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"Die Opfer sprechen lassen"

Papst Franziskus solle wieder Ordnung in die Kurie bringen, sagt Pater Klaus Mertes, Jesuit und Leiter des Kollegs St. Blasien. Dass der neue Pontifex "von außen" kommt, könne hierbei von Vorteil sein. Außerdem müssen vor allem den Opfern des Missbrauchsskandals zugehört werden.

Pater Klaus Mertes im Gespräch mit Bettina Klein | 15.03.2013
    Bettina Klein: Zum ersten Mal also ein Jesuit als Papst. Vor der Sendung habe ich mit Pater Klaus Mertes darüber gesprochen, ehemaliger Leiter des Canisius-Kollegs in Berlin, und ich habe ihn zunächst gefragt, weshalb es das eigentlich noch nie zuvor gegeben hat.

    Klaus Mertes: Ja daran haben wir Jesuiten sowieso nie gedacht, weil der Ordensgründer, der Heilige Ignatius, immer eher ein Interesse daran hatte, dass die Jesuiten kirchliche Ämter nicht einnehmen. Und warum es nie dazu gekommen ist, darüber habe ich auch noch nie nachgedacht, weil es nie ein Thema war.

    Klein: Was sprach denn oder was spricht denn dagegen, dass Jesuiten hohe Ämter übernehmen?

    Mertes: Ja gut, das hängt mit dem Grundgedanken des Ordens zusammen, dass innerkirchliche Karrieren von vornherein ausgeschlossen sind.

    Klein: Ausgeschlossen, aber nicht ganz ausgeschlossen, denn wie wir sehen, darf auch ein Jesuit Bischof und Kardinal werden und eben auch Papst.

    Mertes: Ja genau. Wenn es der Wunsch des Papstes ist, dass ein bestimmter Jesuit Bischof wird, dann werden sich die Jesuiten auch fügen. Aber der Ordensgründer, der heilige Ignatius, hat immer dann, wenn die damaligen Päpste versuchten, Jesuiten zu Bischöfen zu machen, zuerst einmal Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um das zu verhindern.

    Klein: Und warum wird das heute nicht mehr getan?

    Mertes: Das wird ja heute noch getan. Es ist immer nur die Frage, wer sich durchsetzt.

    Klein: Das heißt, die Jesuiten haben versucht zu verhindern, dass einer der ihren Papst wird?

    Mertes: Nein! Es hat niemals jemand daran gedacht, dass ein Jesuit Papst wird. Das ist ja zwischen den Kardinälen im Konklave ausgemacht worden. Aber immer, wenn ein Jesuit Bischof wird, gibt es seitens des Ordens durchaus, ich sage mal, das Bedenken, das zu sagen, dass eigentlich ein Jesuit nicht Bischof werden sollte. Das kommt auch darin dann zum Ausdruck, dass dann ein Bischof natürlich in dem Moment, wo er nicht mehr Jesuit ist, zum Beispiel auch seine Gehorsamspflicht gegenüber den Oberen des Ordens nicht mehr hat und dass er auch zum Beispiel nicht mehr innerhalb des Ordens in Ämter gewählt werden kann und auch nicht sich an Wahlen, die innerhalb des Ordens stattfinden, beteiligen kann. Er verliert sein aktives und sein passives Wahlrecht im Orden. Es geht hier einfach darum, dass die Ordensgemeinschaft der Jesuiten strukturell sich noch mal unterscheidet von den Strukturen in der Hierarchie.

    Klein: Das müssen Sie noch mal erklären.

