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Die "meisten Israelis leben in einer Spaßgesellschaft"

Nach Ansicht von Mosche Zimmermann, israelischer Historiker an der hebräischen Universität Jerusalem, spüren die meisten Israelis von Krieg und Konflikt nichts. Dennoch sei die 60jährige Geschichte des Landes keine Erfolgsgeschichte, wenn es um den Frieden mit den Nachbarstaaten gehe. Anders sei das unter ökonomischen Gesichtspunkten: Hier könne man Israel durchaus als erfolgreich bezeichnen.

Moderation: Christiane Kaess |
    Kaess: Es war am 14. Mai 1948 in Tel Aviv: der spätere Ministerpräsident David Ben Gurion proklamierte den Staat Israel. Seine 60jährige Staatsgründung feiert das Land vor allem am heutigen 8. Mai. Die Besonderheiten des jüdischen Kalenders kommen zu diesem Stichtag und der fällt heute symbolträchtig zusammen mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa. Die Verbindung mit der deutschen Geschichte ist also auch heute unübersehbar.
    Am Telefon ist jetzt Mosche Zimmermann. Er ist israelischer Historiker an der hebräischen Universität Jerusalem. Guten Tag Herr Zimmermann!

    Zimmermann: Guten Tag!

    Kaess: Herr Zimmermann, Israel hat seit seiner Staatsgründung sechs Mal Krieg gegen seine Nachbarländer geführt. Allein im vergangenen Jahr sind mehr als 100 Soldaten und Zivilisten ums Leben gekommen, viele von ihnen im Kampf mit der radikalen Hamas im Gaza-Streifen. Ist die 60jährige Geschichte Israels dennoch eine Erfolgsstory?

    Zimmermann: Das kommt darauf an, aus welchem Blickwinkel man auf diese Geschichte schaut. Wie Sie begonnen haben, also mit der Geschichte der Kriege, ist es kein Erfolg. Wenn man 60 Jahre lang den Frieden nicht geschafft hat, dann war man erfolglos - mindestens in einem bestimmten und wichtigen Bereich. Vergleicht man aber Israel von vor 60 Jahren und heute aus dem gesellschaftlichen Blickpunkt, dann kann man von einer Erfolgsgeschichte sprechen.

    Kaess: Was lässt denn die Menschen heute feiern und an ihr Land glauben, so wie wir das in dem Bericht gerade gehört haben?

    Zimmermann: Als allererstes muss man immer betonen: Die meisten Israelis spüren vom Krieg und vom Konflikt kaum etwas. Es sind die Palästinenser, die darunter leiden, aber die meisten Israelis leben in einer so genannten Spaßgesellschaft, in einer neoliberalen Atmosphäre. Man fühlt sich reicher und wohlhabender im Durchschnitt als vor 10 Jahren oder vor 30 Jahren. Deswegen feiert man eigentlich die Erfolge dieses Staates, also dieser Gesellschaft, und ganz bestimmt vor dem Hintergrund der früheren Geschichte der Juden, die mit Erfolg kulminiert.

    Kaess: Innenpolitisch macht das Land ja gerade mal wieder turbulente Zeiten durch. Ministerpräsident Ehud Olmert steht unter Druck wegen einer Bestechungsaffäre. Ist davon heute etwas zu spüren?

    Zimmermann: Das hat man heute für einen Tag ausgesetzt. Heute feiert man. Es ist nicht nur Unabhängigkeitstag; es ist zum 60. Mal. Deswegen hat man etwas Geduld bis morgen und übermorgen, bis wir wieder bei dieser Affäre sind. Das ist in Israel aber auch eher die Regel, dass man Skandale hat, dass man Aufregung hat. Die Nachrichten in Israel sind aufregender als in Mitteleuropa und damit wird man sich nächste Woche befassen.

    Kaess: Heißt das die Menschen haben sich daran gewöhnt?

    Zimmermann: Die Leute erwarten von den Nachrichten, dass sie dramatisch sein werden. Mit den langweiligen Nachrichten, die man in Europa hat, können Israelis im Durchschnitt nicht leben.

    Kaess: Welche Rolle spielt die Tatsache, dass trotz der Feierlichkeiten wieder Panzer in Richtung Gaza rollen?

    Zimmermann: Das ist auch am Rande des Geschehens etwas, was uns ständig begleitet. Die meisten Israelis registrieren diese Tatsache nicht oder registrieren das ganz marginal. Die wissen Bescheid! Es gibt ein Problem. Es gibt einen wunden Punkt in Israel, im Süden von Israel. Die Kleinstadt Sderot steht unter Beschuss der Hamas. Aber das ist wie gesagt punktuell. Für die allermeisten Leute geht das Leben ganz normal weiter.

