Sanders: Herr Schmidt, der neue CDU/CSU-Fraktionsvorstand ist gewählt. Was glauben Sie, wie wird sich denn nun Ihrer Meinung nach die Arbeit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ändern?
Schmidt: Erst mal sind sie auf diese Weise vielleicht wieder handlungsfähig, denn es gab ja doch eine ganze Reihe von Wochen, in denen man nicht das Gefühl haben konnte. Wir haben durch die Kontakte zur Fraktionsspitze dann doch immer wieder versucht, das eine oder andere zu regeln, denken Sie nur an die Fortsetzung der Rentensicherungsdiskussion oder auch an andere Fragen, die im ganz normalen parlamentarischen Alltag liegen. Da ging es natürlich schon sehr mühselig zu und man merkte die Verunsicherung. Von daher ist es schon ganz wichtig auch für uns insgesamt in der parlamentarischen Arbeit, dass die dort wieder auf die Beine kommen.
Sanders: Friedrich Merz hat ja angekündigt, die CDU/CSU wolle nun keine Blockadepolitik mehr betreiben. Sie haben es gerade angesprochen: Stichwort Renten, Stichwort Steuern. Denken Sie, dass das so auch umgesetzt werden wird?
Schmidt: Da bin ich dann wiederum eher skeptisch, aber es ist ja auch wichtig, dass sich überhaupt etwas äußert und dass sich überhaupt etwas bewegt. Wenn es denn negativ ist, dann müssen wir darauf entsprechend eingehen. Bei der Rentenfrage ist es schon so, dass wir ja zunächst eine Absage für die vorige Runde gehabt haben, die sehr fadenscheinig gewesen ist. Ich hoffe, dass wir bei der nächsten Runde zu substanziellen Auseinandersetzungen, Fragestellungen und Klärungen kommen. Das muss ja alles nicht übers Knie gebrochen werden. Gerade die Frage der Alterssicherung ist eine, die etwas langfristiger angelegt werden muss. Da muss man nicht innerhalb von wenigen Wochen zu Ergebnissen kommen. Es muss aber der gute Wille erkennbar sein und es muss auch erkennbar sein, dass es nicht um die Umsetzung ideologischer Positionen geht, und das war bedauerlicherweise in den Ansätzen bisher zu einem nicht unbeträchtlichen Teil zu spüren.
Sanders: Herr Schmidt, lassen Sie uns noch einmal zu den handelnden Personen zurückkommen, hier in Gestalt von Friedrich Merz. Ist Friedrich Merz Ihrer Meinung nach ein Neubeginn, ein Zeichen für einen Aufbruch?
Schmidt: Er repräsentiert ihn jedenfalls optisch. Politisch inhaltlich war er ansonsten auch in den vergangenen Jahren spürbar einer der ganz besonders konservativen Vertreter der Bundestagsfraktion der CDU/CSU, vor allen Dingen auch einer, der das sehr deutlich nach außen trug, weniger als Schäuble, der eigentlich ja auch zu dieser Kategorie gehörte, aber der das meistens sehr geschickt versteckt hat.
Sanders: Was bedeutet denn eigentlich noch konservativ, die Frage, die der "Spiegel" in dieser Woche auch schon gestellt hat? Was heißt konservativ in unserem heutigen Parteiengefüge?
Schmidt: Wir werden nach meiner Einschätzung in der nächsten Zeit schon spüren, gerade auch durch Vertreter wie Merz und Rühe, die dort ja nun wohl den Ton angeben, dass wir bei Fragen wie zum Beispiel der Ausländerpolitik, bei Fragen der Europapolitik, bei Fragen auch der Familienpolitik doch sehr viel deutlicher in eine Kategorie rücken, die ich eher als rückschrittlich bezeichne. Nehmen wir mal die Europapolitik, die ja offensichtlich auf Geheiß der CSU in Bayern sehr stark mit der Ausländerpolitik verquickt werden soll. Da geht es darum, ob man denn den Zuzug von Ausländern, die Möglichkeiten der Behandlung von Ausländern im Inland durch europäische Normen restriktiver handhabt oder nicht. Das scheint schon sehr deutlich der Fall zu sein, denn gerade auch Stoiber hat ja in den letzten Wochen immer wieder zu erkennen gegeben, dass ihm das, was aus Österreich herüberklingt und durch Regierungskoalitionen mit den Freiheitlichen nun auch konstituiert worden ist, durchaus sehr schmeckt. Da befürchten wir schon, dass es einen solchen Ruck in diese Richtung gibt. Bei der Familienpolitik ist das ähnlich. Die Fragen, die wir dort in den Vordergrund stellen, eine stärkere Absicherung auch der Familien, die eben nicht den Trauschein haben, ist auf der Seite der CDU/CSU, insbesondere CSU-gelenkter Kreise in der Fraktion, durchaus nicht unbedingt das, was sie preferieren.
Sanders: Lassen Sie mich das ganze dann anders herum fragen: Die SPD will die neue Mitte abdecken. Ist die neue Mitte nicht zum Teil auch konservativ?
