Montag, 25. März 2024

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"Die Politik ist machtlos"

Die Vorsitzende des Sportausschusses im Deutschen Bundestag, Dagmar Freitag, zeigte sich entsetzt über die Vorgänge im Weltfußballverband FIFA. Die SPD-Politikerin sagte, es mangle an Stringenz und Glaubwürdigkeit. Sie hätte sich gewünscht, dass der Deutsche Fußballbund eine Verschiebung der Präsidenten-Wahl unterstütze.

Dagmar Freitag im Gespräch mit Dirk Müller | 01.06.2011
    Dirk Müller: Eine schier endlose Geschichte wird wohl heute in Zürich fortgesetzt, vielleicht sogar so, als wenn gar nichts wäre, zumindest wenn es um den Chef des Weltfußballverbandes geht. Sepp Blatter, seit vielen Jahren äußerst umstritten, tritt zum vierten Mal an, um die FIFA weiterhin anzuführen. Seit Monaten häufen sich wieder die Korruptionsvorwürfe, die gegenseitigen Anschuldigungen, die Verdächtigungen, außerhalb wie auch innerhalb der FIFA. Führende Funktionäre beschulden sich gegenseitig, bestechlich zu sein, auch im Zusammenhang mit der umstrittenen WM-Vergabe nach Katar. Es ist Gefahr im Verzug, sagt selbst Sepp Blatter. Fair Play FIFA?

    Am Telefon ist nun die SPD-Politikerin Dagmar Freitag, Vorsitzende des Sportausschusses im Deutschen Bundestag. Guten Tag!

    Dagmar Freitag: Ja! Guten Tag, Herr Müller.

    Müller: Frau Freitag, darf die FIFA schalten und walten wie sie will?

    Freitag: Na ja, man könnte zumindest den Eindruck bekommen. Ich bin doch sehr entsetzt, wie sich dieser Kongress jetzt präsentiert, wie sich der Präsident präsentiert. Das Ganze hat ja einen Vorlauf: Er hat vor zwei Tagen noch gesagt, "Krise, welche Krise?", jetzt sagt er das Gegenteil. Also das ist alles nicht stringent und dadurch auch nicht glaubwürdig.

    Müller: Die Krisensituation bei der FIFA wird ja immer wieder diskutiert, die Korruptionsvorwürfe, die Bestechungsvorwürfe. Seit Jahrzehnten, zumindest in den vergangenen Jahren, hat sich das immer weiter verdichtet. Hat die Politik in irgendeiner Form da was zu sagen?

    Freitag: Na ja, Sie wissen, dass die Politik aus dem Sport erst mal außen vor ist. Natürlich gibt es Dinge, die uns auch betreffen, aber die verbandsinternen Entscheidungen, sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene, das sind natürlich Entscheidungen der Verbände.

    Müller: Ist das demokratisch?

    Freitag: Na ja, demokratisch, da müssen Sie in die Statuten der Verbände schauen. Wenn ich zum Beispiel höre, dass Wahlen mit nur einem Kandidaten per Akklamation bei der FIFA in der Regel ablaufen, dann habe ich schon ein anderes Demokratieverständnis.

    Müller: Das läuft ja selbst in der SPD anders.

    Freitag: Das können Sie mal annehmen!

    Müller: Reden wir über diese Statuten. Nach demokratischen Grundsätzen müssen auch Verbände innerhalb von Demokratien demokratisch verfasst sein. Daran gibt es immer wieder Anstoß, immer wieder Zweifel. Warum hat sich da bisher nichts getan, warum hat sich keiner eingemischt?

    Freitag: Ich denke, da muss man ein wenig in die Vergangenheit schauen. Es bilden sich ja Strukturen und Netzwerke. Wenn Sie sehen, dass zum Beispiel Herr Blatter seit 36 Jahren in irgendeiner Form in der FIFA involviert ist, dann können sie davon ausgehen, dass das viel Zeit ist, um Netzwerke zu bauen und zu pflegen. Und in solch einem System entstehen fast zwangsläufig auch bestimmte Abhängigkeiten, und Abhängigkeiten sind nie gut für demokratische Strukturen.

    Müller: Und die Politik - noch mal die Frage - ist machtlos?

    Freitag: Die Politik ist machtlos. Ich würde mal die Frage an die Sponsoren weitergeben wollen. Geld ist die Frage, die Funktionäre auf internationaler Ebene mit am besten verstehen.