    Kaess: Israels Ministerpräsident Ehud Olmert hat gesagt, dass Israel keinen größeren Wunsch habe, als den Konflikt mit seinen Nachbarn zu beenden. Dies sei kein Konflikt, der nicht gelöst werden könne. Da vertritt er laut Umfragen aber nicht die Mehrheitsmeinung der Israelis?

    Zimmermann: Das würde ich bestreiten. Die Mehrheit der Israelis ist daran interessiert, einen Frieden mit der Umgebung zu haben. Man ist hier schon kriegsmüde. Man will in einer wohlhabenden Gesellschaft leben und daran stört eben der Konflikt mit den Arabern. Die Frage ist nur die Frage des Preises.

    Kaess: Daran interessiert schon, aber ist man auch optimistisch?

    Zimmermann: Optimistisch ist man hier immer, aber das ist auch eine Gewohnheit, die mit Realitäten kaum etwas zu tun hat. Es gibt keinen Grund, optimistisch zu sein. Auf der einen Seite gibt es die Hamas-Regierung, die sehr fundamentalistisch und radikal ist. Auf der anderen Seite sind es die israelischen Siedler, die genauso fundamentalistisch und radikal sind. Dies sind Störfaktoren, die man ohne weiteres nicht bei Seite schieben kann. Und trotzdem: Im Großen und Ganzen ist die israelische Bevölkerung und ich nehme an auch die palästinensische Bevölkerung daran interessiert, einen Friedenszustand zu schaffen, weil man im Wohlstand leben will. Man hat einen Anspruch darauf, ein Teil der westlichen Welt zu sein.

    Kaess: Herr Zimmermann, schauen wir in Anlehnung an die israelische Geschichte noch auf das deutsch-israelische Verhältnis. Sind denn die deutsch-israelischen Beziehungen eine Erfolgsgeschichte?

    Zimmermann: Da muss man sagen hat sich die Beziehung weitgehend normalisiert. Ich habe die Resultate von Meinungsumfragen. In den letzten Jahren behaupten etwa drei Viertel der Israelis, dass die Beziehungen zu Deutschland normal geworden sind, dass das Deutschland von heute ein anderes Deutschland ist als früher, das heißt ein demokratisches Deutschland. Mindestens von israelischer Seite kann man sagen haben die Deutschen einen großen Erfolg erzielt. Ob die Deutschen parallel dazu die Israelis auch so positiv betrachten, ist eine andere Frage.

    Kaess: Woran liegt das? Wer kann sich diese positiven Aspekte zuschreiben?

    Zimmermann: Zum einen ist es die Stabilität der deutschen Demokratie von heute. Der Gegensatz zwischen dem, was heute Deutschland bedeutet und was Deutschland früher, vor 70 Jahren bedeutete, ist ja ganz eindeutig. Das wissen die Israelis; das spüren die Israelis. Die Israelis sind mit einem anderen Deutschland begegnet und außerdem - das ist auch wichtig - stand Deutschland politisch in den letzten Jahren ganz bestimmt eindeutig auf der Seite Israels und auf der Seite der israelischen Politik. Nicht alle Israelis - ganz bestimmt nicht die Linken - sind immer damit einverstanden, aber für die meisten Israelis ist es ein Beweis dafür, dass Deutschland ein anderes Deutschland geworden ist. Deswegen akzeptiert man diese Normalisierung.

    Kaess: Der ehemalige deutsche Botschafter in Israel Rudolf Dreßler hat heute Morgen im Deutschlandfunk gesagt, die Kritik von deutscher Seite an Israel habe nichts damit zu tun, dass man das Sicherheitsbedürfnis des israelischen Staates nicht anerkenne. Wird das in Israel auch so gesehen?

    Zimmermann: Die Israelis hören relativ wenig aus Deutschland und das was sie hören ist meistens das, was Frau Merkel hier zum Ausdruck gebracht hat: Also eine Unterstützung für die Sicherheitsbedürfnisse Israels und für auch andere Bedürfnisse. Die Kritik, die man aus Deutschland hört, ist eher relativ schwach, ich meine im Vergleich zur Kritik, die aus England kommt oder aus anderen Staaten. Deswegen kann man hier in Israel damit leben, wie man so schön sagt.

    Kaess: Ist das eine Aufforderung zu mehr kritischen Aussagen?

    Zimmermann: Meinerseits wäre mehr Kritik eher zu wünschen, aber ich mache ja keine Vorschläge. Das ist die Aufgabe der Deutschen selbst, darüber nachzudenken, was konstruktiv ist und was nicht.

    Kaess: Mosche Zimmermann, israelischer Historiker und Publizist. Ich bedanke mich für das Gespräch.

    Zimmermann: Danke auch.