Sonntag, 19. Mai 2024

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Die PDS als möglicher Koalitionspartner der SPD?

Heinemann: Wie Mozarts Don Giovanni die Frauen - so sammelt Gerhard Schröder zur Zeit Koalitionspartner für die SPD. Ähnlich wie in der Geschichte des Schwerenöters müssen sich die vorgeblich Angebeteten allerdings darauf gefasst machen, dass sie gegebenenfalls nur noch die kalte Schulter des Liebhabers zu sehen bekommen. Schröders jüngster Eroberungsversuch ist die PDS. Zwar singt der Kanzler noch nicht Don Giovannis 'Reich mir die Hand mein Leben, komm auf mein Schloss mit mir' - man trifft sich allerdings in aller Öffentlichkeit zum Schmaus. Kalbsleber mit Röstzwiebeln gab's beim Téte-a-téte mit Lothar Bisky; bald ist seine Nachfolgerin Gabi Zimmer dran. Und auch mit Gregor Gysi will sich der Kanzler noch am gedeckten Tisch niederlassen. In Mozarts Oper macht der Diener Leporello notgedrungen gute Mine zum bösen Spiel. Schröders Leporello heißt Franz Müntefering, und mit dem SPD-Generalsekretär sind wir jetzt am Telefon verbunden. Guten Morgen.

11.10.2000
    Müntefering: Guten Morgen Herr Heinemann.

    Heinemann: Herr Müntefering, was reizt Ihren Parteichef so sehr an der SED-Nachfolgepartei?

    Müntefering: Es ist nicht eine Frage von Reiz, es ist eine Frage von ganz nüchternem politischen Kalkül. Die PDS hat in den ostdeutschen Ländern eine doch große Zustimmung bei den Wählerinnen und Wählern, sie ist ein Faktor in der Politik der Länder in Ostdeutschland, und sie ist im Bundestag vertreten - und insofern auch Gegenstand unserer Demokratie. Und man spricht miteinander. Wir versuchen, Normalisierung ins Geschäft zu bringen.

    Heinemann: Heißt Kalkül auch Koalitionskalkül?

    Müntefering: Nicht für die Bundesebene. Auf der Bundesebene ist das aus unserer Sicht undenkbar, denn da gibt es tiefgreifende Unterschiede, was die Außen- und Sicherheitspolitik betrifft, aber auch die Grundsatzfrage, ob diese PDS auf der Bundesebene eigentlich eine Systemopposition ist, ob sie das System verändern will oder ob sie das System reformieren will. Und das scheint uns auf gar keinen Fall ausgetragen. Auf der Landesebene, da müssen die, die da Verantwortung haben, selbst entscheiden. Das haben wir ja seit Jahren so gehalten und das ist auch richtig.

    Heinemann: Der Verfassungsschutz in Baden-Württemberg weist darauf hin, dass sich nicht nur einzelne Zusammenschlüsse innerhalb der PDS, sondern die Partei als Ganzes zur Systemüberwindung bekannt. Müsste dies dem Kanzler nicht den Appetit verderben?

    Müntefering: Ja, deshalb sind wir ja auch nicht überschwenglich an der Stelle, aber die PDS ist in demokratischen Wahlen in das demokratische Parlament gewählt. Sie ist ein Faktor in dieser Gesellschaft. Wir sind überzeugt, dass einzelne Persönlichkeiten, zum Beispiel solche, mit denen wir sprechen, solche sind, die von der Systemopposition weg wollen - so sie denn noch da ist - und zu einer Reformpartei kommen wollen. Und das kann nur gut sein, wenn wir die PDS und deren Wählerinnen und Wähler nicht ausschließen aus unserer Demokratie.

    Heinemann: Also wenn ich Sie richtig verstanden habe, ist für Sie die PDS noch keine 'normale' Partei wie alle anderen auch?

    Müntefering: Zumindest auf der Bundesebene nicht, was die Gesamtbewertung angeht. Ja.

