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Die Riesenkrake der mörderischen Vergangenheit taucht auf

Ewig kiffend, lethargisch, arbeitslos - das ist Cetarti, die Hauptfigur in Carlos Busqueds Debütroman. Ein Erbe lockt ihn von der Großstadt in die Provinz, zu einem dubiosen Ex-Kollegen, einem Liebhaber von abscheulichen Gewaltpornos, der sich um das Erbe von Cetartis Mutter kümmert.

Von Wolfram Schütte | 11.03.2011

    Wahrscheinlich verdanken wir die Bekanntschaft mit diesem verstörenden Roman dem diesjährigen Gastland der Frankfurter Buchmesse. Jedenfalls hat das Außenministerium der Republik Argentinien die Übersetzung von Dagmar Ploetz gefördert. Sie ist, nach dem Tod von Elke Wehr, wohl die erste Adresse auf diesem Gebiet und sie gewonnen zu haben, auch eine Empfehlung des unbekannten argentinischen Autors. Carlos Busqued wurde 1970 im Norden Argentiniens geboren und lebt heute in Buenos Aires. Nicht dort aber, sondern in Barcelona erschien im vergangenen Jahr sein nun auf deutsch vorliegender erster Roman "Unter dieser Furcht erregenden Sonne". Ein Furcht erregendes literarisches Debüt - sowohl durch die Trostlosigkeit seiner Weltbeschwörung, als auch durch die schöpferische Könnerschaft des Autors, ihr eine originelle literarische Gestalt zu geben.

    Zu Beginn fährt eine der Hauptpersonen mit ihrem Wagen durch ein stinkendes, schlammiges Dorf, dessen Häuser im gestiegenen Grundwasserspiegel zerbröckeln. "Cetarti hatte", heißt es da, "die Klimaanlage angestellt, und es war kalt im Auto, zugleich aber brannte die durch die Scheibe fallende Sonne auf der Haut, als sei keinerlei Schutz dazwischen. Die Haut schwitzte, und der Schweiß wurde kalt, aber die Empfindungen von Kälte und Brennen hoben einander nicht auf, sondern koexistierten auf unangenehme Weise. Immerhin war es besser als draußen zu sein".

    Wer sich ins Innere des von Carlos Busqued Erzählten begibt, wird diese Koexistenz von Hitze und Kälte als durchgängiges ästhetisches Bauprinzip seines Romans erfahren, der einen damit auf unangenehm-eindringliche Weise mit einer amoralischen Gesellschaft konfrontiert, die buchstäblich - man kann es nicht anders sagen - am Verrecken ist.

    Der eben erwähnte Cetarti ist ein ewig kiffender, lethargischer Arbeitsloser in einer Großstadt, den die Aussicht auf ein unverhofftes Erbe in die tiefste Provinz lockt. Dort sind seine Mutter und sein Bruder, mit denen er längst schon keinen Kontakt mehr hatte, vom Liebhaber der Mutter, einem pensionierten Militär, erschossen worden, bevor der sich selbst umbrachte. Der dubiose Duarte - Ex-Kollege, Freund und Testamentsvollstrecker des Doppelmörders - verspricht Cetarti eine Fifty-Fifty-Beteiligung an der Lebensversicherung seiner Mutter. Er wird den Versicherungsbetrug mit Hilfe korrupter Kumpels in der Armee, die auch daran beteiligt werden, problemlos ausführen.

    Als Kenner, Sammler und Liebhaber von abscheulichen Gewaltpornos interessiert er sich dafür, wie weit ein Mensch mit der sexuellen Ausbeutung gehen kann oder was er alles mit sich machen lässt: "Die Elastizität des menschlichen Organismus ist erstaunlich", erklärt er dem sich angeekelt abwendenden Cetarti. Erstaunlicher ist aber, was Duarte zusammen mit Danielito, dem Sohn seines ehemaligen Militärkameraden, und einem fensterlosen Krankenwagen professionell betreibt: gezielten Menschenraub, Folter des Opfers und finanzielle Erpressung von dessen Angehörigen.

    Dass sich Danielitos Mutter, nach dem sie das Mobiliar aus dem Haus ihres selbstmörderischen Exgatten verbrannt, mit Rattengift umbringt, wird ebenso cool berichtet wie der für Duarte und Danielito tödlich endende Zusammenstoß des missbrauchten Krankenwagens mit einem Rind auf einer nächtlichen Landstraße. Ungerührt macht sich der überlebende Cetarti, der gar nicht weiß, dass ihn die toten Kumpel hatten umbringen wollen, mit dem gerade erbeuteten Vermögen der Bande auf die Flucht nach Brasilien - eine Reise, die Danielito eigentlich vorhatte.

    Nicht der abenteuerliche Plot, der an eine Cormack-McCarthy-Verfilmung der Coen-Brüder denken lässt, treibt Carlos Busqueds rabenschwarzen Roman ins Aberwitzige. Auch nicht seine teils elliptische, teils eminent filmische Erzählweise.

    Nein, es sind die albtraumhaften Obsessionen, welche die drei ständig kiffenden, sich von Fastfood und Cola ernährenden Männer mit dem Dauerkonsum von CNN, Discovery Channel & Animal Planet befriedigen. Wie auf manchen Fernsehsendern der Strom fortlaufend wiederholter Börsenkurse oder Katastrophen-Nachrichten am Fuß des Bildschirms dessen Erzählbilder unterspült, so bettet Carlos Busqued seine fiktive Erzählung in wiederholte & variierte Fernsehberichte von Riesenkalmaren, Killerelefanten, giftigen Nashornkäfern ein; oder in Dokumentationen von alliierten Bombenangriffen im zweiten Weltkrieg und von nuklear bestückten amerikanischen Riesenbombern während des Kalten Krieges.

    Besonders die riesigen Tiefseekraken haben es dem Autor so angetan, dass er an zwei Stellen Zeitungsseiten mit Bildberichten über die Seeungeheuer reproduziert und als rohe Fremdstoffe seinem Roman implantiert.

    Dieses permanente Fluidum des naturgegebenen Schreckens wie auch der menschenmöglichen atomaren Apokalypse legt sich - wie ein öliger Film giftig schillernd - eng um die unter Drogen stehenden Personen & ihre amoralischen Handlungen. Man sieht in Carlos Busqueds finsterem Romanphantasma die schrecklichen psychischen Verheerungen am Werk, die aus der Zeit der grausamen Militärdiktatur stammen und noch heute fortschwären.

    Carlos Busqued: "Unter dieser Furcht erregenden Sonne". Roman. Aus dem Spanischen von Dagmar Ploetz. Verlag Antje Kunstmann. München 2010, 190 Seiten, 17.90 Euro