Jochen Fischer: In Hessen sind die Würfel gefallen. Es wird heute keine Landtagssitzung geben, keine Wahl von Andrea Ypsilanti, denn drei weitere Mitglieder ihrer Fraktion haben ihr die Gefolgschaft verweigert. Zu Dagmar Metzger, die von Vornherein angekündigt hatte, Ypsilanti nicht zu wählen, haben sich Jürgen Walter, Silke Tesch und Carmen Everts hinzugesellt. Damit war die notwendige Mehrheit für die Wahl des Regierungschefs in Hessen dahin. Wie geht es nun politisch weiter dort? - Darüber will ich nun mit Wolfgang Gerhardt sprechen. Er sitzt für die FDP im Bundestag und war von 1987 bis 91 stellvertretender Ministerpräsident in Hessen. Guten Morgen, Herr Gerhardt.
Wolfgang Gerhardt: Guten Morgen, Herr Fischer.
Fischer: Was haben Sie denn eigentlich gestern empfunden, als Sie die Begründungen der abtrünnigen SPD-Abgeordneten gehört und gesehen haben?
Gerhardt: Dass über die Abgeordneten aus der eigenen Partei die Kritik hereinbricht, die man jetzt hört, sie hätten sich zu spät entschieden, zu spät ihr Gewissen entdeckt. Auf der anderen Seite haben sie Hessen vor einer sehr problematischen Landesregierung bewahrt.
Fischer: Ist es nicht wirklich eine Gewissensfrage gewesen?
Gerhardt: Es ist eine Gewissensfrage. Die Kritik bezieht sich ja auch nur auf den Zeitpunkt der Äußerungen, denn es war natürlich für alle erkennbar, mindestens seit den Koalitionsverhandlungen, auf welche schiefe Ebene Hessen gerät. Das macht aber die Haltung der vier deshalb nicht schlechter. Sie haben das vor dem Wahlgang getan. Sie sind nicht in die Wahl gegangen mit einer Zustimmung, die sie nicht verantworten wollten. Und sie haben auch nicht verdeckt mit Nein gestimmt. Sie haben ihre Meinung gesagt. Und wer in Hessen tätig ist und durch das Land fährt - ich habe vor zwei Wochen eine ganze Woche dort Besuche gemacht -, der spürte, dass die Menschen damit nicht einverstanden waren.
Fischer: Aber hätten die vier es nicht früher sagen können?
Gerhardt: Ja. Eine Kollegin hat ausgedrückt, dass sie natürlich unter Druck waren, und wer in der Politik tätig ist, kann sich das sehr genau vorstellen. Wenn man Fraktionssitzungen verlässt, wenn man aus der Deckung geht, wenn man dann durch Telefonanrufe auch unter Druck gesetzt wird, das alles ist nicht sehr schön und das ist sicher auch denen passiert, die jetzt als Dissidenten gelten.
Fischer: Noch mal zurückzukommen auf den Druck, den Sie ansprechen. Ihre Kollegin, die SPD-Bundestagsabgeordnete Helga Lopez wird in der "Wetzlarer Neuen Zeitung" mit der Absicht, mit der Aussage zitiert, "vielleicht stimmten die Silberlinge ja". Das klingt nach Bestechung. Können Sie sich so etwas vorstellen?
Gerhardt: Nein, das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Das ist auch ein sehr billiges Argument. Meine Kollegin aus dem Bundestag ist mit Sicherheit in Hessen beheimatet, vielleicht dort auch aufgewachsen. Sie musste sehen, dass niemand damit einverstanden war, was die SPD als Weg vorschlug. Frau Ypsilanti ist die Wortbrecherin und nicht die vier, die sich jetzt geäußert haben.
Fischer: Die CDU giftet gegen den SPD-Vorsitzenden Müntefering. Dieser hätte Führung zeigen sollen, hätte frühzeitig Einspruch einlegen sollen. Aber aus Ihrer Sicht gesehen, aus der FDP-Sicht in Hessen gesehen, würden Sie sich denn von der Bundespartei in Hessen reinreden lassen?
Gerhardt: Nein, aber die Bundespartei SPD hat ja den Vorgang von Herrn Beck für nicht gut befunden, der praktisch aus dem Augenblick heraus Hessen eigentlich zugelassen hat, und es ist schon wahr, dass Herr Müntefering und Herr Steinmeier diese absurde Koalitionsvereinbarung eigentlich nie und nimmer für Sozialdemokraten für akzeptabel halten durften. Das hat nichts mit reinreden zu tun. Wenn ein solcher Unsinn in einem Land vorbereitet wird, dann muss man seine Meinung dazu sagen.
Fischer: Was wird nun aus Hessen werden? Was wird in Hessen passieren? Es gibt ja mehrere Möglichkeiten. Eine davon, die einem wahrscheinlich sofort einfällt, sind die Neuwahlen. Was wäre denn dazu nötig nach der Verfassung?