Schmidt: Sie ist möglicherweise zum Teil konservativ, aber das ist die Frage, wie man das dann einordnet und ob man daraus politisches Handeln macht. Bei uns ist das, glaube ich, durchaus sehr deutlich darauf ausgerichtet, dass wir versuchen, wirtschaftliche Prosperität zu erreichen und zu unterstützen. Das ist uns nach anfänglichen Mühen aber doch in der letzten Zeit, wie ich finde, sehr deutlich gelungen. Insofern bevorzugen wir auch sehr nachdrücklich den Kontakt zu der Wirtschaft, insbesondere zur mittelständischen Wirtschaft, und versuchen, der auch den Boden unter die Füße zu bringen, damit sie an der Stelle dann auch für Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze sorgt. Das ist genau der Punkt, auf den wir immer wieder hinarbeiten, und das kann man nicht mit anderen ideologischen Positionen verbrämen oder verdecken. Das scheint uns eher bei der CDU/CSU der Fall zu sein. Merz muss erst einmal beweisen, ob er das denn alles so auf die Reihe bringen will und kann. Eine Chance hat er, aber in bin da eher skeptisch.
Sanders: Nun hat die CDU/CSU-Fraktion aber natürlich auch die Ziele, einen wirtschaftlichen Aufschwung anzustreben und mehr Arbeitsplätze zu schaffen, den Mittelstand zu stützen. Wo sind denn für den Normalbürger die Unterschiede hier wirklich noch greifbar, die Unterschiede zwischen den Volksparteien?
Schmidt: Zunächst regieren wir jetzt mal. Das ist das, was die Konkretisierung solcher Vorsätze ausmacht. An uns wird man das messen wollen, sollen und auch müssen, wie ich finde. Das heißt, wir sind diejenigen, die jetzt auch geprüft werden, ob sie das denn umsetzen und ob sie damit auch Erfolg haben. Das hat Gerhard Schröder auch zum Ausdruck gebracht und ich finde, das muss dann auch entsprechend von uns eingelöst werden. Der andere Teil ist, dass natürlich die CDU/CSU nicht selten auch für bestimmte Klientel auftritt. Da ist zu einem Teil die Großindustrie, da ist zu einem Teil die Landwirtschaft, da ist zu einem Teil auch etwas, was man eher im herkömmlichen Spektrum alter Industrien sucht. Ich glaube schon, dass der Aufbruch in die neue Zeit und die Berücksichtigung auch moderner neuer Industrie- und Wirtschaftsstrukturen eher durch die Mannschaft, die wir darstellen, dann gesichert werden kann. Ich glaube, das ist schon ein unterschied, obwohl wir uns natürlich optisch und in den Reden sehr vielfach um die gleiche Position oder um die gleiche Klientel bemühen. Bei uns ist das sehr viel konkreter und deutlicher zu spüren.
Sanders: Lassen Sie uns noch einen kleinen Schlenker machen. Durch die verschiedenen Affären, die wir in letzter Zeit nun erleben mussten, lässt sich durchaus eine gewisse Verdrossenheit am Parteienstaat festmachen, obwohl nicht ganz so stark wie befürchtet, wie die Wahlen in Schleswig-Holstein gezeigt haben. Nun gibt es Vorschläge, dass man überlegt: könnte man mehr plebiszitäre Elemente in diese Parteiendemokratie einbringen, um dieser Verdrossenheit zu begegnen? Was würden Sie von solch einem Vorschlag halten, Herr Schmidt?
Schmidt: Sehr viel, weil wir das in unserer Koalitionsvereinbarung stehen haben. Die CDU/CSU oder besser gesagt die CDU macht jetzt nun gerade mal den mühseligen Versuch, das in ihrer internen Parteidiskussion um den Vorsitz umzusetzen. Ich bin mal sehr gespannt, wohin das führt und ob sie es denn am Ende wirklich durchhalten. Das wird schon ein kleiner Prüfstand in diese Richtung sein. Ansonsten haben sie sich ja gerade was diese Teile angeht sehr stark gewehrt. Auch das halte ich für strukturkonservativ, dass sie das im Prinzip nie mitgemacht haben. Ich kenne das aus der Debatte um die Veränderung unserer Verfassung nach der deutschen Einheit. Ich habe selbst in der Verfassungskommission gesessen. Ich kann also nur sagen, da war immer der Widerstand auf der Seite zu spüren und ich würde mich sehr wundern, wenn sie uns an dieser Stelle näherkommen würden.
Sanders: Herr Schmidt, wie sollten diese plebiszitären Elemente Ihrer Meinung nach konkret aussehen?
Schmidt: Man muss dann noch einmal die unterschiedlichen Teile einer solchen Möglichkeit entsprechend untersuchen. Volksbegehren ist beispielsweise allemal ein durchaus wichtiges Instrument. Ob man einen Volksentscheid in einem 80-Millionen-Volk unterbringen kann, das wage auch ich ein bisschen zu bezweifeln. Dass zum Beispiel der Bundestag durch Volksinitiative oder Volksbegehren aufgefordert werden kann, in ganz bestimmte Handlungen einzutreten oder sich ganz bestimmten Debatten zuzuwenden, das ist allemal ein ganz wichtiger Ansatz. Auf dem Wege sind wir durchaus auch bei uns, in der Vorbereitung wie gesagt auf der Grundlage unserer Koalitionsvereinbarung.
Sanders: Wilhelm Schmidt war das, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion im deutschen Bundestag. - Vielen Dank für das Gespräch!
Link: (Jürgen Rüttgers: "Frage des CDU-Vorsitzes offen" (28.2.2000)==>/cgi-bin/es/neu-interview/567.html)