Gerwald Herter: Er saß gestern Abend in der Grimme-Online-Jury, und das ist kein Zufall, denn der Münchener Kommunikationswissenschaftler Professor Dr. Christoph Neuberger gilt als Fachmann in Sachen neue Medien und Medienwandel: Twittern, Bloggen, Internetzeitungen. Eines fällt dabei auf, anderswo scheinen diese Medien noch intensiver genutzt zu werden als in Deutschland. Wir sind jetzt mit Professor Neuberger telefonisch verbunden. Guten Morgen!
Christoph Neuberger: Guten Morgen, Herr Herter!
Herter: Herr Neuberger, lassen Sie uns zunächst mal in die Ferne schauen, um ein Gefühl für den Stellenwert von Internetmedien in Deutschland zu bekommen. Die amerikanische Internetzeitung "Huffington Post" wurde mit einem Startkapital von einer Million Dollar gegründet, 2005, und sie ist vor nicht allzu langer Zeit an AOL verkauft worden, und zwar für 315 Millionen Dollar. Warum ist das in Deutschland derzeit nicht denkbar?
Neuberger: Ja, wir haben hier in Deutschland einen sehr, sehr viel kleineren Markt, wir haben außerdem Webblogs, die sehr viel weniger kommerzialisiert sind, auch die Professionalisierung ist nicht so weit vorangeschritten wie in den USA, also der politische Gehalt der Blogs ist geringer. Das hat mit einer besonderen Entwicklung in den USA zu tun. Durch den 11. September kam es damals zu einer starken Politisierung, man hat Weblogs als Gegengewicht verstanden zu den Mainstream-Medien. Sie haben sich dadurch auch in der Öffentlichkeit sehr viel stärker profilieren können, sind also zu einer ernsthaften Stimme geworden, die im politischen Kurs mitspielen. Eine solche Entwicklung hat es hier in Deutschland nicht gegeben.
Herter: In Frankreich gibt es eine Netzzeitung, die heißt "Mediapart", und die macht schon Gewinne. Was ist die Ursache in Frankreich dafür?
Neuberger: Auch dort ist es ähnlich, dass dort Weblogs oder andere Social Media auch als Gegengewicht zur Tagespresse etwa verstanden werden, etwa für den Bereich des investigativen Journalismus. Dort scheint also das Internet bedeutsam zu sein im Verhältnis zu den traditionellen Massenmedien. Wie man das auch jetzt immer interpretieren kann, wenn man das auf Deutschland bezieht – manche behaupten etwa, dass die Tageszeitungen, die Qualitätspresse, aber auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk hier in Deutschland quasi so gut sind, dass das eines solchen Gegengewichtes gar nicht bedarf.
Herter: Also Qualität spielt eine Rolle – bei den Blogs fällt es auf, das sind oftmals medienkritische Blogs in Deutschland. Heißt das, dass vorwiegend Journalisten zu den Nutzern gehören?
Neuberger: Ja, es wirkt so ein bisschen, dass Blogger vor allem aus dem Medienbereich stammen, dass sie sich einerseits mit dem Internet, aber auch mit den klassischen Medien auseinandersetzen. Das spricht aber allerdings auch dafür, dass es eher noch so ein Insiderzirkel ist, der sich gerne mit sich selbst beschäftigt.
Herter: Eines scheint in Deutschland sehr erfolgreich zu sein, viel erfolgreicher als andere Dinge, nämlich soziale Netzwerke. Woran liegt denn das?
Neuberger: Ja, das ist allerdings auch ein weltweiter Trend, da liegt Deutschland gar nicht ganz vorne dabei, Netzwerke wie Facebook haben in anderen Ländern noch eine höhere Reichweite. Woran das liegt? Die rasche Ausbreitung der sozialen Netzwerke ist sicherlich einerseits, dass das ganz, ganz viele Funktionen gebündelt sind, dass man auf ganz viele unterschiedliche Weisen kommunizieren kann und dass es vor allem Tools sind, mit denen man sehr, sehr schnell und einfach seine Freundes- und Bekanntenkreise dort quasi virtuell abbilden kann.
Herter: Es gibt auch Internetseiten, die verschiedene Menschen sozusagen zusammenschalten, um eine Aufgabe zu erfüllen – eine dieser Seiten ist gestern auch ausgezeichnet worden. Ist das eines der Erfolgsrezepte für die Zukunft?
