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Die Perspektive der Europäischen Kommission
Streit um Polens Rechtsstaatlichkeit

Vor etwas mehr als einem Jahr hat die EU-Kommission ein Rechtsstaatsverfahren gegen Polen eröffnet. Es ist bislang das erste Mal, dass ein solches Mittel gewählt wurde, um einen Mitgliedstaat dazu zu bewegen, seine Rechtsstaatlichkeit wiederherzustellen. Polen könnten Sanktionen drohen, doch die Regierung zeigt wenig Einsicht.

Von Susanne El-Kassar | 20.02.2017
    Eine polnische Flagge und eine Europafahne wehen im Wind.
    Die EU-Kommission streitet mit Polen über die Rechtsstaatlichkeit mehrerer Regierungsmaßnahmen. (dpa/Beate Schleep)
    Der erste Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, klingt entschlossen, als er im Dezember vergangenen Jahres zum wiederholten Mal eine Empfehlung für die polnische Regierung ausspricht.
    Die EU-Kommission werde nicht locker lassen, bis eine Lösung gefunden ist. Nach Ansicht der Kommission ist eine klare Gewaltenteilung zwischen Regierung und Justiz in Polen nicht gewährleistet.
    Mehr noch: Die EU-Kommission sieht das polnische Verfassungsgericht in seiner Arbeit geschwächt und kritisiert, dass die national-konservative Regierung die Urteile des Gerichts ignoriert. Verlangt wird, dass alle Urteile des polnischen Verfassungsgerichts veröffentlicht und umgesetzt werden. Außerdem moniert die Kommission die Zusammensetzung des Gerichts. Zum einen die Umstände, die zu der Wahl der Juristin Julia Przylebsa als Präsidentin des Verfassungsgerichts geführt haben. Zum anderen pocht sie darauf, dass drei im Oktober 2015 gewählte Richter, ihre Ämter im Verfassungsgericht auch tatsächlich antreten.
    Frist zur Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit gesetzt
    Die Auseinandersetzung zwischen der EU-Kommission und der polnischen Regierung dauert schon über ein Jahr an. Sie läuft in einem mehrstufigen Verfahren ab, bei dem die Kommission der Warschauer Regierung zunächst Empfehlungen schickt und ihr eine Frist setzt, bis zu der sie die beanstandeten Probleme behoben haben sollte. Frans Timmermans setzt nach wie vor auf den Dialog mit der Regierung, auch wenn ihn das vergangene Jahr nicht unbedingt optimistisch gestimmt habe, wie er zugibt. Denn Polen hat kaum Entgegenkommen signalisiert.
    Sollte die Rechtsstaatlichkeit in Polen bis zur gesetzten Frist nicht wiederhergestellt worden sein, dann könnte gemäß Artikel 7 des Vertrags über die Europäische Union ein Verfahren eingeleitet werden – mit zwei Ausgängen. In Fall eins kann der Rat der Europäischen Union eine Warnung aussprechen, wegen der "eindeutigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der […] Werte" der Europäischen Union.
    In Fall zwei kann der Mitgliedsstaat wegen einer "schwerwiegenden und anhaltenden Verletzung" bestraft werden, etwa indem Stimmrechte entzogen werde. Dieses stärkere Mittel der Bestrafung erscheint aber unwahrscheinlich, da hierfür alle Mitgliedsstaaten (das betroffene Polen ausgenommen) diese Verletzung einstimmig feststellen müssen. Es ist davon auszugehen, dass beispielsweise Ungarn sich einer solchen Wahl nicht anschließen würde.