Riek: Guten Tag Herr Zagatta.
Zagatta: Herr Riek, ja auch in Ihrem Institut hat es sehr kritische Stimmen zur Kriegsführung der USA in Afghanistan gegeben. Wenn man jetzt aber den Zusammenbruch des Taliban-Regimes sieht, müssen sich die Kritiker da doch nicht etwas korrigieren? Das Kalkül der USA scheint ja aufzugehen.
Riek: Ja zumindest die ganzen Pessimisten, die gesagt haben, dass Afghanistan eine Falle ist, wo nichts erreicht werden kann, also die einen jahrelangen Krieg nach dem Vorbild der Sowjetunion dort vorausgesagt haben, die sind nach den Ereignissen der letzten elf Tage wirklich überholt. Worüber man sich noch streiten kann - und da habe ich auch eine kritische Meinung zu -, ob es nun nötig war, dort fünf Wochen, oder jetzt schon die sechste oder siebte Woche, ständig afghanische Städte und ähnliches zu bombardieren, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn die Amerikaner dort frühzeitig auch Bodentruppen hin entsandt hätten. Dann wäre es nämlich auch gar nicht zu diesen Komplikationen mit der Nord-Allianz in Kabul gekommen, die sich jetzt doch auch sehr widerspenstig gegenüber den Machtteilungswünschen zeigt. Also, das kann man doch nach wie vor kritisch beurteilen.
Zagatta: Sie haben es angesprochen: Es gibt Widerstand gegen die Entsendung von weiteren britischen und französischen Soldaten von Seiten der Nord-Allianz. Kann man aus ihrer Sicht das Land jetzt der Nord-Allianz überlassen?
Riek: Die Nord-Allianz kontrolliert ja nur die Hälfte des Landes, also alles was südlich von Kabul ist und auch fast südlich von Herat ist - zum größten Teil. Dort sind es ja Paschtunen, die die Macht von den Taliban übernommen haben, auch im Osten um Dschalalabad herum, d.h. so groß ist diese Macht der Nord-Allianz gar nicht. Immerhin kontrolliert sie aber doch Gebiete, wo etwas 2/3 der Bevölkerung leben, d.h. die größten Städte des Landes, und sie wird natürlich versuchen, ihre Macht dort zu konsolidieren und auszubauen.
Zagatta: Wie angespannt ist denn die Lage? Wie verfeindet sind denn die verschiedenen Stämme und Gruppen in Afghanistan selbst? Halten Sie es aus Ihrer Sicht für möglich, dass es zu einer Übereinkunft kommt und dass Afghanistan da eine friedliche politische Zukunft hat.
Riek: Also vordergründig haben die jetzt eine Lage wie in den Jahren 92-95, d.h. vor dem Aufkommen der Taliban. Wir haben jetzt verschiedene Kriegsherren, Kriegsfürsten, die größere oder kleine Territorien kontrollieren und dort selbstherrlich über Recht und Ordnung nach ihrem Gutdünken bestimmen. Eine andere Vorraussetzung ist allerdings wesentlich besser, d.h. wir haben jetzt großes internationales Engagement, allen voran der USA und des Westens, und auch Pakistans Haltung ist jetzt weit kooperativer als früher, d.h. die Pakistaner, die zunächst mal den Hekmatyar und die Hesbe-Islami unterstützt haben, Anfang der 90-er Jahre, die sehr destruktiv waren und dann die Taliban - auch ein gescheitertes Projekt, die haben hoffentlich auch daraus gelernt, und, es hat sich ja schon gezeigt: die Pakistaner haben schon in den letzten Wochen auch auf Alternativen zu den Taliban hingearbeitet.
Zagatta: Was würden Sie jetzt vorschlagen? Können sich die USA, können sich die westlichen Soldaten jetzt aus Afghanistan zurückziehen, oder droht dann vielleicht doch noch ein Bürgerkrieg?
Riek: Es sind doch gar keine westlichen Soldaten da, oder nicht?
Zagatta: Na, Briten.
Riek: Auf jeden Fall muss nun hinter den Bemühungen der UNO, dort eine gesamtafghanische Regierung zustande zu bringen, auch das massive Engagement des Westens bestehen bleiben, d.h. auch die Bereitschaft, Friedenstruppen mit dem Einverständnis der afghanischen Parteien dort hinzusenden, um dann eine zu bildende gesamtafghanische Regierung auch zu unterstützen. Das gab es in den frühen 90-er Jahren nicht, sondern, damals wurde das Land sich selber und seinen unmittelbaren Nachbarn, d.h. vor allen Dingen Pakistan und Iran, überlassen.