Neuberger: Ja, gestern wurde das GuttenPlag Wiki ausgezeichnet, das ist vielleicht der Newcomer des Jahres gewesen, ein Angebot, das sehr schnell bekannt geworden ist und wo, glaube ich, sehr schön demonstriert worden ist, wie viele Menschen gemeinsam via Internet zusammenarbeiten können, wie man dort in sehr kurzer Zeit zu einem Ergebnis kommen kann, das ja auch politische Auswirkungen hatte. Man hatte in kurzer Zeit ein hohes Maß an Transparenz – es ging ja um die Dissertation von Guttenberg, wo man sehr schnell zeigen konnte, was dort plagiiert wurde. Und durch die Transparenz und hohe Evidenz wurde auch das politische Geschehen beeinflusst.
Herter: Machen Sie eine Gegenbewegung aus: Es gilt ja heute auch schon mal als großer Luxus, das Handy auszulassen und andere elektronische Geräte abzuschließen und nicht zu benutzen – gibt es hier eine Gegenbewegung inzwischen zur großen Fülle an Impulsen, an Möglichkeiten des Internets?
Neuberger: Ja, das ist oft ein Kritikpunkt am Internet, dass wir dort so überflutet werden mit Informationen, Ablenkung, dass man, wenn man nach irgendwas sucht, leicht abgelenkt wird durch andere Dinge und dann die Konzentration verloren geht. Es gibt solche Trends, sogar im Internet selbst. Es gibt ein Slow Media Manifest, wo quasi dazu aufgefordert wird, Abstand zu nehmen von dieser ganzen Beschleunigung, von dieser ganzen Überflutung. Im Internet finden wir im Prinzip alles, und deshalb gibt es auch diesen Trend.
Herter: Es gibt nichts, was es da nicht gibt anscheinend. Eine Frage muss ich Ihnen noch stellen, ganz kurz bitte die Antwort: Haben Sie, weil Sie ja auch in der Jury waren des Grimme Online Awards, haben Sie für DRadio Wissen gestimmt?
Neuberger: Ja, die Abstimmungsergebnisse sind geheim, aber ich kann schon sagen, dass DRadio Wissen eigentlich eine ideale Ergänzung darstellt. Die Website zum Radioprogramm selbst, das befreit ein bisschen von diesem zeitlichen Zwang des Programms, man kann selber die Beiträge hören und man kann vor allem auch frühere Dinge im Archiv recherchieren.
Herter: Das war der Münchener Kommunikationswissenschaftler Professor Christoph Neuberger im Deutschlandfunk. Vielen Dank!
Christoph Neuberger: Guten Morgen, Herr Herter!
Herter: Herr Neuberger, lassen Sie uns zunächst mal in die Ferne schauen, um ein Gefühl für den Stellenwert von Internetmedien in Deutschland zu bekommen. Die amerikanische Internetzeitung "Huffington Post" wurde mit einem Startkapital von einer Million Dollar gegründet, 2005, und sie ist vor nicht allzu langer Zeit an AOL verkauft worden, und zwar für 315 Millionen Dollar. Warum ist das in Deutschland derzeit nicht denkbar?
Neuberger: Ja, wir haben hier in Deutschland einen sehr, sehr viel kleineren Markt, wir haben außerdem Webblogs, die sehr viel weniger kommerzialisiert sind, auch die Professionalisierung ist nicht so weit vorangeschritten wie in den USA, also der politische Gehalt der Blogs ist geringer. Das hat mit einer besonderen Entwicklung in den USA zu tun. Durch den 11. September kam es damals zu einer starken Politisierung, man hat Weblogs als Gegengewicht verstanden zu den Mainstream-Medien. Sie haben sich dadurch auch in der Öffentlichkeit sehr viel stärker profilieren können, sind also zu einer ernsthaften Stimme geworden, die im politischen Kurs mitspielen. Eine solche Entwicklung hat es hier in Deutschland nicht gegeben.
Herter: In Frankreich gibt es eine Netzzeitung, die heißt "Mediapart", und die macht schon Gewinne. Was ist die Ursache in Frankreich dafür?
Neuberger: Auch dort ist es ähnlich, dass dort Weblogs oder andere Social Media auch als Gegengewicht zur Tagespresse etwa verstanden werden, etwa für den Bereich des investigativen Journalismus. Dort scheint also das Internet bedeutsam zu sein im Verhältnis zu den traditionellen Massenmedien. Wie man das auch jetzt immer interpretieren kann, wenn man das auf Deutschland bezieht – manche behaupten etwa, dass die Tageszeitungen, die Qualitätspresse, aber auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk hier in Deutschland quasi so gut sind, dass das eines solchen Gegengewichtes gar nicht bedarf.
