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"Die Menschen lieben das Lädierte"

Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) stand bei der Bevölkerung hoch im Kurs. Ob er nach den Plagiatsvorwürfen in Ungnade gefallen ist, bleibt laut Meinungsforscher Stephan Grünewald unklar: Der menschliche Makel könnte Guttenbergs Sympathiewerte sogar noch erhöhen.

Stephan Grünewald im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 23.02.2011
    Tobias Armbrüster: Seit einer Woche stehen die Plagiatsvorwürfe gegen Karl Theodor zu Guttenberg im Raum. Jeden Tag werden weitere Passagen aus der Doktorarbeit des Verteidigungsministers bekannt, Passagen, die nicht aus seiner eigenen Feder stammen, sondern die er ganz offensichtlich ohne Anführungszeichen oder Fußnoten aus anderen Werken kopiert haben soll. Besonders heftig wird die Kontroverse um diese Plagiate im Internet ausgetragen.

    Mitgehört hat der Psychologe Stephan Grünewald. Er ist Meinungsforscher und Autor des Buchs "Deutschland auf der Couch" und außerdem einer der Gründer des Kölner Rheingold-Instituts, das sich mit Markt- und Medienanalysen beschäftigt. Schönen guten Morgen, Herr Grünewald.

    Stephan Grünewald: Guten Morgen, Herr Armbrüster.

    Armbrüster: Herr Guttenberg ist ja in allen Umfragen einer der populärsten deutschen Politiker. Haben Ihrer Einschätzung nach die Plagiatsvorwürfe seinem Bild in der Öffentlichkeit geschadet?

    Grünewald: Zum Teil, aber nicht nachhaltig. Hier offenbart sich der Doppelsinn des Wortes Abschreiben. Ihm wird vorgeworfen, er würde abschreiben, aber die Bevölkerung will ihn nicht abschreiben. Dass die Bevölkerung ihn halt nicht abschreibt, hängt damit zusammen, dass sie gezeichnet ist von einer tiefgreifenden Glaubens- und Vertrauenskrise. Diese Vertrauenskrise hat sich zugespitzt durch die ganzen Finanz- und Wirtschaftsdisaster, die die Menschen erlebt haben, durch die schwarzen Löcher, die sich aufgetan haben, vor allen Dingen durch die Fahnenflucht des Bundespräsidenten. Da stellt sich wirklich die Frage, auf wen kann ich mich in dieser Republik noch verlassen, wenn selbst der oberste quasi Herr desertiert.

    Armbrüster: Worauf genau beruht denn die Beliebtheit von Karl Theodor zu Guttenberg?

    Grünewald: Also man sucht, sagen wir mal, in dieser sehr unsicheren Zeit eine Lichtgestalt. So wird immer wieder kolportiert. Man kann das mit dem Licht aber wörtlich nehmen: jemand, der Orientierung gibt, der eine eigene Position vertritt. Man hat bei Guttenberg das Gefühl, das ist ein originärer Kopf, der vielleicht auch gerade, weil er adelig ist, nicht dieser politisch unberechenbaren Sphäre entwachsen ist. Er gilt als sehr aufrichtig, als unabhängig und von daher als jemand, der auch eigene unbequeme Positionen beziehen kann.

    Armbrüster: Nun ist das ja ein sehr offensichtlicher Schluss, adelig gleich unabhängig. Gehen Leute sozusagen diesem Trugschluss, dieser ganz offensichtlichen Folgelinie gerne auf den Leim?

    Grünewald: Ja. Sie sind natürlich getrieben von ihren eigenen Sehnsüchten. Von daher haben wir es eigentlich immer mit zwei Guttenbergs zu tun. Wir haben den Menschen Guttenberg, der ein Politiker ist, der adeliger Herkunft ist. Wir haben aber auch die öffentliche Wahrnehmung. Da ist Guttenberg eine mythische Gestalt, er ist viel mehr als ein Mensch, er ist ein Pegel vieler Hoffnungen, die man in der heutigen Zeit hat.

    Armbrüster: Wir haben da gerade im Bericht vom Kollegen Thomas Reintjes viele Stimmen auch von Guttenberg-Anhängern gehört. Kann es sein, dass ihn diese Affäre, dass ihn diese Plagiatsvorwürfe sogar noch beliebter machen in der Öffentlichkeit?

