Jasper Barenberg: Düster beschreibt Ursula von der Leyen dieser Tage die Aussichten für Millionen von Arbeitnehmern: Bäcker, Köche und Dachdecker, Altenpfleger, Erzieherinnen, Einzelhandelskaufleute. Sie alle werden mit dem Tag ihres Renteneintritts zu Bittstellern beim Sozialamt, wenn nichts geschieht.
O-Ton Ursula von der Leyen: "Ich werbe darum, wahrzunehmen, dass die Menschen, die heute Geringverdiener sind und nicht ausreichend vorsorgen, weil sie keine Perspektive sehen, weil sie sagen, es lohnt sich doch sowieso nicht, ich lande doch sowieso in der Grundsicherung, dass diese Menschen später, wenn wir jetzt nichts tun, tatsächlich in der Grundsicherung landen, und das geht alles auf dem Buckel der jungen Generation."
Barenberg: Ursula von der Leyen. – Der Vorschlag der Arbeits- und Sozialministerin: Die Rente von Betroffenen soll unter bestimmten Bedingungen aus der Rentenkasse aufgestockt werden. Untermauert hat sie ihre Pläne mit frischen Zahlen des Statistischen Bundesamtes und bringt nun Kritiker noch mehr in Rage, denn Zweifel werden laut an den Berechnungen des Ministeriums und Widerstand gegen das Konzept selbst.
Am Telefon begrüße ich den Bundesvorsitzenden der Jungen Union Deutschlands. Guten Morgen, Philipp Mißfelder!
Philipp Mißfelder: Guten Morgen, Herr Barenberg.
Barenberg: Herr Mißfelder, Ursula von der Leyen bleibt dabei. Sie sagt, die Zuschussrente wird kommen. Was sagen Sie?
Mißfelder: Ich kann das nicht voraussehen, ob die Zuschussrente jetzt nun kommt oder nicht. Ich glaube nur, dass auch nach den Beratungen gestern – wir hatten uns ja gestern Mittag mit ihr in ihrem Haus getroffen, in ihrem Ministerium, und hatten danach eine lange Diskussion im Fraktionsvorstand der Bundestagsfraktion -, ich bin deshalb sicher, dass wir eine breitere und auch längere Diskussion bekommen werden, weil sehr viele meiner Kollegen, eben nicht nur die junge Gruppe, die ja hauptbetroffen ist, sondern sehr viele meiner Kollegen vom Wirtschaftsflügel beispielsweise, oder auch aus dem sozialen Bereich unserer Fraktion dann Zweifel angemeldet haben und auch Fragen, ob man nicht eine breitere Diskussion braucht, und die wird es wahrscheinlich geben.
Barenberg: Die Ablehnung ist ja sehr breit in den Koalitionsparteien. Die FDP lehnt das Konzept schon mal kategorisch ab und der Fraktionsvorsitzende Kauder lehnt es ab und inzwischen hat Ursula von der Leyen wohl auch die Unterstützung der Kanzlerin verloren. Gibt es überhaupt noch eine Chance, dass sie dieses Projekt durchbringt, oder muss man jetzt schon konstatieren, angesichts der Breite des Widerstandes, das ist politisch tot?
Mißfelder: Das würde ich so nicht sagen, weil wir befinden uns ja mitten in einem Diskussionsprozess und Ursula von der Leyen ist durchaus eine kämpferische Ministerin. Sie haben ja gerade in den Beiträgen auch noch mal gezeigt, wie sie sich dazu äußert, und ich habe bei den Gesprächen auch nicht den Eindruck gehabt, dass sie die Flinte ins Korn wirft. Nein: Es geht ja hier um eine sachliche Diskussion, wo wir um den besten Weg ringen. Ich glaube, das Thema, was sie aufgegriffen hat, ist absolut berechtigt, ist auch sinnvoll zu diskutieren. Man kann sich natürlich darüber streiten, ob es sinnvoll ist, Leute, die gar nicht betroffen sind, zu verunsichern. Viele Ältere fühlen sich ja angesprochen, obwohl sie gar nicht betroffen sind. Das ist ein Thema vor allem für die junge Generation, und die muss sich auch darüber Sorgen machen und auch darum selber kümmern. Aber am Ende brauchen wir eben auch einen breiten Konsens bei einem solchen Thema wie bei der Rentenpolitik, weil ich mir kaum vorstellen kann, dass wir mit einer Mehrheit von einer schwarz-gelben Koalition die Grundkonstrukte, die Grundkonstruktionsfehler der Rentenversicherung beheben werden, sondern da muss man schon breiter diskutieren, auch weit über die Partei hinaus.
