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Die Logik der Weltherrschaft

Bei dem Begriff "Imperium" denkt man an das antike Rom oder das britische Weltreich, an geschichtliche Erscheinungen, die weit zurückliegen. Die offen demonstrierte Vormachtstellung der USA nach dem Ende des Kalten Krieges hat nun aber den Begriff zur Bestürzung nicht nur der Europäer neu belebt. Mit diesem also wieder aktuellen Thema hat sich der Politikwissenschaftler Herfried Münkler in seinem neuesten Buch über die Logik der Weltherrschaft, bei Rowohlt Berlin erschienen, auseinandergesetzt.

Von Nicola Balkenhol | 21.11.2005
    Was kennzeichnet ein Imperium überhaupt? Wie funktioniert es? Welche Bedingungen halten es am Leben, was verursacht seinen Zerfall? Und was folgt daraus für das Verhältnis zwischen den USA und Europa? Fragen, die der Politikwissenschaftler Herfried Münkler nun beantworten will:

    In diesem Buch geht es "um die Typen imperialer Herrschaft, die Formen von Expansion und Konsolidierung und um die Medien, in denen sich die Imperiumsbildung vollzogen hat.

    Dabei will Münkler nicht nur anhand vergleichender geschichtlicher Betrachtungen den Begriff und seine systematische Verwendung klären:

    Das Erkenntnisinteresse zielt auch auf die Rationalität der Akteure. Es geht zudem darum, Prognosen über die Dauer und Stabilität des amerikanischen Imperiums zu machen und Überlegungen zu der Frage anzustellen, wie ein Europa beschaffen sein muss, das sich einerseits als selbständige politische Kraft neben den USA zu behaupten vermag und andererseits in der Lage ist, seine instabilen und hereinstürzenden Ränder zu befestigen und positiv auf seine Nachbarn einzuwirken.

    Was also ist ein Imperium? Zunächst grenzt Münkler den Begriff gegen andere wie Staat und Hegemonie ab. Danach ist ein Imperium einzigartig und reduziert Unterlegene auf den Status von "Klientelstaaten oder Satelliten". Außerdem legt Münkler Wert auf die Unterscheidung Imperium / Imperialismus, weil er die "normativ-wertende Perspektive so gut wie aller Imperialismustheorien" gegen "einen stärker deskriptiv-analytischen Blick auf die Handlungsimperative von Imperien" tauschen möchte. Allen Typen ehemals bestehender Imperien ist laut Münkler gemeinsam, dass am Beginn jedes Imperiums militärische und ökonomische Überlegenheit stehen. Konsolidieren kann es sich dann nur, wenn politische und ideologische Macht hinzukommen. Zwischen diesen beiden Phasen liege die "augusteische Schwelle", benannt nach einer Reformphase, die der Römische Kaiser Augustus einleitete, nachdem er seine letzten Konkurrenten militärisch ausgeschaltet hatte. "An dieser Schwelle sind viele Großreichsbildungen gescheitert", schreibt Münkler. Der wirtschaftliche Gewinn eines Imperiums hänge vom Umgang mit den Rändern ab. Werde die Peripherie zu sehr ausgebeutet, wehrt sie sich, seien die Kosten der Integration dagegen hoch, würden die Menschen im Zentrum unzufrieden. Nur Imperien, denen das Austarieren dieses Widerspruchs durch Konsolidierung im Inneren gelungen sei, konnten sich halten.
    Aufstieg und vor allem Dauer von Imperien würden durch das Zusammenspiel der vier von Münkler so bezeichneten 'Machtsorten’, - militärische, ökonomische, politische und ideologische Macht - im Verhältnis zwischen Zentrum und Peripherie bestimmt. Ein Zyklenmodell hält Münkler für geeigneter als das gängige Aufstiegs- / Niedergangsmodell:

    Bei der Betrachtung der Imperialgeschichte sind das Konzept der unterschiedlichen Machtsorten und die Zyklentheorie dahingehend zu kombinieren, dass ein Determinismus vermieden wird. Dabei scheint ein Zyklus umso kürzer zu sein, je weniger Machtsorten ein Imperium zur Verfügung hat. Mit der Varianz der Machtsorten wachsen zugleich die Möglichkeiten der Entscheidungseliten, den Zyklendurchlauf zu steuern. Aus ihm aussteigen oder ihn anhalten können sie allerdings nicht.

    Damit sind die Elemente der Logik der Weltherrschaft komplett: Das Verhältnis Zentrum / Peripherie, die vier Machtsorten und handelnde Eliten, die sich ihrer bedienen.

