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Die Reise von Außenminister Fischer in die USA

    Heinlein: Ein Gang nach Canossa oder nur die Rückkehr zur deutsch-amerikanischen Normalität? Selten wurde dem Besuch eines deutschen Außenministers in den USA im Vorfeld eine derartige Aufmerksamkeit zuteil, wie jetzt der dreitägigen Visite von Joschka Fischer in Washington. Worum es geht ist allen Seiten klar. Nach den Mißtönen im deutschen Wahlkampf muss der grüne Staatsmann zerbrochenes Porzellan kitten. Direkt nach seiner Ankunft bereits der wohl wichtigste Teil dieser heiklen Mission: ein Gespräch von Fischer mit seinem amerikanischen Amtskollegen Powell. Am Telefon begrüße ich jetzt den stellvertretenden Unionsfraktionsvizechef Wolfgang Schäuble. Guten Morgen!

    Schäuble: Guten Morgen Herr Heinlein.

    Heinlein: Herr Schäuble, Sie haben Colin Powell gehört. "Wir sind zwei Freunde und Verbündete". Das klingt sehr verbindlich, sehr freundschaftlich. Teilen Sie die Meinung des amerikanischen Außenministers, alles wieder im Lot?

    Schäuble: Das hat er ja ausdrücklich nicht gesagt, sondern er hat das genaue Gegenteil gesagt. Es gibt, was ja auch Herr Fischer gar nicht bestritten hat, im Gegensatz zu seinen Äußerungen vor zwei Tagen im Bundestag eben nicht nur unterschiedliche Meinungen zwischen der deutschen Regierung und der amerikanischen - das wäre ja etwas ganz Normales; unterschiedliche Meinungen gibt es immer -, sondern die deutsche Regierung, der deutsche Bundeskanzler hat das deutsch-amerikanische Verhältnis und damit die atlantischen Beziehungen zwischen Amerika und Europa schwer beschädigt. Das ist das Problem und das sind die Schlaglöcher, von denen Herr Powell gesprochen hat, der ein Diplomat ist und ein freundlicher, verbindlicher Mann. Im übrigen muss man ja alles tun, damit dieser Schaden verringert wird. Das ist in unserem gemeinsamen Interesse. Deswegen hoffe ich, dass man auf dem Weg, erstens einzusehen, dass das ganz falsch war, weiter kommt und dass man natürlich daran arbeitet, dass das wieder besser wird. Das ist ja unser deutsches und unser europäisches Interesse. Wir sind mehr auf die Beziehungen zu den Amerikanern angewiesen als die Amerikaner auf uns. Das muss man wissen. Was wir dazu beitragen können, dass die Schäden behoben werden, werden wir tun.

    Heinlein: Ist man auf der sachlichen außenpolitischen Ebene nicht längst tatsächlich wieder zur professionellen Normalität zwischen Berlin und Washington zurückgekehrt? Dieser freundschaftliche Umgangston zwischen Fischer und Powell deutet ja ganz deutlich darauf hin.

    Schäuble: Nein! Man hat ja nun Fischer wirklich in einer demütigenden Weise behandelt, eine halbe Stunde oder wie lang das Gespräch mit Powell gewesen ist. Kein anderer Termin, das ist ja wirklich in der Sprache der Diplomaten so ziemlich die größte Missachtung, die man einem Außenminister eines an sich befreundeten Landes angedeihen lassen kann. Ich hoffe auch, dass das wieder besser wird, weil ich von dieser Art gar nichts halte. Das Problem liegt in der Sache. Schauen Sie, und da ist der Widerspruch auch in dem, was wir von Herrn Fischer eben gehört haben, ja wirklich zu hören. Er sagt, er hofft, dass die Vereinten Nationen erreichen, dass Saddam Hussein keine Massenvernichtungswaffen behält, und man müsse alles daran setzen, dass die Vereinten Nationen das durchsetzen. So weit, so richtig. Das ist auch unsere Position. Nur dann sagt der Außenminister, aber selbst wenn die Vereinten Nationen irgend etwas beschließen, wir werden uns nachher nicht beteiligen. Damit nimmt Deutschland eine Haltung ein, die alle anderen Europäer nicht einnehmen, die übrigens nicht einmal Saudi-Arabien einnimmt. Selbst Saudi-Arabien, die ja nicht für einen Krieg mit dem Irak sind, sagt, wenn die UNO beschließt, werden wir uns beteiligen. Die deutsche Regierung sagt noch immer, der Außenminister eben, was immer die UNO beschließt, wir werden uns nicht beteiligen. So schwächt man die UNO, so stärkt man Saddam Hussein und so schwächt man die europäische Position und die atlantischen Beziehungen. Das ist das Problem, nicht unterschiedliche Meinungen.

    Heinlein: Herr Schäuble, Sie haben gesagt, Fischer sei gedemütigt worden durch die fehlenden Termine im Weißen Haus. Ist das nicht ein Grund mehr für ein selbstbewusstes Auftreten eines deutschen Außenministers in Washington?

    Schäuble: Ich sagte ja, ich halte davon überhaupt nichts, weil ich glaube es ist nicht im deutschen Interesse, es ist nicht im Interesse der Europäer – wir wollen ja eine gemeinsame europäische Position – und nicht im Sinne der transatlantischen Beziehungen, aber es ist eben Ausdruck des Schadens, den der Bundeskanzler, die Sozialdemokraten im Wahlkampf angerichtet haben. Fischer muss sich vorwerfen lassen, dass er im Wahlkampf geschwiegen hat, dass er weggetaucht ist, untergetaucht ist. Nach der Wahl hat er gesagt, der deutsche Weg, ach, vergessen Sie es, aber vor der Wahl hat er nichts gesagt. Er ist seiner Verantwortung nicht gerecht geworden.

