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Die Rasterfahndung ist angelaufen

Lange: Ein einstmals umstrittener Begriff setzt zu einem Come-back an: die Rasterfahndung. In den 70er Jahren wurde sie erstmals eingesetzt zur Ermittlung von Terroristen der Rote-Armee-Fraktion und anderer Gruppen. Seit gestern wird sie nun bundesweit eingesetzt zur Fahndung nach Leuten aus der extremen islamistischen Szene, die möglicherweise irgendwann zu Terroranschlägen aktiviert werden, so genannte Schläfer. Daneben steht aber seit dem 11. September eben die gesamte Politik der inneren Sicherheit auf dem Prüfstand und vieles, was bis gestern noch undenkbar schien oder zumindest heftige Bauchschmerzen verursachte im Hinblick auf Verfassung und Bürgerrechte, das wird heute heftig diskutiert. Am Telefon begrüße ich nun Fritz Behrens, den Innenminister von Nordrhein-Westfalen. Guten Morgen Herr Behrens!

    Behrens: Guten Morgen Herr Lange.

    Lange: Herr Behrens, wenn man das nun alles betrachtet, was seit den Terroranschlägen in den USA diskutiert und nun auch exekutiert wird, wie schlecht war es denn um die innere Sicherheit in Deutschland vor dem 11. September bestellt?

    Behrens: Ich glaube es war nicht schlecht bestellt. Nur das was wir jetzt an Terror in Terror in den USA erlebt haben hat eine Dimension erreicht, die völlig neu ist und die alles bisher da gewesene in den Schatten stellt. Auf eine solche Situation müssen wir uns denke ich auch neu einstellen. Dem tragen ja die Maßnahmenpakete, die der Bundesinnenminister vorgeschlagen hat, Rechnung. Dem tragen auch Rechnung die Maßnahmen, die die Länderinnenminister in Abstimmung mit ihm eingeleitet haben. Ich muss sagen, die Zusammenarbeit funktioniert ganz hervorragend zwischen Bund und Ländern. Das ist natürlich auch selbstverständlich in einer solchen Situation und ich bin sehr zufrieden damit.

    Lange: Aber gerade die Datenschützer beklagen ja immer wieder, dass die Sicherheitsbehörden vieles nicht getan hätten, was sie nach der Gesetzeslage jederzeit hätten tun können. Sind Sie sicher, dass da jetzt nicht doch ein Stückchen Aktionismus dabei ist, um sage ich mal selbst verschuldete Versäumnisse zu verdecken?

    Behrens: Man muss sich natürlich immer hüten, dass man jetzt nicht überzieht und nicht - ich formuliere es einmal so - das Kind mit dem Bade ausschüttet und nicht übertreibt. Wir sind dabei, sehr genau zu überprüfen, welche Maßnahmen denn wirklich etwas bringen, welche zielgerichtet sind. Ich bin absolut dagegen, in einer solchen Situation alle Forderungen, die in den letzten 20 Jahren in der Innenpolitik einmal auf den Tisch gekommen sind und nicht realisiert worden sind, nun zu versuchen durchzusetzen. Worauf es jetzt ankommt ist, mit genau ausgerichteten Maßnahmen denen auf die Spur zu kommen, die möglicherweise bei uns noch als Terroristen, als Schläfer, als Teil eines internationalen Netzwerkes sich aufhalten, sie ausfindig zu machen, sie zu stellen und wirklich zur Verurteilung zu bringen und Vorkehrungen zu treffen - das ist das zweite -, dass Menschen dieser Art, auf die wir bisher kein ausreichendes Augenmerk haben konnten, weil sie völlig unauffällig waren, möglichst gar nicht erst bei uns Fuß fassen können.

    Lange: Offenbar haben die Ermittler ja, nachdem sie nun mal einen Faden dieses Terrornetzes in die Hand bekommen haben, sehr schnell die Verbindungen von Hamburg aus offengelegt. Warum reicht es nicht aus, diese Ermittlungsapparate zu stärken?

    Behrens: Das genau tun wir ja. Wir tun in Nordrhein-Westfalen zum Beispiel folgendes: Wir verstärken personell und sachlich den Verfassungsschutz. Das ist ja die Einrichtung, die mit der Beobachtung von verfassungsfeindlichen Bestrebungen beauftragt ist. Wir gehen darüber hinaus und stärken nun nicht die Polizei im allgemeinen, so wünschenswert dies an der einen oder anderen Stelle auch wäre, aber die finanziellen Engpässe der öffentlichen Haushalte geben das ja auch so nicht her, sondern wir stärken den Staatsschutz der Polizei. Das sind die Dienststellen bei uns im Lande, 17 an der Zahl, einschließlich des Landeskriminalamtes, die sich ganz gezielt mit staatsfeindlichem Terrorismus und Straftaten dieser Art auseinandersetzen. Hier tun wir personell etwas, hier tun wir technisch etwas, hier tun wir sächlich etwas und wir kommen so - das wird das Kabinett heute in Düsseldorf vermutlich so entscheiden - auf einen Personalmehransatz von insgesamt knapp 130 Personen und eine sächliche Mehrausstattung von 36 Millionen Mark.

