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Die Linke vor dem Parteitag
Kipping plädiert für Kontroversen ohne persönliche Angriffe

Ob sich in der Flüchtlingspolitik der Linken grundlegend etwas verändere, müsse auf dem Parteitag am Wochenende entschieden werden, sagte die Linken-Vorsitzende Katja Kipping im Dlf. Sie hoffe, dass in Leipzig ein Schlussstrich unter innerparteiliche Kontroversen gezogen werde.

Katja Kipping im Gespräch mit Christoph Heinemann | 08.06.2018
    Die Linken-Vorsitzende Katja Kipping bei einer Pressekonferenz in Berlin am 30.11.2015.
    Die Linken-Vorsitzende Katja Kipping: "Kontroversen in der Sache, das ist gut" (imago / Christian Thiel )
    Christoph Heinemann: Zuneigung klingt anders. Da standen sie: Sahra Wagenknecht, Dietmar Bartsch, Katja Kipping und Bernd Riexinger, und der versuchte, dann etwas zu sagen. Das klappte aber nur wenige Sekunden lang. Eine beredte Szene, die den Zustand der Parteispitze beschreibt. Heute trifft sich Die Linke zum Parteitag in Leipzig.
    Am Telefon ist Katja Kipping, die Co-Vorsitzende der Partei Die Linke, Bundestagsabgeordnete, Wahlkreis Dresden I. Guten Morgen.
    Katja Kipping: Einen schönen guten Morgen.
    Heinemann: Frau Kipping, wie sehr nervt Sie Sahra Wagenknecht?
    Kipping: Ja überhaupt nicht. Was mich manchmal ärgert ist, wenn eine Kontroverse, die wir in der Sache haben, die wir auch ein bisschen stellvertretend für die Gesellschaft führen, dann immer nur als ein persönlicher Konflikt dargestellt wird. Tatsache ist, dass wir uns in vielen Punkten einig sind, aber dass wir eine Situation haben, wo über Monate hinweg von einigen sehr vehement gefordert wurde, dass wir unsere Flüchtlingspolitik grundlegend verändern.
    Es ist legitim, so was zu fordern, aber bei uns - wir sind eine demokratische Mitgliederpartei - entscheidet am Ende die Partei und deswegen werden wir das jetzt dem Parteitag, der bei uns der Souverän ist, zur Abstimmung stellen. Und ich bin sehr zuversichtlich, dass, wenn wir diese inhaltliche Klärung vorgenommen, wir danach sagen, jetzt ziehen wir mal einen Schlussstrich unter diese Auseinandersetzung. Das Vergangene ist vergangen. Wir müssen jetzt gemeinsam um eine linke Zukunft streiten.
    "Kontroversen in der Sache sind gut"
    Heinemann: Sahra Wagenknecht hat Ihnen noch einen mitgegeben vor dem Parteitag. Kipping und Riexinger, bei ihnen stehe innerparteiliche Machtpolitik im Vordergrund. Das ist genau das Herangehen, das Die Linke schon seit Monaten schwächt, so Sahra Wagenknecht. Bleibt es dabei? Sie nervt Sie überhaupt nicht?
    Kipping: Nein! Ich bin wild entschlossen, dass wir diese Kontroversen mit aller Leidenschaft in der Sache, aber ohne persönliche Angriffe führen. Deswegen will ich noch mal sagen: Wir haben bei der Vorbereitung dieses Parteitages uns vor allen Dingen mit einer Frage beschäftigt, nämlich wir finden, dieser Parteitag findet in sehr unruhigen Zeiten statt. Die Zeiten sind gezeichnet zum einen durch einen Rechtsruck und zum zweiten durch wachsende internationale Spannungen, die auch die Kriegsgefahren befeuern. Und wir wollen beraten, wie sich die Partei da aufzustellen hat.
    Heinemann: Und Sie sind gekennzeichnet dadurch, dass sich die Parteiführung der Linken gegenseitig beharkt.
    Kipping: Das möchte ich von meiner Seite zurückweisen. Wir beziehen klar Position in der Sache. Wenn Sie sich die Originalinterviews von mir anschauen, werden Sie da keinen persönlichen Angriff sehen in den letzten Monaten.
    Heinemann: Ist das jetzt die höfliche Fassung für den Deutschlandfunk?