Barenberg: Herr Mißfelder, die Fachleute sagen ja, die Zahlen seien, sagen wir mal, eigenwillig interpretiert. FDP-Generalsekretär Patrick Döring meldet sich jetzt zu Wort und spricht von "bestellten Zahlen". Stimmen Sie ihm da zu?
Mißfelder: Nein, da stimme ich ihm nicht zu, weil bei diesen Zahlen ist es offensichtlich, dass es verschiedene Modelle gibt. Wir haben ja gestern den Punkt auch mit ihr diskutiert. Die Ministerin hat ja auch verschiedene andere Zahlenmodelle bezüglich einer Lebensarbeitszeit von 40 Jahren oder 45 Jahren errechnet. Wir werden uns jetzt auch noch mal selber als junge Gruppe mit denjenigen, die im Bundestag sich dafür interessieren, die Zahlen noch anschauen, wir werden uns im Detail damit beschäftigen. Nur das braucht alles Zeit, denn tatsächlich ist es so – gerade die Deutsche Rentenversicherung wurde ja auch vorhin eingespielt -, das ist ein sehr kompliziertes Thema. Es ist nicht ganz genau vorhersehbar für viele Kreise der Gesellschaft, und wenn man alles über einen Kamm schert, kann der Eindruck entstehen, als sei quasi ein großer Teil der Mittelschicht in Deutschland davon zukünftig betroffen, und das ist ja in Ihrem Beitrag auch gut herausgearbeitet worden. Da gibt es große Zweifel, ob das tatsächlich so ist, denn es gibt ja auch noch andere Faktoren, um vor Altersarmut sich zu schützen und dann auch nicht in die Grundsicherung zu fallen.
Barenberg: Bisher hat die Bundesregierung, hat auch die Ministerin ja immer beschwichtigt, wenn beispielsweise Sozialverbände vor der wachsenden Altersarmut gewarnt haben, vor dieser Gefahr gewarnt haben. Alles nicht so schlimm, wurde immer gesagt. Jetzt heißt es, alles noch viel schlimmer als gedacht. Was stimmt denn nun?
Mißfelder: Also wie gesagt: Es gibt verschiedene Rechenmodelle. Es gibt natürlich auch verschiedene Herangehensweisen an den Sachverhalt.
Barenberg: Welches ist denn Ihre Einschätzung?
Mißfelder: Ich glaube zum Beispiel, dass wir eine Lebensarbeitszeit haben werden, die weit über den 35 Jahren liegt, denn ich denke, dass man der jungen Generation heute ganz offen und ehrlich ins Gesicht sagen muss, ihr, die jungen, ihr müsst euch darauf einstellen, dass ihr früher in den Beruf gehen werdet als die Generationen davor, und ihr werdet auch länger arbeiten. Wer mit 30 erst beginnt zu arbeiten, wird nicht mit 60 oder 65 in Rente gehen können, das wird nicht funktionieren. Und bei einer steigenden Lebenserwartung ist es ja auch nicht schlimm, wenn man länger arbeitet, sondern die Gesellschaft hat sich ja verändert. Unser demografischer Wandel wird unsere Gesellschaft noch viel massiver verändern als alle anderen Entwicklungen zuvor.
Barenberg: Nur damit das noch mal klar wird, Herr Mißfelder: Ist die Gefahr von Altersarmut nun größer, sehr viel größer, als bisher gedacht, oder spielt die Ministerin fahrlässig mit der Angst vor Altersarmut?
