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Die rot-grüne Regierungsmannschaft ist komplett

Heinlein: Die Tinte ist trocken, der neue Koalitionsvertrag unterzeichnet. Es ist geschafft, so der Kanzler um kurz nach 11 in der neuen Nationalgalerie. Die Erleichterung war Gerhard Schröder deutlich anzusehen, als er sein Kabinett präsentierte. Professor Jürgen Falter von der Uni Mainz, überzeugt Sie die neue Mannschaft, ein Kabinett mit Konturen?

    Falter: Zumindest ist es ein Kabinett mit relativ prominenter Besetzung, wenn man denkt, zwei ehemalige zusätzliche Ministerpräsidenten, Clement und Stolpe, dann eine doch sicherlich Farbigkeit garantierende Familienministerin Schmidt, das sind natürlich Leute, die wahrscheinlich etwas farbiger sind als ihre Vorgänger, aber es ist natürlich ein Kabinett, das auf diese Weise älter geworden ist.

    Heinlein: Wie wichtig ist denn diese Prominenz? Wie wichtig sind denn diese Namen? Können Sie helfen, einige inhaltliche, programmatische Schwächen zu übertünchen?

    Falter: Ich glaube, eher nicht. Also Clement ist natürlich ein Macher, jemand, der durchsetzen kann, der auch durchaus Konzeptionen entwickeln kann. Bei ihm ist es eigentlich noch am ehesten zuzutrauen, dass er in der Lage sein wird, etwa die Hartz-Kommissions-Vorschläge so weit durchzusetzen, wie das irgendwo in unserem Verbände-Staat geht, vielleicht sogar eine Art Hartz II zu entwickeln. Stolpe ist ja eigentlich eher ein Moderator, ein Vermittler gewesen, und nicht der Macher im Amt, der jetzt für den Aufbau Ost sorgen wird. Ich finde, dass seine Ernennung eher etwas mit einem symbolischen Akt zu tun, wenn auch einem wichtigen symbolischen Akt. Er wird sicherlich den Osten deutlich präsenter vertreten, als das vorher durch Frau Bergmann etwa der Fall war.

    Heinlein: Sie haben Clement und Stolpe erwähnt. Daneben gibt es im neuen Kabinett aber auch weitere politische Schwergewichte: Schröder selbst, Fischer, aber auch Schily, Eichel und Struck. Ist damit interner Streit zwischen diesen politischen Schwergewichten vorprogrammiert?

    Falter: Es ist immer die Gefahr da, dass sozusagen ehemals sehr mächtige und von sich selbst überzeugte Leute, zum Teil durchaus eitle Menschen, leicht aneinander geraten werden. Da wird Schröder schon durchaus zum Teil, schätze ich, mit harter Hand regieren müssen. Also eins will er ganz bestimmt nicht mehr, nämlich acht oder neun Minister innerhalb einer Legislaturperiode austauschen.

    Heinlein: Bei der Nennung dieser Namen fällt auf, dass keine Frau dabei ist. Spielen Frauen im neuen Kabinett nur eine Nebenrolle?

    Falter: Ja, Frauen spielen ja bekanntlich im allgemeinen in Bundeskabinetten und Landeskabinetten eher eine zweite Geige, aber wir haben mit Renate Künast natürlich jemanden, die durch den Zuwachs, den ihr Ministerium erhalten hat, sicherlich erheblich an Bedeutung gewinnen wird. Sie ist ja auch jemand, die sich durchaus in der Öffentlichkeit präsentieren kann, also sie wird keine zweite Geige spielen, da bin ich ganz sicher.

    Heinlein: Renate Schmidt wurde auch als Bundespräsidentin gehandelt. Nun ist sie Familienministerin. Warum diese Personalie?

    Falter: Ich glaube, Bayern war dran, vielleicht kann man das so sagen. Es sind ja immer regionalspezifische Aspekte zu beachten bei solchen Kabinettsbesetzungen, und Renate Schmidt ist sicherlich jemand, die den Bereich, dem sie jetzt vorsteht, relativ glaubwürdig ausfüllen kann. Sie hat auch diese Ausstrahlung, die man vielleicht mit diesem Ministerium verbindet. Insofern ist es für mich keine ganz unplausible Ernennung, was ja noch nicht unbedingt ausschließen muss, dass sie nicht auch für das Bundespräsidentenamt zur Verfügung stehen könnte.

    Heinlein: Die Grünen haben auf ein viertes Ministerium zugunsten größerer Kompetenzen verzichtet. Ist dies ein kluger Schachzug?

    Falter: Ich glaube, das ist für die Grünen in der Tat ein kluger Schachzug. Das Justizministerium, was sie ja vielleicht hätten bekommen können, wäre ja ein Ministerium gewesen, das dann im Dauerclinch mit Schilys Innenministerium geraten wäre, und da hätten die Grünen sicherlich öfter den Kürzeren gezogen. So haben sie durch die Verbreiterung der Ressorts, in denen sie drin sind, dafür gesorgt, dass sie mehr grüne Politik betreiben können, dass auch die grüne Politik sichtbarer wird. Ich glaube, die Grünen haben sich da relativ gut durchgesetzt.

    Heinlein: Vielen Dank für das Gespräch.