    Heinemann: Aber das Programm der PDS gilt doch auch für die Landesparteien.

    Müntefering: Es ist ja immer eines, was ausgeschrieben ist und eines, was das praktische Leben ergibt. Vertrauenswürdigkeit, die kann man nicht versprechen, die muss man beweisen. Und das, was in den Kommunen geschieht und das, was auf den Landesebenen geschieht, das sind ja auch Ergebnisse aus langjähriger Bekanntschaft. Da geht es um Personen und Persönlichkeiten, mit denen man glaubt, Politik machen zu können. Und das hat sich - denke ich - auch bewährt. Ich finde auch, man soll das ganze Spektakuläre da rausnehmen. Wenn Helmut Kohl sich mit Gysi trifft, wenn in vielen Kommunen in Ostdeutschland die CDU natürlich mit der PDS spricht und auch mit ihr zusammenarbeitet, dann ist dort die Sache schon entdramatisierter als auf der Bundesebene. Und auf der Bundesebene muss keiner Sorge haben, dass wir da die Situation verkennen.

    Heinemann: In welchen Politikbereichen müsste die PDS noch nachrüsten, um von der SPD als Koalitionspartner in Berlin für würdig befunden zu werden?

    Müntefering: Nun ja, das ist so eine Frage, die könnte dazu führen, dass man auf dem Parteitag der PDS, der ja in Kürze ist, Beschlüsse fasst und sagt: 'So, jetzt ist alles in Butter'. Aber da sage ich noch einmal vorweg: Vertrauenswürdigkeit muss man beweisen, die kann man nicht versprechen. Aber zu den Punkten, die wichtig sind: Der ganze außen- und sicherheitspolitische Bereich, zum Beispiel die Ablehnung und Skepsis gegenüber NATO. Das kann für uns überhaupt keine Frage sein. Es hat im letzten Jahr ja einen großen Streit gegeben auch über die Frage des Einsatzes im Kosovo. Das heißt: Wollen wir im Sicherheitspfad der Vereinten Nationen irgendwann dabei sein - und welche Aufgaben ergeben sich daraus für unsere Land, und wie würde sich dazu eigentlich eine PDS verhalten. Aber was den innenpolitischen Teil angeht, da gibt es immer noch eine große Illusion. Ich habe den Eindruck, die PDS lebt immer noch in der Vorstellung, sie könnte mit einer scheinbar großen sozialen Gerechtigkeit möglichst viel verteilen und glaubt, das sei linke Politik, ohne aber auch die Bedingungen der Wertschöpfung des Erwirtschaftens des Geldes denn auch zu akzeptieren. Sie will die positiven Ergebnisse der kapitalistischen Gesellschaft - um es mal mit deren Worten zu sagen - nicht, aber sie will das, was ausgegeben werden kann, bzw. das, was an Positivem dabei herauskommt, selber in Anspruch nehmen. Und da sehe ich immer noch eine Inkonsequenz.

    Heinemann: Also fast so, wie die Lafontaine-SPD.

    Müntefering: Das ist nun ein bisschen böswillig.

    Heinemann: Wieso?

    Müntefering: Na, das ist ja nicht so. Für uns ist es keine Frage, dass das System der sozialen Marktwirtschaft - so, wie es da ist - die Grundlage ist. Dass man reformieren muss, dass man verbessern muss, das ist immer klar. Aber das ist schon etwas Grundsätzlicheres. Die antikapitalistische Systemopposition, die da von einigen gesucht wird - von der kommunistischen Plattform zum Beispiel -, das sind Kategorien, die sind in der SPD ganz sicher nicht zu Hause.

    Heinemann: Sie sprachen eben vom bevorstehenden PDS-Parteitag. Der vergangene, nämlich der in Münster, steht doch gerade dafür, dass die Partei immer noch nicht in der Bundesrepublik angekommen ist. Die Moderaten, nämlich Bisky und Gysi, sind dort doch eindrucksvoll gescheitert.

