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Die Ministerpräsidentenkonferenz

Lange: Am Telefon ist nun der Gastgeber und Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz. Ich begrüße Bürgermeister Henning Scherf. Guten Morgen.

    Scherf: Guten Morgen Herr Lange.

    Lange: Es gibt Steuern, die allein dem Bund zustehen, andere stehen allein den Ländern oder den Gemeinden zu. Wieder andere werden zwischen Bund, Ländern und Gemeinden aufgeteilt. Das Ganze soll einerseits den Föderalismus stärken und andererseits den Zusammenhalt des Bundesstaates sichern. Herr Scherf, was stört Sie denn an diesem derzeitigen Finanzsystem?

    Scherf: Das ist eine kluge Frage. Also, die Sache ist naturwüchsig entwickelt worden und wird immer noch unter machtpolitischen Gesichtspunkten und über Kompromisse im Bundesrat bis heute entwickelt. Sie hat ein Riesenproblem, dass sich die Aufgaben, mit denen ja die Steuern helfen sollen, dass es umgesetzt wird, dass die Aufgaben sich anders entwickelt haben, als die Steuerlast. Der Bund beschließt die neuen Gesetze, und wir Länder dürfen sie ausführen und dürfen auch dafür das Geld ausgeben, ohne Forcen zu haben, dass wir wirklich Höhe und Umfang dieser Aufgaben bestimmen können. Und darum sind wir in der Verteilung der Mittel, aber auch in der Verteilung der Aufgaben, in eine Schieflage geraten. Der Föderalismus hat sich seit 1949 sehr zu Gunsten der Bundesebene und zu Lasten der Länderebene entwickelt: Was die Aufgabenkompetenz angeht - zu Lasten des Bundes, und was die Finanzierung angeht - zu Lasten der Länder. Und das muss verhandelt werden, da müssen wir einen neuen Kompromiss finden.

    Lange: Was wären denn die Kernpunkte eines solchen Kompromisses aus Ihrer Sicht?

    Scherf: Das ist schwierig, weil das ein Riesenpaket ist. Wir müssen erst einmal überhaupt wissen, was wir denn mittelfristig überhaupt noch an öffentlichen Einnahmen zur Verfügung haben. Das setzt eigentlich voraus, dass wir eine halbwegs realistische Einschätzung der dringend benötigten Steuerreformvorlagen haben, und wenn dann die Ausgangslage einigermaßen sicher ist, dann müssen wir zweitens die Aufgaben, die mit diesem - nicht beliebig vermehrbaren - Steueraufkommen finanziert werden, neu sortieren. Und wenn wir die Aufgaben neu sortiert haben, dann hoffe ich, dass wir auf den vier Ebenen, auf denen inzwischen Steuern ausgegeben werden - nämlich Europa, auf nationaler Ebene, auf der Länderebene und auf Gemeindeebene -, dass wir den Aufgaben entsprechende Finanzverteilungskompromisse hinbekommen. Wir Länder trauen uns zu, 16 : 0-Vorschläge, die belastbar sind, weil sie eigentlich Kompromisse vorwegnehmen, zu entwickeln, die dann natürlich über Bundestag und Bundesrat und wahrscheinlich über Enquete-Kommission beratbar gemacht und beraten werden müssen. Aber erst einmal muss es überhaupt vorwärts gehen, es muss überhaupt erst einmal ein Anlauf gemacht werden, damit wir die Zeit nach 2004 nicht einfach auf uns zukommen lassen, ohne zu wissen, wie es weitergeht, sondern damit wir da gut vorbereitet sind.

    Lange: Aber jetzt gehen Sie von der Vorstellung aus, dass diese 16 Länder wie ein monolithischer Block dastehen. Das ist ja nicht so. Geht es um das Verhältnis zwischen Bund und Ländern, oder geht es nicht auch um das Verhältnis zwischen den Ländern, zwischen Stadtstaaten und Flächenstaaten, zwischen reichen und ärmeren Ländern?