Mißfelder: Fahrlässigkeit würde ich ihr nicht vorwerfen, weil sie eine sehr verantwortungsvolle Person ist und hier auch sehr, sehr viel geleistet hat, auch für die CDU natürlich und auch in ihren Ämtern, die sie bisher ausgeübt hat. Ich glaube, dass man tatsächlich über diese Interpretation der Zahlen streiten muss. Ich glaube, wenn man von verschiedenen Gesellschaftsbildern auch ausgeht und sagt, na ja, die Leute arbeiten vielleicht auch länger als diese 40 Jahre, die zugrunde gelegt wurden, oder 35 Jahre, die in der Extremrechnung zugrunde gelegt worden sind, dann kann man durchaus zu anderen Ergebnissen kommen und dann gibt es eben auch Interpretationen bei der Rentenversicherung. Es wurde ja gerade sehr, sehr schön aufgezeigt, vorhin von Ihnen, dass es ja auch verschiedene Komponenten der Alterssicherung gibt, und das dürfen wir nicht außer Acht lassen. Eigentumsbildung ist definitiv eine Komponente, Familie würde ich auch nicht außer Acht lassen und natürlich der Finanzmarkt wird sich auch wieder erholen. Ich kann nicht voraussagen wann, aber der Finanzmarkt wird sich definitiv in den nächsten 30, 40 Jahren wieder erholen, und dann sind natürlich die Renditen auch weitaus besser, als das jetzt ist. Wir dürfen nicht den Status quo, den wir gerade am Finanzmarkt und bei den Zinsentwicklungen haben, fortschreiben, das wäre töricht.
Barenberg: Im Koalitionsvertrag haben Sie, hat die Koalition der Altersarmut den Kampf angesagt. Sie haben das als drängendes Problem dort beschrieben. Wie unangenehm ist das jetzt eigentlich auch für die Union, jetzt ganz ohne plausibles Konzept dazustehen?
Mißfelder: Definitiv ist es so, dass am Ende dieser Diskussion ein Vorschlag stehen muss. Das sehe ich schon so. Die Frage ist nur, wie viel Zeit brauchen wir dafür.
Barenberg: In einem Jahr ist Bundestagswahl!
Mißfelder: Das stimmt. Aber wir sind ja nicht handlungsunfähig ein Jahr vor der Bundestagswahl, oder auch nicht ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl. Wir regieren ja bis zum letzten Tag dieser Legislaturperiode. Ich glaube nur, wenn man eine Entscheidung trifft, die ja eine Auswirkung hat auf die nächsten 30 Jahre hin, dann sollte man auch dafür eine breite Diskussion führen, und wenn es so viel Kritik auch gibt, auch gerade aus den eigenen Reihen, und so viele Fragezeichen, dann muss man auch darauf eingehen und dann muss man auch mehr beteiligen, als das bisher der Fall war.
Barenberg: Zum Schluss, Herr Mißfelder: Ich habe Sie so verstanden, dass Sie kaum etwas Gutes an der Zuschussrente finden. Ist denn dann die Alternative, was die Grünen vorschlagen, nämlich eine steuerfinanzierte Grundrente?
Mißfelder: Die Junge Union hat vor Jahren auch eine steuerfinanzierte Grundrente beschlossen. Das ist auch nicht unsere Idee, genauso wenig wie das die Idee der Grünen ist, sondern wir haben uns damals mit Kurt Biedenkopf beraten und er hat ja diesen Vorschlag schon vor längerer Zeit gemacht. Ich kann dem viel abgewinnen. Allerdings muss man dann dazu auch sagen – das gehört ja genauso dazu wie zu der Zuschussrenten-Diskussion -, wenn man einen solchen Schritt geht, dann ist das ein größerer Umbau des Rentensystems. Und für einen größeren Umbau des Rentensystems, da brauchen wir einfach Zeit und eine ganz breite gesellschaftliche Diskussion.
Barenberg: Und billiger – dies ganz zum Schluss, bitte – wird es auch nicht als die Zuschussrente?
Mißfelder: Ich würde überhaupt nicht sagen, dass in der Rentenversicherung überhaupt noch irgendwas billig wird, denn es wird definitiv die junge Generation sehr viel Geld kosten, denn tatsächlich stehen wir vor der großen Herausforderung des demografischen Wandels, dass wir leider immer weniger jüngere Menschen haben, die in die Rentenversicherung einzahlen, und das ist der Konstruktionsfehler, den man auch nicht über Nacht beheben kann, auch nicht mit der Zuschussrente und auch nicht mit der steuerfinanzierten Grundrente.