    Lange: Aber was soll in diesem Zusammenhang nun die Rasterfahndung bringen? Ich habe gelernt, dass diese terroristischen Schläfer geradezu peinlich genau darauf achten, nicht aufzufallen. Was soll dann bei einer Rasterfahndung herauskommen?

    Behrens: Wenn wir sie kennen würden, dann bräuchten wir diese Fahndung nicht. Dann könnten wir die normalen Strafverfolgungsmaßnahmen der Polizei auf sie ansetzen, würden sie festnehmen und schließlich verurteilen. Das typische dieser Art von Tätern ist aber, dass sie völlig unauffällig sind, dass man anhand von Merkmalen, die jetzt festgelegt worden sind, bundesweit nach ihnen sucht und feststellt, ob es in Deutschland Menschen dieses Typs, die wir jetzt in etwa zu kennen glauben, gibt, wo sie sind und ob man ihnen irgend etwas vorwerfen kann, ob man etwas in der Hand hat gegen sie, um sie schließlich auch festnehmen zu können oder des Landes verweisen zu können. Dazu dient das Instrument der Rasterfahndung. Das ist eines unter vielen polizeilichen Instrumenten, gesetzlich erlaubt. Es gibt zwei Arten von Rasterfahndung: eine zur Strafverfolgung und eine andere zur Gefahrenabwehr. Beide Instrumente werden jetzt bei uns im Lande Nordrhein-Westfalen eingesetzt, wenn der Richter ich hoffe heute Morgen zugestimmt hat. Dann hoffe ich sehr, dass wir sehr konkret ein Stück weiter kommen und nicht mehr sozusagen im Nebel nach diesen Tätern, nach diesen versteckten Schläfern suchen, sondern ganz konkret in wenigen Tagen wissen, wen wir uns genauer angucken müssen.

    Lange: Aber so wie die Diskussion läuft, auch mit dem Rückgriff auf die Terrorbekämpfung in den 70er Jahren, sind das nicht verdammt hohe Erwartungen, die in diese Rasterfahndung gesetzt werden?

    Behrens: Ja, es sind hohe Erwartungen. Auf der anderen Seite hat sich die Rasterfahndung seinerzeit als ein Instrument erwiesen, das durchaus funktioniert in solchen Situationen. Alle Fachleute aus den Sicherheitsbehörden sind durchaus zuversichtlich, auf diese Art und Weise jedenfalls den Kreis der in Betracht kommenden Verdächtigen einschränken zu können in der Weise, dass man bei denen, die dann übrig bleiben, genauer hinschauen kann und feststellen kann, ob es einen konkreten Verdacht gibt oder nicht. Auch das wäre ja wichtig zu wissen, dass Jemand möglicherweise auch unschuldig ist.

    Lange: Für Zuwanderer oder auch für Asylbewerber soll es eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz geben. Da sagt nun Herbert Schnoor, einer Ihrer Amtsvorgänger, das hatten wir auch schon in den 70er Jahren bei der Einstellung von Beamtenanwärtern und der Verfassungsschutz hat im Grunde nichts geliefert, der wusste doch von nichts.

    Behrens: Ja, es gibt jetzt eine Diskussion über die Regelanfrage in unterschiedlichen Zusammenhängen: sehr konkret etwa bei der Frage, ob vor einer Einbürgerung der Verfassungsschutz gefragt werden soll, ob gegen den Betreffenden etwas vorliegt.

    Lange: Was in einigen Bundesländern wohl schon gemacht wird!

    Behrens: Das wird in einigen Bundesländern gemacht. In anderen ist es gemacht worden. Das Verfahren ist dann verändert worden, dass nur dann noch angefragt wurde, wenn es konkrete Anhaltspunkte gab. Ich kann mir vorstellen, dass man an dieser Stelle durchaus noch einmal überlegt, doch wieder zu vermehrten Anfragen überzugehen, um auch sicher zu sein, dass keine Erkenntnisse gegen Jemand vorliegen, bevor er nun eingedeutscht wird. Es gibt darüber hinaus Überlegungen, solche Regelanfragen auch an anderen Stellen vor ausländerrechtlichen Entscheidungen anzuwenden.

    Lange: Beim Asylverfahren zum Beispiel!