Zagatta: Herr Riek, wir haben die Bilder gesehen, dass es nun wieder Kinovorstellungen in Afghanistan, in Kabul, gibt, aber wir haben auch gesehen, dass Frauen nach wie vor nicht in diese Kinosäle hineindürfen. Beim SPD-Parteitag heute ist die Forderung aufgetaucht, die politische und soziale Gleichberechtigung von Frauen in Afghanistan durchzusetzen. Muss der Westen das jetzt machen oder messen wir damit Afghanistan und die Nord-Allianz mit westlichen Maßstäben?
Riek: Das kann nur ein Fernziel sein, weil diese Gesellschaft eben noch nicht so weit ist, dass sie Frauen gleiche Recht gibt. Immerhin ist in diesen Städten wie Kabul, aber auch Masar-i-Sharif und Herat und einigen anderen Städten, die jetzt an die Nord-Allianz zurückgefallen sind, waren immerhin sehr viele Frauen berufstätig, und etliche haben eben auch auf diese Verschleierung verzichtet. Ich hoffe, das wird sich in den nächsten Wochen noch ausbreiten. Noch haben eben auch die Frauen von Kabul Angst: Sie wagen sich noch nicht ohne diesen Burgha auf die Straße, aber das wird sich wahrscheinlich bald ändern.
Zagatta: Es verdichten sich jetzt die Informationen, dass Berlin an diesem Wochenende wahrscheinlich schon Tagungsort für die geplante Afghanistan-Konferenz der Vereinten Nationen werden soll. Wenn das dann tatsächlich so kommt: ist Deutschland aufgrund seiner Lage da besonders geeignet, oder hat das, Ihrer Meinung nach, auch einen politischen Hintergrund?
Riek: Ja, Deutschland hat sich in den letzten Jahren hinter den Kulissen viel auch engagiert, einmal für diese UNO-Vermittlung und dann als vorübergehender Leiter der Afghanistan-Support-Group der Geberländer. Außerdem hat Deutschland eine hundertjahrelange sehr gute Beziehung zu Afghanistan, d.h. Deutschland hat dort sehr gutes Ansehen. Das kann nun darauf aufbauen, kann also wieder gesteigert werden, indem Deutschland sich besonders für Aufbauprojekte engagiert.
Zagatta: Andreas Riek vom Deutschen Orient-Institut in Hamburg. Herr Riek, schönen Dank für das Gespräch.
Riek: Bitteschön.
Zagatta: Herr Riek, ja auch in Ihrem Institut hat es sehr kritische Stimmen zur Kriegsführung der USA in Afghanistan gegeben. Wenn man jetzt aber den Zusammenbruch des Taliban-Regimes sieht, müssen sich die Kritiker da doch nicht etwas korrigieren? Das Kalkül der USA scheint ja aufzugehen.
Riek: Ja zumindest die ganzen Pessimisten, die gesagt haben, dass Afghanistan eine Falle ist, wo nichts erreicht werden kann, also die einen jahrelangen Krieg nach dem Vorbild der Sowjetunion dort vorausgesagt haben, die sind nach den Ereignissen der letzten elf Tage wirklich überholt. Worüber man sich noch streiten kann - und da habe ich auch eine kritische Meinung zu -, ob es nun nötig war, dort fünf Wochen, oder jetzt schon die sechste oder siebte Woche, ständig afghanische Städte und ähnliches zu bombardieren, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn die Amerikaner dort frühzeitig auch Bodentruppen hin entsandt hätten. Dann wäre es nämlich auch gar nicht zu diesen Komplikationen mit der Nord-Allianz in Kabul gekommen, die sich jetzt doch auch sehr widerspenstig gegenüber den Machtteilungswünschen zeigt. Also, das kann man doch nach wie vor kritisch beurteilen.
Zagatta: Sie haben es angesprochen: Es gibt Widerstand gegen die Entsendung von weiteren britischen und französischen Soldaten von Seiten der Nord-Allianz. Kann man aus ihrer Sicht das Land jetzt der Nord-Allianz überlassen?
Riek: Die Nord-Allianz kontrolliert ja nur die Hälfte des Landes, also alles was südlich von Kabul ist und auch fast südlich von Herat ist - zum größten Teil. Dort sind es ja Paschtunen, die die Macht von den Taliban übernommen haben, auch im Osten um Dschalalabad herum, d.h. so groß ist diese Macht der Nord-Allianz gar nicht. Immerhin kontrolliert sie aber doch Gebiete, wo etwas 2/3 der Bevölkerung leben, d.h. die größten Städte des Landes, und sie wird natürlich versuchen, ihre Macht dort zu konsolidieren und auszubauen.
