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"Die Post von Frau Schröder hat mich schon verwundert"

Einen "spärlichen Notnagel" nennt Mecklenburg-Vorpommerns Sozialministerin Manuela Schwesig (SPD) die von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) vorgeschlagene Arbeitsgruppe für Kita-Qualität. Ein von Schröder zu Jahresanfang angekündigtes Qualitätsgesetz gebe es immer noch nicht, kritisiert Schwesig.

Manuela Schwesig im Gespräch mit Manfred Götzke | 13.08.2013
    Manfred Götzke: Erst Quantität, irgendwann dann vielleicht auch mal Qualität. Das scheint das Prinzip beim Ausbau der Kinderbetreuung zu sein. Seit gut zwei Wochen gilt der Rechtsanspruch auf eine Kleinkinderbetreuung. Bis dahin haben die Kommunen hyperaktiv Plätze geschaffen, und jetzt macht man sich Gedanken, ob das, was in diesen neuen Kitas geboten wird, mehr ist als eine Kinderverwahrstelle. Bundesfamilienministerin Kristina Schröder will deshalb jetzt gemeinsam mit den Ländern Qualitätsstandards für eine gute Kita entwickeln, in einer Arbeitsgruppe. Diesen Vorschlag hat sie ihrer Kollegin aus Mecklenburg-Vorpommern Manuela Schwesig, SPD, per Brief geschickt. Und mit ihr möchte ich nun sprechen. Frau Schwesig, haben Sie sich über die Post aus Berlin gefreut?

    Manuela Schwesig: Die Post von Frau Schröder hat mich schon verwundert, denn Frau Schröder hat ja bereits angekündigt, dass sie ein Qualitätsgesetz vorlegen wollte, Anfang dieses Jahres, und jetzt, ein paar Tage vor der Wahl, einen Brief zu schreiben, sie will eine Arbeitsgruppe einrichten, ist eher ein spärlicher Notnagel und reines Wahlkampfgetöse.

    Götzke: Was halten Sie denn von einem Gesetz?

    Schwesig: Ich finde es wichtig und richtig, dass sie die Qualität in den Kitas, also in Krippen und Kindergärten weiter verbessern. Das ist, was ich auch schon seit Langem fordere und deswegen weise ich auch immer wieder darauf hin, dass wir nicht nur Geld brauchen und Geld zur Verfügung stellen müssen für den Bau von Kitas, also für die Hülle, sondern dass auch das stimmen muss, was drin steckt. Wir brauchen Fachkräfte, also gut ausgebildete Erzieherinnen und Erzieher, die gut bezahlt werden, und vor allem auch kleine Gruppen. All das kostet Geld, und deshalb ist meine Kritik am Betreuungsgeld, dass es keinen Sinn macht, dafür Geld auszugeben, wenn doch Geld noch für Qualität in Kitas fehlt.

    Götzke: Ministerin Schröder will ja einheitliche Standards für ganz Deutschland, aber da scheint es ja sehr schwierig zu sein. Bayerns Familienministerin Haderthauer hat sich ja bereits gegen einheitliche Kita-Standards ausgesprochen: Dies gefährde die Kultushoheit der Länder.

    Schwesig: Das sehe ich nicht ganz so kompliziert. Wir haben bereits eine Arbeitsgruppe zwischen Bund und Ländern, wo wir auch über Kitas sprechen, auch über Qualität in Kitas. Ich denke, dass es wichtig ist, dass wir uns hier abstimmen, aber kein Politiker kommt um die Wahrheit und Realität drum rum – gute Fachkräfte, gut ausgebildet, gut bezahlt und kleine Gruppen. Das kostet Geld. Wir selbst als Land haben zum 1. August dieses Jahres ein Landesgesetz auf den Weg gebracht, in dem wir die Gruppen im Kindergarten weiter verkleinern. Dafür stellen wir viele Millionen Euro bereit, und deshalb ist es mir so wichtig, dass wir zusätzlich Geld bekommen auch vom Bund, um die Qualität zu verbessern. Die SPD hat hier einen ganz klaren Vorschlag. Während der Bund derzeit nur 420 Euro pro Kind pro Jahr ausgibt, wollen wir dieses Geld des Bundes verdoppeln, und damit könnte man auch Geld in die Qualität stecken.

    Götzke: Sie haben ja ein zentrales Qualitätskriterium angesprochen, Frau Schwesig, die Gruppengröße. Das deutsche Jugendinstitut empfiehlt einen Erzieher für je drei Kinder. Wäre das ein Kriterium, mit dem Sie sich anfreunden können?

    Schwesig: Die Fachexperten schlagen oft eins zu vier vor, das würde ich sehr gut finden. Allerdings sind wir oft davon weit entfernt, auch in MV (Mecklenburg-Vorpommern, Anm. d. Redaktion) können wir diesen Standard nicht erfüllen. Für mich ist aber nicht nur die Gruppengröße entscheidend, sondern für mich ist entscheidend: Wer betreut denn so eine Gruppe? Und hier fehlt es auch an Standards. In Mecklenburg-Vorpommern haben wir ein Landesgesetz, das festschreibt, dass in einer Gruppe eine staatlich anerkannte Erzieherin sein muss, also eine pädagogische Fachkraft. Dadurch haben wir 94 Prozent Fachkräfte. In Bayern hingegen kann auch eine Kinderpflegerin eine solche Gruppe betreuen, und deshalb kommen sie dort nur auf 50 Prozent Fachkräfte. Also nicht nur die Gruppengröße ist entscheidend, sondern wer ist denn an Bord und fördert unsere Kinder. Und wir haben einen Bildungsanspruch, und deshalb müssen es gut ausgebildete Fachkräfte sein.

