Jochen Spengler: Herr Müller, steckt die rot-grüne Koalition in der Krise und weiß sie es noch nicht?
Albrecht Müller: Also das weiß ich nicht, ob die Koalition in der Krise steckt. Unser Land steckt in der Krise, und das wirkt sich auf die Koalition vielleicht aus, weil die Koalition merkt, dass sie mit ihren bisherigen Reformen, mit dem, was insgesamt in Deutschland immer behauptet wird, eben den Erfolg, aus der Krise herauszukommen, nicht hat. Es wurde permanent reformiert in Deutschland. Es gibt keinen Reformstau, aber es treten die Erfolge nicht ein, und das ist für einen Ökonomen, der ich bin, auch völlig selbstverständlich. Ein Unternehmer investiert nicht deshalb, weil bei uns nicht reformiert wird, sondern er investiert dann, wenn er erwarten kann, dass er mehr absetzen kann und wenn er dabei Gewinn macht. So sieht es übrigens die Fachwelt um uns herum. Nur in Deutschland haben wir so inkompetente Leute an der Spitze, und zwar bei Regierung und Opposition, dass sie gar nicht merken, woran es fehlt.
Spengler: Wenn Politik die Kunst des Möglichen ist, wäre es denn jetzt möglich, um die Arbeitslosigkeit zu senken, die Unternehmenssteuer zu reformieren, oder sagen Sie, das wäre auch wieder eine Reform zu viel?
Müller: Es ist doch absurd. Ich habe sieben massive Steuersenkungen für Unternehmen in den letzten Jahren ausgemacht. Die Vermögenssteuer ist gestrichen worden, die Gewerbekapitalsteuer ist gestrichen worden, die Körperschaftssteuer ist total runtergesetzt worden, der Spitzensteuersatz ist auf 42 Prozent abgesenkt worden, und noch einiges mehr. Das hat alles nichts gebracht, und es ist auch logisch. Wieso sollte jemand investieren, weil er weniger Steuern zahlen muss? Er investiert dann, wenn er absetzen kann. Die Fachwelt um uns herum in Amerika, England, Frankreich, Österreich, alle wundern sich über die Deutschen, dass sie nicht begreifen, dass man mit Reformen aus der Wirtschaftskrise herauskommt, sondern mit einer Ankurbelung der Wirtschaft.
Spengler: Wie würden Sie die Wirtschaft ankurbeln?
Müller: Zunächst mal würde ich die Stimmung verbessern. Aber das würde ich damit kombinieren, dass wirklich ein massives Konjunkturprogramm gemacht wird. Ansonsten gibt es eine Reihe von sonstigen Möglichkeiten, Investitionszulagen oder was auch immer, das muss man zusammenstellen. Es gibt enorm viel zu tun in unserem Land, es wird nur nicht gemacht.
Spengler: Da sagen aber doch viele Wirtschaftsexperten, das sind die Rezepte der siebziger Jahre, die greifen heute nicht mehr.
Müller: Was ist das für ein Argument? Der Multiplikatoreffekt, der Beschleunigungseffekt, zwei klare Konzepte der Ökonomie, die sind noch nicht deshalb falsch, weil sie in den sechziger oder siebziger Jahren angewandt worden sind. Wir leben in einem kollektiven Wahn in Deutschland. Man sagt, wir müssen die Konjunktur anschieben. Dann wird gesagt, das sind die Rezepte der siebziger Jahre. Was ist das für ein Argument?
Spengler: Aber Sie kennen die Meinung der Wirtschaftsfachleute, zum Beispiel Professor Sinn, die genau sagen, das nützt alles nicht mehr, das ist zusätzlich Geld ausgeben, und das bei dem Schuldenstand, den wir haben, ohne dass es einen Effekt hat?
Müller: Dieser Professor Sinn, dessen Institut hat in den siebziger Jahren mit Gutachten untersucht, dass die damaligen Konjunkturprogramme von Helmut Schmidt enorm viel gebracht haben, Arbeitsplätze in sechsstelliger Art. Dasselbe Institut beziehungsweise der Professor behauptet heute das Gegenteil, oder er sagt, wie Sie es auch sagen, das würde mehr Schulden bedeuten. Um uns herum, in den USA, in Frankreich, überall wird bewiesen, dass man dann, wenn man Geld ausgibt, mehr Geld einnimmt. Bei uns wird es ja auch bewiesen. Dem Herrn Eichel nehme ich es ja ab, dass er sparen will, aber volkswirtschaftlich ist es eben so, dass man, wenn man in einer Krise spart, am Ende weniger Steuereinnahmen hat, und dann spart man weniger als wenn man Geld ausgegeben hätte. Diese Logik wird von einer großen Zahl von Meinungsführern in Deutschland überhaupt nicht begriffen, und das ist unser Elend. Wir treiben deshalb die Ökonomie immer weiter in die Krise.