Zagatta: Wie angespannt ist denn die Lage? Wie verfeindet sind denn die verschiedenen Stämme und Gruppen in Afghanistan selbst? Halten Sie es aus Ihrer Sicht für möglich, dass es zu einer Übereinkunft kommt und dass Afghanistan da eine friedliche politische Zukunft hat.
Riek: Also vordergründig haben die jetzt eine Lage wie in den Jahren 92-95, d.h. vor dem Aufkommen der Taliban. Wir haben jetzt verschiedene Kriegsherren, Kriegsfürsten, die größere oder kleine Territorien kontrollieren und dort selbstherrlich über Recht und Ordnung nach ihrem Gutdünken bestimmen. Eine andere Vorraussetzung ist allerdings wesentlich besser, d.h. wir haben jetzt großes internationales Engagement, allen voran der USA und des Westens, und auch Pakistans Haltung ist jetzt weit kooperativer als früher, d.h. die Pakistaner, die zunächst mal den Hekmatyar und die Hesbe-Islami unterstützt haben, Anfang der 90-er Jahre, die sehr destruktiv waren und dann die Taliban - auch ein gescheitertes Projekt, die haben hoffentlich auch daraus gelernt, und, es hat sich ja schon gezeigt: die Pakistaner haben schon in den letzten Wochen auch auf Alternativen zu den Taliban hingearbeitet.
Zagatta: Was würden Sie jetzt vorschlagen? Können sich die USA, können sich die westlichen Soldaten jetzt aus Afghanistan zurückziehen, oder droht dann vielleicht doch noch ein Bürgerkrieg?
Riek: Es sind doch gar keine westlichen Soldaten da, oder nicht?
Zagatta: Na, Briten.
Riek: Auf jeden Fall muss nun hinter den Bemühungen der UNO, dort eine gesamtafghanische Regierung zustande zu bringen, auch das massive Engagement des Westens bestehen bleiben, d.h. auch die Bereitschaft, Friedenstruppen mit dem Einverständnis der afghanischen Parteien dort hinzusenden, um dann eine zu bildende gesamtafghanische Regierung auch zu unterstützen. Das gab es in den frühen 90-er Jahren nicht, sondern, damals wurde das Land sich selber und seinen unmittelbaren Nachbarn, d.h. vor allen Dingen Pakistan und Iran, überlassen.
Zagatta: Herr Riek, wir haben die Bilder gesehen, dass es nun wieder Kinovorstellungen in Afghanistan, in Kabul, gibt, aber wir haben auch gesehen, dass Frauen nach wie vor nicht in diese Kinosäle hineindürfen. Beim SPD-Parteitag heute ist die Forderung aufgetaucht, die politische und soziale Gleichberechtigung von Frauen in Afghanistan durchzusetzen. Muss der Westen das jetzt machen oder messen wir damit Afghanistan und die Nord-Allianz mit westlichen Maßstäben?
Riek: Das kann nur ein Fernziel sein, weil diese Gesellschaft eben noch nicht so weit ist, dass sie Frauen gleiche Recht gibt. Immerhin ist in diesen Städten wie Kabul, aber auch Masar-i-Sharif und Herat und einigen anderen Städten, die jetzt an die Nord-Allianz zurückgefallen sind, waren immerhin sehr viele Frauen berufstätig, und etliche haben eben auch auf diese Verschleierung verzichtet. Ich hoffe, das wird sich in den nächsten Wochen noch ausbreiten. Noch haben eben auch die Frauen von Kabul Angst: Sie wagen sich noch nicht ohne diesen Burgha auf die Straße, aber das wird sich wahrscheinlich bald ändern.
Zagatta: Es verdichten sich jetzt die Informationen, dass Berlin an diesem Wochenende wahrscheinlich schon Tagungsort für die geplante Afghanistan-Konferenz der Vereinten Nationen werden soll. Wenn das dann tatsächlich so kommt: ist Deutschland aufgrund seiner Lage da besonders geeignet, oder hat das, Ihrer Meinung nach, auch einen politischen Hintergrund?
Riek: Ja, Deutschland hat sich in den letzten Jahren hinter den Kulissen viel auch engagiert, einmal für diese UNO-Vermittlung und dann als vorübergehender Leiter der Afghanistan-Support-Group der Geberländer. Außerdem hat Deutschland eine hundertjahrelange sehr gute Beziehung zu Afghanistan, d.h. Deutschland hat dort sehr gutes Ansehen. Das kann nun darauf aufbauen, kann also wieder gesteigert werden, indem Deutschland sich besonders für Aufbauprojekte engagiert.
Zagatta: Andreas Riek vom Deutschen Orient-Institut in Hamburg. Herr Riek, schönen Dank für das Gespräch.
Riek: Bitteschön.