    Scherf: Ja, beides ist richtig. Wir Ministerpräsidenten haben natürlich ganz massive Interessen-Gemeinsamkeiten. Wir haben eine ehrgeizige gemeinsame 16 : 0 vertretene aktive föderale Identität auszuformen. Und wir wollen natürlich, dass diese föderale Identität über die Länder - oder wenn Sie so wollen über die zukünftigen europäischen Regionen -, dass die nicht ausgehungert wird. Dafür wollen wir uns auch belasten lassen. Wir wollen nicht alimentiert werden, und wir wollen schon richtig ernst und genau die anderen mitverantwortlich gemacht werden. Das ist alles unser gemeinsames Interesse gegenüber dem Bund und auch gegenüber Europa. Und dann gibt es - Sie haben recht - unter uns verschiedene finanzielle Interessen, die wir ebenfalls unter uns in Kompromissen ausbalancieren müssen. Das eine hängt vom anderen ab.

    Lange: Nun liegt ja die Vermutung nahe, dass so ein Vorschlag von Ihnen am Ende nicht zu Lasten des Stadtstaates Bremen gehen wird. Wenn zum Beispiel die Lohnsteuer dort entrichtet wird, wo die Löhne verdient werden, dann würden davon ja die Stadtstaaten profitieren. Das würden doch die benachbarten Flächenstaaten nicht so ohne weiteres hinnehmen.

    Scherf: Ja, das ist ein Teil nur, das ist nicht das Ganze. Aber Sie haben recht: Das geht nicht ohne Gegenrechnung und ohne Kompensation. Aber das ist richtig, dass alle Großstädte, nicht nur die Stadtstaaten, eine Überlast an Sozialhilfe. Und die gut Verdienenden ziehen ins Land, suchen sich irgendwo schöne grüne Bauplätze und bauen da. Das muss man alles gegenrechnen. Man muss eine Belastungs- und eine Aufkommensbalance herstellen, die kompliziert ist. Im ersten Augenblick kann man eigentlich mutlos werden, weil das so schwer ist, dass man glaubt, es gar nicht zu bewältigen. Aber es hat immer wieder diese Kompromisse gegeben. Der letzte große Kompromiss war 1992, der zwischen den Ländern und der damaligen Bundesregierung zur Finanzierung der deutschen Einheit zustande gekommen ist. Da haben auch alle gedacht: Das schafft Ihr nie. Und wir haben es geschafft. Und darum knüpfe ich ganz optimistisch an diese alten Strukturen an.

    Lange: Nun steht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes in Sachen Länderfinanzausgleich an. Was ist denn Ihr Eindruck von den mündlichen Verhandlungen gewesen? In welche Richtung wird sich das Gericht voraussichtlich bewegen?

    Scherf: Mein Eindruck war, dass die drei klagenden Länder sich isoliert haben und dass alle anderen, also 13 - egal, wie die politischen Koalitionen in den einzelnen Ländern sind -, gemeinsam sprachen. Eigentlich kann niemand wollen, über ein Klageverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht die föderale Struktur zu beenden. Niemand kann wollen, dass einige Bundesländer ‚pleite' gehen. Niemand kann wollen, dass die Großstädte ‚pleite' gehen. Niemand kann wollen, dass die Stadtstaaten endgültig von der Landkarte verschwinden. Und alles das wird mit diesem Klageverfahren begehrt. Und darum denke ich, das Bundesverfassungsgericht wird nicht einfach urteilen, was die drei Länder begehrt haben, sondern sie werden vermutlich Arbeitsaufträge, Arbeitselemente, Anregungen für den von uns zu organisierenden Beratungsprozess in den nächsten drei Jahren formulieren.

    Lange: Gesetzt den Fall, die Richter in Karlsruhe ‚kippen' die Bevorzugung der Stadtstaaten. Dann würden bei Ihnen ja unter Umständen rund 10 Prozent des Haushaltes wegfallen. Welche konkreten Folgen hätte das für Bremen?

    Scherf: Ich schließe das aus. Und darum möchte ich mich damit gar nicht auseinandersetzen.

