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"Die Österreicher sind so auf eine merkwürdige Weise verhetzbar"

Die Herausgeberin der "Literaturen", Sigrid Löffler, bescheinigt den Österreichern mangels politischer Bildung eine Empfänglichkeit für die Parolen rechter Parteien. Die "Kronen-Zeitung" macht sie zudem als demokratiepolitisch gefährliches Massenblatt aus, vor dem die SPÖ auf die Knie gefallen sei.

Sigrid Löffler im Gespräch mit Jochen Fischer |
    Jochen Fischer: Am Telefon ist die Literaturkritikerin Sigrid Löffler. Guten Morgen!

    Sigrid Löffler: Guten Morgen, Herr Fischer.

    Fischer: Was ist denn Ihre Meinung zum Ergebnis in Österreich?

    Löffler: Ich denke, das Ergebnis ist das schwierigst mögliche, wenn man an eine künftige Regierungsbildung denkt, aber es ist leider wenig überraschend. Die Große Koalition ist vom Wähler eindeutig abgestraft worden und ich denke, diese Doppelniederlage der beiden Großparteien, die ja inzwischen nur noch Mittelparteien sind, sind ein Denkzettel der Wähler für diesen Dauerstreit, für diesen Stillstand. Das war das reinste Wählervertreibungsprogramm. Die Obstruktionspolitik der ÖVP, die alles blockiert hat und den Koalitionsbruch herbeigeführt hat, das ist ihr von den Wählern verübelt worden, aber auch die Sozialdemokraten wurden abgestraft, ich glaube letztendlich für diese opportunistische Kehrtwende in der EU-Politik, die Feihmann vorgenommen hat, auf EU-kritischen Kurs umgeschaltet, und zwar eindeutig und offenkundig auf den Druck der mächtigen "Kronen Zeitung". Verkündet wurde das ganze ja in einem Brief an den Herausgeber der "Kronen Zeitung". Das war ein richtiger Kniefall vor dieser mächtigen, ja geradezu dämonischen Boulevard-Zeitung. Das hat aber dann interessanterweise weniger der SPÖ genützt als vielmehr diesen zerstrittenen und trotzdem unglaublich mächtigen Rechtspopulisten.

    Fischer: Im Ergebnis, Frau Löffler, wird es wahrscheinlich wieder dazu kommen, dass eine Große Koalition aufgelegt wird, weil auf der anderen Seite dieser Drittel-Block der Rechten steht. Das erschreckt uns in Deutschland sehr stark, diese starke Rechte in Österreich. Warum ist das eigentlich in Österreich möglich? Was würde die Welt sagen, wenn ein Viertel der Abgeordneten im Bundestag eine ausländerfeindliche Politik verfolgte?

    Löffler: Ja, ja. Aber was würde Deutschland dazu sagen, wenn sie eine Boulevard-Zeitung von der Qualität der "Bildzeitung" hätten, die aber statt ihrer 8 Millionen Auflage eine Auflage von 30 Millionen hätte? Denn das muss man sehen: die "Kronen Zeitung", die seit vielen Jahrzehnten nun wirklich die Demokratie in Österreich verdirbt und auch die guten politischen Sitten verdirbt, ist ja gemessen an der Reichweite die größte Zeitung der Welt und das ist demokratiepolitisch gefährlich. Sie erreicht täglich drei Millionen von acht Millionen Österreichern.

    Fischer: Dennoch sind gewalttätige Übergriffe auf Ausländer eher aus Deutschland bekannt. Ist die Ausländerfeindlichkeit in Österreich eher intellektuell, eher theoretisch?

    Löffler: Das große Rätsel ist ja, warum die Österreicher, so wie die "Süddeutsche" heute schreibt, zugleich so zornig und so verzagt sind. In seiner realen Verfassung ist das Land ja sehr stabil. Dem Land geht es ökonomisch vergleichsweise sehr gut. Es ist also unverständlich, warum es diese Aversion gegen, diese Hetze gegen Ausländer, diese Aversion gegen die EU gibt. Jeder weiß, dass Österreich der größte Profiteur von der Osterweiterung der EU ist. Es hat davon profitiert wie niemand sonst. Woher kommt dieses Ressentiment? Woher kommt diese Angst? - Ich denke, es hat mit dem starken Bildungsdefizit zu tun. Es hat mit der schlechten politischen Bildung zu tun, auch mit dem ererbten Illiberalismus der Österreicher. Es hapert sicher an Bildung, an menschlicher Asylpolitik, an einer toleranten klugen Zuwanderungspolitik. Alles das fehlt. Es gäbe eigentlich eine ganze Menge zu reformieren, aber in Wahrheit haben die Österreicher ja lauter Luxusprobleme.

    Fischer: Sie sagen, dieser Zustand sei alt ererbt, dass die Rechten so stark werden. Also ist das so etwas wie im Nationalcharakter begründet?

    Löffler: Es hat doch mit dem starken Minderwertigkeitskomplex der Österreicher zu tun, die sich irgendwie nie zurecht finden konnten, dass sie ein Kleinstaat sind. Die Begehrlichkeit war immer, eine größere Rolle zu spielen, als es der Kleinheit des Landes zukommt. Diese Ängste vor den Ausländern oder vor einer Zuwanderung beispielsweise aus Osteuropa haben sicher damit zu tun, denn sie sind real nicht begründet. Die Österreicher sind so auf eine merkwürdige Weise verhetzbar. Das hat damit, glaube ich, zu tun, dass sie eben politisch wenig gebildet sind und daher auf solche Parolen eingehen, wie sie beispielsweise von den beiden doch wirklich hemmungslosen und ultranationalistischen Rechtsparteien kommen.

    Fischer: Mehr politische Bildung für Österreich. Wie kann das geschehen?

    Löffler: Ich denke, man braucht ein strengeres Mediengesetz. Man braucht eine Verbesserung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Es muss aber natürlich eine verbesserte Bildungspolitik geben. Da hapert es ganz schrecklich. Es muss auch eine größere, eine bessere Angleichung an heutige Lebensbedingungen geben, also eine bessere "work life balance" zwischen den Geschlechtern. Es muss ein besseres Kindergartenangebot geben. Die Gleichstellung der Frauen auf dem Arbeitsmarkt muss geregelt werden. Es muss Grundsicherungsmodelle geben. Darüber muss man nachdenken. Einen flexibleren Arbeitsmarkt, aber vor allem eben eine verbesserte Bildungspolitik, und da hapert es ganz schrecklich.

    Fischer: Die Literaturkritikerin Sigrid Löffler über den Ausgang der Wahlen in Österreich und über die Befindlichkeiten in der Alpenrepublik. Vielen Dank!