Spengler: Könnte man sagen, wenn ich Sie richtig verstanden habe, Sie würden dem Bundeskanzler Schröder raten, die Rezepte des ehemaligen Finanzministers Lafontaine umzusetzen?
Müller: Das spielt doch keine Rolle, von wem sie sind. Auf jeden Fall können Sie nachweisen, dass in den Jahren 1998 bis 2000 es einen ganz kleinen Aufschwung in Deutschland gab, und dann wurde er ja abgebrochen. Aber das ist doch nicht das Entscheidende. Das Entscheidende ist, dass es fachlich das Richtige wäre und dass wir auf der anderen Seite bei uns Leute haben, die sich als Fachleute ausgeben und ansonsten nur erzählen, was sie irgendwo aufgenommen haben, und weil es alle erzählen, erscheint es als wichtig.
Spengler: Sind Sie denn der Ansicht, dass Ihre Meinung irgendeine Chance in dieser Bundesregierung hätte?
Müller: Ich hoffe es. Schauen Sie, der Nobelpreisträger Robert Solow sagt, die deutsche Wirtschaft schwächelt nun seit einer Dekade, wenn ich ein Manager wäre, würde ich meine Produktion auch nicht ausweiten, solange die Märkte nicht erkennbar expandieren. Dann sagt er noch klar, Makropolitik, die Globalsteuerung zur Ankurbelung einer Konjunktur, beherrscht vermutlich niemand perfekt, aber mir scheint offensichtlich, in Deutschland könnte man sie wesentlich besser machen. Ich hoffe, dass Gerhard Schröder eines Tages noch begreift, dass er auch politisch gewinnen würde und dass die SPD endlich wieder Wahlen gewinnen würde, wenn sie endlich den Menschen, und zwar den Arbeitnehmern und den Unternehmern, die auf die Binnenkonjunktur angewiesen sind, eine Möglichkeit geben zu arbeiten und wieder Aufträge zu erwerben und ihre Waren wieder zu verkaufen, wenn ich an den Einzelhandel denke. Das ist doch so runtergefahren, dass jeder mit einem bisschen Verstand wissen muss, das muss man ankurbeln, und ich hoffe, dass man das in Berlin langsam begreift.
Spengler: Ich danke Ihnen für das Gespräch.
Albrecht Müller: Also das weiß ich nicht, ob die Koalition in der Krise steckt. Unser Land steckt in der Krise, und das wirkt sich auf die Koalition vielleicht aus, weil die Koalition merkt, dass sie mit ihren bisherigen Reformen, mit dem, was insgesamt in Deutschland immer behauptet wird, eben den Erfolg, aus der Krise herauszukommen, nicht hat. Es wurde permanent reformiert in Deutschland. Es gibt keinen Reformstau, aber es treten die Erfolge nicht ein, und das ist für einen Ökonomen, der ich bin, auch völlig selbstverständlich. Ein Unternehmer investiert nicht deshalb, weil bei uns nicht reformiert wird, sondern er investiert dann, wenn er erwarten kann, dass er mehr absetzen kann und wenn er dabei Gewinn macht. So sieht es übrigens die Fachwelt um uns herum. Nur in Deutschland haben wir so inkompetente Leute an der Spitze, und zwar bei Regierung und Opposition, dass sie gar nicht merken, woran es fehlt.
Spengler: Wenn Politik die Kunst des Möglichen ist, wäre es denn jetzt möglich, um die Arbeitslosigkeit zu senken, die Unternehmenssteuer zu reformieren, oder sagen Sie, das wäre auch wieder eine Reform zu viel?
Müller: Es ist doch absurd. Ich habe sieben massive Steuersenkungen für Unternehmen in den letzten Jahren ausgemacht. Die Vermögenssteuer ist gestrichen worden, die Gewerbekapitalsteuer ist gestrichen worden, die Körperschaftssteuer ist total runtergesetzt worden, der Spitzensteuersatz ist auf 42 Prozent abgesenkt worden, und noch einiges mehr. Das hat alles nichts gebracht, und es ist auch logisch. Wieso sollte jemand investieren, weil er weniger Steuern zahlen muss? Er investiert dann, wenn er absetzen kann. Die Fachwelt um uns herum in Amerika, England, Frankreich, Österreich, alle wundern sich über die Deutschen, dass sie nicht begreifen, dass man mit Reformen aus der Wirtschaftskrise herauskommt, sondern mit einer Ankurbelung der Wirtschaft.
Spengler: Wie würden Sie die Wirtschaft ankurbeln?
