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"Die Motivation ist gut, das Zusammenspiel kann und muss besser werden"

Die deutsche Nationalmannschaft sei ein gelungenes Beispiel für Integration, die Leistung der Fußballer ein gewaltiger Gewinn für Deutschland, sagt Thomas de Maizière. Ein Vorbild auch für untere Ligen - und selbst für die Regierungsmannschaft in Berlin.

Thomas de Maizière im Gespräch mit Friedbert Meurer | 05.07.2010
    Thomas de Maizière: Guten Morgen!

    Meurer: Die Kanzlerin sagt, es ist ein Traum, aber es ist ja Realität. Wie sehr hat Sie das Spiel der deutschen Nationalmannschaft am Samstag begeistert?

    de Maizière: Total begeistert! Ich hatte ja das Glück, das England-Spiel vor Ort zu sehen, und da dachte man noch, das war ein wunderbares Spiel, das werden wir so schnell nicht erleben, und nun wurde es noch mal getoppt. Schöner geht’s nicht!

    Meurer: Der Bundesinnenminister hat gestern sogar die Vuvuzela angeblasen. Ist das korrekt?

    de Maizière: Ja. Ich habe in Südafrika eine Vuvuzela geschenkt bekommen. Ich war außer Stande, da Töne zu Stande zu bringen, aber spätestens nach dem 2:0 mit Freunden gegen Argentinien kamen auch schöne, satte, volle Töne aus der Vuvuzela.

    Meurer: Vor der Weltmeisterschaft hat ja niemand für möglich gehalten, dass Deutschland 4:1 gegen England spielt, Argentinien 4:0 schlägt. Was ist mit dieser Mannschaft passiert?

    de Maizière: Bei aller Euphorie muss man zunächst sagen, die Gegner sind schwächer als erwartet. Das gilt sowohl für England, wie auch für Argentinien. Aber der Gegner ist auch so schlecht, wie man es auf der anderen Seite zulässt. Es gibt keinen Star in dieser Mannschaft, obwohl natürlich einige herausragen, wie Schweinsteiger. Jeder stellt sich in den Dienst der anderen, es wird gelaufen, gerackert, getan und es wird ein schöner Fußball gespielt. Die Mannschaften (auch der anderen, muss man sagen) sind nicht so zerstörerisch, wie das frühere Uruguay, diese Hackerspiele, die wir so hatten, die finden wir in dieser Weltmeisterschaft wenig und das hilft auch dem Stil der deutschen Mannschaft.

    Meurer: Wie groß, glauben Sie, ist der Image-Gewinn für Deutschland mit einer Mannschaft, die wie früher Holland oder Brasilien spielt, also aus Sicht des Auslands geradezu undeutsch?

    de Maizière: Absolut. Als ich in Südafrika war, hörte ich Frühstücksfernsehen, und da wurde gesagt, das Spiel Deutschland gegen England und abends Brasilien und das deutsche Spiel wäre ganz schrecklich, da würde nur hin- und hergekickt, und Brasilien wäre das große Fußballfest. Das war sozusagen der Tenor des Frühstücksfernsehens in Südafrika. Im Ergebnis war es genau umgekehrt, und das ist ein gewaltiger Gewinn – nicht nur für den deutschen Fußball, sondern auch für eine Leichtigkeit und trotzdem gute Professionalität Deutschlands.

    Meurer: Die Kanzlerin war jetzt in der Kabine gewesen nach dem Deutschland-Argentinien-Spiel, Sie waren beim England-Spiel dabei. Wie nah sind Sie an die Mannschaft herangekommen?

    de Maizière: Ich habe vor dem Spiel mit dem Bundestrainer gesprochen, ihm alles Gute gewünscht, und nach dem Spiel wollte ich mich da nicht aufdrängen.

    Meurer: Was sagen Sie, Herr de Maizière, dem Bund der Steuerzahler, der jetzt kritisiert, dieser Flug der Kanzlerin und dann vermutlich auch Ihr Flug eine Woche vorher, das war pure Geldverschwendung?

    de Maizière: Ich glaube, das ist der einzige Bund der Steuerzahler in der ganzen Welt, der auf eine so abwegige These kommt. Wenn wir nicht gefahren wären, dann hätten alle gesagt, vor vier Jahren da konntet ihr nicht Schlange genug stehen, bei jedem Spiel dabei zu sein, und jetzt lasst ihr die Mannschaft im Stich. Ich glaube, das ist wohl erwogen und dosiert gewesen, was wir gemacht haben, und ich glaube, das ist eine absolute Einzelstimme. Die Menschen haben sich gefreut. Im Public Viewing von zwei, drei Stellen, wenn die Kanzlerin eingeblendet wurde, dann gab es Jubel.

    Meurer: Die deutschen Spieler des Jahres 2010, Herr de Maizière, heißen Müller und Özil, Klose und Boateng, Neuer und Khedira. Was bedeutet das für die Integration der deutsch-türkischen oder anderer Minderheiten in der Gesellschaft?

    de Maizière: Das ist ein großer Fortschritt. 11 von 23 Fußball-Nationalspielern haben einen Migrationshintergrund. Sie haben sich angestrengt, sie haben Leistung gezeigt, sie wollten Deutsche werden, sie haben sich dargestellt, ohne ihre Heimat zu vernachlässigen. Wir haben das akzeptiert, sie sind beliebt wie alle anderen. Was will man mehr? Das ist ein gelungenes Beispiel für Integration, wird nicht überall so gehen, aber hier ist es gut und es sollte ein Vorbild sein für ein neues Miteinander auch in unserem Land.