    Müller: Aber Sponsoren unterstützen auch Vereine und Regierungen, gerade mit Blick auf den Sport, wenn es sich um Diktaturen handelt.

    Freitag: Regierungen sind involviert, Politik ist involviert, wenn es zum Beispiel um die Vergabe von internationalen Veranstaltungen geht. Wenn Sie sich an die Vergabe der Weltmeisterschaft nach Deutschland erinnern, werden Sie sich auch daran erinnern, dass wir zum Beispiel Regierungsgarantien abgeben mussten, was bestimmte steuerliche Dinge anging. Da kommt dann die Politik ins Spiel und da müsste vielleicht auch mal eine Absprache unter den Ländern stattfinden, dass man sich nicht alle Bedingungen immer diktieren lassen kann.

    Müller: Sind Sie sicher, dass die WM in Deutschland 2006 sauber vergeben worden ist?

    Freitag: Da habe ich im Nachhinein jedenfalls keinen Grund, daran zu zweifeln.

    Müller: Und deswegen hat die Politik das auch ausnahmslos unterstützt?

    Freitag: Wir haben das damals unterstützt, weil natürlich eine Fußballweltmeisterschaft nach Olympischen Spielen das bedeutendste Sportereignis der Welt ist. Sie wissen, wie der Fußball weltweit auch bei den Menschen verankert ist. Da kann man ja nicht ohne Weiteres dran vorbeigehen. Ich darf aber daran erinnern, dass gerade die Frage der Steuerfreiheit auch zu heftigen Diskussionen in der deutschen Politik geführt hat.

    Müller: Steuerfreiheit unter anderem auch für diese internationalen Sportverbände, die ja nahezu konzentriert sind in der Schweiz. Ist das ein Problem?

    Freitag: Das kann ein Problem sein, aber das muss nicht das entscheidende Problem sein. Aus meiner Sicht ist das größere Problem, welche Bedingungen denjenigen, die sich für internationale Veranstaltungen bewerben, diktiert werden. Sie müssen ein umfangreiches Pflichtenheft erfüllen und da kommen schon an manchen Stellen Fragen auf. Viele Verbände können so etwas jedenfalls nicht leisten.

    Müller: Sie gehen aber auch davon aus, Frau Freitag, in zwei Wochen beginnt die Frauen-WM, die Frauenfußballweltmeisterschaft in Deutschland, auch da ist alles mit rechten Dingen zugegangen?

    Freitag: Es gibt zumindest keine Hinweise, dass es anders gewesen sein sollte, und ohne Hinweise würde ich mich hüten, irgendwelche Verdächtigungen auszusprechen.

    Müller: Ist denn dort in irgendeiner Form - man kennt ja nun die Praktiken der FIFA, nicht genau, aber zumindest gibt es viele Andeutungen -, ist da einmal nachgefragt worden, im Sportausschuss zum Beispiel?

    Freitag: Das ist nicht Aufgabe des Sportausschusses. Wir haben auch keine rechtliche Handhabe, das zu hinterfragen. Wir können natürlich Herrn Dr. Zwanziger einladen. Herr Dr. Zwanziger war aber bislang nicht Mitglied des Exekutivkomitees. Ich glaube nicht, dass er eine Antwort darauf hätte geben können, wie die Entscheidungsprozesse dort abgelaufen sind.

    Müller: Hatten Sie bislang einmal Gelegenheit, mit Theo Zwanziger über die FIFA, über den Weltfußball zu reden?

    Freitag: Ich habe viele Gespräche mit Theo Zwanziger geführt, kürzlich noch ein Gespräch, da ging es auch um die Rolle von Sepp Blatter, und da hat er sich dem Sinn nach so geäußert, wie er sich auch jetzt in den Interviews geäußert hat, nämlich dass er ihn wählen wird.

    Müller: Das heißt also, kritisch sein, zumindest nach außen, aber wählen nach innen?

    Freitag: Ja gut, so habe ich die Äußerung des Präsidenten heute Morgen verstanden. Ich würde mir wünschen, dass der Deutsche Fußballbund, der nun weltweit der Verband ist mit der größten Mitgliederzahl, dass der sich jetzt mal an die Spitze einer Reformbewegung innerhalb der FIFA stellt.