Barenberg: Der CDU-Politiker Philipp Mißfelder heute Morgen hier im Deutschlandfunk, Präsidiumsmitglied seiner Partei, Vorsitzender der Jungen Union. Danke Ihnen für das Gespräch.
Mißfelder: Herzlichen Dank.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
O-Ton Ursula von der Leyen: "Ich werbe darum, wahrzunehmen, dass die Menschen, die heute Geringverdiener sind und nicht ausreichend vorsorgen, weil sie keine Perspektive sehen, weil sie sagen, es lohnt sich doch sowieso nicht, ich lande doch sowieso in der Grundsicherung, dass diese Menschen später, wenn wir jetzt nichts tun, tatsächlich in der Grundsicherung landen, und das geht alles auf dem Buckel der jungen Generation."
Barenberg: Ursula von der Leyen. – Der Vorschlag der Arbeits- und Sozialministerin: Die Rente von Betroffenen soll unter bestimmten Bedingungen aus der Rentenkasse aufgestockt werden. Untermauert hat sie ihre Pläne mit frischen Zahlen des Statistischen Bundesamtes und bringt nun Kritiker noch mehr in Rage, denn Zweifel werden laut an den Berechnungen des Ministeriums und Widerstand gegen das Konzept selbst.
Am Telefon begrüße ich den Bundesvorsitzenden der Jungen Union Deutschlands. Guten Morgen, Philipp Mißfelder!
Philipp Mißfelder: Guten Morgen, Herr Barenberg.
Barenberg: Herr Mißfelder, Ursula von der Leyen bleibt dabei. Sie sagt, die Zuschussrente wird kommen. Was sagen Sie?
Mißfelder: Ich kann das nicht voraussehen, ob die Zuschussrente jetzt nun kommt oder nicht. Ich glaube nur, dass auch nach den Beratungen gestern – wir hatten uns ja gestern Mittag mit ihr in ihrem Haus getroffen, in ihrem Ministerium, und hatten danach eine lange Diskussion im Fraktionsvorstand der Bundestagsfraktion -, ich bin deshalb sicher, dass wir eine breitere und auch längere Diskussion bekommen werden, weil sehr viele meiner Kollegen, eben nicht nur die junge Gruppe, die ja hauptbetroffen ist, sondern sehr viele meiner Kollegen vom Wirtschaftsflügel beispielsweise, oder auch aus dem sozialen Bereich unserer Fraktion dann Zweifel angemeldet haben und auch Fragen, ob man nicht eine breitere Diskussion braucht, und die wird es wahrscheinlich geben.
Barenberg: Die Ablehnung ist ja sehr breit in den Koalitionsparteien. Die FDP lehnt das Konzept schon mal kategorisch ab und der Fraktionsvorsitzende Kauder lehnt es ab und inzwischen hat Ursula von der Leyen wohl auch die Unterstützung der Kanzlerin verloren. Gibt es überhaupt noch eine Chance, dass sie dieses Projekt durchbringt, oder muss man jetzt schon konstatieren, angesichts der Breite des Widerstandes, das ist politisch tot?
Mißfelder: Das würde ich so nicht sagen, weil wir befinden uns ja mitten in einem Diskussionsprozess und Ursula von der Leyen ist durchaus eine kämpferische Ministerin. Sie haben ja gerade in den Beiträgen auch noch mal gezeigt, wie sie sich dazu äußert, und ich habe bei den Gesprächen auch nicht den Eindruck gehabt, dass sie die Flinte ins Korn wirft. Nein: Es geht ja hier um eine sachliche Diskussion, wo wir um den besten Weg ringen. Ich glaube, das Thema, was sie aufgegriffen hat, ist absolut berechtigt, ist auch sinnvoll zu diskutieren. Man kann sich natürlich darüber streiten, ob es sinnvoll ist, Leute, die gar nicht betroffen sind, zu verunsichern. Viele Ältere fühlen sich ja angesprochen, obwohl sie gar nicht betroffen sind. Das ist ein Thema vor allem für die junge Generation, und die muss sich auch darüber Sorgen machen und auch darum selber kümmern. Aber am Ende brauchen wir eben auch einen breiten Konsens bei einem solchen Thema wie bei der Rentenpolitik, weil ich mir kaum vorstellen kann, dass wir mit einer Mehrheit von einer schwarz-gelben Koalition die Grundkonstrukte, die Grundkonstruktionsfehler der Rentenversicherung beheben werden, sondern da muss man schon breiter diskutieren, auch weit über die Partei hinaus.
