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Die Linke: SPD ist mit Führungswechsel zur konservativen Volkspartei geworden

Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Partei Die Linke, Bodo Ramelow, ist skeptisch, dass das neue SPD-Führungsduo Müntefering und Steinmeier vom Kurs der Agenda 2010 abweicht. Angesichts der heute beginnenden Herbstklausur seiner Partei fordert er einen politischen Linksruck für Deutschland um weiteren Sozialabbau zu verhindern.

Bodo Ramelow im Gespräch mit Stefan | 10.09.2008
    Stefan Heinlein: Ein schwarzer Sonntag für Arbeitnehmer und Rentner. Die Linkspartei sieht die SPD auf dem Weg nach rechts. Der SPD-Führungswechsel wird bei den Linken mit gemischten Gefühlen registriert. Einerseits wittert man die Chance, sich künftig noch stärker als alleiniger Hüter der sozialen Gerechtigkeit profilieren zu können. Andererseits ist klar: mit dem Duo Steinmeier/Müntefering schwinden die Chancen auf rot/rote Bündnisse in Bund und Ländern. Das Stühlerücken bei den Sozialdemokraten hat also auch für die Linkspartei die politische Gemengelage verändert. Gelegenheit, darüber zu beraten: ab heute auf der Herbstklausur der Partei. Mit dabei in München der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Bodo Ramelow. Guten Morgen!

    Ramelow: Guten Morgen!

    Heinlein: Wird es bei ihnen heute ähnlich spannend wie bei der SPD am vergangenen Wochenende?

    Bodo Ramelow: Nein, ganz im Gegenteil. Wir wissen, dass es in Deutschland eine Kraft braucht, die für Solidarität und Gerechtigkeit eine Anlaufadresse ist. Wir brauchen eine Kraft, auf die Menschen sich auch konzentrieren können, wenn sie abgehängt sind oder sich abgehängt fühlen in dieser Gesellschaft. Von daher hätten wir überhaupt nicht das Recht, uns so zu zerlegen, wie die SPD sich am Sonntag zerlegt hat.

    Heinlein: Und diese Partei, dieser Hüter der sozialen Gerechtigkeit, das sind sie?

    Ramelow: Schauen Sie, wir sind es geworden. Wir haben ursprünglich mal über ganz andere Perspektiven zueinander gefunden. Aber letztendlich ist es die vorgezogene Bundestagswahl von Herrn Schröder gewesen, der seine Agenda-Politik durch die Bevölkerung bestätigt haben wollte, der sich in die Neuwahlen gestürzt hat, um sich gegen den linken Flügel seiner eigenen Partei zu wehren, und das Ergebnis ist bekannt. Das Ergebnis ist nämlich, dass an diesem Sonntag der Seeheimer Kreis vor lauter Lachen nicht mehr in den Schlaf kam. Man konnte das ja auch öffentlich besichtigen, wenn man den Sprecher des Seeheimer Kreises den ganzen Tag im Fernsehen anschauen durfte. Das war ja ein strahlendes Gesicht. Und bei mir blieb das Gefühl, dass der rechte Flügel den linken Flügel am Sonntag abmontiert hat und dass die 60 Briefeschreiber, die sich an die Parteiführung in der SPD gewandt haben, um bestimmte Themen wie "Rente mit 67" anzusprechen, eine Antwort bekommen haben, nämlich die sind seit Sonntag faktisch politisch heimatlos.

    Heinlein: Sie haben den 60 Briefeschreibern, dem linken Flügel der SPD ja vollmundig Asyl angeboten. Haben Sie denn schon Parteieintrittsformulare verschicken müssen?

