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"Die Lösung muss eine libysche Lösung sein"

Einem militärischen Eingreifen von NATO oder UNO in Libyen erteilt Andreas Dittmann eine strikte Absage. Ein bewaffneter Konflikt würde bloß Gaddafis Argumente bekräftigen, dass der Aufstand vom Ausland initiiert sei.

Andreas Dittmann im Gespräch mit Martin Zagatta | 28.02.2011
    Martin Zagatta: Für Libyens Diktator Gaddafi wird es offenbar eng. Die Gegner seines Regimes stehen offenbar schon vor der Hauptstadt Tripolis, so wird berichtet. Unterdessen hat sich auch eine Übergangsregierung gebildet. Wie man den 100.000 Flüchtlingen, so die geschätzte Zahl, wie man den Flüchtlingen aus Libyen helfen kann, darüber berät in diesen Minuten der UNO-Menschenrechtsausschuss. Mit dabei der deutsche Außenminister Westerwelle und die amerikanische Außenministerin Clinton. Unterdessen ist bekannt geworden, dass die Bundeswehr in Libyen auch außerhalb von Tripolis, in der Nähe eines Ölfeldes, offenbar in einer dramatischen Rettungsaktion mitgeholfen hat, Ausländer herauszuholen. Mitgehört hat der Libyen-Experte Professor Andreas Dittmann von der Universität Gießen. Guten Tag, Herr Dittmann.

    Andreas Dittmann: Guten Tag!

    Zagatta: Herr Dittmann, können Sie uns das erklären? Die Bundeswehr muss Ausländer herausholen, es gibt blutige Kämpfe in Libyen, im Osten des Landes wird gefeiert, dass man die Stadthalter Gaddafis vertrieben hat, und dann macht man seinen alten Justizminister womöglich zum Chef einer Übergangsregierung. Wieso steht das überhaupt zur Debatte?

    Dittmann: Na ja, man macht ihn nicht unbedingt dazu, er hat sich dazu selbst ernannt, und das stößt durchaus nicht auf ungeteilte Begeisterung innerhalb Libyens, denn es gibt verschiedene Stellen, gerade im zitierten Osten, in der Landschaft der Sierra Naika, wo man durchaus nicht damit einverstanden ist, dass sich sozusagen führende Mitglieder der alten Regierung jetzt zu einer Übergangsregierung selbst ernennen.

    Zagatta: Gibt es denn überhaupt Leute im Osten, Stämme möglicherweise, die damit einverstanden wären?

    Dittmann: Der überwiegende Teil der arabischen Stämme in Libyen lebt im Osten, und hier lebt auch der überwiegende Teil derer, die eigentlich schon immer zumindest ein gespaltenes Verhältnis zu Gaddafi hatten, oder offene Gegnerschaft, und die werden als letzte damit einverstanden sein, dass sich aus dem Raum Tripolitanien jetzt ein Nachfolger selbst installiert. Man muss dazu sagen, dass Tripolitanien der Raum um Tripolis im Nordwesten Libyens und die Sierra Naika, der Raum im Nordosten Libyens, traditionell schon immer Konkurrenzräume waren, dass man hier schon immer gegeneinander gearbeitet hat und dass der Ölreichtum zumindest nach Auffassung der Bewohner im Nordosten nie gleichmäßig verteilt wurde, sondern eher immer im Gebiet um Tripolis und weniger in der Sierra Naika. Von daher kann es eine künftige Neuregelung nur mit Billigung beziehungsweise auf Initiative des Nordostens geben.

    Zagatta: Sie halten es also für eher unwahrscheinlich, dass dieser Justizminister dann der neue starke Mann wird. – Wie kann denn die Zukunft ohne Gaddafi überhaupt aussehen, wenn das Land so gespalten ist, wie Sie uns das gerade erklärt haben?