Barenberg: Herr Mißfelder, die Fachleute sagen ja, die Zahlen seien, sagen wir mal, eigenwillig interpretiert. FDP-Generalsekretär Patrick Döring meldet sich jetzt zu Wort und spricht von "bestellten Zahlen". Stimmen Sie ihm da zu?
Mißfelder: Nein, da stimme ich ihm nicht zu, weil bei diesen Zahlen ist es offensichtlich, dass es verschiedene Modelle gibt. Wir haben ja gestern den Punkt auch mit ihr diskutiert. Die Ministerin hat ja auch verschiedene andere Zahlenmodelle bezüglich einer Lebensarbeitszeit von 40 Jahren oder 45 Jahren errechnet. Wir werden uns jetzt auch noch mal selber als junge Gruppe mit denjenigen, die im Bundestag sich dafür interessieren, die Zahlen noch anschauen, wir werden uns im Detail damit beschäftigen. Nur das braucht alles Zeit, denn tatsächlich ist es so – gerade die Deutsche Rentenversicherung wurde ja auch vorhin eingespielt -, das ist ein sehr kompliziertes Thema. Es ist nicht ganz genau vorhersehbar für viele Kreise der Gesellschaft, und wenn man alles über einen Kamm schert, kann der Eindruck entstehen, als sei quasi ein großer Teil der Mittelschicht in Deutschland davon zukünftig betroffen, und das ist ja in Ihrem Beitrag auch gut herausgearbeitet worden. Da gibt es große Zweifel, ob das tatsächlich so ist, denn es gibt ja auch noch andere Faktoren, um vor Altersarmut sich zu schützen und dann auch nicht in die Grundsicherung zu fallen.
Barenberg: Bisher hat die Bundesregierung, hat auch die Ministerin ja immer beschwichtigt, wenn beispielsweise Sozialverbände vor der wachsenden Altersarmut gewarnt haben, vor dieser Gefahr gewarnt haben. Alles nicht so schlimm, wurde immer gesagt. Jetzt heißt es, alles noch viel schlimmer als gedacht. Was stimmt denn nun?
Mißfelder: Also wie gesagt: Es gibt verschiedene Rechenmodelle. Es gibt natürlich auch verschiedene Herangehensweisen an den Sachverhalt.
Barenberg: Welches ist denn Ihre Einschätzung?
Mißfelder: Ich glaube zum Beispiel, dass wir eine Lebensarbeitszeit haben werden, die weit über den 35 Jahren liegt, denn ich denke, dass man der jungen Generation heute ganz offen und ehrlich ins Gesicht sagen muss, ihr, die jungen, ihr müsst euch darauf einstellen, dass ihr früher in den Beruf gehen werdet als die Generationen davor, und ihr werdet auch länger arbeiten. Wer mit 30 erst beginnt zu arbeiten, wird nicht mit 60 oder 65 in Rente gehen können, das wird nicht funktionieren. Und bei einer steigenden Lebenserwartung ist es ja auch nicht schlimm, wenn man länger arbeitet, sondern die Gesellschaft hat sich ja verändert. Unser demografischer Wandel wird unsere Gesellschaft noch viel massiver verändern als alle anderen Entwicklungen zuvor.
Barenberg: Nur damit das noch mal klar wird, Herr Mißfelder: Ist die Gefahr von Altersarmut nun größer, sehr viel größer, als bisher gedacht, oder spielt die Ministerin fahrlässig mit der Angst vor Altersarmut?