    Götzke: Dennoch ist die Gruppengröße bei Ihnen besonders groß mit einem Erzieher pro fünf Kinder. Müssten Sie nicht erst mal da anfangen, die Gruppen zu verkleinern bei Ihnen?

    Schwesig: Das würde ich sehr gerne tun, und deshalb möchte ich das Geld aus dem Betreuungsgeld nutzen für die Verkleinerung der Gruppen. Wir könnten sofort in Mecklenburg-Vorpommern anstatt des Betreuungsgeldes mit dem gleichen Geld ein Kind pro Gruppe die Gruppe verkleinern. Das wäre ein großer Fortschritt. Und ich möchte eben an unserem Fachkräftegebot festhalten, das ist deutschlandweit sehr vorbildlich, dass wir sagen, es nützt nichts, Hilfskräfte in die Gruppen zu schicken, wir wollen pädagogische Fachkräfte. Dafür brauchen wir Geld, und deshalb bin ich sehr verwundert, dass einerseits Geld fürs Betreuungsgeld ausgegeben wird, wo doch auf der anderen Seite Geld für Kitas fehlt.

    Götzke: Qualität entsteht natürlich durch Fachkräfte, Sie haben es angesprochen. Müsste man dann nicht auch über eine bessere Bezahlung nachdenken der Erzieher? Dann würde es sich ja vielleicht auch lohnen, frühkindliche Erziehung zu studieren. Derzeit verdienen studierte Erzieher genauso schlecht wie ihre Kollegen, die, in Anführungsstrichen, "nur" eine Fachschule besucht haben.

    Schwesig: Selbstverständlich. Erzieherinnen und Erzieher müssen besser bezahlt werden. Das sind die Fachkräfte, die die Grundsteine legen bei unseren Kindern für deren weitere Entwicklung auch in Schule und nachher Ausbildung und Studium. Deswegen kann es nicht sein, dass sie so schlecht bezahlt werden. Aber mehr Geld für Erzieherinnen und Erzieher bedeutet, der Kita-Platz wird teurer. Und wenn man dieses Geld nicht den Kommunen und nicht den Eltern aufbürden will, was auch nicht geht, dann muss die öffentliche Hand, Land und Bund, mehr Geld ins System stecken. Und deshalb kann ich nur meine Forderung wiederholen: Es macht keinen Sinn, zwei Milliarden Euro ins Betreuungsgeld zu stecken. Dieses Geld wäre besser aufgehoben in dem Ausbau und der Qualität von Kitas.

    Götzke: Ist die Abschaffung des Betreuungsgeldes ein Kriterium für die Beteiligung an einer Regierung der SPD?

    Schwesig: Die Abschaffung des Betreuungsgeldes wird eine der Sofortmaßnahmen sein der SPD unter Bundeskanzler Peer Steinbrück. Wir wollen das Betreuungsgeld abschaffen und sofort ausgeben für weitere Kita-Plätze, die noch benötigt werden, für Ganztagesplätze und für die Qualität. Das ist ein Vorhaben, das für uns hohe Priorität hat.

    Götzke: Raed Saleh, SPD-Fraktionsvorsitzender in Berlin, ist überzeugt, dass der Kita-Besuch zu mehr Chancengleichheit führt, weil die Kita vor der Schule sprachliche Defizite mindern kann, und er fordert deswegen nach dem Rechtsanspruch eine Kita-Pflicht für über dreijährige Kinder. Was halten Sie von dieser Idee?

    Schwesig: Es gibt immer wieder Brennpunkte in Deutschland, auch in Berlin, wo eine solche Kita-Pflicht debattiert wird, weil dort Erfahrungen gemacht werden, dass es auch manchmal an den Eltern – oder die Eltern einen Kita-Besuch verhindern. Ich finde es wichtig, dass die Kinder die Chance haben, gerade mit Sprachförderung eine Kita zu besuchen, stelle aber immer wieder fest, dass es am Ende darauf ankommt, dass wir die guten Angebote machen, wohnortnah und möglichst kostenfrei. Und ich glaube, das ist der richtige Weg, um wirklich alle Eltern auch zu überzeugen, und deswegen nehme ich eher Abstand von einer Kita-Pflicht.

    Götzke: Frau Schwesig, letzte Frage: Welche drei Qualitätskriterien wären aus Ihrer Sicht die sinnvollsten, um die Betreuung zu verbessern?

    Schwesig: Erstens pädagogische Fachkräfte, also staatlich anerkannte Erzieherinnen und Erzieher und vergleichbare Abschlüsse, keine Hilfskräfte als Gruppenersatz. Zweitens eine gute Bezahlung, und drittens kleine Gruppen.

    Götzke: Frau Schwesig, vielen Dank für das Interview!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.