Samstag, 27. April 2024

19. März 2024
Die Presseschau aus deutschen Zeitungen

Erstmals will die Europäische Union Sanktionen gegen radikale Siedler im besetzten Westjordanland verhängen. Weitere Themen sind das Organspende-Online-Register und das CDU-Konzept für eine Sozialstaatsreform.

19.03.2024
Ein Stempelkarussell mit diversen Stempeln vor einem roten Hintergrund. Zwei Stempel haben die Aufschrift "Bürgergeld " und "2024".
Die CDU will das Bürgergeld in der jetzigen Form abschaffen. (picture alliance / CHROMORANGE / Jürgen Schott)
Dazu schreibt die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG: "Die Vorschläge der Union zur Abschaffung des Bürgergeldes sind kein Angriff auf den Sozialstaat, sondern der Versuch, sich auf sein Wesen zu besinnen. Auch kein Sozialdemokrat kann doch ernsthaft wollen, dass Arbeitsfähige von einem faktisch bedingungslosen Grundeinkommen dauerhaft gut versorgt werden. Schön blöd, wer sich da noch um eine Beschäftigung bemüht. Noch dümmer, wenn die Ampel hier nicht gegensteuert – und das im Angesicht von Hunderttausenden Flüchtlingen, von denen viele bleiben werden. Auch hier muss gelten: Wer Schutz braucht, der wird geschützt. Wer Hilfe braucht, dem wird geholfen. Wer sich wieder selbst helfen kann, der muss nicht mehr von den anderen getragen werden", notiert die F.A.Z.
Die NORDWEST-ZEITUNG sieht es so: "Zwischen dem Prinzip 'Fördern und Fordern' und einer Politik der sozialen Kälte liegt ein schmaler Grat. Die Union hat sich mit ihrem Konzept zum neuen Bürgergeld dafür entschieden, sich mindestens mit einem Bein in die Kältezone zu stellen, wenn nicht sogar mit beiden. Das macht angreifbar. Ist deshalb aber nicht verkehrt, wenn man das Signal dahinter sieht. Selbst in der Ampel hat sich inzwischen herumgesprochen, dass beim Bürgergeld dringend Veränderungsbedarf besteht. Unter anderem, weil die Wirtschaft in vielen Sparten weiter händeringend Arbeitnehmer sucht." Das war die NWZ aus Oldenburg.
Die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG hält fest: "Die Union will den Begriff Bürgergeld wieder abschaffen und an seine Stelle die 'Neue Grundsicherung' setzen. Der Begriff ist ehrlicher und trifft auch mehr den Punkt, den ein Sozialstaat leisten muss. Dieser setzt auf die Solidarität der Leistungsfähigen mit den Schwachen. Diese Solidarität darf sich aber nicht zur Einbahnstraße entwickeln, in der staatliches Geld bedingungslos verteilt wird. Denn dann wird der Sozialstaat an Rückhalt in der Bevölkerung verlieren", befürchtet die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG.
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG führt aus: "Die radikalste Forderung des neuen CDU-Sozialkonzepts ist wohl die, dass bei all jenen, die zumutbare Jobs ablehnen, davon ausgegangen werden soll, sie seien nicht mehr bedürftig. Der Ansatz, die Grundsicherung dann zu streichen, würde jedoch mit Sicherheit von Gerichten getestet werden, bis hinauf zum Bundesverfassungsgericht. Aus der Opposition heraus kann man solche Unwägbarkeiten vielleicht erst einmal ignorieren. Für eine Regierungspartei jedoch können sich Konzepte, die einst zur Profilschärfung erdacht wurden, schnell als nicht realisierbar herausstellen. Und das kann dann zu einem echten Problem werden. Kaum etwas frustriert Wählerinnen und Wähler am Ende so sehr, wie nicht eingelöste Versprechen", mahnt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.
Die FRANKFURTER RUNDSCHAU meint: "Der Reformvorschlag der Merz-CDU und ihres forschen Generalsekretärs Carsten Linnemann orientiert sich nur an den vermeintlichen Interessen der Unternehmen. Wenn er Wirklichkeit würde, wäre das ein Rollback zum strafenden Sozialstaat früherer Jahre."
Nun zum digitalen Organspende-Register. Seit gestern können Bundesbürger ihre Entscheidung für oder gegen eine Organspende online dokumentieren. Die FREIE PRESSE begrüßt das neue Register: "Es bietet eine Möglichkeit, schneller als bisher auf allen Seiten Klarheit zu schaffen. Im Falle des Falles kann die Entnahmeklinik die Bereitschaft des potenziellen Spenders per Online-Nachfrage, also praktisch per Mausklick, ermitteln. Das spart Zeit, die bei der Organspende immer ein entscheidender Faktor ist. Das neue Portal ist aber auch eine Hilfe für Angehörige, die unter Umständen nicht wissen, ob der für eine Spende infrage kommende Mensch einen Spenderausweis besessen hat oder in einer Patientenverfügung seinen Willen in dieser heiklen Frage unzweideutig niedergelegt hat", heißt es in der FREIEN PRESSE aus Chemnitz.