    Behrens: Bevor Jemand als Ausländer etwa ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht bei uns in Deutschland erhält. Auch an dieser Stelle kann man sich eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz vorstellen. Im Asylverfahren kann man sich den Abgleich von Daten vorstellen. Das geht ja hin bis zu dem Vorschlag von Bundesinnenminister Schily, vor der Visa-Erteilung bei bestimmten Problemstaaten des nahen und mittleren Ostens etwa zur Identitätsfeststellung der Antragsteller einen Fingerabdruck zu nehmen.

    Lange: Möglicherweise ergeben sich dort manchmal auch ganz unappetitliche Kooperationen, zum Beispiel des Verfassungsschutzes mit Geheimdiensten von Regimen, die nun mal auch politische Gegner gerne in die Nähe von Terroristen rücken. Halten Sie das für zulässig?

    Behrens: Das ist auch heute schon das Problem. Im Asylverfahren etwa muss man sich ja mit Erkenntnissen über Menschen auseinandersetzen, die in ihrer Heimat gegen das dort bestehende politische System bekämpft haben, teilweise aus verständlichen Gründen.

    Lange: Und auch mit friedlichen Mitteln wohl gemerkt!

    Behrens: Und auch mit friedlichen Mitteln, die deshalb bei uns Asyl beantragen, weil sie zu Hause staatlich verfolgt werden. Ich denke, dass man materiell am Asylrecht etwa nichts ändern kann und ändern sollte und dies auch nicht in Frage gestellt werden darf. Es geht lediglich um die Frage, ob Jemand sich schwerer Verbrechen zu Hause hat schuldig gemacht und ob das einfließen muss hier in die deutschen Entscheidungen und ob man Erkenntnisse darüber einbeziehen darf.

    Lange: Die Ausländergesetze sollen nach dem Willen von Otto Schily, dem Bundesinnenminister, nun auch erst einmal dort geändert werden, wo es um die deutschen Sicherheitsinteressen geht. Ist damit das Zuwanderungsgesetz für diese Wahlperiode gestrichen?

    Behrens: Ich persönlich hoffe, dass das nicht der Fall ist. Ich glaube man sollte gerade auch in dieser Situation dieses Zuwanderungsgesetz, so wie es Otto Schily vorgelegt hat, vielleicht noch in veränderter Form verabschieden. Es kommt darauf an, in der innenpolitischen Debatte nun nicht alle Ausländer, zumal alle Muslime in einen generellen Verdacht zu nehmen, sondern sehr besonnen und sehr konsequent das weiter fortzuführen, was in dem Gesetzentwurf angelegt war, nämlich eine sehr konsequente Integrationspolitik der lange hier lebenden Ausländer, die man nicht ins Abseits stellen darf, sondern denen man Angebote machen muss, von denen man auch erwarten muss, dass sie Integrationsleistungen erbringen, um sie aus der Hand von Rattenfängern auch zu befreien, die es ja durchaus auch bei uns gibt und denen wir mit der Veränderung des Vereinsrechtes zu Leibe rücken wollen. Wir wollen die Integration der Ausländer verstärken. Das muss sein. Gerade in einer solchen Situation glaube ich sollte man ein solches Gesetzesvorhaben wie das Zuwanderungsgesetz nicht vorschnell aufgeben.

    Lange: Ist es in der derzeitigen Situation nicht doch sinnvoller zu warten, bis sich die Lage etwas beruhigt hat, bis sich auch das Klima wieder etwas beruhigt hat, denn es ist doch die Gefahr nicht von der Hand zu weisen, dass nun Ausländer und Flüchtlinge in erster Linie als potenzielle Täter wahrgenommen werden und nicht mehr als Mitbürger oder gar als Opfer?

    Behrens: Ich denke es ist jetzt an der Verantwortung der Politik, in allen politischen Lagern dafür zu sorgen, dass nicht alle in einen Verdacht genommen werden, sondern dass die 99 Prozent friedlich hier lebenden Ausländer, die Muslime vor allem, in unsere Mitte genommen werden, dass man anerkennt, dass sie teilweise seit 10 oder 20 Jahren und mehr bei uns in Deutschland leben, dass sie Teil unserer Gesellschaft sind, dass sie zu unserem Wohlstand beigetragen haben und dass es ein Gebot der politischen Klugheit und Vernunft ist, ihnen Integrationsangebote zu machen, Integrationsleistungen aber eben auch von ihnen zu erwarten und von ihnen abzuverlangen, um insgesamt das friedliche Miteinander in Deutschland auf Dauer zu gewährleisten. Das ist eine Verantwortung der Politik, gerade auch der Innenpolitik, in dieser Lage!

    Lange: In den "Informationen am Morgen" war das Fritz Behrens (SPD), der Innenminister von Nordrhein-Westfalen. - Vielen Dank für das Gespräch Herr Behrens und auf Wiederhören!

    Link: Interview als RealAudio