    Nun geht es um die Feinabstimmung: Münkler nimmt die beiden Machtsorten genauer in den Blick, die jenseits der augusteischen Schwelle an Bedeutung gewinnen: die politische und die ideologische Macht. Eine imperiale Ordnung erhöhe ihre Akzeptanz oder Legitimität , in dem sie Frieden und Prosperität garantieren könne. Bestandssichernd erweise sich zudem eine darüber hinaus gehende imperiale Mission. Das können religiöse Missionen sein wie beim spanischen Seeimperium oder, wie im Falle der USA, die Festlegung auf die Durchsetzung von Marktwirtschaft, Demokratie und Menschenrechten. Missionen verpflichteten die in Imperien handelnden Personen auf überindividuelle Ziele und schweißten die zum Imperium gehörende Bevölkerung zusammen. Herausgefordert werde die imperiale Mission durch diejenigen, die ihre Richtigkeit anzweifelten. Sie könnten ein Imperium bedrohen, wenn es ihnen gelänge, es mithilfe von Partisanen- oder heute terroristischen Aktionen hinter die augusteische Schwelle zurückzudrängen.
    Zurück zum Anfang: Sind die USA ein Imperium? Ja, meint Münkler, wenn auch zum Teil wider Willen. Zurückzuführen sei das auf folgende Paradoxie:

    Postimperiale Räume sind darauf angewiesen, dass sie von außen stabilisiert werden, damit in ihrem Inneren eine stabile Ordnung entstehen kann, und die erhalten sie nur, wenn sich eine Macht findet, die – vorübergehend – imperiale Ordnungsfunktionen erfüllt.

    Genau diesen Punkt hatten all jene nicht im Blick, die nach dem Ende des Kalten Krieges eine Gemeinschaft gleichberechtigter Staaten als Modell für eine neue Weltordnung propagierten. Eingesprungen sind die USA, und sie erfüllen, so Münkler, damit eine Aufgabe, die in die Konsolidierungsphase eines Imperiums jenseits der augusteischen Schwelle fällt, nämlich die der Bestandssicherung. Zugleich sieht sich Amerika mit aus seiner imperialen Mission resultierenden Forderungen konfrontiert, Menschenrechte und Demokratie auch dort durchzusetzen, wo es überhaupt keine ökonomischen Interessen verfolgt. Münkler konstatiert hier ein Dilemma:

    Die Bestandssicherung des Imperiums legt den Verzicht auf globale Selbstüberforderung nahe. Allerdings würde die imperiale Mission der USA dadurch ständig dementiert.

    Ein guter Teil der nach dem Zerfall der Sowjetunion entstandenen postimperialen Räume liegt in Europa. Soll ihre Befriedung den USA überlassen werden? Wie kann Amerika daran gehindert werden, hier als imperialer Akteur aufzutreten? Münklers Antwort: Die EU muss sich selbst um eine Befriedung ihrer Ränder kümmern und zugleich aufpassen, nicht von den USA instrumentalisiert zu werden. Kurz: Die EU müsse sich imperiale Merkmale zu Eigen machen, um nicht an den Problemen zu scheitern, die durch ihre Peripherie entstehen.

    Er habe mit "Imperien" ein Buch schreiben wollen, wie es sonst nur in Amerika geschrieben werde, hat Münkler in einem Interview erläutert. Das ist ihm in beeindruckender Weise gelungen. Gut lesbar, dabei präzise am Begriff arbeitend, stringent aufgebaut. Diese Art von Politikwissenschaft bringt zugleich Forschung und politische Praxis weiter.

    Das heißt nicht, dass keine Fragen blieben. "Die Logik der Weltherrschaft" hat etwas Mechanisches: Imperien entstehen und vergehen und hinterlassen postimperiale Räume, die wieder von Imperien eingenommen werden. Ist dies ein weltgeschichtlicher Zwang?

    Münkler verhält sich in diesem Punkt rein pragmatisch und geht damit der Frage aus dem Weg, was wir wollen sollen. Ist das alteuropäische Modell einer Gemeinschaft gleichberechtigter Staaten nach Kant wirklich gescheitert, lohnt eine Weiterfolgung dieses Gedankens noch, und mit welchen politischen Mitteln? Sollte die Europäische Union nicht diesem Leitbild folgen, und wären imperiale Mittel zur Durchsetzung eines solchen Modells geeignet? Münkler macht es sich zu einfach, wenn er lapidar behauptet:

    Dass das auf Gleichheit angelegte Staatenmodell in den nächsten Jahrzehnten in der Lage sein wird, die erkennbaren Herausforderungen zu bestehen, wird man eher bezweifeln dürfen.

    In Münklers Betrachtungsweise hat Machiavelli schon gegen Kant gewonnen. Das ist voreilig. Aber für die Analyse der tatsächlich bestehenden Machtverhältnisse eignet sich Münklers Buch hervorragend.

    Nicola Balkenhol war das über Herfried Münklers : Imperien, erschienen bei Rowohlt Berlin. Es hat 336 Seiten und kostet 19.90 Euro.