Müller: Zunächst mal würde ich die Stimmung verbessern. Aber das würde ich damit kombinieren, dass wirklich ein massives Konjunkturprogramm gemacht wird. Ansonsten gibt es eine Reihe von sonstigen Möglichkeiten, Investitionszulagen oder was auch immer, das muss man zusammenstellen. Es gibt enorm viel zu tun in unserem Land, es wird nur nicht gemacht.
Spengler: Da sagen aber doch viele Wirtschaftsexperten, das sind die Rezepte der siebziger Jahre, die greifen heute nicht mehr.
Müller: Was ist das für ein Argument? Der Multiplikatoreffekt, der Beschleunigungseffekt, zwei klare Konzepte der Ökonomie, die sind noch nicht deshalb falsch, weil sie in den sechziger oder siebziger Jahren angewandt worden sind. Wir leben in einem kollektiven Wahn in Deutschland. Man sagt, wir müssen die Konjunktur anschieben. Dann wird gesagt, das sind die Rezepte der siebziger Jahre. Was ist das für ein Argument?
Spengler: Aber Sie kennen die Meinung der Wirtschaftsfachleute, zum Beispiel Professor Sinn, die genau sagen, das nützt alles nicht mehr, das ist zusätzlich Geld ausgeben, und das bei dem Schuldenstand, den wir haben, ohne dass es einen Effekt hat?
Müller: Dieser Professor Sinn, dessen Institut hat in den siebziger Jahren mit Gutachten untersucht, dass die damaligen Konjunkturprogramme von Helmut Schmidt enorm viel gebracht haben, Arbeitsplätze in sechsstelliger Art. Dasselbe Institut beziehungsweise der Professor behauptet heute das Gegenteil, oder er sagt, wie Sie es auch sagen, das würde mehr Schulden bedeuten. Um uns herum, in den USA, in Frankreich, überall wird bewiesen, dass man dann, wenn man Geld ausgibt, mehr Geld einnimmt. Bei uns wird es ja auch bewiesen. Dem Herrn Eichel nehme ich es ja ab, dass er sparen will, aber volkswirtschaftlich ist es eben so, dass man, wenn man in einer Krise spart, am Ende weniger Steuereinnahmen hat, und dann spart man weniger als wenn man Geld ausgegeben hätte. Diese Logik wird von einer großen Zahl von Meinungsführern in Deutschland überhaupt nicht begriffen, und das ist unser Elend. Wir treiben deshalb die Ökonomie immer weiter in die Krise.
Spengler: Könnte man sagen, wenn ich Sie richtig verstanden habe, Sie würden dem Bundeskanzler Schröder raten, die Rezepte des ehemaligen Finanzministers Lafontaine umzusetzen?
Müller: Das spielt doch keine Rolle, von wem sie sind. Auf jeden Fall können Sie nachweisen, dass in den Jahren 1998 bis 2000 es einen ganz kleinen Aufschwung in Deutschland gab, und dann wurde er ja abgebrochen. Aber das ist doch nicht das Entscheidende. Das Entscheidende ist, dass es fachlich das Richtige wäre und dass wir auf der anderen Seite bei uns Leute haben, die sich als Fachleute ausgeben und ansonsten nur erzählen, was sie irgendwo aufgenommen haben, und weil es alle erzählen, erscheint es als wichtig.
Spengler: Sind Sie denn der Ansicht, dass Ihre Meinung irgendeine Chance in dieser Bundesregierung hätte?
Müller: Ich hoffe es. Schauen Sie, der Nobelpreisträger Robert Solow sagt, die deutsche Wirtschaft schwächelt nun seit einer Dekade, wenn ich ein Manager wäre, würde ich meine Produktion auch nicht ausweiten, solange die Märkte nicht erkennbar expandieren. Dann sagt er noch klar, Makropolitik, die Globalsteuerung zur Ankurbelung einer Konjunktur, beherrscht vermutlich niemand perfekt, aber mir scheint offensichtlich, in Deutschland könnte man sie wesentlich besser machen. Ich hoffe, dass Gerhard Schröder eines Tages noch begreift, dass er auch politisch gewinnen würde und dass die SPD endlich wieder Wahlen gewinnen würde, wenn sie endlich den Menschen, und zwar den Arbeitnehmern und den Unternehmern, die auf die Binnenkonjunktur angewiesen sind, eine Möglichkeit geben zu arbeiten und wieder Aufträge zu erwerben und ihre Waren wieder zu verkaufen, wenn ich an den Einzelhandel denke. Das ist doch so runtergefahren, dass jeder mit einem bisschen Verstand wissen muss, das muss man ankurbeln, und ich hoffe, dass man das in Berlin langsam begreift.
Spengler: Ich danke Ihnen für das Gespräch.