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Die Ordnungsmacht der Dinge

"Asterisms", Sterngruppen, ist die Berliner Schau von Gabriel Orozco übertitelt. Der Begriff aus der Kosmologie passt zur Ordnungslust des mexikanischen Künstlers. Seit Jahrzehnten fahndet er mit Fundsachen aus dem Alltag nach der Ästhetik der Dinge.

Von Carsten Probst |
    Vielleicht hat ja doch Jorge Luis Borges sein Denken beeinflusst, der Grand Old Man der südamerikanischen Literatur, oder Michel Foucault, jene beiden Herren, die das Lachen über die Ordnung der Dinge zur philosophischen Disziplin erhoben haben. So genau ist das nicht zu erfahren von Gabriel Orozco, aber denkbar wäre es und augenfällig auch. Denn in Orozcos Werk vermittelt sich stets die Faszination des Zufälligen in der Ordnung.

    Der fünfzigjährige Mexikaner, der mittlerweile in New York lebt, demonstriert mit spielerischer Gelassenheit das Zufällige und Traditionsgebundene im Ordnungsdenken, gern auch mittels unscheinbarer Alltagsfunde. Berühmt und immer wieder zitiert sind seine leere Schuhschachtel bei seiner ersten Teilnahme an der Biennale in Venedig 1993, die heftige Irritationen hervorrief; seine Orangen, die er für eine Ausstellung im New Yorker MoMA in den Fenstern benachbarter Häuser auslegte und die Ausstellung somit in Räume verlegte, die überhaupt nicht für Kunst vorgesehen waren; oder sein in der Mitte zersägter Citroen DS, dessen Mittelteil er herausgenommen hatte und den Wagen dadurch aussehen ließ wie zu heiß gewaschen.

    Speziell in Berlin kennt man Orozco noch für sein Projekt mit lauter gelben Krafträdern der DDR-Marke Simson Schwalbe, von dem er sich selbst während seines Stipendienaufenthaltes beim Berliner DAAD ein Gefährt zulegte, um es neben all den anderen Exemplaren, die er in der Stadt fand, zu fotografieren. Auch seine Teilnahme an der documenta X 1997 in Kassel ist noch in Erinnerung, wo er einen mit einem feinen, von Hand gezeichneten Rautenmuster überzogenen Totenschädel zeigte, der in lauter Längen- und Breitengrade eingeteilt zu sein schien wie ein winziger Planet.

    All diese unterschiedlichen Arbeiten und Strategien verbindet das Interesse am Unauffälligen, in dem sich die Gesetze einer seltsamen Ordnung ungehindert ausbreiten können, und zugleich Orozcos lakonische, intellektuelle Verschmitzheit, die spontan Sympathie erweckt. Sein offenkundig fehlender Ehrgeiz, sich mit Kunstspektakeln und aufwändigen Installationen für die Medienberichterstattung unentbehrlich zu machen, hat ihm mittlerweile große Anerkennung verschafft, als einem Gegenentwurf zu den Gesetzen des Kunstbetriebes: Orozco steht gewissermaßen unter poetischem Artenschutz.

    Auch mit seiner schönen Bodenarbeit in der Deutschen Guggenheim in Berlin erweckt Orozco nicht den Eindruck, das Rad der Kunstgeschichte neu zu erfinden zu wollen. Die 1200 Fundstücke vom Strand der mexikanischen Küste, einem Naturschutzgebiet der Baja California, sind allesamt Treibgut, das Orozco in einem großen rechteckigen Feld nach Größe, Formen und Farben geordnet hat. Es erinnert schon fast zitathaft an Tony Craggs berühmte Bodenlegearbeit von 1982 mit lauter Plastikhaushaltswaren, die er nach dem Farbkreis Issak Newtons angeordnet hatte. Doch Orozco treibt den Witz der Ordnung im Zufälligen gern noch etwas weiter.

    Im selben Raum hat er in einer Vitrine ebenfalls knapp 1200 Fundstücke von einem New Yorker Freizeitsportpark namens "Astroturf" ausgelegt, oft winzige Partikelchen vom Kaugummipapier bis zu undefinierbaren Bruchstücken. Ergänzt werden beide Sammlungen durch Fotografien an den Wänden, auf denen Orozco seine Funde gleichsam katalogisiert. Für den Besucher entsteht gerade durch die spielerisch strenge Form der Ordnung ein entgegengesetzter Eindruck - der Auflösung, ja fast der unendlichen Erweiterung, durch die sich der Blick des Zufälligen auf alles übertragen lässt, sobald man den Kunstraum verlässt.
    Der Ausstellungstitel "Asterisms" ("Sternbilder") verweist auf die universelle und zugleich höchst spekulative Ordnungsmacht der Gestirne.

    "Mich interessiert nicht, ob der Betrachter unterhalten wird oder eine gute Zeit mit einer Arbeit hat", sagte Gabriel Orozco vor Kurzem in einem Interview. "Kunst verfügt über das Potential, dass man das Leben ein wenig anders betrachtet. Das Ergebnis ist unvorhersehbar. Es kann enttäuschend und manchmal durch Zufall spektakulär sein."