    Mertes: Na ja, der Jesuitenorden ist eine Gemeinschaft von Priestern und Nichtpriestern, die sich gemeinsam dafür einsetzen, das Evangelium zu verkünden, die aber zugleich in ihrem Leben bezeugen wollen, dass sie nicht an Karrieren interessiert sind und sich auch strukturell davor schützen, an Karrieren interessiert zu sein. Und dieser strukturelle Schutz vor den Eigenbedürfnissen nach Prestige und Ähnlichem, was ja immer gegeben ist in Strukturen, in denen man Karrieren machen kann, das kommt eben darin zum Ausdruck, dass hier dieser Unterschied gemacht wird. Das war für Ignatius seine Weise, dem Wunsch Jesu zu folgen, dass diejenigen, die Jesus eben nachfolgen, eher eine Karriere nach unten als eine nach oben machen sollten. Und das wird durch die Tatsache, dass jetzt ein Jesuit Bischof oder jetzt Papst geworden ist, im Grundsatz nicht gefährdet.

    Klein: Auf der anderen Seite wird ja dann auch nicht nur in der Kirche argumentiert, das Gute daran, ein Amt inne zu haben, ist: Man kann eben gestalten, man kann eben auch Einfluss im positiven Sinne ausüben.

    Mertes: Ja!

    Klein: Was versprechen Sie sich von jemandem, der von den Jesuiten kommt, in diesem Amt?

    Mertes: Er hat sich ja den Namen Franziskus gewählt und Franziskus war eben genau einer von denen, der ja in einer Vision in San Damiano gehört hat, bau meine Kirche neu auf, und zwar nicht dadurch, dass du Bischof oder Papst wirst, sondern dadurch, dass du arm wirst und als Armer unter den Armen lebst. Und so hat Franziskus die Kirche erneuert und so wollte mutatis mutandis auch Ignatius die Kirche erneuern, und deswegen stimmt die Voraussetzung nicht, dass man nur dann und vor allem dann Kirche verändern kann, wenn man die oberen Posten hat. Da steckt eine bestimmte Vorstellung von Kirche dahinter, die gerade aus der Ordenstradition kritisch gesehen wird.

    Klein: Ist es vor allem die Zuwendung zu sozialen Fragen, zu den ärmsten Schichten, um die sich ja auch in der Gesellschaft andere Gruppen kümmern, von der Sie sagen würden, das ist sozusagen eine Rolle, die dieser Papst einbringen kann in sein Amt jetzt, aufgrund seiner Tradition, aus der er kommt?

    Mertes: Ich denke ja. Aufgrund seiner Ordenstradition im allgemeinen, und mit dem Namen Franziskus sagt er ja auch was ganz Deutliches und mit dem Namen Franziskus verbindet sich ja mehr als nur sozusagen ein almosenhaftes Verhältnis zu den Armen, also im Sinne von "ich gebe etwas von den Reichen, das ich habe, den Armen". Sondern es geht ja bei Franziskus in radikalster Weise darum, selbst arm zu werden, um Freundschaften mit Armen zu schließen, und das geht ja nur, wenn man auf Augenhöhe mit ihnen lebt, nicht einfach nur von oben nach unten etwas durchzugeben, sondern selbst in das Milieu der Armen einzusteigen. Und dafür steht natürlich programmatisch dann der Namen Franziskus und auch die Ordenstradition, in der der neue Papst steht.

    Klein: Was genau darüber hinaus erwarten Sie von ihm?

    Mertes: Als Papst erwarte ich von ihm, was ich von jedem gegenwärtigen Papst verlangen oder erwarten würde, nämlich Ordnung in die Kurie hineinzubringen. Das scheint mir wirklich ganz entscheidend zu sein. Wir haben in den letzten 30 Jahren eine sich verselbstständigende Kurie, wir haben immer mehr informelle Zirkel, die bestimmen, was die Personalpolitik in der Kirche ist, und da muss meines Erachtens Ordnung und Transparenz geschaffen werden. Und hier ist es wohl auch ein Vorteil des neuen Papstes, dass er eben wirklich von außen kommt und nicht durch Loyalitäten gebunden ist.

    Klein: Sie, Pater Mertes, waren derjenige, der fast allen voran gearbeitet hat für die Aufklärung der Missbrauchsfälle in katholischen Einrichtungen, dafür, dass sie überhaupt ans Tageslicht gekommen sind. Wie muss der neue Papst diesbezüglich, vielleicht sogar im Unterschied zu Benedikt, dem ja immer vorgeworfen wurde, nicht offen genug und nicht offensiv genug damit nach außen zu gehen, wie muss dieser neue Papst für Aufklärung, für Entschädigung, für Prävention in diesem Zusammenhang sorgen?

