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"Die müssen ums Überleben kämpfen"

Der ehemalige BDI-Präsident, Hans-Olaf Henkel, appelliert an den designierten FDP-Chef Philip Rösler, andere Parteimitglieder zu einer Bewerbung um den Parteivorsitz aufzufordern. Die Zeiten seien vorbei, dass nur ein Mann an der Parteispitze stehen könne.

Hans-Olaf Henkel im Gespräch mit Friedbert Meurer | 03.05.2011
    Friedbert Meurer: Die Landtagswahlen vom 27. März, sie haben die FDP noch tiefer in die Krise gestürzt. Um Haaresbreite ist sie noch in ihrem Stammland Baden-Württemberg über fünf Prozent geblieben, muss allerdings die Regierungsbank räumen, und in Rheinland-Pfalz hat der Wähler sie sogar der Gestalt abgestraft, dass sie überhaupt nicht mehr im Landtag vertreten ist. Der Hoffnungsträger heißt jetzt Philipp Rösler. Der Gesundheitsminister soll Ende nächster Woche in Rostock beim Parteitag Parteichef Guido Westerwelle ablösen. Aber weitere Personalien hat die FDP-Spitze gestern noch einmal verschoben.
    Hans-Olaf Henkel war Präsident des BDI und verfolgt die Geschehnisse bei der FDP seit langem. Guten Morgen, Herr Henkel.

    Hans-Olaf Henkel: Guten Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: Was würden Sie dem designierten Parteivorsitzenden Philipp Rösler raten, wie er seine Partei personell neu aufstellen soll?

    Henkel: Was die personelle Aufstellung betrifft, so würde ich ihm doch empfehlen, möglichst viele Kandidaten den Delegierten vorzustellen und sie dann selbst entscheiden zu lassen. Ich finde den Hinweis von Herrn Lindner durchaus richtig, dass die Partei des Wettbewerbs auch in der Lage sein müsste, einen Wettbewerb zwischen den Personen auszuschreiben, die gerne ins Präsidium wollen, und natürlich muss man sicherstellen, dass auch Frauen angemessen dort repräsentiert sind, also zum Beispiel sagen, die beiden Frauen, die am meisten Stimmen bekommen, sind dabei, und dann die übrigen Positionen gehen an die, die bei den Männern die meisten Stimmen bekommen haben.

    Meurer: Wird, Herr Henkel, der Wettbewerb und mehrere Kandidaturen immer dann besonders gelobt, wenn die Parteispitze zu schwach ist, oder der Parteivorsitzende zu schwach ist?

    Henkel: Nein, überhaupt nicht. Ich finde, die Zeiten sind vorbei, dass ein Mann einzeln da an der Spitze steht und festlegt, welche Günstlinge er da um sich scharen will. Das, glaube ich, ist nicht das richtige bei einem Neuanfang der FDP. Es wäre sicherlich besser, so vorzugehen, wie Herr Lindner das auch in Erwägung gezogen hat. Ich würde es, wenn ich Rösler wäre, sogar aktiv ansteuern, ein paar Leute auffordern, sich zu bewerben. Dann haben auch die Delegierten die Gelegenheit, sich mal ein persönliches Bild zu machen - sie müssen sich ja vorstellen in Rostock - und können dann entscheiden und nicht zur Kenntnis nehmen und abnicken, was Herr Rösler da im stillen Kämmerlein möglicherweise auch noch mit seinem Berater, vielleicht sogar Genscher und so weiter ausgekungelt hat.

    Meurer: Klingt recht harsch. Hat Philipp Rösler, der designierte Parteichef, nicht das Recht, sich eine Spitzenmannschaft zusammenzustellen?

    Henkel: Ja natürlich hat er das Recht, aber auch die Personen, die er selbst aussucht, müssen ja dann von den Delegierten bestätigt werden, und deshalb ist es doch in Ordnung, wenn er sagt, ich hätte gerne diejenigen unter denen, die ich vorschlage, von denen ihr glaubt, dass sie das meiste Vertrauen begründen. Man darf ja auch nicht vergessen, das ist ja in der Anmoderation auch klar und deutlich zum Ausdruck gebracht worden: die Akzeptanz der FDP in der Bevölkerung ist auf einem historischen Tiefpunkt. Ich glaube, die haben noch drei oder vier Prozent in den Umfragen. Die müssen ums Überleben kämpfen. Das heißt, jetzt ist auch eine Frage zu beantworten, wer kommt am besten beim Wähler an.

    Meurer: Muss da nicht jemand wie Rainer Brüderle, der Bundeswirtschaftsminister, sagen, ich klebe nicht an meinem Posten, ich leiste meiner Partei einen Dienst?

    Henkel: Ich muss persönlich sagen, wir dürfen nicht vergessen: vor der letzten Landtagswahl war Brüderle aus der Sicht nicht nur der FDP-Kollegen, sondern auch der Presse und übrigens auch aus meiner Sicht der erfolgreichste Minister, und ich finde, man sollte ihm in diesem Prozess, den ich gerade beschrieben habe, eben auch eine Gelegenheit geben, sich darzustellen und seine Kandidatur zu beurteilen. Das sollten die Delegierten machen. Ich persönlich würde es für gut halten, wenn man eine gesunde Mixtur hat zwischen Erfahrung und Erfolg und den jungen Leuten, die sicherlich auch jetzt eine Chance bekommen müssen. Also ich persönlich, wenn ich dort Delegierter wäre, würde mich sehr für Brüderle einsetzen.

    Meurer: Übersehen Sie da ein bisschen den Patzer, den sich Brüderle gerade in Ihrem alten Bundesverband der Deutschen Industrie geleistet hat vor der Wahl?

    Henkel: Der ist wirklich völlig irrelevant, denn er hat etwas gesagt, was alle wissen und alle tun. Er hat nur zugegeben, dass man natürlich vor wichtigen Landtagswahlen auch Entscheidungen trifft, die so kommuniziert werden, dass sie Einfluss auf die Wahlentscheidung haben.

    Meurer: Er hat gesagt, seine eigene Partei ist unglaubwürdig, zwei Tage vor der Wahl oder ein paar Tage mehr vor der Wahl.

    Henkel: Ja, gut. Ach wissen Sie, das kann ich mir gut vorstellen, dass das auch andere über die CDU, über die SPD und die Grünen gesagt haben, wenn sie sich besonders taktisch verhalten haben, und taktisch verhalten tun sich ja nun mal alle Parteien. - Nein, ich finde, Herr Rösler sollte vor allen Dingen nicht nur Personalentscheidungen jetzt treffen, sondern er soll auch mit der Frau Merkel abmachen, dass die FDP Zugriff zum Finanzministerium hat. dann haben sie wirklich eine Chance für einen Neuanfang. So haben sie es nicht, denn wenn man mal wirklich hineinhört in die FDP-Wählerschaft, dann muss man doch feststellen, dass heute nicht mehr Steuersenkungen an der ersten Stelle stehen, sondern die Sorge um den Euro, und die Euro-Politik, die wird von immer mehr FDP-Abgeordneten kritisiert, von immer mehr Bürgern, die ganz deutlich merken, dass sich die deutsche Bundesregierung, Herr Schäuble und Frau Merkel vorneweg, besonders von den Franzosen in den letzten Monaten haben über den Tisch ziehen lassen. Wir müssen jetzt schon 22 Milliarden Euro bezahlen. Das ist ungefähr so viel, wie ursprünglich mal für die erste Tranche der Steuersenkungen vorgesehen war.

    Meurer: Auf sechs Jahre verteilt Bareinlage, ist ja noch nicht aus dem Fenster geworfen.

    Henkel: Ja. Also wissen Sie, das ist natürlich für mich kein Argument, dass man jetzt sagt, aha, wir dürfen das abstottern. Wir müssen immerhin trotzdem 22 Milliarden zahlen. Oder wenn ich es mal anders herum ausdrücken darf: die 22 Milliarden sind doppelt so viel wie das gesamte Budget der Forschungs- und Bildungsministerin. Also hier hätte wirklich mal ein FDP-Minister die Chance, die begründeten Interessen der Deutschen auch in den Diskussionen über die Zukunft des Euro, über die Zukunft der 168 weiteren Milliarden von Bürgschaften, die wir abgegeben haben, mit zu entscheiden.

    Meurer: Soll sich die FDP als Anti-Euro-Partei profilieren?

    Henkel: Überhaupt nicht! Sie soll sich als eine Partei profilieren, die den Euro so stabilisiert, dass es in der Bevölkerung in Deutschland keine Euro-Skepsis gibt. Ich vermute mal, dass die verschiedenen Entscheidungen, die verschiedenen Rettungsschirme, die alle zu Lasten von Finnland, Deutschland, Holland, Österreich gehen, dass die sogar zur Euro-Skepsis beitragen, und deshalb kann man nicht sagen, dass Leute, die sich mit Alternativen zur derzeitigen Euro-Politik beschäftigen, Euro-Skeptiker sind. Ganz im Gegenteil! Ich halte diese Leute für Euro-Realisten.

    Meurer: Den Vorwurf, dass das Populisten sind, streiten Sie ab?

    Henkel: Das ist ein Quatsch. Populisten gab es natürlich in Finnland. Ich glaube, dass man in Deutschland eine ähnliche Bewegung lostreten könnte innerhalb einer derzeitigen Partei. Allerdings ohne diese fremdenfeindlichen Aspekte, die die wahren Finnen zu ihrem Programm gemacht haben. In Deutschland würde ein Akzent auf eine andere Euro-Politik durchaus begründet sein und ich glaube auch, wir müssen aufpassen, dass wir das elende System des Bund-Länder-Finanzausgleichs, wo wir nur noch drei Geberländer haben, nämlich Hessen, Baden-Württemberg und Bayern, jetzt in Euro0pa einführen, und dann gehört Deutschland, Österreich, Finnland und Estland und übrigens auch noch Holland zu den Geberländern und die überwältigende Mehrheit der verbleibenden Länder werden Nehmerländer. Das führt nach meiner festen Überzeugung nicht nur zu einer Überforderung dieser Länder, sondern auch zu einer weit verbreiteten Europaskepsis, und wir sollten dem entgegengehen, indem wir mal uns mit Alternativen zur derzeitigen Euro-Politik befassen.

    Meurer: Hans-Olaf Henkel, ehedem Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie, mit seinen Empfehlungen, wie sich die FDP inhaltlich und personell aufstellen soll. Danke, Herr Henkel, und auf Wiederhören.

    Henkel: Ich danke Ihnen auch. Auf Wiederhören.