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Die Papstmacher

Die Suche nach einem neuen Kirchenoberhaupt hat mit der Sedisvakanz offiziell begonnen. Dabei geht es bei einer Papstwahl weltlicher zu als viele meinen. In der Sixtinischen Kapelle stehen sich Gruppen mit unterschiedlichen Interessen gegenübergegenüber.

Von Thomas Migge | 01.03.2013
    "Die Allerheiligenlitanei". Gesungen vom Chor der Capella Sistina, den Kinder- und Erwachsenenstimmen, und den 116 wahlberechtigten Kardinälen, die unter diesen Klängen schon in Kürze zum Konklave in die Sixtinische Kapelle einziehen werden.

    Nach der Anrufung der Heiligen erklingt der Choral "Veni creator spiritus": der Heilige Geist wird aufgefordert, den für die darauf folgenden Stunden und Tage vollkommen zurückgezogen lebenden und wählenden Kardinälen den richtigen Namen einzuhauchen, den Namen des künftigen Papstes.
    Doch während des Konklave, meint Jacopo Scaramuzzi, Vatikan-Experte der Tageszeitung "La Nazione", geht es wesentlich weniger geistlich zu als man sich das denkt:

    "Es gibt da vor allem einen Punkt, der einen sehr nachdenklich macht: das sind die Lobby- und Interessengruppen unter den Kardinälen. Sie haben sich schon im Vorfeld des Konklaves gebildet und treten in der Sixtinischen Kapelle gegeneinander an. Leider hat das alles nur wenig mit dem Heiligen Geist zu tun."

    Ob Heiliger Geist oder nicht: Tatsache ist, dass sich während der Tage des Konklave verschiedene Gruppen gegenüberstehen. Jede Gruppierung wird versuchen, ihren Kandidaten durchzusetzen. Die meisten der Gruppen ähneln sich allerdings in ihrer konservativen theologischen Ausrichtung.
    Die Organisation Opus Dei ist offiziell nur mit einem einzigen Kardinal vertreten, dem Peruianer Juan Cipriani Thorne, doch das Opus wird auch dieses Mal wieder eine wichtige Rolle spielen. Es verfügt über Geld, Macht und beste Beziehungen in Spanien, Italien und Lateinamerika und wird sich für einen Kandidaten stark machen, der ganz auf der Linie Benedikts liegt. Thorne selbst gilt als "papabile". Der Erzbischof von Lima ist ein gewandter Diplomat und hat viele Freunde in der römischen Kurie.
    Auch die Kardinäle der Ordensgemeinschaften bilden eine eigene Lobby im Konklave. Unter den wahlberechtigten Kardinälen finden sich vier Salesianer, drei Franziskaner, zwei Jesuiten und zwei Dominikaner, darunter der Wiener Christoph Schönborn. Die Franziskaner werden im Unterschied zu den anderen Ordensvertretern möglicherweise den eher moderaten Kandidaten Gianfranco Ravasi unterstützen, derzeit vatikanischer Kulturminister.

    Eine weitere Lobby bildet eine einflussreiche italienische Laienorganisation, weiß der Vatikan-Experte Gianfranco Svidercoschi:

    "Wenn es sich um Lobbygruppen handelt, die mit der römischen Kurie nicht besonders viel zu tun haben, dann sind das die Kardinäle katholischer Organisationen wie der mächtigen Laienbewegung Comunione e liberazione. Sie ist in den letzten Wochen durch korrupte Machenschaften einiger ihrer politischen Mitglieder arg ins Gerede gekommen. Comunione e liberazione schickt Mailands Erzbischof Angelo Scola ins Rennen, der auch ein Mann Ratzingers ist. Scola ist einer jener Kardinäle, die der römischen Kurie kritisch gegenüber stehen."

    Unter Johannes Paul II. und Benedikt XVI. entwickelte sich die römische Kurie – eine der wichtigsten Lobbygruppen während des kommenden Konklaves – zum einflussreichsten Machtfaktor in der Kirchenverwaltung. Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone ist die wohl am heftigsten kritisierte Figur der Kurie. Als "Papst Nummer 2" beschimpfen ihn seine innerkurialen Gegner aufgrund seiner großen Machtfülle. Bertone, der selbst nicht als wählbar gilt, und seine Freunde unterstützen entschieden konservative Kandidaten.

    Die Kurie teilt sich auf in zwei Hausmächte die Süd- und die Norditaliener. Unter Benedikt wurde der Neapolitaner Crescenzio Sepe wegen undurchsichtiger Machenschaften aus der mächtigen Missionskongregation Propaganda Fide als Erzbischof nach Neapel versetzt. Seitdem ist die süditalienische Fraktion gegenüber der norditalienischen ins Hintertreffen geraten. Die Norditaliener sympathisieren mit dem Mailänder Scola und dem Genuesen Angelo Bagnasco, der als Präsident der italienischen Bischofskonferenz über beste Kontakte verfügt.

    Der Rücktritt Benedikts kann durchaus auch als Kritik an den kurialen Lobbygruppen verstanden werden. Denn zum Missfallen des deutschen Papstes entwickelte sich die Kurie immer zu einem von der päpstlichen Autorität weitgehend unabhängigen Machtfaktor. Vatikanexperte Jacopo Scaramuzzi:

    "Für mich ist der Rücktritt des Papstes eine Ohrfeige Richtung Kurie. Er will damit deutlich machen, dass es ihm nicht gelungen ist, der Kurie die Zügel anzulegen. Mit dem Hinweis auf seinen physischen Zustand gibt er ein Signal für die Wahl eines Nachfolgers, der im Umgang mit der Kurie härter auftreten soll. Am Aschermittwoch erklärte er einigen vertrauten Kardinälen gegenüber, dass es ihm leider nicht gelungen sei, die Kurie zu reformieren."

    Wird es auch eine Ratzinger-Lobby während des Konklaves geben? Mit Sicherheit, prognostiziert Vatikan-Experte Jacopo Scaramuzzi:

    "Sicherlich hat das Pontifikat Ratzingers dafür gesorgt, dass er seine Leute in wichtigen Positionen unterbringen konnte. Auch wenn er während des Konklaves zurückgezogen in der päpstlichen Sommerresidenz Castel Gandolfo lebt, ist es eher unwahrscheinlich, dass er nicht mitmischen wird. Immerhin handelt es sich ja um die Meinung eines ehemaligen Papstes und auf die werden die Kardinäle im Konklave sicherlich ganz besonders hören, auch wenn nicht ganz klar ist, wen Ratzinger als seinen Nachfolger favorisiert."

    Welche Lobbygruppe sich am Ende durchsetzt, oder ob ein Kompromisskandidat das Rennen macht, wird die Welt erst erfahren, wenn der weiße Rauch aufsteigt. Auch danach verbietet das Kirchenrecht den Kardinälen unter Androhung der Exkommunikation, Einzelheiten aus dem Konklave zu berichten. Es wäre freilich ein echtes Novum, würde nach Ausrufung des neuen Papstes diesmal nichts über die Stunden im Konklave nach außen dringen.