"Das Missverhältnis zwischen Spendern und Empfängern führt immer wieder zu Versuchen, die Rechtslage zu ändern", schreibt die STUTTGARTER ZEITUNG. "In Deutschland wächst aber der Anteil der Menschen mit Spenderausweis kontinuierlich – in den zehn Jahren von 2012 bis 2022 ist er von 22 auf 40 Prozent gestiegen. Das zeigt, dass das größere Problem aufseiten der Kliniken liegt, wo sowohl das Meldesystem zu verbessern ist als auch die Hemmungen vieler Ärzte, Angehörige von Hirntoten anzusprechen, abgebaut werden müssen. Dass das neue Onlineregister nun mehr Sicherheit bringen wird, ist ein kleiner, aber wichtiger Schritt."
Die Zeitung DIE GLOCKE ist skeptisch: "Dass das Online-Register tatsächlich einen nennenswerten Beitrag leistet, mehr Menschen zu Organspendern zu machen, ist fraglich. Denn der Weg zur digitalen Erklärung hat einige bürokratische Hürden: Voraussetzung sind der Besitz eines Personalausweises mit Online-Funktion und eines Smartphones oder Tablets zum drahtlosen Datenaustausch. Einen Online-Ausweis haben zwar viele Bürger, genutzt wird er aber nur von 14 Prozent. Zudem dürfte mancher, der bereit ist, im Todesfall seine Organe zu spenden, Bauchschmerzen haben, diese äußerst sensiblen Daten in ein digitales Register einzutragen. Erst kürzlich hatte ein Hacker eine Sicherheitslücke beim Online-Personalausweis entdeckt. Ein Missbrauch der persönlichen Daten ist also nicht ausgeschlossen", gibt DIE GLOCKE aus Oelde zu bedenken.
Für die BERLINER MORGENPOST ist das zentrale Register eine gute Sache, wird allein aber nicht die Lösung sein. "Es braucht Aufklärung – besser noch: einen Wechsel von der erweiterten Zustimmungslösung zur Widerspruchslösung. Dann wäre für die Organentnahme nicht mehr die aktive Zustimmung erforderlich, sondern jeder käme wie etwa in Frankreich, Österreich oder Spanien als Organspender infrage – außer er hat zu Lebzeiten widersprochen oder einer der nächsten Angehörigen tut dies nach seinem Tod. In Spanien beträgt die Wartezeit auf eine Spenderniere im Schnitt ein Jahr – bei uns sind es acht bis zehn Jahre", kritisiert die BERLINER MORGENPOST.
Zum Schluss in den Nahen Osten. Die Europäische Union will erstmals Sanktionen gegen gewaltbereite, radikale israelische Siedler im Westjordanland verhängen. Die MÄRKISCHE ODERZEITUNG konstatiert: "Die EU-Außenminister haben mit ihrer Entscheidung ein Zeichen gesetzt. Denn die Siedlungspolitik von Premierminister Netanjahu im Westjordanland verschärft das Verhältnis zwischen Israelis und Palästinensern und diskreditiert damit auch die westliche Unterstützung für Israel. Der Westen steckt in der Zwickmühle. Er will das Existenzrecht Israels – auch als Teil seiner Staatengemeinschaft – verteidigen. Dabei hat er es jedoch mit einer Regierung zu tun, die vor allem ihre eigene Existenz im Blick hat. Gleichzeitig, und auch das muss gesagt werden, hat noch niemand, auch nicht die EU, eine Antwort darauf gegeben, wie man die Hamas-Terroristen vernichtend schlagen kann, ohne die Bodenoffensive bis zur letzten Konsequenz durchzuziehen", vermerkt die MÄRKISCHE ODERZEITUNG aus Frankfurt/Oder.
Die TAZ resümiert: "Wenn wir in Europa über Sanktionen gegen Israel nachdenken, drängt sich die Erinnerung an die Shoah ('Kauft nicht bei Juden') und damit ein ungutes Gefühl auf – zu Recht. Antisemitismus existiert nicht nur in den Köpfen schuldbewusster Deutscher. Die Frage, ob Maßnahmen gegen Israel doppelten Standards folgen oder antisemitisch sind, kann man nicht unter den Tisch fallen lassen – besonders nicht dieser Tage. Gleichzeitig sollten wir auch immer diese Frage stellen: Wen stärken wir, wenn wir zu wenig Druck ausüben? Die progressiven Israelis und die Besatzungskritiker*innen, die sich für Frieden einsetzen? Oder Netanjahus extrem rechte Regierung, die zu bedeutenden Teilen aus Siedler*innen besteht und gerade das Land in den Abgrund treibt?"