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"Die positiven Seiten überwiegen"

"Ich glaube, dass man mit Stuttgart 21 Positives für die Region und nicht zuletzt insbesondere für Stuttgart erreichen kann." Eberhard Gienger zeigt sich nach 15 Jahren Planungszeit verwundert über die aktuellen Proteste gegen den Umbau des Stuttgarter Bahnhofs.

Eberhard Gienger im Gespräch mit Friedbert Meurer | 26.08.2010
    Friedbert Meurer: Gestern Abend haben in Stuttgart Tausende gegen den Beginn der Abrissarbeiten am Stuttgarter Hauptbahnhof demonstriert. Der Verkehr in der Landeshauptstadt ist bis spät in der Nacht praktisch zum Erliegen gekommen. Bahn, Land und Stadt hatten es zuvor abgelehnt, die Bauarbeiten für eine monatelange Denkpause zu stoppen. Ein Moratorium soll es also nicht geben.
    In der schwäbischen Landeshauptstadt sind nicht alle Einwohner gegen den neuen Hauptbahnhof. Viele glauben natürlich auch, dass die Stadt und die gesamte Region wirtschaftlich gewinnen würden mit dem gesamten Projekt Stuttgart 21. Zu den Befürwortern zählt auch Eberhard Gienger. Er ist Bundestagsabgeordneter für die CDU, bekannt als ehemaliger Weltklasse-Turner. Guten Tag, Herr Gienger.

    Eberhard Gienger: Guten Tag, Herr Meurer.

    Meurer: Finden Sie es richtig, dass gestern damit begonnen wurde, den Nordflügel abzureißen?

    Gienger: Ja. Ich erinnere mich, dass ja über dieses Projekt Stuttgart 21 über 15 Jahre diskutiert wurde und dass man mit dem Bundestag, mit dem Landtag, mit Regionalversammlungen, dem Stuttgarter Gemeinderat darüber heftig diskutiert hat und somit eine Zustimmung von, kann man sagen, durchaus mehr als 75 Prozent erreicht hat, und ich wundere mich jetzt schon sehr, dass ausgerechnet jetzt, wo alle Fristen vergangen sind und wo im Grunde genommen alles beschlossen ist, die Demonstranten damit beginnen, ihren Unmut über Stuttgart 21 zu äußern.

    Meurer: Also Augen zu und durch jetzt?

    Gienger: Ja nun, es wurde ja schon 15 Jahre lang das Für und Wider diskutiert und ich glaube, dass man durch Stuttgart 21 Positives für die Region und nicht zuletzt insbesondere für Stuttgart erreichen kann.

    Meurer: Zum Beispiel was? Aus welchem Grund sind Sie dafür, Herr Gienger?

    Gienger: Na ja, also zunächst einmal: Wenn Stuttgart 21 oder der Hauptbahnhof als Durchgangsbahnhof gemacht wird, dann kann man davon ausgehen, dass hier die Durchlaufzeiten erheblich schneller sind, dass die Anbindung an den internationalen Verkehr dadurch gewährleistet wird, dass darüber hinaus auch die Region davon profitieren wird. Die Fahrtzeiten, ich denke mal, in die Region nach Nord, Süd, West, Ost werden erheblich verkürzt werden können und obendrein kommt ein besonderer Effekt hinzu, dass nämlich auch erheblich mehr Arbeitsstellen noch geschaffen werden dadurch: Es wurde ja von einigen Gutachtern bestätigt, dass man 17.000 Arbeitsplätze zusätzlich schaffen kann dadurch.

    Meurer: Umgekehrt sagen die Gegner, die Kosten explodieren. Anfangs waren es zwei Milliarden, dann vier Milliarden, jetzt sieben Milliarden, es gibt die Zahl elf Milliarden. Wo soll das enden?

    Gienger: Na ja, gut, das hängt immer mit der Betrachtungsweise zusammen. Ich gehe zunächst mal davon aus, dass die vier Milliarden, wie sie momentan prognostiziert sind, dann auch eingehalten werden können, eventuell etwas darüber hinaus. Aber im Großen und Ganzen glaube ich schon fest daran, dass man dieses Projekt für die Zukunft nutzen sollte und Stuttgart 21 oder auch Stuttgart und die Region besonders davon profitieren wird.

    Meurer: Es geht ja nun auch um Gefühle und Emotionen. Offenbar sind etliche Stuttgarter der Meinung, da geschieht etwas mit ihrer Stadt, mit dem sind wir nicht einverstanden. Ist dieses Gefühl einfach unterschätzt worden?

    Gienger: Ich habe es gerade schon mal gesagt: Man hat ja 15 Jahre lang diskutiert und man hat …

    Meurer: War aber nicht bereit zu einer Volksabstimmung?

    Gienger: Das mag schon sein, aber es ist ja immerhin so in unserer Demokratie, dass diejenigen, die als Volksvertreter oder als Gemeindevertreter darüber befinden, ja die Meinung des Volkes wiedergeben. Vor diesem Hintergrund glaube ich schon, dass die Zukunftsfähigkeit von Stuttgart hier gewährleistet wurde.

    Meurer: Das ist eine demokratische Entscheidung gewesen. In Bayern, Herr Gienger, hatten wir die Abstimmung über das Rauchverbot, in Hamburg hatten wir einen Volksentscheid über das fünfte Schuljahr an Grundschulen. Also man hätte es auch doch in Stuttgart tun können, wenn man denn gewollt hätte?

    Gienger: Das mag schon sein, aber ich glaube, wenn man 75 Prozent Zustimmung hat, dann ist das ein eindeutiges Ergebnis.

    Meurer: Was befürchten Sie, Herr Gienger, wie das jetzt weitergeht in Stuttgart?

    Gienger: Das ist schwer zu sagen. Ich gehe mal davon aus, dass die Proteste weitergehen, aber auf der anderen Seite sollte man sich eigentlich auch mit den positiven Seiten von Stuttgart 21 auseinandersetzen. Ich habe es ja vorhin schon mal erwähnt. Ich glaube, die positiven Seiten überwiegen die negativen. Eines sollte man auch bei der Gelegenheit wissen, dass der Bonatz-Bau, der ja denkmalgeschützt ist, erhalten bleibt. Vor diesem Hintergrund bleibt ja ein Teil des Stuttgarter Bahnhofes dann auch für die Bewohner von Stuttgart sichtbar.

    Meurer: Das war Eberhard Gienger, CDU-Bundestagsabgeordneter und Mitglied im Verein Pro Stuttgart 21, bei uns im Deutschlandfunk. Herr Gienger, schönen Dank und auf Wiederhören.

    Gienger: Ja, gerne. Ciao ciao!