    Mertes: Also Benedikt ist offensiver vorgegangen als sein Vorgänger Johannes-Paul II. Das zum einen. Und ich würde sagen, er müsste in der Linie von Benedikt, also seinem Vorgänger, das tun, was Benedikt getan hat, nämlich als allererstes wirklich die Opfer sprechen lassen und ihnen zuhören. Das ist das Entscheidende. Und das heißt, mir wäre ganz entscheidend, dass der neue Papst Franziskus sich eben wirklich mit Opfern trifft und ihnen zuhört. Das ist die Grundvoraussetzung dafür, dass sich in der Missbrauchsfrage etwas bewegen kann.

    Klein: Eine Voraussetzung, auf der dann was noch fußen sollte?

    Mertes: Nur das Erhören der Opfer ermöglicht Prozesse. Das ist ja im letzten Jahr ganz deutlich geworden, als der Papst selbst oder der Vatikan viele Bischöfe aus aller Herren Länder eingeladen hat, bei denen das Thema Missbrauch tausendmal mehr tabuisiert ist als bei uns, und die sich zum ersten Mal Opfer angehört haben und dann kreidebleich dort saßen und sagten, wir hätten uns nie vorstellen können, dass so was tatsächlich existiert, wir haben das immer für antikirchliche Propaganda gehalten. Überhaupt den Schritt in die Aufklärung hineinzumachen, die bittere Wahrheit anzuhören, ohne sie abzuwehren, das ist ja der allererste Schritt, und daraus entstehen dann die Prozesse mit den Fragen, was läuft denn bei uns falsch, dass so etwas übersehen wird, dass so etwas gar vertuscht wird, was sagt das auch noch mal über unser Selbstverständnis aus, an welcher Stelle müssen wir noch mal gucken, was in unserer Sexualmoral nicht stimmt, etc. pp. Das sind doch die Fragen, die sich daraus ergeben. Aber ich möchte meinerseits auch nicht einfach nur vorgreifen, sondern es müssen vor allem die Prozesse beginnen, denn das sind ja Prozesse, die ganz tiefe Veränderungen bei denjenigen hervorrufen, die zuhören. Und diese Prozesse ruft man nicht hervor, wenn man einfach nur von außen Forderungen stellt, sondern das Wichtigste ist und meine Hauptforderung ist, den Opfern zuhören. Das ist das Entscheidende.

    Klein: Gerade mit Blick auf die Sexualmoral, da gilt er ja als eher theologisch konservativ.

    Mertes: Ja.

    Klein: Er hat sich bereits mit der argentinischen Regierung ja angelegt, als es um die Homo-Ehe ging, auch in anderen strittigen Fragen wie Verhütung und Abtreibung nimmt er eher eine konservative Position ein. Also wie berechtigt sind denn die Hoffnungen der Katholiken, dass sich in diesen Fragen etwas ändert?

    Mertes: Also erstens einmal ist es ja überhaupt gar nicht verwunderlich, dass ein Bischof, der aus der südlichen Halbkugel dieser Welt kommt, anders denkt als wir in unserer westeuropäischen Agenda, wobei ich damit überhaupt nicht leugnen will, dass unsere westeuropäische Agenda nicht von höchster Aktualität und Wichtigkeit sei. Aber das verwundert mich überhaupt nicht, dass er diese Positionen vertritt. Da steht er auch sicherlich für nicht nur den kirchlichen, sondern auch den gesellschaftlichen Mainstream in den Ländern und Kulturen, aus denen er kommt. Das wäre ja vielleicht noch radikaler geworden, wenn wir einen afrikanischen Papst gehabt hätten.

    Klein: Der Jesuitenpater Klaus Mertes, ehemaliger Rektor des Canisius-Kollegs in Berlin, zu seinen Erwartungen an den neuen Papst Franziskus.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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