Mißfelder: Fahrlässigkeit würde ich ihr nicht vorwerfen, weil sie eine sehr verantwortungsvolle Person ist und hier auch sehr, sehr viel geleistet hat, auch für die CDU natürlich und auch in ihren Ämtern, die sie bisher ausgeübt hat. Ich glaube, dass man tatsächlich über diese Interpretation der Zahlen streiten muss. Ich glaube, wenn man von verschiedenen Gesellschaftsbildern auch ausgeht und sagt, na ja, die Leute arbeiten vielleicht auch länger als diese 40 Jahre, die zugrunde gelegt wurden, oder 35 Jahre, die in der Extremrechnung zugrunde gelegt worden sind, dann kann man durchaus zu anderen Ergebnissen kommen und dann gibt es eben auch Interpretationen bei der Rentenversicherung. Es wurde ja gerade sehr, sehr schön aufgezeigt, vorhin von Ihnen, dass es ja auch verschiedene Komponenten der Alterssicherung gibt, und das dürfen wir nicht außer Acht lassen. Eigentumsbildung ist definitiv eine Komponente, Familie würde ich auch nicht außer Acht lassen und natürlich der Finanzmarkt wird sich auch wieder erholen. Ich kann nicht voraussagen wann, aber der Finanzmarkt wird sich definitiv in den nächsten 30, 40 Jahren wieder erholen, und dann sind natürlich die Renditen auch weitaus besser, als das jetzt ist. Wir dürfen nicht den Status quo, den wir gerade am Finanzmarkt und bei den Zinsentwicklungen haben, fortschreiben, das wäre töricht.
Barenberg: Im Koalitionsvertrag haben Sie, hat die Koalition der Altersarmut den Kampf angesagt. Sie haben das als drängendes Problem dort beschrieben. Wie unangenehm ist das jetzt eigentlich auch für die Union, jetzt ganz ohne plausibles Konzept dazustehen?
Mißfelder: Definitiv ist es so, dass am Ende dieser Diskussion ein Vorschlag stehen muss. Das sehe ich schon so. Die Frage ist nur, wie viel Zeit brauchen wir dafür.
Barenberg: In einem Jahr ist Bundestagswahl!
Mißfelder: Das stimmt. Aber wir sind ja nicht handlungsunfähig ein Jahr vor der Bundestagswahl, oder auch nicht ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl. Wir regieren ja bis zum letzten Tag dieser Legislaturperiode. Ich glaube nur, wenn man eine Entscheidung trifft, die ja eine Auswirkung hat auf die nächsten 30 Jahre hin, dann sollte man auch dafür eine breite Diskussion führen, und wenn es so viel Kritik auch gibt, auch gerade aus den eigenen Reihen, und so viele Fragezeichen, dann muss man auch darauf eingehen und dann muss man auch mehr beteiligen, als das bisher der Fall war.
Barenberg: Zum Schluss, Herr Mißfelder: Ich habe Sie so verstanden, dass Sie kaum etwas Gutes an der Zuschussrente finden. Ist denn dann die Alternative, was die Grünen vorschlagen, nämlich eine steuerfinanzierte Grundrente?
Mißfelder: Die Junge Union hat vor Jahren auch eine steuerfinanzierte Grundrente beschlossen. Das ist auch nicht unsere Idee, genauso wenig wie das die Idee der Grünen ist, sondern wir haben uns damals mit Kurt Biedenkopf beraten und er hat ja diesen Vorschlag schon vor längerer Zeit gemacht. Ich kann dem viel abgewinnen. Allerdings muss man dann dazu auch sagen – das gehört ja genauso dazu wie zu der Zuschussrenten-Diskussion -, wenn man einen solchen Schritt geht, dann ist das ein größerer Umbau des Rentensystems. Und für einen größeren Umbau des Rentensystems, da brauchen wir einfach Zeit und eine ganz breite gesellschaftliche Diskussion.
Barenberg: Und billiger – dies ganz zum Schluss, bitte – wird es auch nicht als die Zuschussrente?
Mißfelder: Ich würde überhaupt nicht sagen, dass in der Rentenversicherung überhaupt noch irgendwas billig wird, denn es wird definitiv die junge Generation sehr viel Geld kosten, denn tatsächlich stehen wir vor der großen Herausforderung des demografischen Wandels, dass wir leider immer weniger jüngere Menschen haben, die in die Rentenversicherung einzahlen, und das ist der Konstruktionsfehler, den man auch nicht über Nacht beheben kann, auch nicht mit der Zuschussrente und auch nicht mit der steuerfinanzierten Grundrente.
Barenberg: Der CDU-Politiker Philipp Mißfelder heute Morgen hier im Deutschlandfunk, Präsidiumsmitglied seiner Partei, Vorsitzender der Jungen Union. Danke Ihnen für das Gespräch.
Mißfelder: Herzlichen Dank.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.