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Die Neuregelung der '620' Mark Jobs

DLF: 'Schluß mit lustig' - um mit einer Überschrift der TAZ zu beginnen. Die Reformpakete der neuen Regierung Schröder stossen auf massiven Widerstand, auch in den eigenen Reihen. Gestern erst die Rüge der fünf Weisen in ihrem Jahresgutachten zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, die Kritik von Seiten zweier SPD-Ministerpräsidenten, und heute im Bundestag - wie auch in der SPD-Fraktion - das Konzept für die Neuregelung der 620- bzw. 520- Mark - Jobs, denn auch da besteht noch Klärungsbedarf. Am Telefon begrüsse ich jemanden, der konstruktiv an die Sache herangeht, der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck. Guten Morgen.

    Beck: Hallo, guten Morgen.

    DLF: Herr Beck, bleiben wir erst einmal bei den sogenannten Billig-Jobs. Sie haben ein eigenes Mainzer Modell vorgelegt. Auf den Punkt gebracht soll damit Arbeit zum niedrigen Einkommen durch staatliche Subventionen attraktiv gemacht werden. Und damit könnte es dann auf der anderen Seite dann weniger Sozialhilfeempfänger geben. Aber das ist ja zunächst einmal ein Modell wieder, das Geld kostet.

    Beck: Nein, das ist eigentlich nicht so, weil jeder, der dann eine solche Tätigkeit annimmt, weil sie attraktiv wird, natuerlich aus der Arbeitslosenhilfe oder aus der Sozialhilfe herauskommt. Also, wer diese staatlichen Mittel bekommt, muss arbeiten und entlastet damit den Staat. Und unter dem Prinzip 'lieber arbeiten als Sozialhilfe zahlen' ist dies - denke ich - ein vernünftiger Ansatz.

    DLF: Aber die Subventionen draussen - ein deutlich höheres Kindergeld wird gezahlt und es gibt Zuschüsse zu Sozialversicherungen - das kostet ja.

    Beck: Das kostet, das ist richtig, aber im Gegenzug wird eben keine Sozialhilfe mehr anfallen. Dann werden insgesamt zwischen diesen 620-Marks-Grenzen oder - Verhältnissen und dem, was sich dann errechnet an niedrigeren Einkommen - in Deutschland gerade mal 66.000 Leute, die in Arbeit sind - das müssten Hunderttausende sein. Und darauf zielt unser Modell: Weg mit diesen starren Grenzen, Flexibilität. Und für diejenigen, die dann keinen Anreiz hätten, muss es entsprechende Hilfen geben. Für jemand, der mehrere Kinder hat beispielsweise, ist es attraktiver daheim zu bleiben, als beispielsweise 2.000 Mark dazuzuverdienen, weil unterm Strich das alles gegengerechnet wird. Und zwar wollen wir einen Ausgleich schaffen. Ich finde, ein sehr elegantes Modell. Übrigens: Fuer die Arbeitgeber und fuer die Arbeitnehmer völlig einfach: Kein zusätzlicher Verwaltungsaufwand, in sich etwas komplex - aber das ist eine Sache, die rein fuer die staatliche Administration gelöst werden muss.

    DLF: Dann müssen Sie aber noch einmal erklären, warum Sie sagen, dieses Modell sei auch arbeitgeberfreundlich, denn im Prinzip halst Ihr Vorschlag den Arbeitgebern die Rentenbeiträge komplett auf.

    Beck: Es heisst aber auf der anderen Seite, dass die Steuerbeiträge runtergehen würden, unterhalb dieser Grenzen und diese Renten gegenüber der jetzigen Regelung vom Staat übernommen wuerden. Also, das ist arbeitgeberfreundlich. Da sind wir an einem zweiten Punkt. Momentan muss man, wenn man solche Teilzeitverhältnisse organisiert, sich an starren Einkommensgrenzen - auch was die Zeiten angeht - orientieren. Das würde wegfallen. Wenn jemand 2 Stunden dann mehr braucht an Arbeit, und das mit seinem Arbeitnehmer vereinbart, dann wäre dies, ohne irgendwo in die Schwarzarbeit abzugleiten oder illegal zu werden, oder eben in die Steuerpflicht hineinzurutschen, oder in die Sozialversicherungspflicht, dann wäre dies ohne Schwierigkeiten machbar.

    DLF: Heute abend wird, wie gesagt, die SPD-Fraktion sich des Themas noch einmal annehmen. Haben Sie von dort Resonanz auf Ihren Vorschlag?

    Beck: Es gibt mehrere Nachfragen. Wir haben das Modell, das wir 'Mainzer Modell' nennen, vorgelegt. Es wurde auch mit Herrn Riester besprochen, und ich hoffe, dass man zumindest Elemente daraus in die Diskussion mit aufnimmt.

    DLF: Was sagen denn die Arbeitgeber?

    Beck: Ich habe bisher Reaktionen, die durchaus positiv sind. Insoweit denke ich: Es lohnt sich, darüber nachzudenken. Es ist ein neuer Ansatz, der selbst teilen wird: Wer arbeitet, wird guenstiger gestellt, wer nicht arbeitet, wird eben auch entsprechend diese Vergünstigungen nicht bekommen.

    DLF: Überraschen Sie, Herr Beck, auch mit einem Mainzer Modell für eine konsensfähige Steuerreform?