    Müntefering: Ja, das ist richtig. Der Parteitag hat deutlich gemacht, dass es auf Bundesebene keine Formen der Zusammenarbeit geben kann im Sinne von Koalition. Auf der anderen Seite stellen wir mal schlichtweg fest, dass sowohl in Sachsen-Anhalt, wo es eine Zusammenarbeit gibt, als in Mecklenburg-Vorpommern, wo es eine Koalition gibt, die Revolution nicht ausgebrochen ist, die Investoren nicht wegbleiben, die Menschen selber in Urlaub dahin fahren. Das alles heißt, dass absolute Normalität da ist, und deshalb muss man das, was man liest und das, was man in der Realität erlebt, schon miteinander abgleichen. Und da - finde ich - kann man nicht daran vorbei, dass in Ostdeutschland die Menschen in erheblichem Maße der PDS ihr Vertrauen gegeben haben. Und wenn es bei der Deutschen Einheit - jetzt am 3. Oktober zehn Jahre - nicht auch an einigen Stellen diese Art von Zusammenarbeit gegeben hätte, wie sie die Sozialdemokraten und die PDS in mindestens zwei Ländern in Ostdeutschland praktizieren, dann wäre der Graben in Deutschland noch ein bisschen tiefer gewesen. Das ist auch keine Frage.

    Heinemann: Mindestens zwei Länder, sagen Sie. Sollte die große Koalition in Brandenburg durch eine SPD-PDS-Regierung abgelöst werden?

    Müntefering: Nein, ich wollte damit nur deutlich machen: Wir überlassen es den Ländern jeweils selbst, wie wir es seit Jahren praktizieren. Wir haben auch deutlich gesagt: Da, wo die Menschen in einer Wahl entschieden haben, müssen die, die gewählt sind, entscheiden, wie sie mit den Mehrheitsverhältnissen, die sich aus der Wahl ergeben, umgehen. Und da wollen wir keine Direktiven erlassen von Berlin aus, sondern das muss vor Ort gewusst werden. Und in Mecklenburg-Vorpommern hat Harald Ringstorff immer gesagt - und auch rechtzeitig -, er geht davon aus, dass das Klima im Lande mit einer solchen Koalition - mit der PDS - besser sein wird, als es mit der CDU gewesen war. Und die Ergebnisse, die man heute absehen kann, sprechen dafür, dass er recht gehabt hat. Die Wachstumserwartungen sind dort ganz gut, und auch die Entwicklung in der Wirtschaft ist ganz gut. Die Unternehmen sprechen nicht nur mit der SPD, sondern auch mit der PDS in der mecklenburg-vorpommerschen Landesregierung, und die haben längst nicht die Ängste, wie mancher Feuilletonist.

    Heinemann: Herr Müntefering, als Harald Ringstorff vor fünf Jahren die große Koalition in Schwerin aufkündigte und die PDS an den Kabinettstisch holte, drohte ihm der SPD-Parteivorsitzende Scharping mit einem Parteiausschlussverfahren. Was hat sich seitdem verändert? Hat die SPD die Grundsätze von damals über Bord geworfen?

    Müntefering: Nein. Ich meine, wir sollten uns zugestehen, dass die Situation 89/90 eine schwierige war. Da ging eine kommunistische Partei in die Knie; es gründete sich eine Nachfolgepartei, und keiner konnte sich sicher sein, was sich daraus eigentlich entwickelt. Aber man muss auch hinzu lernen können. Und zehn Jahre nach diesem Ereignis kann man heute sagen: Es gibt in der PDS Kräfte, die hängen am alten; mit denen können wir nicht zusammen koalieren; da ist deren demokratische Zuverlässigkeit fragwürdig. Aber es gibt auch viele - ganz besonders unsere Wählerinnen und Wähler -, die diese Demokratie wollen. Und das muss man nun auch akzeptieren, da kann man nicht auf immer und ewig sich auf die alten Argumente zurückziehen. Mir geht es bei der Beurteilung der PDS vor allen Dingen um die Frage, 'wie ist sie heute zu bewerten, was tut sie heute, von was kann man ausgehen, was heute mit ihr politisch möglich ist'. Es ist für mich weniger die Frage, wie das vor zehn Jahren war.

