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"Die Partei" eröffnet Europawahlkampf
Standing Ovations und Klatschanweisungen

Umfragen prognostizieren der Satirepartei "Die Partei" bei der Europawahl zwei Prozent - genug, um beide Spitzenkandidaten ins Parlament zu bringen. In der Berliner Volksbühne präsentierten sich Parteigründer Martin Sonneborn und Kabarettist Nico Semsrott und verrieten, was sie vorhaben.

Von Oliver Kranz | 25.04.2019
Martin Sonneborn, Vorsitzender von "Die Partei", und Nico Semsrott (r), Comedian, vor der Volksbühne
Martin Sonneborn (l.), Vorsitzender von "Die Partei", und Comedian Nico Semsrott starten vor der Volksbühne in Berlin den EU-Wahlkampf. (dpa picture alliance / dpa / Wolfgang Kumm)
Nico Semsrott: "Ihr habt das vielleicht vor der Bühne und auch hier gemerkt: Wir setzen auch ein bisschen auf das Stilmittel der Übertreibung. Wir brauchen jeweils nach dem ersten Satz unserer Bewerbungsreden einen völlig angemessenen Standing-Ovations-Applaus."
Nico Semsrott hat es kaum ausgesprochen, da macht das Publikum schon mit. Es sitzen vor allem Fans im Saal. Kritische Distanz? Null. Auf Nico Semsrotts Handzeichen endet der Applaus so abrupt, wie er angefangen hat.
"Und weil wir es wirklich übertreiben, haben wir auch noch 300 Schilder fürs Publikum."
Emotionsmaschine auf Hochtouren
Auf den Schildern stehen Wahlkampfslogans und die Namen der Kandidaten. Geboten wird eine Show im amerikanischen Stil – mit Cheerleadern auf der Bühne, Luftballons und einem bereitwillig aufs Stichwort jubelnden Publikum. Die Emotionsmaschine läuft auf hohen Touren – erschreckend effizient. Als Martin Sonneborn ans Rednerpult tritt, wird es still:
"Ich wollte bloß sagen, dass Sie nichts zu erwarten haben hier. Nico und ich spenden das Geld, das hier heute zusammen kommt. Das geht zusammen mit der Parteienfinanzierung, das verdoppelt sich. Das ist also Geld, das die CDU nicht bekommt."
Übertreibung ist das eine Stilmittel der Show, Sarkasmus und Ironie sind die anderen. Martin Sonneborn macht Witze über die hohe Kilometerpauschale, die er als Mitglied des Europaparlaments kassieren darf und räumt ein, dass er deswegen gern Umwege fährt. Er zeigt Fotos eines schlafenden Abgeordneten und ein Video, bei dem der leere Plenarsaal zu sehen ist, während er eine Rede hält. Trotzdem findet er das Europaparlament wichtig, wie er ganz ohne Ironie vor der Bühnenshow bei einem Pressegespräch erklärt:
"Ich bin Europakritiker, aber ich glaube an dieses Konstrukt. Ich habe gesagt, ich glaube, dass es mit den falschen Leuten besetzt ist im Moment. Nach dem, was ich gesehen habe an Abstimmungsverhalten im europäischen Parlament, glaube ich, dass die Leute linker, grüner, sozialdemokratischer wählen müssten, damit eine sozialverträgliche und umweltfreundlichere Politik in Europa geschehen kann."
Das klingt nach einer klaren politischen Agenda, doch in Martin Sonneborns Wahlkampfshow dominierte der Klamauk. Es wurden Wahlplakate mit mehrdeutigen Sprüchen präsentiert und Abstimmungen durchgeführt, bei denen die Zuschauer per Handzeichen über einzelne Punkte des Wahlprogramms entscheiden konnten – zum Beispiel, ob sich Sonneborns Partei für eine europaweite Kennzeichnung von Polizisten einsetzen soll.
Martin Sonneborn: "Um mehr Vertrauen zu schaffen, müssen Polizisten nicht mehr nur mit einer Ziffer gekennzeichnet werden, sondern auf ihrer Uniform auch die ganze Adresse und Fotos von den Kindern tragen."
Gags unter der Gürtellinie
Ironie hin oder her – dieser Punkt wurde mit einer satten Mehrheit ins Programm gewählt, ebenso wie Forderungen zur Gründung einer Armee ohne funktionierende Waffen, zur Freigabe von Drogen und zur Einführung eines Wahlsystems mit Plus- und Minusstimmen, das es ermöglichen soll, Parteien aus dem Parlament herauszuwählen. Das zielte auf die AfD, die gestern Abend ebenso wie die CDU/CSU und die FDP gehörig ihr Fett wegbekam. Viele Gags zielten unter die Gürtellinie. Doch das findet Martin Sonneborn in Ordnung:
"Wir machen das Gleiche wie die konservativen Parteien. Es gibt populistischen Unfug vor besoffenem Bierzeltpublikum. Der einzige Unterschied zu dem, was Seehofer und Weber oder wer auch immer hier in Deutschland macht, der einzige Unterschied ist, dass wir Eintritt nehmen."
Natürlich macht der Umstand, dass das Publikum zahlt, den Unfug nicht besser. Sonneborn hat keine Probleme damit, Gegner als "Ärsche", "Hurensöhne" oder einfach nur "dumm" zu bezeichnen. Dabei ist die Idee, das Europaparlament mit einer Satirepartei zu infiltrieren, durchaus brillant. Sonneborn erhält als Abgeordneter Einsichten, die er sonst nie bekommen würde. Viele seiner Auftritte sind treffsicher und intelligent – doch in seiner Wahlkampfshow hat er sich gestern zu so vielen Pöbeleien hinreißen lassen, dass das Bild des integeren Satirikers Risse bekommt.