    Beck: Wissen Sie, bei der Steuerfrage - finde ich - sollten wir die Kirche im Dorf lassen. Es ist aus meiner Sicht eine Menge auf den Weg gebracht worden in dieser kurzen Zeit, seit die Bundesregierung die Arbeit aufgenommen hat. Das würdigt mir Respekt ab. Wer weiss, wie kompliziert das ist und daß die alte Regierung ueber viele Jahre überhaupt nichts hinbekommen hat, der muss sagen: Eine 15-Milliarden-Entlastung unterm Strich, das Schließen von Steuerschlupfklöchern, das Entlasten von Familien und entsprechende Impulse in den Arbeitsmarkt hinein - das ist schon eine ganze Menge.

    DLF: Genau diesen Impuls bestreiten zum Beispiel die Wirtschaftsweisen. Die sagen, die Öko-Steuer schaffe keinesfalls Arbeitsplaetze, der Gesamtansatz sei nicht zu erkennen. Muss da das Konzept nicht doch einmal neu überdacht werden, da die Experten da kritisch sind?

    Beck: Wissen Sie, wenn man immer die Experten allein zu Rate zoege, dann hätte man immer 3 oder 4 Meinungen parallel auf dem Tisch. Natürlich wollen wir auf Experten hoeren, aber man muss auch sehen bei solchen steuerlichen Entlastungsvorschlägen, das sie von den öffentlichen Händen noch getragen werden können, müssen. Und für einen Ministerpräsidenten heißt das, daß er seine Polizei bezahlen können muß, daß er eine gute Ausbildung an Schule und Hochschule und berufsbildenden Schulen garantieren muß, daß er die Justiz in Ordnung halten muß. Das alles muss natürlich auch noch gehen. Und wenn wir dies nur noch könnten, indem wir unsere Investitionen zusammenstreichen, und damit auch die unteren Kommunen, die ja nur durch unsere Zuschüsse investieren können, dann hätten wir natürlich eine Situation, daß gerade die kleineren und mittleren Betriebe, daß gerade das Bauhandwerk, das Baugewerbe, an Aufträgen eben Mangel hätte und damit eine kontraproduktive Wirkung einträte. Nein, es muß schon Maß und Ziel herrschen, auch mit Blick auf die öffentlichen Haushalte. Natürlich ist jede Mark Steuer, die runter genommen wird, ein Impuls in die Wirtschaft, aber es darf nicht kontratariert werden, indem die öffentlichen Haushalte dann als Auftraggeber wegfallen. Alles mit Maß und Ziel, und das scheint mir alles in allem durchaus gewährleistet.

    DLF: Aber wie stehen Sie denn zu der Kritik, die von Ihren Ministerpräsidenten-Kollegen kommt, die auch in Ihrer Partei sind? Heide Simonis und Wolfgang Clement - die zusammengefasst - sagen: Das Ganze ist zu kompliziert, das kostet Hunderttausende Arbeitsplätze, das geht am Ziel vorbei.

    Beck: Ich habe da einen Begriff nicht verstanden, und mit Wolfgang Clement war ich mir weitgehend einig, was die ersten Vorschläge zur Energiesteuer auf Prozeßenergie in Unternehmen anging. Hier ist diskutiert worden. Wir haben Vorschläge auf den Tisch gelegt. Zwischenzeitlich sind die energieintensiven Unternehmen raus aus dieser Belastung, was ich für richtig und notwendig halte.Wir sind also einen Riesenschritt weitergekommen in dieser Frage. Insoweit glaube ich, daß fundamentale Kritik nicht gerechtfertigt ist.

    DLF: Wenn eine Bundesregierung unpopuläre Entscheidungen trifft: Ist es ratsam als Ministerpräsident, vielleicht doch auf Distanz zu gehen?

    Beck: Wissen Sie, eine solche Art Politik zu machen ist mir fremd. Wer selber handeln muß, der weiss, daß man nicht allen wohl und niemand weh machen kann. Das geht nur in der Fastnacht in Mainz bei uns, aber sonst nicht. Insoweit muß man eben Entscheidungen treffen. Und wer immer gerufen hat: Die Steuerschlupflöcher müssen zugemacht werden und sich jetzt beklagt, daß Sonderabschreibungsmöglichkeiten, daß solche Dinge nicht mehr da sind, ja, der muß sich natürlich auch sagen lassen, daß er unlogisch ist in seiner Argumentation. Beides geht nicht. Wir müssen also insoweit schon das auch umsetzen, was die ganze Zeit gefordert worden ist. Mir wäre das auch lieber, wenn wir noch 20 Milliarden Nettoentlastung draufpacken koennten, aber sich sehe dazu derzeit keine finanziellen Spielräume.

    DLF: Noch kurz, Herr Beck, BDI-Präsident Henckel hat gestern angeregt - gerade im Hinblick auf das Bündnis für Arbeit -, eine Denkpause einzulegen und das Reformvorhaben noch einmal zu durchdenken. Hat er recht?

    Beck: Wissen Sie, denken ist immer gut. Aber den Rat jetzt zu hören, man solle wieder anfangen zu zögern und hinauszuschieben, das halte ich doch für eine zweifelhafte Sache, denn wir müssen endlich handeln. Es müssen Zeichen gesetzt werden. Und diejenigen, die dauernd gefordert haben: 'endlich muss was passieren, in Deutschland bewegt sich nichts' - wenn die jetzt Vorschläge machen und sagen: 'Ja, aber wenn wir von den hundert Schritten, die wir eigentlich gehen wollten, jetzt nur 30 gehen, dann setzen wir die 30 auch aus und bleiben auf der Stelle stehen.' Dann verwundert mich ein solcher Vorschlag. Also, manchmal denkt man schon, dieses 'alles oder nichts', was da einige sich vorstellen aus ihrer Verbandsinteressen-Sicht, auf keinen Fall mit dem Gesamtinteresse in Einklang stehen kann.

    DLF: Vielen Dank.