    Meurer: Haben wir da in der Vergangenheit vielleicht zu negativ geredet, zu viel über die Probleme, zu viel von Parallelgesellschaften und Immigranten als Ausländer bezeichnet, und jetzt endlich auch mal diese positive Bewertung kommt mit ins Spiel?

    de Maizière: Ja, wir haben sicher ein bisschen zu sehr auf die Probleme geguckt. Es gibt ja auch keinen gelungenen Migranten, der ein Schild um sich hängen hat und sagt, ich bin ein gelungenes Integrationsbeispiel. Wir konzentrieren uns bei der Integration natürlich eher auf die nicht gelungenen Beispiele. Hier haben wir es einmal anders, das darf man auch nicht überbewerten, aber es ist ein gelungenes Beispiel. Wer sich anstrengt, der wird auch akzeptiert, und wer vertraut, der hat auch Chancen. Das, finde ich, ist mindestens in der Methode der Integration ein guter Ratgeber.

    Meurer: Stört es Sie, dass die meisten Spieler mit Migrationshintergrund in der deutschen Mannschaft bei der Nationalhymne nicht mitsingen?

    de Maizière: Cacao singt sie begeistert mit. Cacao ist ja auch einer, der ganz lange schon die deutsche Staatsbürgerschaft haben wollte. Ich habe ganz viele Spiele gesehen; die Deutschen sind noch die, die interessanterweise am meisten die Hymne mitsingen. Ich würde mir wünschen, dass sie noch mehr mitsingen, aber das braucht vielleicht auch ein bisschen Zeit.

    Meurer: Was kann man in der Zwischenzeit tun, um Migranten noch besser im Sport zu verankern und zu integrieren?

    de Maizière: Man kann sie schnell einbürgern, wenn die Voraussetzungen vorliegen. Man kann mit der Einbürgerung auch Motivation stiften, denn nur dann können sie ja bei uns spielen. Altintop hat sich anders entschieden als Özil und das ist, glaube ich, ein Anreiz. Und wir sollten nicht Migrantenvereine, türkische Vereine, bosnische Vereine, iranische Vereine, afghanische Vereine haben, sondern gemischt, und zwar nicht gemischt nur mit Migranten, sondern Deutsche und Migranten gemischt in einem Verein. Das ist, glaube ich, der beste Weg.

    Meurer: Aber das ist eben nicht die Realität unten in den unteren Kreisklassen. Die Migrantenvereine bilden sich ja, weil die Mitglieder das so wollen. Wie kann man da eine Brücke bauen?

    de Maizière: Es gibt solche schlechten Beispiele, die Sie nennen, auch in Berlin, aber es gibt auch gute Beispiele. Es gibt in Köln und im ganzen Rheinland eine Initiative, die heißt "Rheinland kickt", da wird gemeinsam Fußball gespielt. Das gibt es beides. Was natürlich ein Problem ist, wenn ein Zweit- und Drittligaverein, weil er kein Geld hat, sich irgendwelche Leute irgendwo herkauft, Migranten, die in irgendwelchen Hotels wohnen und mit der Region nicht verankert sind. Dann darf man sich auch nicht wundern, dass dann kein Zusammenwachsen entsteht. Es ist wie sonst im Leben auch: jeder muss einen Schritt auf den anderen zutun und dann entsteht ein gemeinsamer Weg.

    Meurer: Ich spreche mit Bundesinnenminister und –Sportminister Thomas de Maizière. Deutschland hat die beste Nationalmannschaft aller Zeiten, sagen viele, und manche sagen, die Bundesrepublik hat zurzeit die schlechteste Regierung aller Zeiten. Was kann die Koalition und die Bundesregierung von der National-Elf lernen?

    de Maizière: Gutes Teamspiel, gut arbeiten, gut über sich und andere reden, die Kritik anderen überlassen, Konflikte nicht nach außen treten lassen und sich auf die Sache konzentrieren. Das ist etwas, das ist im Sport gut und auch in der Politik.

    Meurer: Der Spielführer, kann der was ändern?

    de Maizière: Der Spielführer ist Teil des Spiels, aber auch der Spielführer. Das muss erkennbar werden, das macht der Spielführer und das akzeptieren die anderen. So entsteht auch ein Team, was geführt wird.

    Meurer: Braucht das Kabinett, Herr de Maizière, neue, junge Spieler, motiviert bis unter die Haarspitzen?

    de Maizière: Wir sind ja auch erst zehn Monate im Amt, wir sind alle neu, da ist die Motivation gut, das Zusammenspiel kann und muss besser werden. Aber ein- und auswechseln, das brauchen wir jetzt nicht.

    Meurer: Also ausgewechselt wird nicht. Am Mittwoch gibt es das Halbfinale gegen Spanien. Ihr Tipp?

    de Maizière: Ich hatte gegen Argentinien 3:1 getippt, da haben mich alle für verrückt erklärt, dann war es 4:0. Spanien ist stark. Ich sage mal 2:0 für Deutschland.

    Meurer: Und dann im Endspiel?

    de Maizière: Gegen vermutlich Holland, dann ist alles offen, dann gibt es eine Verlängerung.

    Meurer: Thomas de Maizière, Bundesinnenminister und Bundessportminister, bei uns im Deutschlandfunk. Herr de Maizière, herzlichen Dank und auf Wiederhören.

    de Maizière: Einen schönen Tag, auch an alle Ihre Hörer.