Herter: Also Qualität spielt eine Rolle – bei den Blogs fällt es auf, das sind oftmals medienkritische Blogs in Deutschland. Heißt das, dass vorwiegend Journalisten zu den Nutzern gehören?
Neuberger: Ja, es wirkt so ein bisschen, dass Blogger vor allem aus dem Medienbereich stammen, dass sie sich einerseits mit dem Internet, aber auch mit den klassischen Medien auseinandersetzen. Das spricht aber allerdings auch dafür, dass es eher noch so ein Insiderzirkel ist, der sich gerne mit sich selbst beschäftigt.
Herter: Eines scheint in Deutschland sehr erfolgreich zu sein, viel erfolgreicher als andere Dinge, nämlich soziale Netzwerke. Woran liegt denn das?
Neuberger: Ja, das ist allerdings auch ein weltweiter Trend, da liegt Deutschland gar nicht ganz vorne dabei, Netzwerke wie Facebook haben in anderen Ländern noch eine höhere Reichweite. Woran das liegt? Die rasche Ausbreitung der sozialen Netzwerke ist sicherlich einerseits, dass das ganz, ganz viele Funktionen gebündelt sind, dass man auf ganz viele unterschiedliche Weisen kommunizieren kann und dass es vor allem Tools sind, mit denen man sehr, sehr schnell und einfach seine Freundes- und Bekanntenkreise dort quasi virtuell abbilden kann.
Herter: Es gibt auch Internetseiten, die verschiedene Menschen sozusagen zusammenschalten, um eine Aufgabe zu erfüllen – eine dieser Seiten ist gestern auch ausgezeichnet worden. Ist das eines der Erfolgsrezepte für die Zukunft?
Neuberger: Ja, gestern wurde das GuttenPlag Wiki ausgezeichnet, das ist vielleicht der Newcomer des Jahres gewesen, ein Angebot, das sehr schnell bekannt geworden ist und wo, glaube ich, sehr schön demonstriert worden ist, wie viele Menschen gemeinsam via Internet zusammenarbeiten können, wie man dort in sehr kurzer Zeit zu einem Ergebnis kommen kann, das ja auch politische Auswirkungen hatte. Man hatte in kurzer Zeit ein hohes Maß an Transparenz – es ging ja um die Dissertation von Guttenberg, wo man sehr schnell zeigen konnte, was dort plagiiert wurde. Und durch die Transparenz und hohe Evidenz wurde auch das politische Geschehen beeinflusst.
Herter: Machen Sie eine Gegenbewegung aus: Es gilt ja heute auch schon mal als großer Luxus, das Handy auszulassen und andere elektronische Geräte abzuschließen und nicht zu benutzen – gibt es hier eine Gegenbewegung inzwischen zur großen Fülle an Impulsen, an Möglichkeiten des Internets?
Neuberger: Ja, das ist oft ein Kritikpunkt am Internet, dass wir dort so überflutet werden mit Informationen, Ablenkung, dass man, wenn man nach irgendwas sucht, leicht abgelenkt wird durch andere Dinge und dann die Konzentration verloren geht. Es gibt solche Trends, sogar im Internet selbst. Es gibt ein Slow Media Manifest, wo quasi dazu aufgefordert wird, Abstand zu nehmen von dieser ganzen Beschleunigung, von dieser ganzen Überflutung. Im Internet finden wir im Prinzip alles, und deshalb gibt es auch diesen Trend.
Herter: Es gibt nichts, was es da nicht gibt anscheinend. Eine Frage muss ich Ihnen noch stellen, ganz kurz bitte die Antwort: Haben Sie, weil Sie ja auch in der Jury waren des Grimme Online Awards, haben Sie für DRadio Wissen gestimmt?
Neuberger: Ja, die Abstimmungsergebnisse sind geheim, aber ich kann schon sagen, dass DRadio Wissen eigentlich eine ideale Ergänzung darstellt. Die Website zum Radioprogramm selbst, das befreit ein bisschen von diesem zeitlichen Zwang des Programms, man kann selber die Beiträge hören und man kann vor allem auch frühere Dinge im Archiv recherchieren.
Herter: Das war der Münchener Kommunikationswissenschaftler Professor Christoph Neuberger im Deutschlandfunk. Vielen Dank!