    Kipping: Nein! Das ist einfach mein Plädoyer, dass wir uns in der Sache auseinandersetzen, weil Kontroversen in der Sache, das ist gut. Da können am Ende alle mit mehr Erkenntnisgewinn herausgehen.
    Heinemann: Wer sagt es Sahra Wagenknecht?
    Kipping: Es ist jetzt die vierte Frage, die Sie zu dem Thema stellen. Ich will noch mal sagen: Wir haben auf diesem Parteitag ein paar andere Aufgaben zu diskutieren, zum Beispiel wie man sich in Zeiten wachsender Kriegsgefahren aufstellt.
    "Am Ende werden das nicht vier Leute unter sich ausmachen"
    Heinemann: Frage Nummer fünf: Wie wollen Sie die Widerspenstige zähmen?
    Kipping: Das ist ja jetzt nicht eine persönliche Entscheidung, die vier Personen unter sich auszumachen haben, sondern noch mal: Wir sind eine demokratische Mitgliederpartei und bei uns kann man alle Programmatik in Frage stellen. Aber am Ende werden das nicht vier Leute unter sich ausmachen, sondern das entscheidet bei uns ein Parteitag.
    Ich bin sehr zuversichtlich, weil wir haben den Leitantrag, den wir vorlegen, im Parteivorstand - das ist bei uns ein sehr großes, breit besetztes Gremium - ohne Gegenstimme verabschiedet, und darin sagen wir sehr klar, wir wollen uns aufstellen als Partei in Bewegung. Partei in Bewegung heißt, dass wir zum einen sehr eng verbunden sind mit den gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen, mit den vielen Mieterinitiativen, heißt aber auch, dass wir in dieser Gesellschaft was in Bewegung setzen wollen.
    Die Auseinandersetzung, die mich vor allen Dingen beschäftigt, ist die, die in der Gesellschaft gerade läuft, weil wir erleben einen erschreckenden Rechtsruck und man hat den Eindruck, die autoritären Rechten geben gerade den Ton vor, sie bestimmen, welche Debatten auch medial groß gemacht werden. Die Entschiedenheit der Rechten treibt die Mitte in der Gesellschaft gerade nach rechts und jetzt braucht es mehr Entschiedenheit von links, damit die Mitte sich wieder nach links bewegt.
    Heinemann: Frau Kipping, muss dieser persönliche Konflikt nicht entschieden werden, auch zur Klärung inhaltlicher Positionen der Linkspartei?
    Kipping: Mir ist schon klar, dass es für Sie medial schöner ist, das zu inszenieren als einen Zweikampf oder einen Vierkampf. Aber das entspricht nicht der Situation in der Partei.
    "Wir stehen dafür, dass es legale Fluchtwege gibt"
    Heinemann: Dann reden wir doch mal konkret über einen Punkt. Kann man sagen, mit der Linkspartei für und gegen eine unbegrenzte Aufnahme von Migranten? Wie soll daraus ein Programm werden?
    Kipping: Ich finde, man kann ziemlich klar sagen, bei uns wird am Ende in demokratischen Beschlüssen entschieden. Im Vorbericht haben Sie ja sehr schön unsere Position zusammengefasst. So steht sie auch im Leitantrag und sie stand sie im Wahlprogramm. Unser Vorschlag für die Flüchtlingspolitik lautet nach wie vor, es gibt einen Dreiklang und nur in diesem Zusammenspiel wird es stimmig, nämlich Fluchtursachen bekämpfen.
    Das heißt, wir müssen auch über die Verantwortung des Westens und über Klimaschutz reden. Zweitens: Wir wollen eine soziale Offensive, damit die Folgen von Zuwanderung vor allen Dingen von den Superreichen bezahlt werden. Und drittens: In der Tat sind wir die Partei, die sagt, wir stehen für Flüchtlingssolidarität. Wir stehen dafür, dass es legale Fluchtwege gibt.
    "Arbeitsmigration nicht nur eine Bedrohung"
    Heinemann: Sollte man Migrantinnen und Migranten, die Arbeit suchen, genauso behandeln wie Flüchtlinge, die aus Furcht um Leib und Leben fliehen?
