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"Die Politik muss sich aus dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk raushalten"

Am Freitag will der Verwaltungsrat des ZDF über die Vertragsverlängerung von Chefredakteur Nikolaus Brender entscheiden. Ginge es nach umstrittenen öffentlichen Äußerungen des Gremiummitglieds Roland Koch (CDU), wird es keine Verlängerung geben. Diese Entscheidung aber sei "nicht sein Bier", sagt Rundfunkrechtler Bernd Holznagel.

    Sandra Schulz: Schon mehrfach ist die Entscheidung vertagt worden, wird der Vertrag des ZDF-Chefredakteurs Nikolaus Brender verlängert, oder läuft er im kommenden Frühjahr aus. Ginge es nach Intendant Markus Schächter, lautete die Antwort "Ja", aber die Frage liegt auch in den Händen der Aufsichtsgremien und eines davon ist der Verwaltungsrat. Dort stimmt unter anderen der hessische Ministerpräsident und CDU-Politiker Roland Koch mit, der eine Vertragsverlängerung Brenders in Zweifel gezogen hatte. Der Vorwurf politischer Einflussnahme steht darum im Raum. Vor der Entscheidung des Gremiums, die für morgen erwartet wird, hatte die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" einen offenen Brief von 35 Staatsrechtlern dokumentiert, die davor warnen, einen, so heißt es da wörtlich, "unabhängigen Journalisten zu verdrängen und den Eindruck der Parteipolitik zu stärken". – Einer der Unterzeichner ist Professor Bernd Holznagel, Direktor des Instituts für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht der westfälischen Wilhelms-Universität in Münster, und ihn begrüße ich jetzt am Telefon. Guten Morgen!

    Bernd Holznagel: Guten Morgen!

    Schulz: Warum ist der Fall Brender ein Prüfstein für die Rundfunkfreiheit?

    Holznagel: Hier ist der Eindruck entstanden, dass aus politischen Gründen ein Ministerpräsident einen Chefredakteur des nationalen Fernsehsenders ZDF absetzen will und dann natürlich in der Folge jemand bestimmen will, der ihm politisch genehm ist. Das ist nach deutschem Verfassungsrecht nicht möglich. Einer der höchsten Güter des deutschen Verfassungsrechts ist der Grundsatz der Staatsferne und die Politik muss sich aus dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk raushalten.

    Schulz: Aber die Argumente, die Roland Koch vertritt, die zielen ja gerade auf den journalistischen Status quo ab. Koch argumentiert zum Beispiel damit, dass die "Heute"-Nachrichten seit 2002 26 Prozent der Zuschauer verloren haben, sogar im vergangenen Jahr von "RTL Aktuell" überholt worden seien. Was ist an den Argumenten falsch?

    Holznagel: An den Argumenten ist vermutlich gar nichts falsch und insofern müssen auch die Argumente ernst genommen werden vom ZDF und müssen genau nachgeprüft werden. Der zentrale Punkt scheint mir hier zu sein, dass es nicht Aufgabe des Verwaltungsrats ist, solche Personalentscheidungen so weit reichender Art zu treffen. Eine Rundfunkanstalt ist ja eine ganz bestimmte Konstruktion, das ist eine sogenannte öffentlich-rechtliche Anstalt und in dieser öffentlich-rechtlichen Anstalt sind die Rollen des Intendanten, des Verwaltungsrates und beim ZDF des Fernsehrates verteilt. Der Intendant hat die Programmautonomie und er hat damit auch die Autonomie, die zentralen Stellen selbst zu besetzen. Ein Verwaltungsrat kann hier allenfalls Einsprüche erheben aus bestimmten Gründen heraus. Es gibt aber aufgrund der Treuepflicht dieser beiden Organe zueinander die Verpflichtung, auch kooperativ zusammenzuarbeiten.

    Schulz: Aber formal darf der Verwaltungsrat nun mal mitreden. Wozu ist ein Kontrollgremium denn da, wenn es keine Kontrolle ausüben darf?

    Holznagel: Es darf kontrollieren, aber eben nur in ganz bestimmten Bereichen. Der Verwaltungsrat kann nur sein Einvernehmen, wie es heißt, erklären und damit kann er allenfalls hier aus dem Sinn und Zweck der Norm Kritiken vorbringen, die den gesetzlichen Programmauftrag betreffen, also zum Beispiel die Ausgewogenheit und Objektivität der Berichterstattung. Gerade das ist aber nicht der Punkt, der Herrn Brender vorgeworfen wird.

    Schulz: Jetzt sagen Sie in Ihrem offenen Brief ja auch, dass wenn Roland Koch als Meinungsführer stark genug sei, in diesem Gremium eben Herrn Brender zu verhindern, dann sei belegt, dass die verfassungsrechtlichen Bedenken nicht unbegründet seien. Ist das nicht ein Zirkelschluss?