    Dittmann: Das Land ist insofern gespalten, als dass es nicht eindeutige, jetzt schon eindeutige Meinungen dazu gibt, wer denn ein Nachfolger sein könnte, oder wie eine Nachfolge geregelt würde. Aber es ist sicher nicht in dem Sinne gespalten, dass es schon verschiedene Stammesgegensätze gäbe und Stämme gegeneinander vorgehen würden. Das ist eher eine westliche Perspektive, die sieht, dass ein afrikanisches Land ins Wanken gerät, die Regierung dabei ist abzutreten, und dann stellt man sich vor, dass das kommende Chaos dann von Stammesauseinandersetzungen geprägt wäre. Das ist für Libyen nicht so der Fall, dazu ist Libyen zu modern.

    Zagatta: Sie sehen da keine Probleme? Die Stämme würden sich dann ganz schnell einigen können?

    Dittmann: Das ist jedenfalls die Hoffnungsvariante, ja.

    Zagatta: Welche Vorstellungen haben diese Stämme dann? Was würde sich in Libyen konkret ändern?

    Dittmann: Also was am jetzigen System sozusagen eine eigentlich rasche Möglichkeit der Bildung von Übergangsstrukturen befähigt, ist die Struktur, dass die jetzigen Volkskongresse eigentlich daran gewohnt sind, auf regionaler Basis Abgesandte zu ernennen, die dann in der Vergangenheit wiederum die Mitglieder des Parlaments ernannten, und diese, in der Theorie zumindest als basisdemokratisch angedachte Grundstruktur, die kann jetzt sehr schnell helfen, eine Zusammenstellung von unterschiedlichen Delegierten zu erreichen, die dann auch tatsächlich auf der Abgesandtenbasis, das heißt mit dem Willen des Volkes, agieren.

    Zagatta: Herr Dittmann, weil wir so weit weg sind, weil wir eigentlich so wenig von Libyen wissen, die Frage, die wir dann immer stellen: Welche Rolle spielen da eigentlich Islamisten?

    Dittmann: Ja, das ist ein weiteres westliches Klischee, das sich natürlich aufdrängt. Aber Libyen ist ein islamisches Land, es ist weit davon entfernt, ein islamistisches Land zu sein. Dennoch gibt es, auch diese dann schwerpunktmäßig im Nordosten, natürlich Islamisten. Aber es ist nicht so, dass hier unmittelbar nach Gaddafi dann eine neue Bedrohung in Form einer islamistischen Regierung oder Ähnlichem kommen könnte. Gaddafi selbst hatte immer große Probleme mit islamischen oder sogar islamistischen Strömungen innerhalb des Landes. Das ist eine gewisse Tradition, die noch bis in die italienische Besatzungszeit zurückgeht. Aber die große Gefahr durch einen islamistischen Umsturz, der ist wieder etwas typisch Westliches und weniger an der Realität angepasst.

    Zagatta: Ist das mit den Sanktionen, über die hier diskutiert wird, so ähnlich? Da haben wir ja im Moment auch eine Diskussion, ob die UNO oder die NATO nicht sogar militärisch eingreifen müssten, um das Morden Gaddafis zu unterbinden. Wie sehen Sie das? Sie kennen die Region. Wollen das dort die Menschen, die wir als Regimegegner bezeichnen? Wollen die das überhaupt?

    Dittmann: Nein, auf keinen Fall. Die Lösung muss eine libysche Lösung sein, auch wenn es jetzt etwas länger dauert, und auch, wenn bestimmte Akteure sich nach einem militärischen Eingreifen vielleicht größeren Einfluss in einem nach Gaddafi-Libyen selbst versprechen. Ein militärisches Eingreifen wäre jetzt auf jeden Fall die falsche Lösung und sie würde auch die Gaddafi-Argumente eigentlich unterstützen, der ja in den drei Gruppen, die er als diejenigen, die den Aufstand prägen, auch immer wieder ausländische Akteure nennt. Neben Drogenabhängigen und neben El Kaida sind Ausländer diejenigen, die er vor allem als die Drahtzieher des jetzigen Aufstandes sieht. Und wenn man jetzt intervenieren würde, würde man genau das dieses Bild auch stützen.