    Grünewald: Ja und nein. Also er hat natürlich einen Image-Schaden erlitten, weil einer seiner persönlichen Kernwerte, diese Aufrichtigkeit, natürlich jetzt torpediert wird durch sein Kopieren. Andererseits zeigen unsere Analysen immer wieder, die Menschen lieben das Lädierte. Lady Di war ein Musterbeispiel dafür. Also man will im Star, in der Lichtgestalt auch das Menschliche, allzu Menschliche wiedererkennen. Das schafft den Identifikationsrahmen. Und insofern rückt zu Guttenberg gerade durch seine Fehler, durch die Sachen, die jeder eigentlich auch schon mal in der Schulzeit gemacht hat, den Menschen seltsamerweise wieder näher.

    Armbrüster: Aber woran liegt es, dass manche Politiker über ihre Fehler sofort stürzen und manche sozusagen aus ihren Fehlern sogar noch Gewinn schlagen?

    Grünewald: Ja, da sind wir wieder bei der mythischen Gestalt. Man will an diesem Menschen festhalten. Wenn man Guttenberg beerdigen würde, würde man seinen Glauben beerdigen, und das wollen viele Menschen nicht. Nicht alle, aber ein Großteil der Bevölkerung hat in den letzten drei Jahren sich an dieser Gestalt buchstäblich festgeklammert und man hofft, durch diese ganze politische Wirrung herauszukommen, wenn man sich an diesem Menschen orientiert.

    Armbrüster: Welche Bevölkerungsgruppe nehmen Sie denn an, nimmt ihm diese Vorwürfe besonders übel? Sind das vor allen Dingen diejenigen, die selber eine Dissertation hinter sich haben?

    Grünewald: Das sind natürlich alle die, die sich den Mühen unterworfen haben, natürlich auch die, die auf dem Weg gescheitert sind, oder den Weg erst gar nicht angetreten sind, weil er ihnen zu mühsam erschien. Es gibt sicherlich auch eine tiefenpsychologische Dimension, die klang eben in den Zitaten, die Sie im Internet aufgezeigt haben, an. Natürlich gibt es auch in der Bevölkerung, gerade in der Medienlandschaft viele, die selber Lichtgestalt sein wollen, die selber Orientierung geben würden, und da ist natürlich jetzt eine größere Tendenz da, diese Lichtgestalt zu verkleinern, um vielleicht auch selber wieder auf Augenhöhe mit ihm zu geraten.

    Armbrüster: Wie wichtig ist denn eigentlich ein Doktortitel für einen deutschen Politiker?

    Grünewald: Für das Gros der Bevölkerung ist er nicht mehr existenziell wichtig. Da sind wir wirklich in einer anderen Zeit. Das war in den 50er- und 60er-Jahren noch anders. Es gibt natürlich akademische Kreise, da ist der Doktortitel nach wie vor eine ganz, ganz wichtige Eintritts- und Visitenkarte. Ich glaube, wenn man das Image von zu Guttenberg sich noch mal vor Augen führt, war der Doktortitel auch nur eine Fußnote.

    Armbrüster: Was ist Ihre Einschätzung? Wie wird sich diese Affäre in den kommenden Tagen weiter entwickeln?

    Grünewald: Also für mich ist eine der Kernfragen, ob sich in den nächsten Tagen herausstellen wird, dass er sagen wir mal die Arbeit komplett nicht geschrieben, sondern durch einen Ghostwriter hat schreiben lassen. Das wäre sicherlich noch mal eine Zuspitzung. Das wäre dann nicht nur Schluderigkeit oder Fahrlässigkeit, sondern das wäre dann offener Betrug. Das könnte der ganzen Debatte noch mal eine Wende geben.
    Wenn sich das nicht erhärten würde, könnte ich mir sogar vorstellen, dass langfristig zu Guttenberg gestärkt aus der Debatte hervorgeht. Es gab viele Beobachter, die in den letzten Monaten das Gefühl haben, durch diese ungeheuere öffentliche Resonanz hatte Guttenberg an Bodenhaftung verloren. Er sonnte sich so in diesem Beliebtheitskegel, der ihn da umschien.

    Die Chance ist natürlich, dass er jetzt durch diese Krise wieder Bodenberührung bekommen hat, dass er sich selber mit sich selbst befasst, dass er wirklich seine Haltung noch mal ändert. In der Antike gab es diese Einrichtung, der Triumphator im Triumphzug, wo ihm der Lorbeerkranz vorgehalten wurde, da gab es den Menschen, der immer hinter ihm stand und sagte und rief, bedenke, du bist nur ein Mensch. Und dieses bedenke, du bist nur ein Mensch, das kann zu Guttenberg sicherlich auch stärken.

    Armbrüster: Hier bei uns im Deutschlandfunk war das Stephan Grünewald, Psychologe und Gründer des Rheingold-Instituts in Köln. Besten Dank für das Gespräch.


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