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"Die Republikanische Partei ist im Moment führungslos"

Die Republikanische Partei werde von der Minderheit der Tea-Party-Bewegung als Geisel genommen, sagt Michael Werz vom Center for American Progress. Wenn aber am Dienstag 800.000 Bundesangestellte in einen unbezahlten Urlaub geschickt würden, könne die Partei die Blockade nicht aufrechterhalten.

Michael Werz im Gespräch mit Peter Kapern | 30.09.2013
    Peter Kapern: Knapp 25 Stunden bleiben Republikanern und Demokraten im US-Kongress noch, um einen Kompromiss im Haushaltsstreit zu finden. Im Moment sieht es allerdings nicht so aus, als könnte das noch gelingen. Wenn auch die letzten Stunden im politischen Ringen nutzlos verstreichen, dann müssen sich die US-Bürger auf einige unangenehme Überraschungen gefasst machen, wenn sie am Dienstagmorgen wach werden. Der gesamte Apparat der Bundesregierung wird dann auf Notbetrieb geschaltet sein. Alles, was nicht überlebensnotwendig ist, wird ruhen: Museen dicht, Nationalparks geschlossen, Ämter laufen nur noch im Notbetrieb, zig Tausende Bundesangestellte werden in einen Zwangsurlaub geschickt und bekommen dann auch kein Gehalt mehr.

    Bei uns am Telefon ist nun Michael Werz, Sozialwissenschaftler am Center for American Progress, einem Think Tank in den USA. Guten Abend beziehungsweise guten Morgen!

    Michael Werz: Guten Morgen, Herr Kapern!

    Kapern: Herr Werz, wer trägt Ihrer Meinung nach die Verantwortung für die Blockade, Barack Obama, der eine Gesundheitsversicherung durchsetzt, die Umfragen zufolge von der Mehrheit der US-Bürger nicht gewollt wird, oder die Republikanische Partei, die sich mittlerweile in der ideologischen Geiselhaft der Tea-Party-Bewegung befindet?

    Werz: Das Letztere ist der Fall. Die Republikanische Partei ist im Moment führungslos. Sie wird zur Geisel genommen von einer relativ kleinen Gruppe von 40 oder 50 der 230 Abgeordneten im Repräsentantenhaus, die einem Monotheismus des Geldsparens und der Austerität frönen und sich auf die Fahnen geschrieben haben, die größte Gesetzesinitiative des Präsidenten zu Fall zu bringen. Es ist mit Sicherheit so, dass das Gesetz diskussionswürdige Probleme hat. Das streitet auch niemand ab. Aber es zu ketten an die Frage, ob das wirtschaftliche Wohlergehen der Vereinigten Staaten weiterhin gewährleistet ist, darauf kann und wird sich der Präsident nicht einlassen.

    Kapern: Wie konnte es dieser Minderheit der Tea-Party-Bewegung eigentlich gelingen, die Republikaner derart in Geiselhaft zu nehmen?

    Werz: Das ist eine interessante Frage, über die sich auch viele moderate Republikaner wundern, die sich Sorgen machen um die Zukunft ihrer eigenen Partei. Es hängt mit zwei Entwicklungen zusammen. Zum einen ist mit der Präsidentschafts-Auseinandersetzung im Jahr 2008, als John McCain Sarah Palin zu einer Galionsfigur dieser Graswurzel-Bewegung des rechten Randes der Republikanischen Partei gemacht hat, eine Führungsfigur kreiert worden, die dieser Bewegung ungeheuere Dynamik verliehen hat. Zum Zweiten ist das strukturelle Problem, dass sehr viele Wahlkreise in den USA so zugeschnitten sind, dass es dort sehr stabile und konservative Mehrheiten gibt, sodass die Abgeordneten von der Parteiführung auch in keiner Weise unter Druck gesetzt werden können, weil sie sich sicher sind, auch mit diesen radikalen Programmen auf die offenen Ohren ihrer Wählerinnen und Wähler zu treffen und ihre Karriere im Abgeordnetenhaus dadurch nicht gefährdet wird.

    Kapern: Diese Tea Party, die bringt ja durchaus skurrile Phänomene mit sich. In der vergangenen Woche beispielsweise hat der texanische Senator Ted Cruz, ein Vertreter dieser Bewegung, eine ganze Nacht lang im Senat gegen die Gesundheitsreform und damit gegen einen Haushaltskompromiss gewettert, und dabei hat er zwischenzeitlich auch eine Gutenacht-Geschichte mit dem Titel "Grüne Eier und Speck" vorgelesen, um seinen Filibuster möglichst lang auszudehnen. So ein Politiker würde hierzulande sich doch zum Gespött machen. Warum nicht in den USA?

