Die »lyrix«-Gewinner im Februar 2014

Im Februar 2014 begab sich »lyrix« mit dem Thema „Under Cover“ in das Schwule Museum* Berlin. Dort begegneten wir einer Barbie-Ken-Puppe sowie einer Skulptur des Heiligen Sebastians.

    Eure Texte zu unserem Februar-Thema "Under Cover" thematisieren Ausgrenzung, die einem wiederfahren kann, wenn man entgegen gesellschaftlicher Konventionen lebt oder handelt. An zentraler Stelle stehen in vielen eingeschickten Gedichten Bilder oder Symbole, die auf eine Schutzfunktion für Unterdrückte oder "Under Cover"-Lebende hinweisen, zum Beispiel die "Maske" oder das "Chamäleon". Vielen Dank für Eure vielfältigen Einsendungen!
    Hier kommen die 5 Gewinner-Gedichte im Februar:
    Hinter dem Spiegel

    Das Knäuel in meiner Hand,
    fein aufgewickelte Schnüre.
    Gesponnen nach Regeln und Maß.
    Ein Faden löst sich,
    sucht - und findet.
    Ein Band knüpft an:
    nicht zu greifen,
    nah und schon so weit.
    Das Netz einer Spinne,
    hinter dem Spiegel laufen die Fäden anders.
    Knüpfen Treppen,
    kaum sichtbares Flechtwerk,
    Stufe für Stufe,
    immer weiter zum Licht.
    Zur Freiheit...
    Dort werden wir sein, was wir sind.
    Jeder für sich,
    alle zusammen.
    (Emma Blüthgen aus Berlin, Felix-Mendelssohn-Bartholdy-Gymnasium, Jahrgang 2001)
    Versteckt
    Versteckt lebe ich,
    Denn ich bin falsch.
    Bin nicht so,
    Wie ich sein soll,
    Gefangen im Schatten,
    Die Freiheit im Käfig,
    Denn die Welt ist nicht frei.
    Nicht frei für mich,
    Ich muss mich verstecken,
    Verbergen im Nebel,
    Der alle umhüllt.
    Kann nicht laufen,
    Kann nicht reden,
    Kann kaum atmen,
    Luft wird dick.
    Versteckt liebe ich,
    Denn meine Liebe ist falsch.
    Doch kann Liebe falsch sein?
    Sie sagten mal, nicht.
    (Verena Brocker aus Meerbusch, Städtisches Meerbusch Gymnasium, Jahrgang 1997)
    Er
    ging vorbei
    und sprach kein Wort
    ich hob den Blick
    und sah sofort
    er ist anders
    als die andren
    wie er steht
    wie er geht
    wie er schaut
    und sich bewegt
    hob den Kopf
    ein kurzer Blick
    sah mich an
    ich sah zurück
    freundlich lächelnd
    gehe vorüber gehe vorbei
    reckt den Rücken
    schreitet von dannen
    König der Welt
    (Annabelle Kahmann aus Wuppertal, Gymnasium am Kothen, Jahrgang 1997)
    Neubeginn
    Wie jeden Tag gehe ich in der Menge unter,
    werde unsichtbar.
    Wie ein Geist bin ich zwischen den hetzenden Menschen
    kaum auszumachen.
    Wie ein Schatten wandele ich zwischen den fremden Gesichtern.
    Unbemerkt betaste ich den schweren Rucksack.
    Die bunten Kabel zeichnen sich unter dem dünnen Stoff ab.
    Der Kasten dazwischen stößt gegen meinen Rücken.
    Mit jedem Schlag wird die Entschlossenheit größer.
    Ich will Feuer sehen!
    Will meinen Unmut deutlich zeigen.
    Zu lange habe ich meine Wut versteckt.
    Zu lange habe ich die Schreie unterdrückt.
    Heute wird das enden.
    Meine Schritte werden schneller.
    Das große Gebäude in Reichweite.
    Hier wird es anfangen!
    Schwere Türen öffnen sich.
    Ein warmer Schwall Luft tritt mir entgegen.
    Gleich wird ein anderer Wind wehen.
    Ich stelle mich zu einer Gruppe von Menschen,
    sehe mir die Leute an, die ich zerstören werde
    und flüsterte leise:
    „Heute ist schulfrei!“
    (Lucie Neumann aus Flöha, Sächsisches Landesgymnasium Sankt Afra, Jahrgang 1999)
    Under Cover

    Keiner sieht mich, keiner kennt mich,
    ich lass keinen an mich ran,
    so kann keiner mich erkennen,
    weil mich niemand finden kann.
    Unsichtbar bin ich nicht wirklich,
    angepasst, das trifft es schon,
    achtsam, immer unauffällig,
    halt, wie ein Chamäleon.
    Denn, wenn sie erkennen würden,
    wer und wie ich wirklich bin,
    wäre Hass da und Verachtung
    also bleibt es in mir drin:
    Gut versteckt sind die Gedanken,
    Gefühle, mein wahres ich,
    es die andern sehen lassen,
    nein, dass traue ich mich nicht.
    (Magdalena Wejwer aus Umkirch, Wentzinger Gymnasium, Jahrgang 1997)
    Laut aktuellen Wettbewerbsbedingungen dürfen nur Jugendliche mit Wohnsitz in Deutschland teilnehmen. Uns erreichen aber immer wieder Einsendungen aus der Schweiz oder aus Österreich, die ebenfalls von unserer Jury gelesen werden. Hier also - außer Konkurenz - das Gedicht einer Schülerin aus der Schweiz, das uns auch sehr überzeugt hat.
    Sonderling
    Mitternacht
    Ein kleines Ei
    Angebracht
    Auf einem Blatt
    Verstecktes Leben
    Ein Schlupfloch
    Ein kleiner Kopf
    Herumtastend
    Getarnt durch den Schutz der Blätter
    Geschützt durch die langen Haare
    Friest Blatt für Blatt und wird nicht satt
    Unbedacht was es da macht
    Mit jeder Hülle kunterbunter und voluminöser
    Es ruht sich aus im Seidenhaus
    Über eine lange Nacht
    Erwacht in Farbenpracht
    Sie breitet die Fügen aus und fliegt in die Welt hinaus
    Ein Sonderling der Schmetterling
    (Adna Draxl aus Rheinfelden, Rudolf Steiner Schule, Jahrgang 1999)