    Lange: Aber hätte denn Bremen bei einer solchen Entscheidung überhaupt noch die Chance, von seinen Schulden runterzukommen?

    Scherf: Sie müssen wissen, dass wir ein höheres Bruttoinlandsprodukt haben als Frankfurt, Stuttgart, München und natürlich als der Freistaat Bayern. Und das Verfassungsgericht kann nicht über Gesetze eine reiche Stadt kaputt machen, ‚pleite' machen. Das geht nicht. Wir sind nach Hamburg das Land und die Stadt mit dem höchsten Bruttoinlandsprodukt. Das ist wirtschaftliche Stärkung. Man kann nicht per Gesetz Stadtstaaten zum Armenhaus erklären. Und deshalb bin ich ganz zuversichtlich, dass es nicht dazu kommt.

    Lange: Herr Scherf, reicht denn eine Reform des Finanzsystems alleine aus. So eine Debatte kann ja auch sehr schnell zur Frage einer Neuordnung der Länder führen. Wie würden Sie die abwehren?

    Scherf: Ja, die ist ja im Grundgesetz genau und präzise festgelegt. Artikel 29 des Grundgesetzes kann neu geregelt werden nur, wenn die betroffenen Länder und auch die betroffenen Landesteile wirklich wollen. Also, wenn die Bremen abschaffen wollen, müssen sie in Bremen erst mal eine Mehrheit gegen die Selbständigkeit dieser Freien Hansestadt haben. Und da wir seit 1250 Jahren selbständig sind und nur Napoleon und Hitler es mal versucht haben, unsere Selbständigkeit zu beseitigen, können Sie sich vorstellen, dass ich mich nicht bedroht fühle.

    Lange: Sie haben vorhin gesagt, Sie wollen der staunenden Öffentlichkeit im Jahr 2000 einen 16 : 0 - Konsensvorschlag vorlegen. Nun reden wir ja hier auch von Grundgesetzänderungen, und außerdem sind schon kleinere Reformen aus kleinlichen Gründen gescheitert. Woher nehmen Sie denn Ihre Zuversicht?

    Scherf: Weil ich an dem Beratungsprozess in Potsdam beteiligt war und weiß, wie damals niemand glaubte, dass uns das gelingen würde. Und es ist uns gelungen. Und es hat sich auch erwiesen, dass es gut war. Und weil ich in der Vorbereitung meiner hier jetzt neu übernommenen Aufgabe, Vorsitzender der Ministerpräsidenten-Konferenz zu sein, eine große Zahl von Gesprächen mit meinen Kollegen geführt habe, insbesondere auch mit meinen Kollegen auf der CDU-Seite. Ich weiß, die wollen das.

    Lange: Und das Gesprächsklima wird sich auch nicht verschlechtern, wenn es nach der heutigen Entscheidung drei Verlierer gibt?

    Scherf: Nein, ich bin - und da hilft auch meine große Koalition hier in Bremen - ganz zuversichtlich, dass wir untereinander eine hohe Kollegialität und eine hohe Interessenidentität zustande bringen - trotz unserer unterschiedlichen partei-politischen Einbindungen und die Klärung der Sachthemen im Vordergrund steht. Ich bin ja nun schon lange in der Politik. Ich bin schon 21 Jahre Mitglied einer Landesregierung. Ich habe schon viele, viele Länderkonferenzen miterlebt. Ich habe noch nie ein solches Kondenspotential - wie in der Ministerpräsidentenkonferenz vorhanden - kennengelernt. Darauf setze ich.

    Lange: Wie soll die künftige bundesstaatliche Finanzordnung aussehen und was ist heute in Sachen Länderfinanzausgleich aus Karlsruhe zu erwarten? Das war der Bremer Bürgermeister Henning Scherf in den Informationan am Morgen im Deutschlandfunk.

    Link: (Interview mit Kurt Faltlhauser (CSU): Ist die Vermögenssteuer Sache der Länder? (5.8.99)==>/cgi-bin/es/neu-interview/353.html)