    Werz: Ted Cruz hat sich keine Freunde gemacht, weder in seiner eigenen Partei noch in der breiteren Bevölkerung. Auf der anderen Seite haben Sie natürlich recht: Diese 21 Stunden, die er da verbracht hat vor dem Podium, unter anderem mit Geschichten vorlesen und ausufernden Positionen zur Gesundheitsreform, hat ihn wie gesagt bei dieser kleinen Gruppe der Tea-Party-Aktivisten hier in den Vereinigten Staaten sehr populär gemacht. Für ihn war das eine politische Möglichkeit, sich auf der nationalen Bühne noch einmal als harter rechter Hund zu etablieren. Die hat er genutzt, weil ihm Ambitionen nachgesagt werden, 2016 für die Republikanische Partei ins Präsidentschaftsrennen eintreten zu wollen.

    Kapern: Wenn die US-Bürger nun in den nächsten Tagen die Folgen eines "Government Shutdown" zu spüren bekommen werden, aller Voraussicht nach jedenfalls, wird das dann Auswirkungen auf die Positionen, auf die Stärke und das Beharrungsvermögen der Republikaner haben?

    Werz: Mit Sicherheit, weil man nicht davon ausgehen kann, dass eine längere Periode dieser Regierungsschließung politisch durchzuhalten ist. Wenn es am Dienstag dazu kommt, dass über 800.000 Bundesangestellte in einen unbezahlten Urlaub geschickt werden, dann wird doch noch einmal sehr viel deutlicher werden, worum es hier politisch eigentlich geht. Das Gesetz, das die Republikaner hier verhindern wollen, ist ja 2009 vom Abgeordnetenhaus beschlossen worden, 2010 vom Präsidenten unterzeichnet und 2012 noch einmal vom Obersten Gerichtshof bestätigt worden. Das heißt, es ist ein wasserdichtes Gesetz, was mit allen Mehrheiten und auch der Legislative oder der Autorität des Verfassungsgerichtes ausgestattet ist, und das Gesetz zu ketten an die Zukunft der Vereinigten Staaten und auch ans Wohlbefinden der Bürgerinnen und Bürger, das wird auf Dauer keine haltbare Position sein.

    Das Gesetz selbst ist ja schon Produkt eines Kompromisses oder eine Kompromisskonstruktion gewesen, die Produkt ist eines langen politischen Kampfes, der das gesamte Jahr 2009 überschattet hat. Insofern wird es hier sehr schwer sein für die Republikaner, diese Position aufrecht zu halten. Eric Cantor, eine der wichtigsten Führungsfiguren im Abgeordnetenhaus, hat auch ganz offen und ehrlich gesagt, "this will unite us", das wird unsere Partei wieder zusammenbringen. Es ist also auch ein politischer Versuch, noch einmal die verschiedenen Flügel unter ein Dach zu bringen, aber die Halbwertszeit dieser Strategie ist doch sehr begrenzt.

    Kapern: Es gibt also auch gemäßigte Stimmen unter den Republikanern, sagen Sie, die die Tea Party zur Mäßigung aufrufen. Gibt es denn auch Stimmen außerhalb des politischen Systems, die sich überhaupt den Kopf darüber zerbrechen, wie es dazu kommen konnte, und warum dringen diese Stimmen nicht durch im öffentlichen Diskurs?

    Werz: Es gibt eine breite gesellschaftliche und politische Diskussion über diese Dauerkrise im Kongress. Es ist ja nicht so, dass wir zum ersten Mal uns in so einer Situation befinden hier in Washington. Das Ganze hat sich ja in ähnlichem Kontext 2011 bereits abgespielt. Auch das Haushalts-, das Budgetgesetz, um das es jetzt geht, ist ja kein wirklicher Haushalt für das kommende Jahr, sondern wieder nur eine sechs Wochen währende Notlösung. Also diese Dauerkrise der Handlungsunfähigkeit des Kongresses ist ein politisches Thema. Das Problem ist, dass aufgrund der politischen Struktur der politischen Institutionen der Vereinigten Staaten, die sehr stark auf Repräsentation des direkten Wählerwillens basieren, es möglich ist, für kleine Sperrminoritäten große Probleme anzurichten, und die Führungspersonen der Republikaner im Abgeordnetenhaus haben bisher an ihren Jobs sich so festgeklammert und nicht das getan, was eigentlich die politische Situation verlangt, nämlich vernünftige Gesetze unter Umständen mit einer Minderheit ihrer eigenen Stimmen gemeinsam mit den Demokraten zu beschließen, wo es um das Gemeinwohl geht und nicht nur um die politische Ideologie einiger weniger ihrer Abgeordneten.

    Kapern: Haben sich die Verfahrensweisen und Strukturen der ältesten Demokratie der Welt überholt?

    Werz: Das ist eine Debatte, die hier geführt wird. Unter den gegenwärtigen Bedingungen kann man mit Sicherheit sagen, Reformen sind notwendig. Auf der anderen Seite ist es eine 200 Jahre alte politische Tradition, die sich so ohne Weiteres nicht ändern lässt. Insofern können wir davon ausgehen, dass wir mit diesen schwierigen Situationen noch eine Weile lang leben müssen in Washington.

    Kapern: Der Sozialwissenschaftler Michael Werz vom Center for American Progress, heute Morgen live im Deutschlandfunk. Herr Werz, danke für das Gespräch, auf Wiederhören!

    Werz: Vielen Dank, Herr Kapern.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.