    Ramelow: Wir verschicken seit Wochen, im Prinzip seitdem wir als Linke fusioniert sind, seitdem wir uns aufgemacht haben, in der Bundesrepublik gesamtdeutsche Perspektiven für die Arbeitnehmer und Rentner, für jeden Menschen, für aber auch Selbständige und Unternehmer aus sozialer Sicht zu beschreiben, Unmengen an Aufnahmeanträgen. Es ist auch nicht unser Ziel gewesen, die SPD zu filetieren. Das ist schon das Ziel der SPD selber gewesen, sich selber zu zerlegen. Die Lust am Untergang mit dem Vorsitzenden haben wir jetzt in fünf Jahren hinlänglich als Zuschauer besichtigen dürfen. Das ist schon nicht spaßig. Ich habe in meinem ganzen Leben keinen Beitrag bei der SPD bezahlt, aber als Außenstehender sage ich mal, man möchte an diesem Sonntag eben nicht Kurt Beck gewesen sein.

    Heinlein: Glauben Sie tatsächlich, dass eine Andrea Nahles oder ein Ottmar Schreiner künftig bei ihnen besser aufgehoben wären?

    Ramelow: Ich glaube, dass jeder Mensch bei uns gut aufgehoben ist, der bereit ist und willens ist, die politische Achse auf der Agenda in Deutschland wieder nach links zu verschieben. Wir haben es dringend notwendig. Ein Urgestein der SPD, Herbert Ehrenberg, als der Arbeitsminister war, habe ich als junger Mann in Deutschland noch geglaubt, dass das irgendwie so ein rechter Sack sei. Wenn man heute Herbert Ehrenberg reden hört, der sich treu geblieben ist, hört der sich fast an wie linksradikal. Man fühlt sich erinnert an Zeiten, dass man sagt, da ist ja wirklich noch Arbeitsrecht und Perspektiven für abhängig Beschäftigte in den Mund genommen worden. So jemand wie Herbert Ehrenberg hat ja noch was gegen illegale Leiharbeit nicht nur gesagt, sondern auch in die Gesetze hineingeschrieben. Danach ist ein Prozess losgegangen, der ich nenne das den Kampf um die Mitte eingeleitet hat. Beide Parteien, SPD und CDU, wollten in der Mitte sein - mit dem Ergebnis, dass seit diesem Sonntag die SPD sich vom linken Rand völlig verabschiedet hat und zur konservativen Volkspartei geworden ist. Nur zweimal die gleiche Partei in Deutschland braucht niemand.

    Heinlein: Das hört sich so an, Herr Ramelow, die künftige Parole lautet "Proletarier aller Länder vereinigt euch in der Linkspartei".

    Ramelow: Ach, wissen Sie, die Proletarier aller Länder. Wenn man sich anguckt, wie unsere Gesellschaft sich längst verändert hat, dass also der klassische Arbeiter in Deutschland zu einer Minderheit geworden ist und diese Minderheit auch noch bedroht ist, auf die rote Artenschutzliste gehört, weil Hedgefonds im Moment in den Firmen eben ihr Unwesen treiben. Wenn man die Vacuumschmelze in Offenbach zurzeit nimmt: dort kämpft eine ganze Belegschaft mit der IG Metall zusammen gegen diese Ausplünderungspolitik, bei der am Schluss selbst die Arbeiter noch in einem Betrieb, in einem gut funktionierenden Betrieb und in einem profitablen Betrieb zu den Opfern solcher Entwicklungen werden. Die Parole von den Proletariern ist eine nette historische Attitüde. Ich glaube, wir müssen die heutigen Aufgaben lösen und das heißt, dass auch ein Angestellter, ein Arbeitnehmer und selbst einer, der in der Wissenschaft tätig ist und nur Zeitarbeitsverträge ständig bekommt, solche Menschen brauchen eine neue Perspektive. Wir leben in einem der reichsten Länder der Erde und wir geben viel zu wenig für Bildung aus. Wir leben in einem der reichsten Länder der Erde und wir haben keinen gesetzlichen Mindestlohn. Das ist ein sozialpolitischer Skandal!