    Müller: Finden Sie das politisch korrekt, wenn Sepp Blatter heute die Stimme aus Deutschland bekommt?

    Freitag: Das ist eine Entscheidung, die der Deutsche Fußballbund zu treffen hat. Ich hätte mir gewünscht, dass eine Verschiebung der Wahl auch von Deutschland unterstützt worden wäre.

    Müller: Aber es hat keine Einwirkungsversuche auf Theo Zwanziger gegeben, in diesem Sinne zu handeln?

    Freitag: Nein.

    Müller: Was werden Sie ihm beim nächsten Mal sagen, wenn Sie ihn treffen?

    Freitag: Ich werde ihn sicherlich fragen, wie der Entscheidungsprozess auch innerhalb des Deutschen Fußballbundes verlaufen ist, denn ich denke, Theo Zwanziger kommt ja jetzt in eine verantwortungsvolle Position, und ich erwarte, dass er seinen Einfluss und sein Know-how einsetzt, um Strukturveränderungen innerhalb der Familie FIFA, wie Herr Blatter sie zu nennen beliebt, durchzusetzen.

    Müller: Demnach hat der deutsche Kaiser, Franz Beckenbauer, das nicht geschafft, weil er saß ja bis gestern offiziell auch in diesem FIFA-Exekutivkomitee?

    Freitag: Das kann man so bewerten, ja.

    Müller: Haben Sie mit ihm mal darüber sprechen können?

    Freitag: Nein. Das hat sich in der Vergangenheit so nicht ergeben.

    Müller: Wie groß ist denn das Problem der Glaubwürdigkeit insgesamt? Wir reden jetzt über die FIFA. Wir haben in der vergangenen Woche auch ganz ausführlich über die Praktiken des Weltradsportverbandes gesprochen. Ist das eine Glaubwürdigkeitskrise der großen Sportverbände?

    Freitag: Also jetzt von der FIFA auf andere Verbände zu schließen, ist aus meiner Sicht nicht unbedingt zulässig. Gleichwohl denke ich, dass der internationale Sport insgesamt über seine Strukturen nachdenken muss, denn Probleme hat es zweifellos in der Vergangenheit ja auch in anderen großen Spitzenverbänden gegeben.

    Müller: Sehen Sie denn in irgendeiner Form die Möglichkeit, zum Beispiel auf europäischer Ebene - die EU regelt ja so gut wie alles heutzutage, auch im Alltag - dort einzuwirken, in irgendeiner Form Vorgaben zu machen, eventuell auch zu kontrollieren?

    Freitag: Also das halte ich für ganz problematisch. Da ist dann eher der europäische Fußballverband gefragt. Also noch mal: Der Sport hat auf nationaler und internationaler Ebene seine Autonomie. Die Politik kann nachfragen, aber die Politik, weder eine Bundesregierung, noch ein Sportausschuss, hat die Möglichkeit, in die organisatorischen Prozesse einzugreifen.

    Müller: Gehen Sie davon aus, dass die Justiz in irgendeiner Form eine konstruktive Rolle spielen könnte, beispielsweise hier auch in der Schweiz?

    Freitag: Na gut, das ist die Frage, wie weit sich die Vorwürfe jetzt erhärten lassen. Gestern sollte es eine enthüllende Pressekonferenz geben, meines Wissens hat die aber nicht stattgefunden. Die Frage ist, kann wirklich bewiesen werden, dass Geld geflossen ist, dass bestochen worden ist, und ich denke, dann haben auch Staatsanwaltschaften in welchem Land auch immer die Möglichkeiten einzugreifen.

    Müller: Das wissen wir nicht, ob das kommt, Frau Freitag, aber wenn ich Sie richtig verstehe, dann können Sie nachvollziehen, wenn viele von außen, auch gerade Fußballfans, Sportbegeisterte, die ganze Entwicklung beobachten und sagen, da kann man eigentlich nur noch frustriert wegschauen?

    Freitag: Das wäre das Schlimmste, was passieren kann, aber ich teile diese Einschätzung ausdrücklich. Das ist genau das Problem. Solche Vorkommnisse, solche Dinge, die führen genau dazu, dass sich die Menschen letztlich vom Sport abwenden, und das ist natürlich eigentlich etwas, was man nicht wollen kann.

    Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk die SPD-Politikerin Dagmar Freitag, Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Freitag: Sehr gerne. Auf Wiederhören.