    Heinlein: Warum machen Sie es, Herr Schäuble, der Bundesregierung so schwer, den Gesprächsfaden nach Washington wieder zu knüpfen? Der Wahlkampf ist doch vorbei.

    Schäuble: Ich habe ja gerade gesagt, was wir dort tun können, um beizutragen, tragen wir gerne dazu bei. Ich halte es auch gar nicht für im deutschen Interesse, was hier stattfindet, und ich hoffe, dass es möglichst bald überwunden wird. Mir geht es nicht um Wahlkampf, sondern mir geht es darum, dass die Interessen unseres Landes so gut wie möglich wahrgenommen werden, aber zur Wahrheit gehört, dass sie im Moment durch das Verhalten des Bundeskanzlers schwer beschädigt wurden.

    Heinlein: Sie haben den Irak angesprochen, Herr Schäuble. Wie hoch wird denn der Preis sein, den Deutschland zahlen muss für die Normalisierung der transatlantischen Beziehungen?

    Schäuble: Das weiß ich nicht. Ich halte auch gar nicht viel davon, dass man jetzt über Preise redet und sie bezahlen muss, sondern ich halte mehr davon, dass die Bundesregierung endlich zur Einsicht kommt und sagt, wir müssen gemeinsam als Europäer auftreten. Wir haben ein gemeinsames Interesse, die atlantische Partnerschaft zu stärken, und wir haben vor allen Dingen ein gemeinsames Interesse, dass die Vereinten Nationen erfolgreich sind. Die Vereinten Nationen können aber erfolgreicher sein, wenn nicht irgendein Land wie Deutschland sagt, was immer die Vereinten Nationen beschließen, wir werden uns nicht beteiligen, sondern die richtige Antwort muss sein, wir setzen auf die Vereinten Nationen und wenn die Vereinten Nationen beschließen, dann muss man darüber reden, was jeder dazu beitragen kann und was nicht. So stärkt man die Vereinten Nationen. So wird übrigens die Chance größer, dass es nicht zu einem Krieg mit dem Irak kommen muss. Es will ja niemand Krieg. Was wir wollen ist, dass der Irak keine Massenvernichtungswaffen hat, weil das eine Gefahr ist, die auch uns bedroht. Wenn der internationale Terrorismus sich mit Massenvernichtungswaffen verbindet, werden für uns Frieden und Sicherheit mehr gefährdet, als das ohnedies der Fall ist.

    Heinlein: Bezweifeln Sie den Willen der Bundesregierung, gemeinsam mit den europäischen Partnern die europäische Position in Washington in Sachen Irak deutlich zu machen?

    Schäuble: Ja klar. Das hat Herr Fischer eben wieder gesagt. Das ist nun eine Position, die niemand sonst in Europa teilt. Was immer die Vereinten Nationen beschließen, wir werden es nicht tun. Ich sage Ihnen übrigens vorher, die Bundesregierung wird diese Position gar nicht durchhalten. Sie wird ja im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit abstimmen müssen. Ab Januar haben wir den Vorsitz im Sicherheitsrat. Es geht ja in Wahrheit darum, dass man etwas, was man im Wahlkampf den eigenen Anhängern oder einem Teil der eigenen Anhänger versprochen hat, jetzt versucht, so zu tun, als könne das eingehalten werden. Das war nicht nur eine Bebschädigung der europäisch-amerikanischen Beziehungen und eine Schwächung der Vereinten Nationen; es war auch ein Betrug an der deutschen Öffentlichkeit und an den eigenen Wählern.

    Heinlein: Nun sagen manche politischen Beobachter, Herr Schäuble, das Auseinanderdriften zwischen den USA und Europa sei nahezu zwangsläufig, da die Europäer nach wie vor ihr Heil im internationalen Recht und im Ausgleich suchen, während die USA unter Bush vor allem auf die militärische Karte setzen. Sehen Sie das auch so? Haben sich die Wege der USA und Europas grundsätzlich getrennt?

    Schäuble: Nein! Die Regierung Bush setzt zunächst einmal ja nicht nur auf militärische Mittel. Wir Europäer haben zweitens doch das größte Interesse daran, dass die atlantischen Beziehungen nicht schwächer werden. Unsere Sicherheit beruht doch zu einem ganz erheblichen Teil auf intakten atlantischen Beziehungen. Aber das heißt natürlich, dass wir Europäer einen größeren Anteil an Verantwortung im gemeinsamen Bündnis übernehmen müssen. Nur wenn die Europäer auch fähig sind, wenigstens teilweise Verantwortung etwa auch auf dem Balkan zu übernehmen, wird die atlantische Partnerschaft zukunfts- und lebensfähig sein. Darum geht es und deswegen ist ja die Tatsache, dass die deutsche Bundesregierung noch immer sagt, wir werden auf keinen Fall mitmachen, eine Schwächung der europäischen Position. Damit wird den deutschen wie den europäischen Interessen nicht genützt, sondern sie werden beschädigt.

    Heinlein: Ganz kurz zum Schluss bitte, Herr

    Schäuble: Glauben Sie, dass Schröder und Bush sich auf dem NATO-Gipfel im November wieder die Hände schütteln werden?

    Schäuble: Ja, das hoffe ich doch sehr!

    Heinlein: Wolfgang Schäuble, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union, heute Morgen hier im Deutschlandfunk. – Herr Schäuble, ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Link: Interview als RealAudio