    Kipping: Zunächst muss man ganz klar sagen: Zum Beispiel im Leitantrag sagen wir sehr klar, wir wollen, dass man auch anerkennt, dass Menschen ihre Heimat verlassen müssen, weil sie von Hunger bedroht sind, weil es vor Ort Landraub gab, weil große Konzerne das Land, auf dem sie gearbeitet und gelebt haben, einfach weggenommen haben, oder weil es zu Umweltkatastrophen kommt von den Folgen des Klimawandels, dass man das auch als Fluchtgrund anerkennt.
    Zum zweiten finde ich, wir sollten jetzt nicht so tun, als ob Arbeitsmigration für uns nur eine Bedrohung ist. Ich würde es mal anders herum sagen: Wenn alle Arbeitsmigranten, die es bereits hier gibt, dieses Land verlassen würden, dann hätten wir ein richtiges Problem. Wir haben gerade Spargel-Saison. Ich wüsste gar nicht, wie der Spargel bei uns auf den Tisch kommen soll, wenn es da nicht Menschen aus anderen Ländern gäbe. Oder wenn wir in den Pflegebereich gehen: Wenn da alle Menschen ohne deutschen Pass jetzt das Land verlassen würden, dann hätten wir hier ein richtiges Problem.
    Heinemann: Offene Grenzen für alle Menschen in einem solidarischen Europa. Das forderte die Linkspartei noch vor Jahresfrist. Die Wörter "für alle Menschen", wurde jetzt berichtet, sind im Leipziger Leitantrag unter die Räder geraten. Warum?
    Kipping: Nein. Da müssen wir jetzt nicht in die semantischen Feinheiten hineingehen.
    Heinemann: Es gilt für alle Menschen?
    Kipping: Ja, klar.
    Heinemann: Und warum steht das nicht drin?
    Kipping: Wenn wir jetzt am Telefon über eine Textfolge reden, das ist, glaube ich, ein bisschen kompliziert.
    Heinemann: Warum nicht!
    Kipping: Uns war es wichtig, den Grundgedanken, der im Wahlprogramm steht - und wir beziehen uns auch auf das Wahlprogramm und dort steht das ausdrücklich drin -, wollten wir in einer kurzen verknappten Form darstellen. Wir waren ja mit einer Situation konfrontiert, dass seit Schließung der Wahllokale es von einigen aus unserer Partei sehr öffentlich vorgetragen die vehemente Forderung gab, dass wir unsere Flüchtlingspolitik grundlegend verändern. Ich teile diese Forderung nicht, aber es ist legitim, bei uns Sachen auch immer wieder in Frage zu stellen. Aber am Ende muss es auf dem Parteitag entschieden werden.
    "Noch viel, viel mehr drin für Die Linke"
    Heinemann: Sahra Wagenknecht fordert eine linke Sammlungsbewegung. Wäre eine solche nicht ein überzeugenderes Forum und verfügte die nicht über eine größere Stoßkraft vor allem?
    Kipping: Wir wissen ja noch nicht, was daraus wird. Ich kann nur sagen, Bewegungsorientierung ist immer eine feine Sache. Das war auch für mich in meiner Arbeit immer ein normaler Bestandteil, dass wir organischer Bestandteil von Bewegungsbündnissen und konkreten auch Bewegungen sind. Ich kann nur sagen, dass ich das Werben für diese Sammlungsbewegung sympathischer und überzeugender fände, wenn es nicht so oft damit einher ginge, dass man irgendwie der eigenen Partei sagt, dass sie zu klein wäre oder das und das nicht schaffen würde.
    Meine Aufgabenbeschreibung als Parteivorsitzende ist natürlich, zu allererst Die Linke stark und wirkungsmächtig zu machen, und ich bin davon überzeugt, dass in der Linken noch viel mehr Potenzial ist. Wenn wir jetzt nach diesem Parteitag sagen, okay, wir hatten eine inhaltliche Klärung, jetzt ziehen wir darunter einen Schlussstrich und jetzt konzentrieren wir unsere Energie gemeinsam darauf, diese Linke noch stärker zu machen und uns auf die Kämpfe zu konzentrieren, wo die unterschiedlichen Gruppen ihre gemeinsamen Interessen finden, zum Beispiel beim Kampf gegen Pflegenotstand oder für bezahlbares Wohnen, dann ist noch viel, viel mehr drin für Die Linke. Dann können wir wirklich die entscheidende Kraft links der CDU werden.
    Heinemann: Katja Kipping, Co-Vorsitzende der Partei Die Linke. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Kipping: Gerne! Einen schönen Tag!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.