Gerhardt: Die fällt mir auch sofort ein, weil es die klarste Lösung ist und sich insbesondere die Grünen, mit denen wir als FDP ja am Anfang durchaus eine Jamaika-Koalition für möglich gehalten haben, natürlich auch jetzt verstrickt haben. Ich glaube, dass der klarste Weg eine Neuwahl in Hessen ist. Dazu muss sich der Landtag selbst auflösen und das müssen die Fraktionen jetzt beraten. Ich glaube auch, dass dafür die Entscheidung kommt, denn im Grunde genommen kann man nicht unfähig zur Regierungsbildung sein und gleichzeitig den Bürgern aber nicht das Mandat zurückgeben und um neue Entscheidung bitten wollen.
Fischer: Aber der Landtag, der im Januar mit dem bekannten Ergebnis gewählt worden ist, den wollten die Wähler ja nun genau so haben. Darf man denn eigentlich so lange weiterwählen, bis das Ergebnis passt?
Gerhardt: Nein, aber mein Eindruck in Hessen ist, dass sie ihn gar nicht mehr so haben wollen. Wenn Frau Ypsilanti sich jetzt erneut zur Wahl stellt, werden wir beide ein Ergebnis betrachten können, das bestimmt nicht das alte ist. Und die Bürger fühlen sich ja auch getäuscht. Es hat ja außer mir oder vielleicht anderen, die immer Frau Ypsilanti für eine Kandidatin gehalten haben, die ganz nah an der Linken argumentiert, niemand von ganz normalen Bürgern damit gerechnet, dass sie ihr Wort bricht, und das muss schon wieder zur Debatte gestellt werden.
Fischer: Möglichkeit zwei wäre ja, Roland Koch bleibt im Amt, regiert weiter mit wechselnden Mehrheiten, unter anderem mit den vier Abtrünnigen. Das könnte man sich auch vorstellen.
Gerhardt: Ja, aber die hessische Regierung kann nicht eine Legislaturperiode lang aus grundsätzlichen demokratischen Erwägungen eine geschäftsführende sein. Sie braucht ein neues demokratisches Mandat.
Fischer: Möglichkeit drei wäre noch das Schmieden einer neuen Koalition. Das wäre ja sofort möglich. Ministerpräsident Koch hat das wohl auch gestern angedeutet, wenn er gesagt hat, dass Gespräche über die Zukunft Hessens in Tagen gerechnet werden müssten. Dann käme wieder Jamaika ins Spiel.
Gerhardt: Ja, aber ich kann mir Jamaika jetzt nach den Verhaltensweisen der Grünen und nach ihrer permanenten Absage ja für ein solches Modell und eigentlich ihr Eingehen auf diese absurde Lösung nicht vorstellen. Ich halte das für einen grotesken Fehler der Grünen, was sie in Hessen gemacht haben. Sie hatten nicht den Mut, eine wirkliche Veränderung herbeizuführen. Ich kann mir das gegenwärtig nur sehr schlecht vorstellen.
Fischer: Wolfgang Gerhardt von der FDP, ehemals Minister in Hessen. Vielen Dank für diese Einschätzungen.
Wolfgang Gerhardt: Guten Morgen, Herr Fischer.
Fischer: Was haben Sie denn eigentlich gestern empfunden, als Sie die Begründungen der abtrünnigen SPD-Abgeordneten gehört und gesehen haben?
Gerhardt: Dass über die Abgeordneten aus der eigenen Partei die Kritik hereinbricht, die man jetzt hört, sie hätten sich zu spät entschieden, zu spät ihr Gewissen entdeckt. Auf der anderen Seite haben sie Hessen vor einer sehr problematischen Landesregierung bewahrt.
Fischer: Ist es nicht wirklich eine Gewissensfrage gewesen?
Gerhardt: Es ist eine Gewissensfrage. Die Kritik bezieht sich ja auch nur auf den Zeitpunkt der Äußerungen, denn es war natürlich für alle erkennbar, mindestens seit den Koalitionsverhandlungen, auf welche schiefe Ebene Hessen gerät. Das macht aber die Haltung der vier deshalb nicht schlechter. Sie haben das vor dem Wahlgang getan. Sie sind nicht in die Wahl gegangen mit einer Zustimmung, die sie nicht verantworten wollten. Und sie haben auch nicht verdeckt mit Nein gestimmt. Sie haben ihre Meinung gesagt. Und wer in Hessen tätig ist und durch das Land fährt - ich habe vor zwei Wochen eine ganze Woche dort Besuche gemacht -, der spürte, dass die Menschen damit nicht einverstanden waren.
Fischer: Aber hätten die vier es nicht früher sagen können?
Gerhardt: Ja. Eine Kollegin hat ausgedrückt, dass sie natürlich unter Druck waren, und wer in der Politik tätig ist, kann sich das sehr genau vorstellen. Wenn man Fraktionssitzungen verlässt, wenn man aus der Deckung geht, wenn man dann durch Telefonanrufe auch unter Druck gesetzt wird, das alles ist nicht sehr schön und das ist sicher auch denen passiert, die jetzt als Dissidenten gelten.
