Archiv


Die Lohnpolitik und das Bündnis für Arbeit

    Ensminger: Der IG-Metall Vorstand wir heute in Frankfurt am Main die Forderungen der Tarifkommission in den zehn Bezirken beschließen. 6,5 Prozent mehr Lohn wird der Vorstand aller Voraussicht nach auch bundesweit fordern. Auch die Warnung vor Streiks ist längst raus und wurde gestern auch noch einmal bekräftigt. Und auch die IGBCE scheint auf einen Arbeitskampf eingestellt zu sein. Zumindest meinte deren Vorsitzender, Hubertus Schmoldt, in der heutigen Ausgabe des Handelsblattes, wenn die Arbeitgeber ihr bisheriges Verhalten fortsetzen, dann sei seine Hoffnung auf einen Abschluss ohne Streik gering. Ob mit oder ohne Streik, die Metallbranche jedenfalls steht nach Einschätzung von Gesamtmetallpräsident Kannegiesser vor der härtesten Runde der vergangenen Jahre. Am Telefon ist nun Rudolf Hickel, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Bremen. Wird es denn die härteste Runde seit Jahren?

    Hickel: Bei der Ankündigung jeder Tarifrunde wird gesagt, es wird die härteste. Aber tatsächlich wird diese Lohnrunde relativ schwierig. Wir sind konjunkturell, wirtschaftlich in einer Stagnation, in Richtung Rezession, d.h. die Wirtschaft schrumpft, und da wird über die Rolle der Lohnpolitik heftig gestritten werden. Ich sage nochmals, die Lohnpolitik muss ein Stück die Verantwortung mit übernehmen für die Stärkung der Binnennachfrage, die das größte Handicap der Konjunktur zur Zeit darstellt.

    Ensminger: D.h. Sie folgen den Argumenten der Gewerkschaften, aber 6,5 Prozent, das ist natürlich schon eine ganze Menge.

    Hickel: Man muss sich ja die Ableitung der Forderung genauer anschauen. Die Forderung ist an drei Komponenten ausgerichtet. Das Erste ist der Produktivitätsfortschritt, wir gehen als Volkswirte von 2 Prozent aus. Das Zweite ist der Inflationsausgleich, 2 bis 2,5 Prozent. Der Rest ist die Umverteilungskomponente, und sie ist zurückzuführen auf den Frust, der dadurch erfahren worden ist, dass im Januar 2000 im Bündnis für Arbeit eine moderate Lohnpolitik vereinbart wurde. Sie ist auch realisiert worden, und am Ende ist eben dann eine Lohnrunde rausgekommen, die zu Lohnverlusten, aber nicht zu Beschäftigungszuwächsen geführt hat. Ich glaube, man wird jetzt sehr heftig und sinnvoll streiten müssen, welche Rolle die Lohnpolitik hat. Aber das Wichtigste ist - und das muss ich an die beiden Tarifparteien und vor allem an die Politik sagen -, es darf natürlich nicht der Eindruck entstehen, dass das schwerste Problem, nämlich die hohe Massenarbeitslosigkeit, in der die Bundesregierung nicht weitergekommen ist, allein und ausschließlich mit der Lohnpolitik lösbar sei.

    Ensminger: Die Lohnpolitik hat auch das Bündnis für Arbeit empfindlich gestört. Einzelhandelspräsident Franzen forderte nun ein Ende des Bündnisses. Glauben Sie, dass es tatsächlich so weit ist?

    Hickel: Ich finde es spannend, dass der Einzelhandelspräsident das fordert. Ich selber war als Ökonom immer schon sehr skeptisch gegenüber dem Bündnis für Arbeit. Es ist ja die Vorstellung, man könne trilateral, also mit Arbeitgeber, Gewerkschaften und Politik, eine Konsensmaschine in Gang setzen. Ich muss leider rückblickend nach der letzten Runde am Freitag sagen, das Bündnis für Arbeit musste in einem zentralen Punkt scheitern. Es kann nicht sein, dass die Lohnverhandlungen in diesem Bündnis insgesamt stattfinden. Dafür haben wir klare Strukturen, auch von der Verfassung, die eben kein Bündnis vorsehen, sondern Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Und das Zweite ist, das Bündnis hat sich ja selbst in kleineren Fragen als völlig unfähig erwiesen. Denken Sie bitte daran, dass seit Jahren gefordert wird, meines Erachtens zurecht, die hohe Zahl der Überstunden von über 1,7 Milliarden zu reduzieren, nicht auf Null zu fahren - die Betriebe brauchen natürlich Überstunden, um atmen zu können -, aber doch zurückzufahren, und da hat sich nichts bewegt. Das Einzige, was das Bündnis positiv hervorgebracht hat, war sicherlich das Job-Aktiv-Gesetz, das ein bisschen besser und näher bei der Vermittlung von Arbeitschancen an die Personen rangeht.

    Ensminger: Die derzeitige Lohndiskussion deckt also notwendige Überlegungen zu. Was brauchen wir denn dann tatsächlich, damit Wirtschaftswachstum und Arbeitsplatzaufbau miteinander hergehen und damit eben auch ein Kompromiss beschlossen werden kann?

    Hickel: Der IG-Metall Vizepräsident hat meines Erachtens zurecht gesagt, die Lohnpolitik droht sozusagen die Mühlkippe für alle Veranstaltungen zu werden. Wir machen zur Zeit eine Finanzpolitik, die nicht das Wachstum stärkt, und ich sage nochmals ganz deutlich, hier muss der Bund zusammen mit den Ländern Akzente setzen. Wir brauchen in der Tat ein öffentliches Investitionsprogramm, vor allem auf der Ebene der Kommunen. Die Kommunen sind in ihrer größten fiskalischen Krise, sie haben einen riesigen Investitionsstau. Auch die wirtschaftswissenschaftlichen Institute schlagen ähnlich wie ich vor, dass es hier zur Bundeszuweisung kommt, um endlich die öffentlichen Investitionen der Kommunen zu stärken. Das schafft auch Arbeitsplätze. Natürlich hat auch die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank die Konjunktur in Deutschland belastet, weil sie zu wenig expansiv ist. Man muss sich vorstellen, die Geldpolitik schafft nicht genügend Voraussetzungen für die Verbilligung von Investitionen, für den Anreiz für Investitionen, und plötzlich sehen wir uns auf die Diskussion reduziert, um zu sagen, nun muss die Lohnpolitik, nun müssen die armen Arbeitgeber und die armen Gewerkschaften das Problem lösen. Ich verlange einen Dreiklang in der Politik, eine Art expansive Finanzpolitik, eine Geldpolitik, die wirklich jetzt dazu beiträgt, die Konjunkturkrise zu überwinden. Dann hat es die Lohnpolitik erheblich einfacher, übrigens Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam.

    Ensminger: Vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio