Weizsäcker: Der Naturschutz ist in der Tat häufig ein Hindernis für die Wirtschaft, für die Landwirtschaft; der Umweltschutz ist normalerweise schlicht gut für die Wirtschaft. Der Ressourcenschutz ist gut für die Wirtschaft, die Energieeffizienz, die Effizienz im Umgang mit Wasser ist gut für die Wirtschaft. Da wird also vonseiten der konservativen Parteien manches in einen Topf geworfen, was da überhaupt nicht reingehört.
Kaess: Inwiefern ist denn der Umweltschutz gut für die Wirtschaft beziehungsweise wie können denn Umweltschutz und wirtschaftlicher Aufschwung sich gegenseitig bedingen?
Weizsäcker: In Skandinavien sieht man die Ökologisierung der Wirtschaft als den besten Wachstumsmotor an und hat auch eindrucksvolle Wachstumsraten und man ist sowohl bei Umweltkriterien wie bei Wettbewerbsfähigkeit ganz an der Spitze.
Kaess: Wieso hat das dann doch so ein negatives Image? Wo liegt da das Missverständnis?
Weizsäcker: Ich persönlich halte das für baren Unsinn und würde sagen, die Entgegenstellung, die wird immer mit solchen Symbolgeschichten wie Feldhamster oder Molchen oder so etwas hergestellt, weil man gerne irgendjemandem was auswischen will. Und das halte ich für relativ primitive Politik - und im Übrigen wirtschaftlich nicht zu rechtfertigen.
Kaess: Noch eine andere Diskussion haben wir momentan, die über die Feinstaubregelungen. Und da wird der Umweltpolitik vorgeworfen, sie habe das richtige Maß verloren und der Streit werde auf dem Rücken der Autofahrer ausgetragen, obwohl nur ein Fünftel der Feinstaubpartikel aus dem Verkehr stammt. Werden denn zu sehr die kleinen Konsumenten rangenommen und die Industrie geschont?
Weizsäcker: Das kann man wohl so nicht sagen. Die Industrie war in Bezug auf die Verminderung von Feinstäuben eigentlich vorbildlich. Der Verkehr ist heute das größere Problem, jedenfalls im Außenraum. Im Innenraum allerdings gibt es durchaus Probleme, also zum Beispiel bei Kopierern und Faxgeräten und so weiter, da entsteht eine ganze Menge Feinstaub, so dass man sagen kann, selbst in München, wo glaube ich die äußere Feinstaubbelastung am größten ist, ist dann im Innenraum immer noch mehr Belastung als draußen auf der Straße. Und natürlich kann man sagen, das ist eine zu starke dieselbezogene Diskussion geworden - übrigens von allen Parteien -, aber das Ganze basiert ja auf einer vor vielen Jahren vereinbarten EU-Richtlinie.
Kaess: Wenn man hört, dass Ökostrom zum Beispiel aus Windkraft zu teuer ist, dann bekommt das so bisschen den Anschein, Umweltschutz sei ein Luxusgut. Was setzen Sie dem denn entgegen?
Weizsäcker: Das ist ein bisschen eine komische Definition von Luxus. Also ich würde sagen, es ist ein sehr problematischer Luxus, wenn wir radioaktive Stoffe produzieren in großer Menge, die dann noch in vielen Jahrzehnttausenden unsere Enkel und Urenkel belasten. Also, von daher würde ich sagen, das muss man gegeneinander fair abwägen und nicht mit einer reinen, engen Euro-Cent-Berechnung.
Kaess: Wir haben das Problem, auch international, dass europäische Unternehmen klagen über umweltpolitische Regulierungsflut aus Brüssel und sagen, das macht den Wettbewerb kaputt. Müsste man vielleicht die Wirtschaft und die Industrie mehr in die Diskussion einbinden?
Weizsäcker: Das ist ein vernünftiger Gedanke. Ich bin sehr dafür, dass man miteinander spricht und einen optimalen Weg findet, insbesondere dass man die bürokratische Belastung so niedrig wie irgend möglich hält und dafür ist natürlich das mit Abstand beste Mittel ein Preissignal. Wenn die Verwendung von Wasser, von Energie, von Bodenversiegelung oder so teurer wird, dann braucht man überhaupt keine Bürokratie, dann regelt das der Markt, dass die Umwelt geschont wird.
Kaess: Wie realistisch ist es denn auf einer globalen Ebene ein Umdenken herbeiführen zu können? Wenn man sich mal anguckt, dass wir eine Situation haben, in der die USA und China nicht mal das Kyoto-Protokoll unterzeichnen wollen, bei dem die vorgesehenen Reduzierungen des CO2-Ausstoßes nicht einmal ausreichen würden, um die Erderwärmung entgegenzuwirken.
Weizsäcker: Es ist ein wunderbares Entschuldigungsargument deutscher Industrie. Tatsache ist, dass die Chinesen für 2008 oder 2009 einen Effizienz-Standard für Autos eingeführt haben zur Verminderung von CO2-Belastung und zur Verminderung von Treibstoffverbrauch, den etwa die Hälfte der aus Deutschland importierten Autos gar nicht erreichen würde. Und Kalifornien das Gleiche. Also, so zu tun, als seien wir heute noch Weltmeister, weil wir vor 15 Jahren mal Weltmeister waren, ist einfach falsch.
Kaess: Gibt es Unterschiede bei den Ländern, dass man teilweise flexibler ist, oder nicht? Sie haben jetzt vorher von China gesprochen. In Japan wird auch ganz plastisch Energie gespart: Um den Verbrauch zu senken wurden jetzt in allen öffentlichen Gebäude die Thermostate für die Klimaanlagen um drei Grad nach oben verstellt; man geht jetzt also nicht mehr im Sakko zur Arbeit, sondern nur im Hemd. Das hört sich so an, als ob Umweltschutz eigentlich ganz simpel sei. Sind wir denn einfach nur zu unflexibel?
Weizsäcker: Wir sind bisschen unflexibel und ich würde schon sagen, der Vorwurf, wir seien etwas zu bürokratisch, trifft schon. Also man kann durchaus Bürokratie vermindern, wobei die Behauptung, da seien die Umweltschützer schuld, meistens ziemlich falsch ist. Häufig sind es DIN-Normen oder andere technische Normen, die an ganz anderer Stelle beschlossen worden sind, die dann im einzelnen Vollzug furchtbar viel bürokratische Arbeit verursachen. Wir sind auch ein bisschen unflexibel, wir sind vielleicht auch nicht fröhlich genug in all diesen Diskussionen. Die Diskussion Kröten gegen Wirtschaft zeugt auch von einer Art von Humorlosigkeit und von einem nicht hinreichenden Verstand der Sachlage.
Kaess: Sie haben einen Vorschlag schon länger formuliert nach einer UN-Umweltorganisation, dem haben sich jetzt die Umweltminister von Deutschland, Frankreich und Spanien auch angeschlossen. Was erhoffen Sie sich davon? Kann das nicht auch nur wieder ein großer unbeweglicher bürokratischer Apparat werden?
Weizsäcker: Na ja, also wir haben heute im Wesentlichen zwei UNO-Organisationen mit wirklichen Muskeln: Das eine ist der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, das andere ist die Welthandelsorganisation. Die Umwelt hat überhaupt keine Muskeln. Die Folge davon ist, dass beim Streit Umwelt gegen Handel immer der Handel gewinnt. Und das ist auf die Dauer eine völlige Verkennung der Gefahrenlage. Also, beim Klimaschutz, beim Leerfischen der Meere und ich weiß nicht, was alles, regiert einfach immer nur das Prinzip freier Handel. Das muss irgendwann korrigiert werden und ich bin sehr froh, dass die Regierungschefs von Frankreich, Spanien und Deutschland sich da gewissermaßen an die Spitze einer internationalen Bewegung setzen. Ich vermute auch, dass eine ganze Reihe von Entwicklungsländern, zum Beispiel die von einem Anstieg des Meeresspiegels gefährdeten kleinen Inselstaaten, sofort und mit Vergnügen mitmachen.
Kaess: Ist es den Bewohnern dieser Inselstaaten auch bewusst?
Weizsäcker: Oh ja. Die waren allerdings vor zehn Jahren noch etwas wortstärker. Inzwischen sind die aus irgendwelchen Gründen still geworden, das finde ich sehr schade, aber das Bewusstsein, dass meinetwegen der Staat Tuvalu von der Landkarte verschwindet, wenn der Meeresspiegel wesentlich ansteigt, das ist dort selbstverständlich bekannt.
Kaess: Sie haben am Wuppertaler Institut zusammen mit anderen Wissenschaftlern zu einer Neuausrichtung des technischen Fortschritts gearbeitet und daraus ist das Schlagwort "Faktor Vier" hervorgegangen, der eine viermal bessere Nutzung der Naturgüter vorschlägt als Lösung zu den Umweltproblemen, die wir haben, und ein Ergebnis von doppeltem Wohlstand bei dem halben Verbrauch von natürlichen Ressourcen berechnet. Diese "Faktor Vier"-These ist ja mittlerweile international gut bekannt - wird es eine Umsetzung geben?
Weizsäcker: Ja, es gibt vielfach bereits Umsetzungen. Also, zum Beispiel, Sie sprachen selber von Japan gerade, dort ist das so genannte Top-Runner-Programm eingeführt worden und da sind etwa ein Dutzend Geräte genannt worden, die im Energieverbrauch gewichtig sind, und was heute als "Marktbestes" in Bezug auf Energieeffizienz gilt, das wird zum Standard, zum Top Runner erklärt und dann müssen die anderen sich anpassen. Und zum Beispiel bei Desktop-Computern ist der heute der Marktbeste mehr als ein Faktor vier besser als der Marktdurchschnitt und das wird jetzt in Japan kräftig durchgesetzt.
Kaess: Das heißt, diese Länder sind uns in umweltpolitischem Denken und Standards voraus?
Weizsäcker: In manchen Hinsichten. Ich meine, in manchen Dingen sind wir voraus und unsere Umweltindustrie macht ja auch glänzende Geschäfte mit China, mit Malaysia und vielen anderen Staaten, die wirtschaftlich im Moment sehr im Kommen sind. Also, ich würde sagen, wir haben uns noch nicht zu verstecken, aber wir sollen auch auf keinen Fall hochnäsig werden.
Kaess: Gehen wir zum Schluss noch mal zurück nach Deutschland: Sollte es jetzt im Herbst zu einem Regierungswechsel kommen, würden ja mit sehr großer Wahrscheinlichkeit auch die politischen Prioritäten verschoben werden und die Umweltpolitik wahrscheinlich hintangestellt werden. Was befürchten Sie?
Weizsäcker: Es ist nicht zwingend, dass die Umwelt dann hintangestellt wird. Wir haben zum Beispiel bei uns im Umweltschutz einen Kollegen, Josef Göppel von der CSU, der hat gerade ein wunderschönes Büchlein herausgebracht über progressiven Umweltschutz, das hätten Sozialdemokraten oder Grüne nicht besser machen können. Und ich hoffe natürlich sehr, dass der dann auch was zu sagen hat. Aber trotzdem ist ein bisschen zu befürchten, insbesondere von der FDP, dass die jetzt auf Konfrontationskurs gegen die Umwelt geht, und das wäre natürlich entsetzlich gegenüber künftigen Generationen.