hat mich nicht überrascht. Wir kennen das von Bodo Ramelow, dass er oft keine klare Position hat, sondern heute diese und morgen jene. Insofern war das für uns nicht überraschend. Die Linke muss sich natürlich auch klar werden, was sie am Ende tatsächlich will. Eines ist festgelegt bei uns. Es wird mit unseren Stimmen keinen Ministerpräsidenten der Linken geben. Das heißt, die Wähler in Thüringen können entscheiden, ob Dieter Althaus Ministerpräsident bleibt, oder ob ich Ministerpräsident werde. Das ist die Wahlentscheidung 2009. Eine dritte Option gibt es nicht.

    Heinlein: Warum ist denn der Posten des Ministerpräsidenten für Sie und Ihre Partei so wichtig?

    Matschie: Da geht es mir nicht um mich persönlich bei dieser Frage, sondern es geht um Verantwortung für das Land. Wir haben das lange miteinander besprochen und hin- und hergewogen, was da möglich ist, und wir sind zu der Überzeugung gekommen, dass eine Partei, die auf Bundesebene versucht, Radikalopposition zu machen, Protestpartei zu sein, nicht in der Lage wäre, Regierungsverantwortung zu übernehmen, dass die auch keine Ministerpräsidenten in den Ländern stellen kann, denn Ministerpräsidenten haben eine sehr starke bundespolitische Funktion. Deshalb ist das für uns ausgeschlossen.

    Heinlein: Ist das Amt des Ministerpräsidenten für Ihre Partei, für die SPD also wichtiger als der politische Wechsel im Land?

    Matschie: Wir wollen den politischen Wechsel. Wir wollen Dieter Althaus ablösen. Aber wir müssen das tun mit einer für das Land insgesamt verantwortbaren Option. Die haben wir besprochen und sind zu einer Entscheidung gekommen und dabei bleibt es.

    Heinlein: Sollte Ihr Plan scheitern, Herr Matschie, was ist Ihnen dann lieber, eine Große Koalition mit der CDU, oder das harte Brot der Opposition?

    Matschie: Wir sehen gute Chancen, dass die SPD stärkste politische Kraft wird. Deshalb diskutieren wir jetzt nicht darüber, was wäre wenn, sondern konzentrieren uns auf den Wahlkampf. Ich denke, viele Thüringer sind bisher unentschieden. Die kann man gewinnen und die SPD hat bei den letzten Wahlen auch schon gezeigt, dass sie in der Lage ist, stärkste politische Kraft in Thüringen zu werden.

    Heinlein: Als Juniorpartner der CDU könnten Sie aber durchaus leben?

    Matschie: Wir schließen im Moment gar keine Koalitionsoption aus. Das wäre aus meiner Sicht auch nicht richtig. Wir haben nur eine Variante ausgeschlossen: einen Ministerpräsidenten der Linken. Das Ziel bleibt aber klar: Ablösung von Dieter Althaus und selbst den Ministerpräsidenten stellen.

    Heinlein: Haben Sie denn mehr inhaltliche Gemeinsamkeiten mit der Linkspartei oder mit der CDU?

    Matschie: Wir haben mit beiden Parteien auch inhaltliche Gemeinsamkeiten, in einigen Fragen mehr mit der Linkspartei, beispielsweise in der Bildungspolitik, in der Sozialpolitik, aber es gibt auf der anderen Seite in wirtschaftspolitischen Fragen auch Gemeinsamkeiten mit der Union. Wir legen uns nicht vor der Wahl auf eine Koalition fest, sondern zunächst haben die Wähler das Wort. Wir werben um ein möglichst gutes Ergebnis der SPD. Ich denke, das ist auch drin. Und dann werden wir nach der Wahl im Lichte des Wahlergebnisses entscheiden, was verantwortbar ist.

    Heinlein: Ist diese Entscheidung auch begründet aufgrund der Erfahrungen in Hessen? Haben Sie daraus gelernt?

    Matschie: Ich finde, man sollte vor Wahlen nur das festlegen, was man auch nach Wahlen gewillt ist zu tun. Das ist jedenfalls meine Position. Ich denke, es war ein Fehler, dass die Hessen-SPD eine Koalition mit der Linken kategorisch ausgeschlossen hat, obwohl sie es selbst für möglich gehalten hat. Deshalb: Wir schließen nur das aus, was wir nach der Wahl wirklich nicht tun werden, und alles andere muss entschieden werden, wenn das Wahlergebnis da ist.

    Heinlein: Hätte denn, Herr Matschie, eine linke Mehrheit in Hessen Ihren geplanten Weg in Thüringen leichter gemacht oder umgekehrt?

    Matschie: Nein. In Thüringen hat die Entscheidung gar nichts mit Hessen zu tun. Wir haben hier auch eine andere Situation als in Hessen. Es gibt ja auch schon Koalitionen von SPD und Linker, beispielsweise in Berlin. Es gab sie in Mecklenburg-Vorpommern. Das sind Koalitionen, die unter der Führung der SPD gut funktioniert haben. Das halte ich hier auch für verantwortbar. Aber eine Koalition mit der Linken unter Führung der Linken, das halte ich derzeit nicht für verantwortbar. Die Linke muss sich zunächst entscheiden, ob sie regierungsfähige Partei sein will, oder ob sie Protestpartei bleiben will. Diese Entscheidung kann ihr niemand abnehmen. Sie kann aber nicht beides gleichzeitig, Radikalopposition im Bund sein und Ministerpräsidenten in den Ländern beanspruchen.

    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen der SPD-Partei- und -Fraktionsvorsitzende in Thüringen Christoph Matschie. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Matschie: Auf Wiederhören.