    Zagatta: Für wie stark halten Sie das Gaddafi-Regime noch? Ist das aus Ihrer Sicht ausgemacht, dass die Gegner, dass diejenigen, die da jetzt gegen ihn vorgehen, dass die sich letztendlich auch durchsetzen?

    Dittmann: Also es ist zumindest so, dass das, was Gaddafi selbst, oder die ihm immer noch treu zur Seite stehenden, beziehungsweise die institutionalisierten Mitglieder seiner Familie, so viel dem Volk an Leid angetan haben, dass das nicht wieder heilbar sein wird. Das heißt, dass es nur eine ganz neue Ohne-Gaddafi-Regelung geben können wird.

    Zagatta: Und für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass es dazu kommt?

    Dittmann: Ja die militärische Lage ist ja relativ aussichtslos. Gaddafi hat jetzt auch noch die größeren Orte, die bisher außer Tripolis noch von seinen Leuten kontrolliert wurden, also Mesurata gestern, heute wohl dann auch im Westen az-Zawiyya verloren, und schanzt sich in dem Militärstützpunkt innerhalb der Hauptstadt Tripolis Bab al-Asisijah ein, sodass seine zumindest regionale Kontrollbefugnis in den letzten Tagen kontinuierlich geschrumpft ist. Wenn das so weitergeht, dann kann es nicht mehr lange dauern.

    Zagatta: Angeblich – zumindest wird uns diese Zahl heute genannt – sind mittlerweile rund 100.000 Menschen in die Nachbarländer geflüchtet. Man blickt ja hier in Europa mit besonderer Sorge auf diese Entwicklung. Was halten Sie da für wahrscheinlich? Lässt sich das abschätzen, was da an Flüchtlingen auf die EU möglicherweise zukommt?

    Dittmann: Ja auch das ist wieder ein westliches Klischee, wo man vor Hysterie ein bisschen warnen muss. Im Moment sind drei Gruppen von Flüchtlingen zu unterscheiden, und davon ist die größte Gruppe 1,5 Millionen ägyptische Gastarbeiter und die davon zurückkehrenden machen einen großen Teil der jetzt vielfach zitierten 100.000 aus. Es flüchten nur ganz wenige Libyer selbst aus dem Land, vor allen Dingen aus den nordwestlichen Landesteilen, die aber dann unmittelbar nach Abflauen der Kämpfe wieder zurückkehren würden. Libyer werden von materieller Not nicht so getrieben wie zum Beispiel die jungen Tunesier im Nachbarland, oder die jungen Ägypter, sodass sie auch weniger Grund haben, in die EU zu fliehen. Das ist eine ganz verschwindend geringe Gruppe. Was immer wieder zitiert wird, ist die bisherige Grenzpolizistenfunktion, die Gaddafi für die EU erledigt hat, indem verhindert wurde, weitgehend blockiert wurde, dass Ströme von Arbeit suchenden aus dem subsaharischen Bereich durch Libyen durch den kürzesten Weg zum Mittelmeer nehmen und dann europäischen Küsten zustreben. Diese Bewegung ist genauso stark, oder genauso schwach wie vorher, aber sie ist jetzt im Moment nicht mehr durch libysche staatliche Kontrollorgane behinderbar. Aber ich sehe auch hier nicht die große Katastrophe, die vor allem von italienischer Seite immer wieder gezeichnet wird. Hier hat die EU noch erhebliches Aufnahmepotenzial. Und die großen Flüchtlingsströme aus Libyen Richtung Europa werden sicher ausbleiben.

    Zagatta: Professor Andreas Dittmann von der Universität Gießen, der uns heute Mittag geholfen hat, möglicherweise einige Klischees zu dem, was wir über Libyen wissen, auszuräumen. Herr Dittmann, ich bedanke mich für das Gespräch.

    Dittmann: Danke auch! Auf Wiederhören.