    Holznagel: In dem Brief ist es so, dass der im Kern unterstellt, dass die Motivation von Herrn Koch eben auch eine politische ist. Das ist auch so erschienen. Gerade Sie als Medienvertreter haben das ja auch so, ich sage es mal salopp, medial rübergebracht. Der Verdacht einer politischen Einflussnahme liegt da auf der Hand. Das Gut der Staatsferne ist so bedeutend, dass wir auch meinen, dass allein ein Anschein vermieden werden muss.

    Schulz: Wäre es denn dann nicht eigentlich auch politischer Einfluss, wenn der Vertrag verlängert würde?

    Holznagel: Inwiefern? Ich meine, der Intendant des ZDF, Herr Schächter, das ist genau seine Aufgabe, diese Personalauswahl zu treffen und eben dann den Vertrag zu verlängern.

    Schulz: Also die Entscheidung ist nur dann eine politische Entscheidung oder eine politische Einflussnahme, wenn sie so ausfällt, wie es Herrn Schächter nicht passt?

    Holznagel: Das ist so nicht richtig. Dieses Machtverhältnis in einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt ist gekennzeichnet durch sozusagen klare Aufgabenzuweisung und es ist eben die Aufgabe des Intendanten, das Personal auszuwählen. Ich wiederhole mich fast. Der Verwaltungsrat kann nur unter ganz engen Gründen so eine Personalentscheidung ablehnen, denn sonst würde er sich quasi an die Stelle des Intendanten setzen und ihm seine Personalautonomie wegnehmen.

    Schulz: Jetzt sind im Verwaltungsrat die Politiker ja gar nicht in der Mehrheit, sondern es gibt auch Vertreter anderer gesellschaftlicher Gruppen. Was können die besser als die Politiker?

    Holznagel: Das ist der Fernsehrat. Ich glaube, im Verwaltungsrat beim ZDF sind ja sechs Vertreter aus der Politik und das ist die Hälfte des Verwaltungsrates. Das ist außergewöhnlich beim ZDF. Das ist so weitgehend in keiner anderen öffentlich-rechtlichen Anstalt.

    Schulz: Wie müsste das Aufsichtsratsgremium aussehen, damit diese verfassungsrechtlichen Zweifel nicht griffen?

    Holznagel: Es wäre schöner. Ich bin da ganz vorsichtig, weil es ist noch nicht entschieden, ob die jetzige Zusammensetzung des Verwaltungsrats verfassungswidrig ist. Es gibt Kollegen, die das argumentieren, die einfach sagen, beim ZDF-Verwaltungsrat sitzen sehr viele Vertreter der Länder und das sind einfach zu viele. Es gibt auch Leute, die sagen, es sei eigentlich gut, wenn alle Politiker aus den öffentlich-rechtlichen Gremien gingen. So weit würde ich nicht gehen. Es liegt also irgendwie in der Mitte dann die Wahrheit. Gleichwohl lässt sich gut argumentieren, dass zumindest die Zahl der politischen Positionen im Verwaltungsrat zurückgeführt werden sollte. Aber noch mal: Der Verwaltungsrat hat ja primär die Aufgabe, den Haushalt abzusegnen, Einvernehmen im Hinblick auf zentrale Personalauswahl vorzunehmen. Er entscheidet auch über gewisse Leitlinien des Senders. Aber das Alltagsgeschäft, also die Benennung solcher Spitzenpositionen, das ist nicht sein Bier und er mischt sich da in Tätigkeitsbereiche, die ihn gar nichts angehen.

    Schulz: Wie geht es weiter, wenn die Entscheidung morgen zuungunsten Brenders ausfällt? Hat er dann oder das ZDF die Möglichkeit, sich gerichtlich zu wehren?

    Holznagel: Ja. Ich denke, dass dann ein Gang nach Karlsruhe möglich ist. Ob das beschritten wird, dieser Weg nach Karlsruhe, da habe ich meine Zweifel. Der Intendant des ZDF, Herr Schächter, muss ja auch, wenn Sie so wollen, noch weiter mit seinen Gremien leben und es ist irgendwie nichts schlimmer für eine Konsensfindung, als wenn man dann ein gerichtliches Verfahren laufen hat, wo man dann ja auch niemals genau weiß, wie das Gericht entscheiden wird.

    Schulz: Einschätzungen des Rundfunkrechtlers Professor Bernd Holznagel von der Universität Münster, heute im Deutschlandfunk. Danke schön!

    Holznagel: Ich danke Ihnen. Schönen Tag!