    Heinlein: Herr Ramelow, um diesen Skandal zu lösen, brauchen sie da die SPD? Hoffen Sie, dass die SPD unter dem Einfluss, unter dem Druck ihrer Partei dann zurückfindet auf den linken Pfad der Tugend?

    Ramelow: Wir brauchen Kräfte, die tatsächlich die Alltagspolitik neu gestalten wollen. Wir brauchen nicht eine SPD, die immer nur über Mindestlohn redet und sich dann von der CDU drei Viertel von ihrer eigenen Vorstellung abschwatzen lässt. Wir brauchen nicht eine SPD, die am Schluss eigentlich eine moderne Gesundheitsversicherung abschließen wollte als neues System in der Krankenversorgung und hinterher einen Gesundheitsfonds startet, der im kommenden Jahr eine Katastrophe für alle Beteiligten sein wird.

    Heinlein: Wird denn die Zusammenarbeit mit der neuen SPD, mit dem neuen SPD-Führungsduo für sie künftig schwieriger, oder wird die SPD sie künftig links liegen lassen? Was erwarten Sie?

    Ramelow: Es ist ganz klar. Das ist das Originalduo der Architekten der Hartz-IV-Agenda. Da ist jemand, der wie Herr Müntefering die Rente mit 67 eingeführt hat und stolz darauf ist. Da ist jemand wie Herr Müntefering, der auf dem Hamburger Parteitag vor nicht einmal neun Monaten die Verlängerung des Arbeitslosengeldes bekämpft hat, abgelehnt hat. Da ist jemand wie Herr Steinmeier, der außenpolitisch die Verantwortung dafür übernommen hat, dass die permanenten Verletzungen unserer Hoheitsrechte zum Beispiel durch CIA-Folterflüge und andere Sachen in seiner Zeit als Kanzleramtsminister organisiert, geduldet und dann anschließend auch von ihm unter den Teppich gekehrt worden ist. Und jemand wie Herr Steinmeier, der tatsächlich sich selber den Architekten der Hartz-Gesetzgebung nennt. Insoweit kann jeder Arbeitslose und jeder Rentner besichtigen, was von diesem Führungsduo zu erwarten ist: weiterer Sozialabbau.

    Heinlein: Also für Sie steht bereits fest, die neue SPD ist für Ihre Partei nicht koalitionsfähig?

    Ramelow: Sie haben mich nach dem Führungsduo gefragt und unter so einem Führungsduo kann ich nicht erkennen, wie man damit Koalitionen schließen soll. Koalitionen können wir nur schließen, wenn dabei Perspektiven für Langzeitarbeitslose im Koalitionsvertrag stehen, die Militarisierung der Außenpolitik beendet wird, Truppen aus Afghanistan zurückgeholt werden und dort eine neue Perspektive eröffnet wird, wenn also eine wirkliche Kehrtwendung stattfindet. Und die kann ich unter Herrn Steinmeier und Herrn Müntefering wahrlich nicht erkennen.

    Heinlein: Also unter dem Strich, rot/rot bleibt zumindest auf Bundesebene eine Illusion? Sie müssen sich dauerhaft in der Opposition einrichten?

    Ramelow: Wir werden uns dauerhaft darauf einrichten, dass wir an der Seite der Menschen stehen, weil die alle wie in der Vacuumschmelze in Offenbach im Moment um ihre Existenz kämpfen, und Arbeitnehmer in Betrieben kämpfen um die Würde, die Würde auch ihrer Arbeit. Wer für 4,70 Euro Stundenlohn arbeiten gehen muss, der braucht einen gesellschaftlichen Ansprechpartner. Und die SPD wird so lange begreifen müssen und begreifen lernen, dass wir wachsen werden, solange sie keine Lösungen für diese Menschen anbietet.

    Heinlein: Heute Morgen im Deutschlandfunk der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken, Bodo Ramelow. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören nach München.

    Ramelow: Bitte sehr!