    Heinemann: Vor zwei Jahren schrieben Richard Schröder und andere ostdeutsche Sozialdemokraten folgendes: 'Die Basis der PDS verweigere ein Bekenntnis zum Grundgesetz'. Werden denn die ostdeutschen SPD-Mitglieder nicht vorgeführt, wenn das Verhältnis zur PDS von der SPD-Führung jetzt in der von Ihnen beschriebenen Weise normalisiert wird?

    Müntefering: Ja, wir haben aber auch festzustellen - das ist ja auch gut so -, dass zum Beispiel in der Koalitionsvereinbarung von Mecklenburg-Vorpommern die PDS ausdrücklich den Satz unterschrieben hat, dass die SED verantwortlich war - und damit auch bleibt - für Unrecht in der damaligen DDR, und dass sie als Nachfolgepartei das auch so sieht. Erstens. Und zweitens, dass sie sich zur Demokratie bekennt. Und die Probe auf's Exempel läuft. Und in den ersten beiden Jahren, die wir in Mecklenburg-Vorpommern nun erleben in einer Koalition, ist das Ergebnis positiv. Das muss man dann auch feststellen.

    Heinemann: Aber werden die SED-Nachfolger durch die gemeinsame Nahrungsaufnahme mit Herrn Schröder nicht noch 'gepäppelt'?

    Müntefering: Na gut, das können Sie Herrn Kohl auch fragen. Ich nehme an, wenn der mit Herrn Gysi dreimal zusammensitzt, dann isst der auch.

    Heinemann: Bitte? Das habe ich nicht verstanden.

    Müntefering: Ich sagte, wenn Herr Kohl mit Herrn Gysi dreimal zusammensitzt, dann essen die auch miteinander. Also, ich weiß nicht, was das soll. Wenn man miteinander spricht, so wie wir das tun, dann kann man das entweder versuchen, heimlich zu machen, es zu vertuschen - oder man kann es so machen, dass alle es auch erkennen können. Und da ist das zweite zweifellos besser. Dass man mit Bisky und Gysi - zwei immer noch wichtigen Leuten in der PDS - sprechen kann, das ist damit dokumentiert. Und das finden wir auch in Ordnung.

    Heinemann: Könnten Sie sich vorstellen, dass im Jahr 2006 es zu einer Zusammenarbeit auch auf Bundesebene mit der PDS kommt?

    Müntefering: Ich kann mir das aus heutiger Sicht nicht vorstellen. Ich will ausdrücklich deutlich machen, dass das auch nicht unser Ziel ist, eine solche Koalition anzustreben. Was uns interessiert, sind vor allen Dingen die Wählerinnen und Wähler der bisherigen PDS-Wahlergebnisse. Wir sehen sie als Konkurrenz, und wir sehen sie als eine Konkurrenz, die Deutschland nicht unbedingt braucht. Aber sie ist nun einmal da, das ist Faktum. Und da kann man nicht dran vorbeisehen, das kann man nicht ignorieren, dass in ostdeutschen Ländern und Städten 20 Prozent und 30 Prozent - irgendwo in der Größenordnung - Zustimmung bei der PDS da ist.

    Heinemann: Im Deutschlandfunk sprachen wir mit SPD-Generalsekretär Franz Müntefering. Herr Müntefering, vielen Dank für das Gespräch. Auf Wiederhören.

    Müntefering: Bitte schön, auf Wiederhören

    Link: Interview als RealAudio