Fischer: Noch mal zurückzukommen auf den Druck, den Sie ansprechen. Ihre Kollegin, die SPD-Bundestagsabgeordnete Helga Lopez wird in der "Wetzlarer Neuen Zeitung" mit der Absicht, mit der Aussage zitiert, "vielleicht stimmten die Silberlinge ja". Das klingt nach Bestechung. Können Sie sich so etwas vorstellen?
Gerhardt: Nein, das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Das ist auch ein sehr billiges Argument. Meine Kollegin aus dem Bundestag ist mit Sicherheit in Hessen beheimatet, vielleicht dort auch aufgewachsen. Sie musste sehen, dass niemand damit einverstanden war, was die SPD als Weg vorschlug. Frau Ypsilanti ist die Wortbrecherin und nicht die vier, die sich jetzt geäußert haben.
Fischer: Die CDU giftet gegen den SPD-Vorsitzenden Müntefering. Dieser hätte Führung zeigen sollen, hätte frühzeitig Einspruch einlegen sollen. Aber aus Ihrer Sicht gesehen, aus der FDP-Sicht in Hessen gesehen, würden Sie sich denn von der Bundespartei in Hessen reinreden lassen?
Gerhardt: Nein, aber die Bundespartei SPD hat ja den Vorgang von Herrn Beck für nicht gut befunden, der praktisch aus dem Augenblick heraus Hessen eigentlich zugelassen hat, und es ist schon wahr, dass Herr Müntefering und Herr Steinmeier diese absurde Koalitionsvereinbarung eigentlich nie und nimmer für Sozialdemokraten für akzeptabel halten durften. Das hat nichts mit reinreden zu tun. Wenn ein solcher Unsinn in einem Land vorbereitet wird, dann muss man seine Meinung dazu sagen.
Fischer: Was wird nun aus Hessen werden? Was wird in Hessen passieren? Es gibt ja mehrere Möglichkeiten. Eine davon, die einem wahrscheinlich sofort einfällt, sind die Neuwahlen. Was wäre denn dazu nötig nach der Verfassung?
Gerhardt: Die fällt mir auch sofort ein, weil es die klarste Lösung ist und sich insbesondere die Grünen, mit denen wir als FDP ja am Anfang durchaus eine Jamaika-Koalition für möglich gehalten haben, natürlich auch jetzt verstrickt haben. Ich glaube, dass der klarste Weg eine Neuwahl in Hessen ist. Dazu muss sich der Landtag selbst auflösen und das müssen die Fraktionen jetzt beraten. Ich glaube auch, dass dafür die Entscheidung kommt, denn im Grunde genommen kann man nicht unfähig zur Regierungsbildung sein und gleichzeitig den Bürgern aber nicht das Mandat zurückgeben und um neue Entscheidung bitten wollen.
Fischer: Aber der Landtag, der im Januar mit dem bekannten Ergebnis gewählt worden ist, den wollten die Wähler ja nun genau so haben. Darf man denn eigentlich so lange weiterwählen, bis das Ergebnis passt?
Gerhardt: Nein, aber mein Eindruck in Hessen ist, dass sie ihn gar nicht mehr so haben wollen. Wenn Frau Ypsilanti sich jetzt erneut zur Wahl stellt, werden wir beide ein Ergebnis betrachten können, das bestimmt nicht das alte ist. Und die Bürger fühlen sich ja auch getäuscht. Es hat ja außer mir oder vielleicht anderen, die immer Frau Ypsilanti für eine Kandidatin gehalten haben, die ganz nah an der Linken argumentiert, niemand von ganz normalen Bürgern damit gerechnet, dass sie ihr Wort bricht, und das muss schon wieder zur Debatte gestellt werden.
Fischer: Möglichkeit zwei wäre ja, Roland Koch bleibt im Amt, regiert weiter mit wechselnden Mehrheiten, unter anderem mit den vier Abtrünnigen. Das könnte man sich auch vorstellen.
Gerhardt: Ja, aber die hessische Regierung kann nicht eine Legislaturperiode lang aus grundsätzlichen demokratischen Erwägungen eine geschäftsführende sein. Sie braucht ein neues demokratisches Mandat.
Fischer: Möglichkeit drei wäre noch das Schmieden einer neuen Koalition. Das wäre ja sofort möglich. Ministerpräsident Koch hat das wohl auch gestern angedeutet, wenn er gesagt hat, dass Gespräche über die Zukunft Hessens in Tagen gerechnet werden müssten. Dann käme wieder Jamaika ins Spiel.
Gerhardt: Ja, aber ich kann mir Jamaika jetzt nach den Verhaltensweisen der Grünen und nach ihrer permanenten Absage ja für ein solches Modell und eigentlich ihr Eingehen auf diese absurde Lösung nicht vorstellen. Ich halte das für einen grotesken Fehler der Grünen, was sie in Hessen gemacht haben. Sie hatten nicht den Mut, eine wirkliche Veränderung herbeizuführen. Ich kann mir das gegenwärtig nur sehr schlecht vorstellen.
Fischer: Wolfgang Gerhardt von der FDP, ehemals Minister in Hessen. Vielen Dank für diese Einschätzungen.